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         Motto         Mundus vult decipi  Die Welt will getäuscht werden

                           (altrömische Sentenz aus vorchristlicher Zeit)

 

       [IV] Katholische Kirche am Abgrund  -  Übersicht

         Textregister: 10/52, 10/55, 4/6, 8/13, 2/15, 3/65, 5/15, 9/65,

  8/20, 8/25, 6/82, 6/39, 2/41, 3/41, 10/91, 6/93,

  8/93, 8/94, 5/46, 8/47, 5/49, 6/50,

  VH (14), Sz 1, Sz 17, Sz 32, Sz 44, Sz 56, Sz 57

         Die in der folgenden Übersicht rot markierten und unterstrichenen Fundstellen

         werden weiter unten kommentiert.

 

(1) Relative Zeitangaben

(a) Große Truppenaufmärsche und

große Taten um das >Heilige Land<,

wenn das Schiff mit zwei Brüdern

schwanger gewesen ist   Sz 56 Vz 6

(b) Ein kurzlebiger und ein langlebiger 2/15 Vz 2 [II] (Castor, Pollux

Papst treten auf, dann erscheint    im Schiff, Haarstern)

der Komet [II] 

(c) Letzter Papst gewählt am Tag,  3/65 Vz 1/2/3 (vom Senat nicht lange

nach dem das >Grab eines großen    mit Beifall bedacht)

Römers gefunden< wird, was nach  9/84 Vz 3 [III] (Sturzflut öffnet das Grab

dem Kataklysmus [II] geschieht   eines großen Römers)

(2) Vorgänger des letzten Papstes

(a) widersetzt sich einem Ausplünderer 8/47 Vz 4

(b) hat das Amt sieben Jahre inne  8/93 Vz 1, 8/94 Vz 3 (>sieben Monate<)

(c) stirbt eines gewaltsamen Todes   8/47 Vz 4/1 (getötet, trasimenischer See)

     6/39 Vz 1-3 (Azurner beraubt und ergriffen

      beim trasimenischen See)

     6/82 Vz 3/4 (Neffe des großen Papstes getötet)

     Sz 17 Vz 1/2 (leidet, erlebt das Ende des Jahres

      nicht, in dem andere fröhlich sind

      und feiern)

(3) Durch dessen Abgang entsteht eine 8/93 Vz 2 (durch sein Scheiden große Spaltung)

große Spaltung   5/46 Vz 1/2 [s.u.] (neue Spaltungen, wenn der

       Sabiner gewählt ist)

     VH (14) (Kind der Treue/ Kind der Untreue zur

      Erhaltung der katholischen Kirche)

(4) Die dem Papst folgende Kirche ist  8/13 Vz 3 (Frau leidenschaftlich)

begeistert darüber, dass der Heiland  6/39 Vz 4 (Schar berauscht sich allzu sehr)

wieder auf Erden weile   8/25 Vz 1/2 (Dame lässt sich hinreißen)

     Sz 17 (ungesund Fröhliche feiern ein Fest)

(5) Letzter Papst

(a) lässt sich von einem >großen Römer< Sz 44 Vz 1-3 (>schöne Rose ersehnt<)

einladen auf dessen Fest   5/46 Vz 2 (>Sabiner<)

(b) verspricht diesem dort seine Kirche 5/49 Vz 3 (>Verlobung<)

(6) Der >neue Weise<, 4/31 [III], Sz 1 (neue Zeit, neues Bündnis)

(a) wird vom römischen Klerus anerkannt 3/41 Vz 1 (>Verwachsener< erwählt)

als >wiedergekommener Heiland<  10/91 Vz 2/3 (Erwählung eines Grauen)

     8/20 Vz 4 (für einen Anderen die

      Herrschaft erzwungen)

     VH (14) (Tochter hingegeben zur Erhaltung

      der christlichen Kirche)

(b) wird im Jahr darauf von >Mutter Kirche< 10/55 (Hochzeitsfeier in großer Freude)

>Mutter Kirche< >geheiratet< 10/52 (Hochzeitsfeier in Gent=

= öffentliche Feier der Bindung Sz 57 (Kaiser und neue Braut schließen

      Bündnis, feiern Fest)

     Sz 32 (Wein in Fülle, gut für die

      Wachhabenden)

eine >Heirat<,   6/50 Vz 2 (Inzest begangen durch

die N. >Inzest< nennt     die >Stiefmutter<)

und als Untreue wertet VH (14) (Kind der Untreue)

(7) >Mutter Kirche< gebiert einen   1/58 Vz 1/2 (Kind mit zwei Köpfen und vier

 >siamesischen Zwilling<   Armen lebt einige Jahre ungeteilt)

(8) Wenn der letzte Papst sieben Jahre im Amt ist,

scheint es Friede und Einheit zu geben 8/93 Vz 3/4 [s.o.]

aber es ist nur ein >Waffenstillstand<  4/6 Vz 1

(9) Eine Täuschung fliegt auf, und deutlich 6/93 Vz 3/4 [V] (wenn alles ins Gegenteil verkehrt

wird, wer in Wahrheit die Kirche spaltet  ist, sieht man, wer das Holz spaltet)

 Sz 57 (Kaiser bringt alles durcheinander,

      neue Braut stirbt kurz danach)

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       [IV] Katholische Kirche am Abgrund  -  eine Auswahl kommentierter Texte 

       (1) Relative Zeitangaben

         Papst Johannes Paul II. wird in Vers 2/28 (Kap.41) als „der Vorletzte“ bezeichnet;  demnach wäre

         sein Nachfolger im Amt, Benedikt XVI., bereits der letzte Papst.  Aber damit ist es nicht vereinbar,

         dass sich in den Centurien die Gestalt des wirklich letzten Papstes deutlich abzeichnet, der dem

         gegenwärtigen (2011) Amtsinhaber noch folgen soll.  Diesem Mann verweigert N. wegen dessen

         Politik, die am weltlichen Aufstieg der Kirche orientiert ist und sie dadurch in den Untergang führt,

         die Anerkennung und zählt ihn deshalb nicht mit. 

         Zur Frage, wann dieser letzte Papst erscheint, wird in Vers 3/65 ein kurz zuvor eintretendes Ereignis

         angegeben (relative Zeitangabe).  Von demselben Ereignis heißt es in 9/84 Vz 3 [III], dass es durch

         eine „Sturzflut“ ausgelöst werde, die in der hier gegebenen Deutung zum Naturgeschehen des

         Kataklysmus gehört [II].

 

         Wenn das Grab des großen Römers gefunden wird …

 

 

03/65    Quand le sepulchre du grâd Romain trouué,/

Le iour apres sera esleu pontife,/

Du senat gueres il ne sera prouué,/

Empoisonné son sang au sacré scyphe.  (1555)

 

Wenn das Grab des großen Römers gefunden (wird),/

wird am Tag danach (ein) Pontifex gewählt./

Vom Senat wird er nicht lange mit Beifall bedacht,/

vergiftet sein Blut im geheiligten Messkelch.

 

1) Zu Gräbern s. Glossar unter -> sepulchre.

2) N.m. pontife Oberpriester, Kirchenfürst, Koryphäe

3) Mittelfrz. v. prouver  prüfen (examiner), gutheißen, billigen (approuver)

4) Lat. n.m. scyphus Becher, Pokal;  hier im Kontext: Messkelch.

Zum Gift s. Glossar unter -> poison.

 

 

         Vz 1 [Grab eines großen Römers gefunden]  Es wird eine >Sturzflut< sein, die >das Grab des

         großen Römers öffnet<, 9/84 Vz 2 [III]. Durch das und nach dem Naturgeschehen des Kataklysmus

         wird eine Idee >ausgegraben<, die zum geschichtlichen Erfahrungsschatz der Menschheit gehört. 

         Die >Öffnung< in Vers 9/84, hier der >Fund< des Grabes eines großen Römers bedeutet, dass die

         Idee des Weltreichs mit einem Kaiser an der Spitze wiederbelebt wird, der zugleich die oberste

         weltliche Macht und die oberste religiöse Autorität innehat, wie das im antiken Rom der Fall war. 

         Zugleich mit dem >Fund der Gebeine des großen Römers< wird dann auch eine „neue Sekte ge-

         gründet", 6/66 [VIII] -  das ist die schnell sich mehrende Anhängerschaft des >dem Grab entstiegenen<

         Anwätres auf den Doppelposten des Kaisers und obersten Priesters, der nach dem Kataklysmus

         die Bühne der Geschichte betreten hat.

         Vz 2 [Am Tag danach Pontifex gewählt]  Die Epoche  n a c h  den einschneidenden Ereignissen, die

         der Kataklysmus mit sich bringt, heißt hier der „Tag danach“, was zugleich auf die außerordentliche

         Finsternis hinweist, die zum Kataklysmus gehört, Vorschau [II].  Es wird anschließend jener Papst

         gewählt, den N. >den Sabiner< nennt, weil er sich von den >Römern<, den Anhängern des >großen

         Römers<, auf deren Fest einladen lässt, 5/46 [s.u.].

         Vz 4 [Vergiftet sein Blut im geheiligten Kelch]  Der neue Papst erkennt in dem >neuen Weisen<,

         4/31 [III], den >wiedergekommenen Heiland<, 1/95 [III].  Er >trinkt die Arznei<, d.h. er begründet

         eucharistische Gemeinschaft mit seinem Helden, 8/13 [s.u.]  Das >Blut im geheiligten Kelch< steht

         für die Glaubenslehren der Kirche und ihren liturgischen Vollzug.  Wenn der >Wiedergekommene<

         nach einiger Zeit an die Macht gekommen ist, wird sich seine Philosophie anmaßen, die Lehren

         der alten Religionen >ganz neu zu deuten<, und wird ihnen so einen >anderen Geist< einblasen,

         den der Seher als >giftig< erkennt, weil er mit der katholischen Lehre nicht vereinbar ist.  Die

         anmaßende Philosophie des Weltherrschers wächst sich schließlich zu einer >neuen Religion<

         aus, die die alten Religionen vollständig verdrängen will, Vorschau [X].

         Vz 3 [Nicht lange mit Beifall bedacht]  Wenn es einmal so weit gekommen ist, wird der neue Papst

         von seinen Glaubensbrüdern nicht mehr mit Beifall bedacht werden, weil dann klar ist, dass seine

         am weltlichen Aufstieg der Kirche orientierte Politik in das größtmögliche Desaster geführt hat.

 

       (2) Vorgänger des letzten Papstes

         (a) widersetzt sich einem Ausplünderer

         Verschwörer töten einen Widerständigen und Aufrechten

 

 

08/47    Lac Trasmenien portera tesmoignage,/

Des coniurez sarez dedans Perouse/

Vn despolle contrefera le sage,/

Tuant Tedesq de sterne & minuse.  (1568)

 

Der trasimenische See wird Zeugnis ablegen/

von den Verschwörern, festgehalten in Perugia./

Ein Plünderer wird den Weisen spielen/

und (den) Deutschen töten, der zu den Widerständigen

und Aufrechten gehört.

 

2) Provenzalisches v. sarra verschließen (serrer)

3) Lat. v. despoliare berauben; n.m. despoliator Ausplünderer.

4) Das ital. n.m. tedesco Deutscher ist hier franz. abgewandelt.

Lat. Adj. sternax störrisch, widerspenstig, lat. Adj. minax emporragend,

drohend, trotzig.  Die Endung –use steht, um den Reim zu erfüllen.

 

 

         Vz 3 [Plünderer spielt den Weisen]  Der nach dem Kataklysmus erscheinende >Messias der Juden<,

         6/18 [III], wird bei Christen im Verdacht stehen, in ihm sei erneut der Heiland auf Erden erschienen. 

         Seine außerordentlichen Begabungen werden es ihm erleichtern, sich als „Haupt der Weisheit“ aus-

         geben zu lassen, 5/31 [III], als den >größten Philosophen, der jemals lebte<.  Das Verbum contrefaire

         bedeutet „spielen“ auch im Sinne von „betrügerisch vormachen“ oder „nachäffen“.  Das bezieht sich auf

         die alte Allegorie, der zufolge >Christus der wahre Salomo<, Heiland  u n d  größter Weisheitslehrer

         der Menschen ist.  I h n  also, s e i n e  Weisheit wird der >neue Weise<, 4/31 [III], nachäffen und den

         Eindruck erwecken, Christus spreche durch ihn.  Wenn ihm dann Macht übertragen ist, 1/95 Vz 4 [III],

         wird er die alten Lehren der christlichen Religion neu deuten wollen und am Ende für sein eigenes

         Projekt ausplündern, eine >neue Religion< zu begründen [X];  daher heißt er hier „Plünderer“.

         Vz 4 [Widerständig und aufrecht]  Des Sehers Gesinnung ist konservativ zu nennen, er lehnt die

         Bestrebungen seiner Zeit, die Kirche zu reformieren und die daraus resultierende Spaltung vehement

         ab.  So ist unter einem „aufrechten“ und „widerständigen“ Kirchenmann einer zu verstehen, der die

         katholische Tradition hochhält, sich aber Zumutungen gegenübersieht, Wesentliches davon aufzugeben. 

         Es scheint hier, dass der „Deutsche“ den Messias-Anwärter, dessen Anfänge er noch erlebt, von vorn-

         herein ablehnt;  über seine Gründe erfahren wir leider nichts.  Seine Charakterisierung als Aufrechter

         und Widerständiger kann als Hinweis zu Hintergrund und Motiv seiner Tötung gelten. 

         Vz 1/2 [Verschwörer]  Der „Plünderer“ selbst, der als Mann des Friedens auftritt, wird die Tat freilich

         nicht ausführen.  Es braucht „Verschwörer“, um die ungeheuerliche Tat zu begehen oder begehen

         zu lassen.  Doch die Gesinnung, die das alte Kirchenoberhaupt zu Fall bringt, scheint dann eine

         verbreitete zu sein.  Die maßgeblichen Kleriker meinen, die >einmalige Chance< nicht auslassen zu

         dürfen, die sich ihnen in der Gestalt des >wiedergekommenen Heilandes< anzubieten scheint.  So ist

         es dann eine „väterliche Versammlung“, die sich gegen den alten Papst stellt, 6/39 Vz 1 [s.u.];  der

         Hinweis auf einen See wird dort und in 8/94 [s.u.] wiederholt.

 

         (b) hat das Amt sieben Jahre inne

         Der Teuerste in den See geworfen

 

 

08/94    Deuant le lac où plus cher fur getté/

De sept mois, & son ost desconfit/

Seront Hyspans par Albannois gastez/

Par delay perte en donnant le conflict.  (1568)

 

Vor dem See, in den der Teuerste geworfen wurde/

der sieben Monate, wo sein Trupp in die Flucht geschlagen wurde,/

werden Spanier durch Albaner zugrundegerichtet./

Durch Aufschub Verderben, dadurch Raum gebend dem Konflikt.

 

2) Mittelfrz. n.m./f. ost Armee (armée) > lat. hostis. Mittelfrz. v. désconfire

in die Flucht schlagen (mettre en déroute), den Feind vernichten (détruire l‘ ennemi)

3) Mittelfrz. v. gaster zugrunderichten (ravager), verwüsten (dévaster)

 

 

         Vz 1/2 [Der Teuerste…]  Diese sehr positive Wertung könnte darauf zurückzuführen sein, dass der

         Gemeinte zu den „Widerständigen“ und „Aufrechten“ gehört, 8/47 [s.o.].  Darunter dürfte N. einen

         Mann der katholischen Kirche verstehen, der die Tradition nicht aufgeben will in einer Zeit, da die

         Kirche in höchste Gefahr gerät, ihre Identität zu verlieren, 5/46 [s.u.].

         Vz 1/2 [… der sieben Monate in den See geworfen]  Der „See“ im Kontext mit einem Tod ist der

         trasimenische See bei Perugia, 8/47 [s.o.].  Der „Trupp“ der Getreuen des in den See Geworfenen

         wird durch den Verlust ihres Vormannes „in die Flucht geschlagen“.  Danach kommt es zu einer

         großen Auseinandersetzung um den künftigen Kurs der Kirche.  Die >sieben Monate< werden

         weiter unten besprochen;  es verbergen sich hier wahrscheinlich sieben Jahre, 8/93 Vz 1 [s.u.].

         Vz 3 [Spanier durch Albaner zugrundegerichtet]  Mindestens drei Fraktionen scheinen dann um das

         Steuerruder der katholischen Kirche zu streiten:  >Sabiner<, >Albaner< und >Spanier<, unterscheidbar

         an ihrem Verhältnis zu >Rom<.  Dabei bedeutet >Rom< den Ort des >großen Römers<, 3/65 [s.o.],

         nämlich das an der Person des >großen Römers< sich auskristallisierende Machtzentrum, das die

         ganze Welt umfassen wird, entsprechend dem Weltreich der antiken Römer.   

         Der Richtungsstreit dauert, bis ein neuer Papst gewählt wird, den N. >den Sabiner< nennt, 5/46 [s.u.].

         Die als >Sabiner< bezeichneten Katholiken meinen, die Anhängerschaft des Messias-Anwärters von

         innen her, durch eine Taktik der Verbrüderung, in den Griff bekommen zu können, sie lassen sich

         daher >auf dessen Fest einladen<, 5/46 [s.u.].  Die als >Albaner< bezeichneten Katholiken sehen den

         >neuen Heiligen< als Gegner, suchen die offene Auseinandersetzung, 5/46 [s.u.], und spalten sich

         nach der Wahl des >Sabiners< von der Kirche ab.  Von beiden unterscheiden sich die >Spanier<

         dadurch, dass sie in der Kirche bleiben und vor dem Versuch der >Eroberung Roms< warnen, der

         schief gehen werde, so wie einst Hannibals von Spanien ausgehender Marsch auf Rom scheiterte,

         5/49 Vz 1 [s.u.].  Die in Aussicht gestellte >Eroberung Roms<, d.h. der Versuch, die katholische

         Kirche zur weltweit dominierenden Glaubensgemeinschaft zu machen, ist dabei nur ein Mäntelchen,

         das dem von der Mehrheit der Kirchenoberen für nötig gehaltenen Arrangement umgehängt wird.

         Dadurch, dass die Gegner und Kritiker des Bündnisses mit dem Messias-Anwärter zum Teil die

         Kirche verlassen (Albaner), schwächen sie den innerkirchlichen Widerstand gegen dieses Bündnis.

         Vz 4 [Durch Aufschub Verderben, dadurch Raum gebend dem Konflikt]  Die sich durchsetzende

         Fraktion innerhalb der katholischen Kirche will sich die schnell wachsende Popularität des >neuen

         Heiligen< zunutze machen, weil man nur so sich behaupten zu können meint, VH (14).  So gewinnt

         man eine „Frist“, einen „Aufschub“ (delay), der dadurch erkauft wird, dass die Kirche von da an eine

         außerhalb von ihr und über ihr stehende Autorität anerkennt.  Diese kann der Kirche später hinein-

         regieren und sie am Ende zerstören, 10/65 [XI].  Indem die Kirchenoberen den Glauben zum Vehikel

         politischer Ambitionen machen, machen sie ihn angreifbar und „geben dem Konflikt Raum“  -  dem

         >Kampf um den wahren Glauben<.  Der Streit um den Glauben, der ausschließlich mit geistigen

         Mitteln geführt werden sollte, kann so am Ende mit Machtmitteln entschieden werden.

 

         Neffe des großen Papstes getötet

 

 

06/82    Par les desers de lieu, libre & farouche,/

Viendra errer nepueu du grand Pontife:/

Assome à sept auecques lourde souche,/

Par ceux qu’ après occuperont le cyphe.  (1568)

 

Durch verlassene Orte, frei und verwildert,/

wird irren (der) Neffe des großen Papstes./

Erschlagen von sieben mit schwerem Baumstamm,/

durch jene, die danach den Becher ergreifen werden.

 

2) N.m. pontife 1. Oberpriester 2. Kirchenfürst 3. Koryphäe.

N.m. pontificat Papstwürde, Papstamt.

4) Lat. n.m. scyphus Becher, Pokal.

 

 

         Vz 1/2 [Neffe des großen Papstes irrt umher]  In Papst Johannes Paul II. erkannte N. einen leiden-

         schaftlichen und umtriebigen Mann;  er sieht ihn als die treibende geistige Kraft des politischen

         Prozesses, in dessen Verlauf dessen Heimat Polen die kommunistische Herrschaft niederringt,

         2/28 (Kap.41); daher könnte er hier mit dem „großen Papst“ gemeint sein.  Unter Neffen im über-

         tragenen Sinn versteht man Günstlinge von hochgestellten Personen;  Kardinal Ratzinger ist durch

         Johannes Paul II. in ein hohes Amt der Kirche berufen worden;  er könnte mit dem >Neffen< gemeint

         sein. "Nach Überflutungen", die der Kataklysmus mit sich bringt, wird Rom „sehr in Aufruhr versetzt“

         sein, 2/54 [VI]. Möglicherweise deshalb verlässt der Günstling des großen Papstes die Stadt; 

wohin er gehen will, bleibt unklar.

         Vz 3/4 [Erschlagen von sieben/ durch jene, die danach den Becher ergreifen]  Der Gemeinte wird

         „erschlagen“, „v o n“ irgendwelchen Gedungenen, aber „d u r c h“ jene, die danach den Becher in

         Besitz nehmen“.  Mit dem >Becher< ist der Messkelch gemeint;  die >den Becher in Besitz nehmen<,

         nehmen die katholische Kirche >in Besitz<, d.h. sie bekommen das Sagen in der Kirche.  So scheint

         es hier, dass der Gemeinte im Auftrag von Angehörigen der eigenen Kirche zum Tode befördert wird. 

         Ort des Geschehens scheint Umbrien zu sein, 8/47 [s.o.], 6/39 [s.u.].

 

        (3) Durch seinen Abgang entsteht eine große Spaltung      

         Sieben Monate hat er die Prälatur inne

 

 

08/93    Sept moys sans plus obtiendra prelature/

Par son decés grand scisme fera naistre:/

Sept moys tiendra vn autre la preture/

Pres de Venise paix union renaistre.  (1568)

 

Sieben Monate, nicht länger, wird er die Prälatur innehaben./

Durch seinen Abgang wird eine große Spaltung entstehen./

Sieben Monate wird ein Anderer die Prätur einnehmen,/

(dann) werden bei Venedig Friede und Einheit neu erstehen.

 

 

         Vz 1/3 [Prälatur/ Prätur]  Eine Prälatur ist ein hohes kirchliches Amt.  Dass hier die höchste Ebene

         der kirchlichen Hierarchie gemeint ist, wird durch die Spaltung wahrscheinlich, zu der es dann kommt.

         Die Prätur war ein hohes weltliches Amt im antiken Rom.  Die Rede von dem einen, der scheidet,

         und dem anderen, der dann die Prätur einnimmt, lässt erkennen, dass Prälatur und Prätur dasselbe

         bedeuten, nämlich das Papstamt.  Vgl. Vers 6/31 (Kap.37), wo Papst Pius XII. „der Prälat“ heißt.

         Vz 1  [Sieben Monate]  Die „sieben Monate“ können wörtlich gemeint sein;  einen Siebenmonats-

         papst hat es seit 1558 nicht gegeben.  Möglich ist aber auch, dass sich dahinter sieben Jahre

         verbergen; eine solche Tarnung von Jahren als >Monate< kommt in den historischen Versen vor,

         5/90 (Kap.28). Papst Benedikt XV. (1914-22) hatte das Amt sieben Jahre und einige Monate inne; 

         zu einer "Spaltung" der Kirche ist es damals aber nicht gekommen.  Somit scheint der Vers noch

nicht erfüllt zu sein.

Vz 2/3 [Durch seinen Abgang große Spaltung/ Anderer folgt]  „Streitigkeiten und neue Spaltungen“

vermeldet Vers 5/46 [s.u.] für die Zeit, „wenn man den Sabiner gewählt haben wird“.  Wenn beide

Verse wegen der angekündigten Spaltung in den gleichen Kontext gehören, wäre der Sabiner-Papst,

5/46 Vz 2, der „Andere“, der dem >Siebenmonats-Papst< folgt.  Seinem Namen nach bringt er den

>schwankenden Kahn<, 5/49 [s.u.], auf einen anderen Kurs als sein Vorgänger, der einen neu auf-

getretenen >Weisen<, 8/47 Vz 3 [s.o.], als wiedergekommenen Christus ablehnte;  der >Sabiner<

nämlich die Einladung dieses >neuen Weisen<, 4/31 [III], auf dessen Fest an.  Das Kirchenoberhaupt

zeigt sich dem neuen Mann gegenüber aufgeschlossen, mehr als aufgeschlossen, 8/13 Vz 1 [s.u.]. 

Diesen neuen Kurs mit zu vollziehen, scheinen nicht alle Gläubigen bereit zu sein.  Denn durch den

Abgang des >Siebenmonats-Papstes< kommt es zu einer „großen Spaltung“.  Es wird Katholiken

geben, die eine Verbindung mit dem neu aufgetretenen Messias-Prätendenten offen ablehnen;

sie heißen in Vers 5/46 Vz 4 [s.u.] und 8/94 Vz 3 [s.o.] >Albaner<. In VH (14) werden diese Katho-

liken, die dem neuen Mann misstrauen, >Kind der Treue< genannt.

         Vz 3/4 [Bei Venedig erstehen Friede und Einheit neu]  Wenn die >sieben Monate< der ersten Vers-

         zeile getarnte sieben Jahre sind, bedeuten die >sieben Monate< der dritten Verszeile in Wahrheit

         auch sieben Jahre.  Das ist auch deshalb wahrscheinlich, weil die grundlegenden Differenzen,

         die das Auftreten des >neuen Weisen<, 4/31 [III], verursacht, in nur sieben Monaten sich kaum

         werden beheben lassen. Nach sieben  J a h r e n  dagegen könnte es eher möglich sein, dass

         angesichts der gewaltigen Karriere, die der >große Römer<, 6/66 [VIII], macht, seine katholischen

         Gegner doch noch für den Glauben an ihn gewonnen oder aber an den Rand und in die Bedeu-

tungslosigkeit abgedrängt werden.

 

     (4) Die dem Papst folgende Kirche begrüßt den >Wiedergekommenen< begeistert

        Kreuzesbruder und Frau leidenschaftlich, trinken Arznei

 

 

08/13    Le croisé frere par amour effrenee/

Fera par Praytus Bellerophon mourir,/

Classe a mil ans la femme forcenee/

Beu le breuuage, tous deux après perir.  (1568)

 

Der Kreuzesbruder wird vor unbändiger Liebe/

durch Proitus den Bellerophon sterben lassen./

Flotte beim Jahrtausend, die Frau leidenschaftlich,/

getrunken die Arznei, gehen danach alle beide zugrunde.

 

1) croisé 1. Kreuzfahrer 2. gekreuzt (p.p.p. vom v. croiser kreuzen)

3. gekreuzt, in Kreuzform (Adjektiv)

2) mil ans sind tausend Jahre, millénaire ist ein Jahrtausend, VH (6).

3) Zur Flotte s.a. Glossar unter -> classe. Adj. forcené leidenschaftlich,

begeistert, als p.p.p. des v. forcener auch: um den Verstand gebracht, verrückt.

 

 

         Vz 3 [Flotte beim Jahrtausend]  Ein >Schiff< sinnbildet bei N. eine Glaubensgemeinschaft, und eine

         >Flotte< ist dann eine Vielzahl von Glaubensgemeinschaften, von Kirchen und Gemeinden, s. das

         Glossar unter -> nef.  Im Abschnitt (6) der Vorrede an Heinrich II., VH (6), spricht N. von sieben Jahr-

         tausenden im Sinne von Weltaltern, die von der Erschaffung Adams bis zum Jüngsten Gericht

         reichen und aufeinander folgen.  Wenn hier die >Flotte beim Jahrtausend< ist, dann ist eine Vielzahl

         von christlichen Kirchen und Gemeinden in ihrem Selbstverständnis an der Schwelle zu einem neuen

         Weltlalter angekommen, in das sie nun eintritt.  Dabei scheint es Grund für große Gefühle zu geben,

         denn von „unbändiger Liebe“ und einer „leidenschaftlichen Frau“ ist die Rede. 

         Vz 1/3 [Frau leidenschaftlich/ Kreuzesbruder liebt unbändig …]  Die großen Gefühle wären erklärt,

         wenn hier nicht irgendeine Jahrtausendwende, sondern der >Wechsel vom sechsten zum siebten

         Jahrtausend< gemeint wäre, der mit einer >Ankunft< der besonderen Art beginnt, VH (6).  Nach

         Krieg und einer singulären Naturkatastrophe betritt erstmals ein Mann die Bühne der Geschichte,

         der ernstlich im Verdacht steht, von Gott gesandt und bevollmächtigt, ja der Gesalbte Gottes selbst,

         d.h. der Messias zu sein.  Die katholische Kirche hat seit Jahrhunderten einen Niedergang ihrer

         weltlichen Macht und einen langsamen, aber unaufhaltsam scheinenden Rückgang ihrer spirituellen

         Attraktivität erlebt.  Träte nun ein Mann auf, in dem ernstlich Christus wieder auf Erden erschienen

         wäre, könnte das wie ein Lebenselixier, wie ein Jungbrunnen auf die Kirche wirken.  >Die Frau<,

         nämlich >Mutter Kirche<, träumt von einer >Arznei< der angenehmen und aufbauenden Art;  sie fühlt

         sich „leidenschaftlich“ oder „begeistert“ hingezogen zu dem >Wiedergekommenen<.  Daher wird ein

         „Kreuzesbruder“ Papst, der ganz „unbändig vor Liebe“ ist zu dem erneut auf Erden Angekommenen. 

         Übersetzt man croisé frère mit Bruder Kreuzfahrer, wäre es eine missionarische Gesinnung dieses

         Papstes, die eine Verbrüderung mit dem geliebten Heiland begünstigt.

         Vz 2 [… lässt durch Proitos den Bellerophon sterben]  Bellerophon war ein Jüngling am Hof des

         Königs Proitos.  Als ihn die Frau des Königs verführen wollte, tat er spröde und verweigerte sich. 

         Die schwer gekränkte Königin forderte ihren Gatten auf, ihn zu töten.  Der sandte den Jüngling fort

         mit versiegelten Tafeln, die den Tötungsauftrag enthielten. -                König Proitos steht für den

         >wiedergekommenen Heiland<, und die Königin ist seine Anhängerschaft.  Der spröde Jüngling

         Bellerophon könnte hier, ähnlich wie Hippolyt in 5/52 [XV], ein Name für jene Christen sein, die sich

         nicht dazu verführen lassen, den Anhängern des >Wiedergekommenen< beizutreten.  Denn sie

         werden, allerdings erst einige Jahre später, im Auftrag des Proitos tödlich bedroht sein, dies dann

         aber ganz offen, 9/44 [XI].  So dürfte hier der Name Bellerophon eher für eine einzelne Person stehen,

         nämlich für den Vorgänger jenes „Kreuzesbruders“, der dann Papst wird.  Dessen Vorgänger wird

         anscheinend auf Betreiben von Anhängern der eigenen Kirche zum Tode befördert, die danach in

         der Kirche das Sagen haben, 6/82 Vz 4 [s.o.].

         Vz [Getrunken die Arznei, gehen danach beide zugrunde]  Indem >Mutter Kirche< aus einem Kelch

         mit dem >Wiedergekommenen< trinkt, d.h. eucharistische Gemeinschaft mit ihm begründet, hofft

         sie, ihre angeschlagene Gesundheit wiederherzustellen.  Sie trinkt eine süß schmeckende >Arznei<.

         Wenn die Herrschaft des >Wiedergekommenen< dann zur vollen Entfaltung gelangt ist, nicht nur

         innerhalb der Kirche, 1/4 [VIII], wird es sich erweisen, dass die >süße Arznei< der Gemeinschaft

         mit dem >wiedergekommenen Heiland< ihr den Tod bringt.  Von der katholischen Kirche bleibt dann

         nur noch eine tote Hülle stehen, 10/65 [XI];  der letzte Papst stirbt ab >Blutvergiftung<, 3/65 [s.o.].

         Allen beiden wird >die Seele geraubt< sein, 8/25 [s.u.].

 

         Die Schar berauscht sich allzu sehr, wird zur Geisel

 

 

06/39    L‘ enfant du regne par paternelle prinse,/

Expolié sera pour deliurer:/

Aupres du lac Trasimen l‘ azur prinse,/

La troupe hostaige par trop fort s‘ enyurer.  (1568)

 

Das Kind der Herrschaft durch väterliche (Versammlung)

ergriffen,/  beraubt wird es sein, um (es) auszuliefern./

Beim trasimenischen See der Azurne ergriffen./

Die Schar (wird zur) Geisel, weil sie sich allzu sehr berauscht.

 

1) Ein n.f. prinse gibt es nicht; es ist das p.p.p. von prendre.

Das Adj. paternel bezieht sich auf ein fehlendes n.f.; im Hinblick auf

Vz 4 bietet sich an: troupe Schar oder assemblée Versammlung.

2) V. expolier vom lat. v. expoliare plündern, gänzlich berauben

4) Mittelfrz. n.m. ostage Geisel (otage)

 

 

         Vz 4 [Schar berauscht sich allzu sehr, wird zur Geisel]  Unter dem Nachfolger des >Siebenmonats-

         papstes< kann sich in der katholische Kirche jene Richtung durchsetzen, die sich mit dem >wieder-

         gekommenen Christus< verbindet, 5/46 [s.u.], von dem man sich Wunderdinge für die Kirche erhofft,

         5/49 [s.u.].  Man „berauscht sich“ an den Perspektiven einer kirchenpolitisch instrumentalisierten

         Parusie (Parusie = Wiederkunft Christi)  -  doch „allzu sehr“, der Kater wird nicht ausbleiben.  Durch

         die eucharistische Gemeinschaft mit dem >Wiedergekommenen<, 8/13 Vz 4 [s.o.], macht man sich

         von diesem abhängig und wird schließlich zur „Geisel“, von der die Aufgabe des alten Glaubens

         erpresst wird, 10/65 [XI].

         Vz 1 bis 3  Die „Herrschaft“ ist die Herrschaft in der katholischen Kirche, das >Kind< der Herrschaft

         ist ein von >Mutter Kirche< hervorgebrachter Papst.  Die ersten drei Verszeilen handeln davon, wie

        der Weg für den gewünschten Rausch frei gemacht wird;  dabei gibt es Parallelen zu anderen Stellen,

8/47 [s.o.].

 

         Ein Liebender ist offen für eine fruchtbare Liebe

 

 

08/25    Coeur de l‘ amant ouuert d‘ amour fertiue/

Dans le ruysseau fera ravyr la Dame,/

Le demy mal contrefera lassiue,/

Le pere à deux privera corps de l’ ame.  (1568)

 

Herz des Liebenden, offen für eine fruchtbare Liebe,/

in der Gosse lässt er die Dame sich hinreißen./

Den halb so Schlimmen spielt (einer) der Sinnlichen vor./

Der Vater wird zwei Körpern die Seele rauben.

 

1) Lat. p.p.a. amans liebend.  fertive steht reimbedingt statt fertile fruchtbar;

furtif heimlich ergäbe keinen Sinn, weil die gemeinte Liebe keine heimliche

sein wird, 10/55 [s.u.].

3) Mittelfrz. v. contrefaire nachahmen (imiter), vortäuschen (feindre),

eine Rolle spielen, um andere zu täuschen (jouer un rôle pour tromper autrui)

 

 

         Vz 1 [Fruchtbare Liebe]  „Von unbändiger Liebe“ zu dem >wiedergekommenen Heiland<  wird ein

         Papst sein, den die Kirche hervorbringt, 8/13 [s.o.].  Diese Liebe wird „fruchtbar“ sein in dem Sinne,

         dass viele Kinder aus dieser Verbindung hervorgehen, d.h. durch >Mutter Kirche< zum Glauben an

         den neuen Mann geführt werden.

         Vz 2/3 [Spielt den halb so Schlimmen/ Die Sinnliche lässt sich hinreißen]  Der >Wiedergekommene<

         ist auch zum „Richter der Lebenden und der Toten“ berufen, 2. Brief an Timotheus, Kapitel 4;  so wird

         man ihm mit Liebe, aber auch mit Furcht begegnen;  doch er gibt sich gnädig, >spielt den halb so

         Schlimmen<.  Das immense Prestige, das er genießt, 1/25 [III], riecht nach Macht;  durch die Aussicht

         auf Macht wird der weltlich Gesonnene >sinnlich<.  Die >Dame<  - das ist >Mutter Kirche< -  wittert

         weltlichen Aufstieg und lässt sich dazu hinreißen, sich an den neuen Mann zu binden.  Dass der

         >Wiedergekommene< seine spätere Macht nicht im Sinne der Kirche, sondern am Ende gegen sie

         einzusetzen vorhat, wird er zu verbergen wissen;  denn er hat seine >Zähne im Rachen< verborgen,

         2/7 [III], gibt sich friedlich, >spielt den halb so Schlimmen<.

         Vz 2 [In der Gosse]  Dass >Mutter Kirche< sich unter der Führung ihres letzten Papstes >in der

         Gosse< von dem >neuen Weisen<, 4/31 [III], hinreißen lässt, ist die Wertung des Sehers.  Um eines

         kurzen Rausches willen, 6/39 Vz 4 [s.o.], lässt der letzte Kirchenvorsteher es zu, dass seine >Mutter

         in die Gosse abrutscht< oder >den Bach heruntergeht< (ruisseau). 

         Vz 4 [Vater raubt zwei Körpern die Seele]  Der >Vater<, der letzte Papst, gibt durch seine desaströse

         Politik seine Seele und die der >Mutter Kirche< preis.  Durch das Zusammengehen mit dem >Wieder-

         gekommenen< werden am Ende „alle beide zugrundegehen“, 8/13 Vz 4 [s.o.].

 

        (5a) Letzter Papst von einem großen Römer eingeladen auf dessen Fest …

 

Der Sabiner gewählt

 

 

05/46    Par chapeaux rouges querelles & nouveaux scismes/

Quant on aura esleu le Sabinois:/

On produira contre luy grans sophisms,/

Et sera Rome lesee par Albanois.  (1568)

 

Durch rote Hüte Streitigkeiten und neue Spaltungen,/

wenn man den Sabiner gewählt haben wird./

Man wird gegen ihn vorbringen große Scheinbeweise,/

und Rom wird beschädigt werden durch Albaner.

 

3) N.m. sophisme Scheinbeweis, Trugschluss.  Aus dem Kontext der

Deutung ergibt sich, dass die Mehrheit der Kardinäle, die den >Sabiner< wählt,

die Argumente der Gegner als Scheinbeweise wertet.  N. benennt hier wieder

einmal die sich durchsetzende zeitgenössische Wertung, die mit seiner

eigenen nicht übereinstimmt.

 

 

         [Die Sage von den Sabinern und den Albanern]  Sabiner und Albaner waren Nachbarvölker der

         Römer in deren sagenhafter Frühzeit.  Den Albanern entstammte Romulus, der mythische Gründer

         Roms.  Schon im Keimzellenstadium des Weltreichs wurden beide Völker eingemeindet, aber auf

         unterschiedliche Weise.  Die Albaner wurden militärisch besiegt, die Sabiner wurden überlistet.

         Die Römer luden die Sabinerinnen zu Festspielen ein, überwältigten sie und versprachen ihnen

         dann die ordnungsgemäße Heirat.  Die Sabinerinnen wollten davon nichts wissen, und ihre Männer

         zogen gegen die Römer in den Krieg.  Der Krieg zwischen beiden Völkern wurde dann von den

         geraubten Sabinerinnen beendet, die ihren Widerstand gegen die Heirat mit den Römern aufge-

         geben hatten.  Sie traten vermittelnd zwischen die Kämpfenden und erwirkten deren Versöhnung. 

         Dadurch wurden sie Teil des Volks der Römer, in dem sie aufgingen.

         Vz 1/2 [Rote Hüte wählen den Sabiner]  Es geht um „rote Hüte“, d.h. Kardinäle, die sich nach einer

         Papstwahl streiten.  >Der Sabiner< ist ein gerade gewählter Papst.  Seinem Namen nach lässt er

         sich von einem listigen Feind zur Teilnahme an dessen Fest locken, wagt sich auf fremdes Gebiet vor. 

         Zur >Heirat< braucht der Gemeinte allerdings nicht überredet werden, er ist gleich Feuer und Flamme,

         8/13 Vz 1 [s.o.].  Er selbst heiratet aber nicht, sondern vermittelt >Mutter Kirche< auf ihre alten Tage

         noch einen Kandidaten, auf den sie sich leidenschaftlich freut, 8/13 Vz 3 [s.o.].  Dieser Papst

         >verspricht dem Feind die Heirat<, 5/49 Vz 3 [s.u.], weil er ihn als solchen nicht erkennt.  Mit dem

         Feind, der wie die alten Römer sich anschickt, ein völkerübergreifendes Weltreich zu gründen, ist

         der vermeintlich >wiedergekommene Messias< gemeint, der nach dem Kataklysmus erstmals in

         Erscheinung tritt [III].  Der >Sabiner-Papst< tritt vermittelnd zwischen Begeisterte und Skeptiker

         in den eigenen Reihen und hat dabei nach einiger Zeit Erfolg, 8/93 Vz 3/4 [s.o.].  Seine Politik,

         die auf ein Bündnis mit dem >neuen Weisen<, 4/31 [III], ausgeht, kann sich durchsetzen.

         Wohin das führt, lässt schon seine Bezeichnung als >Sabiner< befürchten, nämlich in den Verlust

         der Identität.  Denn am Ende gibt es nur noch >Römer<, weil die >Sabiner<  -  die papsttreuen

         katholischen Christen -  ununterscheidbar im Volk der >Römer< aufgehen.  Die >neuen Römer<,

         d.h. die Anhänger des >Wiedergekommenen<, werden die >Sabiner<, d.h. die einwilligenden

         Christen >heiraten<, sind dann am Ende die Herren im Haus und können mit dem alten Glauben

machen, was sie wollen.

         Vz 3/4 [Große >Scheinbeweise< gegen den Sabiner/ Rom durch Albaner beschädigt]  Aber auch

         >Albaner< wird es geben, die ihren >römisch< gesonnenen Glaubensbrüdern entgegentreten.  

         Sie erkennen in den >Römern<, d.h. den Anhängern des >Wiedergekommenen<, der im Begriff

         ist, ein Weltreich zu errichten, Gegner, die es offen zu bekämpfen gilt, 8/94 [s.o.].  So kommt es zu

         „Streitigkeiten und neuen Spaltungen“.  Dabei dürfte es auch um das rechte Verständnis der

         biblisch prophezeiten Wiederkunft Christi gehen, 5/85 [XI].  Wenn von „Scheinbeweisen“ die Rede

         ist, die gegen den >Sabiner<-Papst vorgebracht werden, reflektiert das die in der katholischen

         Kirche sich durchsetzende Haltung, die auf eine enge Bindung (>Heirat<) an den >Wiederge-

         kommenen< abzielt.  Dessen katholische Gegner (>Albaner<) beschädigen Rom dadurch,

         dass es zu einer echten Abspaltung kommt, auf die auch VH (14) schließen lässt.

        

        (5b) … und verspricht diesem dort seine Kirche

         Dem Feind wird die Heirat versprochen

 

 

05/49    Nul de l‘ Espaigne, mais de l‘ antique France/

Ne sera esleu pour le tremblant nacelle,/

A l’ ennemy sera faict fiancé,/

Qui dans son regne sera peste cruelle.  (1568)

 

Keiner aus Spanien, sondern aus dem antiken Frankreich/

wird einer gewählt werden für den schwankenden Kahn./

Dem Feind wird die Heirat versprochen werden,/

die während seiner Regierung eine grausame Seuche sein wird.

 

3) Mittelfrz. n.f. fiance Vertrauen (confiance), Verlobung (fiancailles).

Zur Verlobung als Metapher s. Glossar unter -> mariage .

4) Die >Seuche< entsteht durch die >Ansteckung< beim Feind,

die erst durch die Bindung an ihn möglich wird.  Daher bezieht sich

qui auf fiance und nicht auf l‘ ennemy.

Zur Seuche vgl. Glossar unter -> peste.

 

 

         Vz 2 [Für den schwankenden Kahn wird einer gewählt …]  Das >Schiff< steht wie das >Fischerboot<

         in 1/4 [VIII] für die katholische Kirche.  Der >schwankende Kahn< gibt ein Bild dafür, dass die Kirche

         durch internen Richtungsstreit in Bedrängnis geraten ist, 8/93 [s.o.].  Auf die Kommandobrücke des

         >Schiffs< wird ein neuer Papst gewählt, dessen >Programm< der Vers skizziert.

         Vz 1 [… der nicht aus Spanien, sondern aus dem antiken Frankreich kommt]  An der Herkunft

         seiner Person ist wenig gelegen.  Die Angaben zu seiner Herkunft meinen schon deshalb nicht den

         Ort seiner Geburt, weil ein Mensch der Gegenwart nicht im „antiken Frankreich“ geboren sein kann.

         Von Gallien aus wurde durch die dort ansässigen Kelten Rom einst erobert und niedergebrannt.

         Von Rom aus gesehen, war das die Gallier-Katastrophe des Jahres 387 vor Christus.  Später, zur

         Zeit der punischen Kriege, versuchten die Karthager, es den Galliern gleichzutun und im Kampf

         um die Vormacht Rom niederzuringen.  Spanien war dabei einer ihrer Ausgangspunkte.  Im Unter-

         schied zu den Galliern aber scheiterten sie am Ende mit ihrem Vorhaben.

         Wenn der neue Papst >aus dem antiken Frankreich kommt<, aber >keineswegs aus Spanien<,

         wird er demnach >Rom erobern< wollen und an seinen Erfolg glauben und ihn als sicher hinstellen. 

         Es  k ö n n t e  auch bedeuten, dass er  w i r k l i c h  Erfolg haben wird;  aber damit unvereinbar

         ist >grausame Seuche<, die am Ende grassiert.  So werden zu Beginn des Verses  - bei genauem

         Hinhören -  Ehrgeiz, 6/93 Vz 1 [V], und Vermessenheit dieses Mannes ironisiert.

         Die >Eroberung Roms< hat in diesem Deutungskontext mit der Hauptstadt Italiens nichts zu tun,

         sondern meint die kirchenpolitische Eroberung der >Weltfriedensordnung< [X], die N. des Öfteren

         mit dem Weltreich der römischen Antike vergleicht, VH (30).  Die katholische Kirche könne und

         werde zur weltweit dominierenden Glaubensgemeinschaft werden, 6/93 Vz 3 [V].

         Vz 3 [Dem Feind wird die Heirat versprochen …]  Der entscheidende Schritt auf dem Weg zu

         diesem Ziel ist das >Heiratsversprechen< (fiance), das dem >wiedergekommenen Heiland< [III]

         gegeben wird.  Unter dem neuen Papst wird >Mutter Kirche< dem Wiedergekommenen >die Heirat

         versprechen<.  Dieser Papst wird die an den >neuen Weisen<, 4/31 [III], geknüpften ungeheuren

         Heilserwartungen, die über den christlichen Bereich hinausreichen, 10/28 [III], für die Ziele seiner

         Kirche einspannen wollen.  Dass es sich bei diesem Mann in Wahrheit um einen „Feind“ der Kirche

         handelt, wird dabei von der Mehrheit der Kirchenfürsten nicht erkannt, da man sich an einen

         erkannten Feind nicht binden würde;  diese Einschätzung des Gemeinten ergibt sich aus der

         Perspektive des Sehers, der das Ende absieht.

         Vz 4 [… die zur grausamen Seuche wird]  Nur die Minderheit der >Spanier< in seiner Kirche warnt

         vor dem Vorhaben und hält dessen Scheitern für wahrscheinlich, so wie einst Hannibals von Spanien

         aus vorgetragener Feldzug auf Rom scheiterte;  doch diese Warner werden durch die Spaltung, zu

         der es dann kommt, 5/46 Vz 1 [s.o.] aus der Kirche gedrängt oder, wenn sie in ihr bleiben, mundtot

         gemacht, 8/94 Vz 3 [s.o.].  Die >grausame Seuche< besteht in dem Vorbild des Arrangements, das

         der >Sabiner-Papst< abgibt;  den Christen, die ihm folgen, wird am Ende abverlangt, die christliche

         Identität aufzugeben, 5/46 [s.o.].  Alle werden dann zu >Römern< geworden sein, die angehalten sind,

         >vor dem Bild des Kaisers zu opfern<.

 

        (6a) Der >neue Weise< vom römischen Klerus anerkannt …

         Erwählung eines Grauen

 

 

10/91    Clergé Romain l‘ an mil six cens & neuf,/

Au chef de l’ an feras election/

D‘ vn gris & noir de la Compagne yssu,/

Qui onc ne feut si maling.  (1568)

 

Römischer Klerus, im Jahr sechzehnhundertundneun/

wirst du am Anfang des Jahres die Wahl treffen/  eines Grauen

und Schwarzen, hervorgegangen aus der großen Kameradschaft,/

der so übel sein wird, wie niemals einer war.

 

1) neuf erfüllt den Reim nicht, steht aber in allen Ausgaben.

2) Mittelfrz. n.m. chef kann Anfang oder Ende bedeuten.

3) Altfrz. n.f. compaigne Gesellschaft (compagne), Kameradschaft (compagnonnage).

Man kann auch an die Campagna denken; für sie spricht die Großschreibung,

dagegen, dass sie französisch Campagne Romaine heißt.

 

 

         Vz 1 [Jahr 1609]  Da im Jahr 1609 der christlichen Zeitrechnung historische Vorgänge der genannten

         Art nicht eingetreten sind, scheint hier jene andere Zeitrechnung gemeint zu sein, die N. in 6/54 [VI]

         die „liturgische“ nennt.  Die Deutung ergab, dass das „Jahr 1607“ dieser Zeitrechnung das zweite

         Jahr nach dem Kataklysmus [II] ist;  die Koordinierung beider Zeitrechnungen wird also nach dem

         Kataklysmus möglich werden;  das „Jahr 1609“ wäre demnach das vierte Jahr danach.

         Vz 2 [Römischer Klerus trifft Wahl …]  Es könnte sich um die Wahl eines neuen Papstes handeln; 

         oder es geht darum, einem Erwählten (élu) dessen Erwählung (durch Gott) zu bestätigen;  auch dafür

         könnte der römische Klerus sich für zuständig halten, denn wer sonst sollte so etwas tun ?  Der Papst

         für sich allein deshalb nicht, weil eine solche außerordentliche >Wahl< einen möglichst breiten inner-

         kirchlichen Konsens erfordern würde.  Die römische Kurie, in 3/41 [s.u.] ein nicht näher bestimmter

         Rat (conseil), entscheidet sich für die Anerkennung des >wiedergekommenen Christus< als solchen;

         ihm wird die Erwählung durch Gott bescheinigt.  Im Jahr darauf ist die Leidenschaft von >Mutter

         Kirche< voll entfacht, Sz 44 Vz 3

         Vz 3/4  [… eines Grauen und Schwarzen, hervorgegangen aus großer Kameradschaft]  Der >Erwählte<

         wird sein Vorhaben, die Kirche zu zerstören, dann noch einige Jahre verbergen.  Daher charakterisiert

         ihn die Tarnfarbe grau ( -> gris).  Hinter der Tarnung verbirgt sich finstere (>schwarze<) Gesinnung. 

         „Hervorgegangen aus der großen Kameradschaft“ ist er, weil sich der unbedingte Wunsch nach dem

         Weltfrieden als dem „gemeinsamen Gesetz“, 4/32 [VII], auf seine Person fokussiert hat.

 

         Verwachsener erwählt durch den Rat

 

 

03/41    Bosseu sera esleu par le conseil,/

Plus hideux monstre en terre n‘ aperceu./

Le coup volant (!) prelat creuera l‘ oeil:/

Le traistre au roy pour fidele recue.  (1555)

 

Verwachsener wird erwählt werden durch den Rat,/

(ein) scheußlicheres Monster (ist) auf Erden nicht zu sehen./

Der fliegende Schlag wird (des) Prälaten Auge ausstechen./

Der Verräter (wird) vom König als vertrauenswürdig angesehen.

 

3) Manche späteren Ausgaben haben voulant statt volant.

V.i. voler fliegen, v.t. voler stehlen.

Die Wendung crever un oeil  (wörtlich: ein Auge platzen lassen), kann

bedeuten: nicht mehr sehenden Auges hinnehmen, den Kredit sperren

 

 

Vz 1/2 [Verwachsener/ Monster …]  Der „Verwachsene“ oder „Bucklige“ erinnert an den „missgebildet

Geborenen“ in Vers 5/97.  Bucklig wurde gern der Teufel dargestellt.  Missbildungen sind traditionell  

und so auch hier Sinnbilder für geistige Abnormität, die durch Ungehorsam gegen die Gebote Gottes

entsteht.  Gemeint ist hier der >wiedergekommene Christus<, dessen vermeintlich >hohe Gesinnung<,

4/21 [VII], seinen >Blutdurst< verbergen wird, der sich später offenbart, 2/9 [VIII].  Auch andere Miss-

bildungen und Monstrositäten, z.B. Zweigeschlechtlichkeit, 2/45 [VIII], zwei Zähne im Rachen, 3/42,

und Fischschwanz, 3/21 [III], sind körperliche Entsprechungen seiner geistigen Ungeheuerlichkeit.

Das Empfinden der Ungeheuerlichkeit entsteht aus dem polaren Gegensatz von heiligmäßigem

Anschein und dem wahren Wesen, wie beim >Wolf im Schafspelz<, 3/34 [VIII].

         Vz 1 [… wird erwählt durch den Rat]  Körperliche Fehler sind sichtbar. Um geistige Fehler zu erkennen,

         müsste man geistig geweckt sein, wenigstens ein bisschen;  mit Intelligenz hat das aber nichts zu tun. 

         Der „Rat“, der hier den >Buckligen< wählt, scheint allerdings  - in der Schau des Sehers -  nicht geistig

         geweckt zu sein, denn dann würde diese Wahl oder besser: Bestätigung einer Erwählung nicht statt-

         finden.  Da anschließend von einem „Prälaten“ die Rede ist, worunter sich bei N. Päpste verbergen

         können, 5/56 (Kap.39), 6/93 [V], dürfte der „Rat“ eine Instanz der katholischen Kirche sein, z.B. ein

         Kardinalskollegium.  Die Wahl des >Verwachsenen< bedeutet, dass die Kirche ihn als >wiedergekom-

         menen Heiland< anerkennt.  Er wird zum Erwählten der Kirche, 4/88 Vz 4 [V], an den sie sich bindet.

         Vz 3 [Fliegender Schlag sticht Auge des Prälaten aus]  Der „fliegende Schlag“ ist eine Variante des

         >von oben< niederfahrenden Bannstrahls, der >die Jungfrau<, 3/44 [XII], d.h. die christlichen Kirchen,

         insbesondere auch die katholische Kirche treffen wird, 10/65 [XI].  Das >Auge< des Prälaten bedeutet

         die geistliche >Aufsicht<, die er führt (Glossar unter -> oeil).  Das >Ausstechen< des Auges bedeutet

         wie in 1/27 [V], dass sie ihm >vom Zuständigen< vollständig genommen wird.

         Vz 4 [Verräter]  Der „Verräter“ ist im Kontext ein hochgestellter Kleriker, der sich als linientreu im Sinne

         der >neuen Religion< [X] erweist, wenn der Bann die Kirche trifft.  Das kann der Papst selbst sein, 6/20

         Vz 4, oder ein anderer Kirchenmann, der es übernimmt, die Kirche auf Linie zu bringen, 6/86 Vz 3/4 [V].

 

        (6b) … und im Jahr darauf >geheiratet<

         Hochzeitsfeier in großer Freude

 

 

10/55    Les malheureuses nopces celebreront/

En grande ioye, mais la fin malheureuse:/

Mary & mere nore desdaigneront,/

Le Phybe mort, & nore plus piteuse.  (1568)

 

Die unglückselige Hochzeit werden sie feiern/

in großer Freude.  Doch das Ende (ist) unglücklich./

Ehemann und Mutter werden (die) Schwiegertochter verachten,/

der Phybe tot, und die Schwiegertochter noch erbärmlicher.

 

3) Mittelfrz. n.f. nore Schwiegertochter (belle-fille) > lat. n.f. nurus

4) Phybe ist unklar.  Pfändler (1996 S. 763) meint, es sei eine Bezeichnung

des Ehemanns;  aber der Sinnrichtung nach gehört der Phybe zur gering

geschätzten Schwiegertochter, denn diesen beiden geht es schlecht. Könnte

von lat. n.f. phylaca Gefängnis, n.m. phylacista Kerkermeister herzuleiten sein.

 

 

         [Fehldeutung]  König Franz II. von Frankreich (1559-60) liebte seine ihm von Kind an versprochene Frau

         wie eine Schwester, die anders als er selbst auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen schien;  von

         Verachtung oder Ablehnung keine Spur, auch nicht bei seiner Mutter, deren Verhältnis zur Schwiegertochter

         nüchternes politisches Kalkül prägte. Als Franz dann schon 1560 starb, war Maria Stuart für die Valois

         politisch uninteressant geworeden, wurde aber nicht persönlich verachtet.  Und die Hochzeit von 1558 hat

den Beteiligten auch kein Unglück gebracht.

         Vz 1/2 [Hochzeit in großer Freude/ Ehemann und Mutter/ Schwiegertochter]  In ihrem Selbstverständnis

         ist die katholische Kirche für die Gläubigen deren geistige >Mutter< und hat sich an den Herrgott im

         Himmel gebunden.  >Mutter Kirche< wird unter ihrem letzten Papst mit dem aufstrebenden >neuen

         Weisen<, 4/31 [III], ein Arrangement eingehen, von dem N. unter den Sinnbildern von Verlobung,

         5/49 Vz 3 [s.o.], und Hochzeit spricht.  In dieser >Beziehung< wird die katholische Kirche dann aber

         weniger als Gattin denn als >Schwiegertochter< angesehen und behandelt werden.  Im Mittelpunkt

         des Sinnbildes macht sich also neben dem >Gatten<  d e s s e n  >Mutter< breit.  Dieses An-den-Rand-

         Rücken der Schwiegertochter bedeutet auch, dass sich die katholische Kirche durch ihre >Ehe< und

         ihren neuen >Gatten< definiert und darüber vergisst, was sie selbst aus eigenem Recht ist.

         Die >Mutter< des neuen >Ehemannes< ist, analog zur christlichen Symbolik, die über den christlichen

         Bereich hinausreichende Anhängerschaft dieses Mannes, die ihn groß macht.  Ihr entstammt er als

         >Kind<, so wie der Papst ein >Kind< der katholischen Kirche ist.  Der >neue Weise< ist der Star

         eines neu sich bildenden Kollektivs  -  und übrigens schon deshalb kein vom Himmel gesandter Mann. 

         In ihren Anfängen werden er und seine Anhängerschaft offenbar ein Interesse daran haben, ihr >Kind<

         mit dem Namen und dem Renommee der katholischen Kirche zu verbinden.  Deren Führung wiederum

         glaubt Hilfe von außen zu benötigen, vor allem wohl gegen den in der Folge des Kataklysmus verstärkt

         nach Europa vordringenden Islam, 2/93 [V].  So gibt es beiderseits Gründe für eine Bindung, deren

         Zustandekommen folglich „große Freude“ zeitigt.

         Vz 3 [Ehemann und Mutter verachten Schwiegertochter]  Mit dem Erstarken des neuen >Ehemannes<

         der Kirche, der eine ungeahnte Karriere hinlegt [VIII], werden auf dessen Seite die Gründe für eine

         Bindung an die katholische Kirche wegfallen.  Ideologisch rückt dann die Philosophie des >größten

         Philosophen, der jemals lebte<, 5/31 [III], in den Mittelpunkt, während die christliche Lehre als zweit-

         rangig und abgetan der Geringschätzung anheimfällt, 9/12 [X].  Dieser Geringschätzung entspricht

         hier die Verachtung oder Schmach, die die >Schwiegertochter<, die katholische Kirche, seitens des

         >Gatten<, des vermeintlich >wiedergekommenen Heilandes< und seiner Anhänger erfährt.

         Vz 2/4 [Ende unglücklich/ Phybe tot, Schwiegertochter noch erbärmlicher]  Das unglückliche Ende

         der >Ehe<, die die katholische Kirche mit dem >wiedergekommenen Heiland< eingegangen ist,

         beschreibt N. in den Bildern der Gefangenschaft, 8/45, und der erniedrigenden Behandlung durch

         den >Gatten<, 10/29 [VIII].  Unter dem letzten Papst erlebt die Kirche schließlich ihr Kreuz, beide

         werden >an Ostern verbluten<, d.h. ihre Glaubensinhalte vollständig preisgeben müssen, 2/97 [XI].

         Was die Chiffre „Phybe“ für den letzten Papst bedeuten soll, hat sich noch nicht erschlossen.

 

       Von langer Hand vorbereitete Hochzeit in Gent

 

 

10/52    Au lieu ou LAYE & Scelde se marient,/

Seront les nopces de long temps maniees,/

Au lieu d‘ Anuers ou la crappe charient,/

Ieune vielleisse consorte intaminee.  (1568)

 

An dem Ort, wo Leie und Schelde heiraten,/  werden die

Hochzeitsfeiern sein, die von langer Hand vorbereiteten./

Am Ort Antwerpens, wohin sie den Unrat fahren,/

(erscheint) junge Greisin (als) Schicksalsgenossin, unbefleckt.

 

3) Mittelfrz. n.f. crape Schmutz (crasse), Unrat (ordure),

mittelfrz. v. charier einen Wagen fahren, transportieren.

4) Lat. n.f./m. consors Schicksalsgenosse, Gatte, Gattin,

lat. Adj. intaminatus unbesudelt, unbefleckt.

 

 

         Vz 2/4 [Junge Greisin als Schicksalsgenossin, unbefleckt/ Hochzeit …]  >Mutter Kirche< wird sich

         nach dem Kataklysmus mit dem >wiedergekommenen Heiland< >verloben<, 5/49 [s.o.].  Hier ist es

         nun so weit, es wird >Hochzeit gefeiert<, die katholische Kirche wird >Gattin< und damit >Schicksals-

         genossin< ihres neuen Helden.  N. allerdings erkennt >Mutter Kirche< als Greisin kurz vor ihrem Ende,

         die sich aber auf der Hochzeitsfeier auf jung schminken, sich gar jungfräulich (>unbefleckt<) geben

         werde, weil sie sich für den >rechtmäßigen Gatten< so lange bewahrt habe.  (Ein schauerliches, aber

         wahrhaftiges Bild;  der Mut, es wahrzunehmen, ist aus zeitlicher Distanz wohl leichter aufzubringen

         als vom Zeitgenossen der Ereignisse;  d e s h a l b  kann uns der Seher etwas sagen.)

         Vz 2 [… von langer Hand vorbereitet]  Aber wieso nennt N. diese >Hochzeit< „von langer Hand vor-

         bereitet“, wenn sie doch offenbar in einem schnell entfachten Rausch der Begeisterung stattfindet,

         8/13 [s.o.] ?  Er meint hier das von Jesus Christus  - also vor rund zweitausend Jahren -   in dessen

         sogenannter Endzeitrede (Markus Kapitel 13, Matthäus Kapitel 24) angekündigte Kommen des

         Menschensohns am Ende der Zeit, wenn er die Auserwählten zusammenführt (Matthäus 24 Vers 31)

         und entscheidet, wer mitgenommen und wer zurückgelassen wird (Matthäus 24 Vers 40).  Dass er

         dann kommen werde, um einer in seinem Namen errichteten Glaubensgemeinschaft zu weltlichem

         Aufstieg zu verhelfen, hat Christus allerdings nicht angekündigt.  Aber die >Gattin< scheint das so

         zu verstehen, denn selbstverständlich sei sie es, die sich so lange auf Christi Wiederkunft vorbereitet

         habe und sich daher nun rechtmäßig ihm verbinde.

         Eine weitere Möglichkeit, die lange Vorbereitung der >Hochzeit< zu verstehen, besteht darin, dass N.

         hier den Gegner Gottes am Werk sieht, der lange darauf hingearbeitet habe, dass die Kirche sich erst

         mit den Mächtigen der Welt und am Ende mit  i h m  s e l b s t  verbinde.

         Vz 1/3 [… wo Leie und Schelde heiraten/ Unrat nach Antwerpen]  Die Leie fließt bei der Stadt Gent

         in die Schelde;  nicht weit von der Mündung der Schelde in die Nordsee liegt die Stadt Antwerpen. 

         In der Umgebung von Gent erkennt N. das Zeichen dessen, der >die Seinen töten lässt<, 10/83. 

         Der >die Seinen< töten lässt, 9/80 [VIII], ist der >neue Heilige<, 10/30 [IX], von dem am Ende alle

         christliche Tünche abfällt.  Er wird dann ein ausschließliches Bekenntnis zu der von ihm verfertigten

         >neuen Religion< verlangen und denen, die in deren Namen töten, nicht in den Weg treten.

         In alter Zeit gingen die Abwässer ungeklärt in die Flüsse, die zur Entsorgung des Unrats dienten. 

         Von Gent, wo die >Hochzeit< von >Mutter Kirche< gefeiert wird, bis Antwerpen ist es nicht weit, und

         von dort nicht weit bis zum Meer.  Von der >Heirat< in Gent ist es  z e i t l i c h  nicht mehr weit bis zur

         >Entsorgung< der katholischen Kirche, die am Ende nichts mehr gilt, für Unrat gehalten wird.  N. spricht

         von seiner geistigen Heimat  -  das Bild ist nicht zynisch, wohl aber sarkastisch gemeint.  Er sieht das

         kommen und warnt daher in Vers 2/97 [XI] den „römischen Pontifex“ noch vor dem Betreten einer Zwei-

         Flüsse-Stadt, weil er als Konsequenz aus dem dort geschlossenen Bündnis den alten Glauben seiner

         Kirche werde preisgeben müssen.  Aber große Hoffnungen hat er an seine Warnungen selbst nicht

         geknüpft, s. Exkurs (7).

 

       Der Inzest begangen durch die Stiefmutter

 

 

06/50    Dedans le puys seront trouués les oz,/

Sera l’ incest commis pat la maratre:/

L’ estat change, on querra bruict & loz,/

Et aura Mars attendant pour son astre.  (1568)

 

In dem Brunnen werden gefunden werden die Knochen,/

es wird der Inzest begangen werden durch die Stiefmutter./

Der Staat gewandelt, man wird suchen Ruhm und Ehre/

und wird erhalten Mars, wartend auf seinen Stern.

 

1) Mittelfrz. n.m. puis Brunnen (puits) > lat. n.m. puteus Brunnen, Quell,

s.a. Glossar unter -> puits.

2) N.f. marâtre Stiefmutter, Rabenmutter, s. Glossar unter -> mère.

3) Mittelfrz. v. querir, querre suchen (chercher), verlangen (demander),

mittelfrz. n.m. bruit Ansehen (réputation), Ruhm (gloire),

mittelfrz. n.m. los, loz Ruhm (gloire), Ehre (honneur) > lat. n.f. laus

 

 

         Vz 1 [Knochen im Brunnen gefunden]  Knochen in einem Brunnen sind ungewöhnlich, aber belanglos,

         es sei denn, Fund wie Fundort seien nicht wörtlich, sondern sinnbildlich zu verstehen.  >Knochen<

         können die Erinnerung an einen Menschen bedeuten, s. Glossar unter -> os.  Eine Offenbarungs-

         religion wie das Christentum hat >Brunnen und Quellen<, aus denen es sich speist;  für den Christen

         ist der Brunnen schlechthin das Wort Christi, s. Glossar unter -> puits.

         Wenn nun Knochen in einem Brunnen >gefunden< werden, soll das bedeuten, dass ein Mensch auf

         Erden angetroffen wird (trouver), der an Christus erinnert und dem viele Christen es abnehmen

         werden, dass er das Wort Christi authentisch in die Gegenwart hinein spricht, weil in ihm Christus

         selbst als Person wiedergekommen sei.

         So wird der >neue Messias<, der vermeintliche >Zwillingsbruder< Christi im Geiste, 1/95 [III], denen

         erscheinen, die an die Messianität Jesu, d.h. an Jesus als Heiland  n i c h t  glauben.  Denn Jesus

         Christus hat mit seiner Selbstopferung zur Versöhnung der Gottheit erkennbar alles getan, was er als

         Mensch auf Erden tun kann.  Eine zweite Verkörperung braucht es daher nicht;  seine angekündigte

         Wiederkunft ist ganz anders zu verstehen, Exkurs (14).

         Den >neuen Heiligen<, 10/30 [IX], für den wiedergekommenen Messias zu halten, bedeutet somit

         auch, die von Jesu Kreuzestod ausgehende erlösende Wirkung zu leugnen.  Die Meinung, Christus

         müsse noch einmal als Mensch von Fleisch und Blut kommen, um dem Gottesreich zum Durchbruch

         zu verhelfen, geht in die Irre, weil dieser Durchbruch schon längst geschafft ist.  Christi Reich ist als

         ein geistiges Reich „nicht von dieser Welt“, Johannes Kapitel 18 Vers 36, und kann im Diesseits

         zwar als geistiger Schatz gefunden, Matthäus Kapitel 13 Vers 44, aber nicht als ein diesseitiges

         Reich errichtet werden. 

         Vz 2 [Inzest begangen durch Stiefmutter]  In ihrer Bedrängnis durch militante Muslime [VI] wird

         der >neue Weise<, 4/31 [III], der römischen Kirche als möglicher Rettungsanker erscheinen.

         Sie wird nach dieser vermeintlichen >Arznei< greifen, 8/13 Vz 4 [s.o.].  Indem sie diesem Mann

         erlaubt, in die Identität Christi hineinzuschlüpfen, wird >Mutter Kirche< diesen Mann >austragen<

         und dann >an ihrem Busen nähren<, 8/75.  Statt dem Herrgott, mit dem sie geistig die Ehe

         geschlossen hat, treu zu bleiben, wird >Mutter Kirche< dem >neuen Heiligen< sich versprechen,

         5/49 Vz 3 [s.o.], und ihn >heiraten<, 10/52 [s.o.].  Da >Mutter Kirche< diesen Mann selbst als

         >Sohn der Kirche< hat heranwachsen lassen, ist die >Heirat< mit diesem besonderen Sohn ein

         >inzestuöses Verhältnis< dieser besonderen Mutter.

         Die >wahren Kinder der Mutter Kirche< sind all jene, die durch sie an Jesus Christus als den

         wahren Heiland glauben.  Diese Gläubigen wird sie vernachlässigen, ihnen nur noch >Stiefmutter<

         sein können und sie schließlich im Stich lassen müssen [XI]. 

Anmerkung:  N. gibt zwei Sinnbilder für das Verhältnis der katholischen Kirche zum >wiederge-

kommenen Heiland<, nämlich Schwangerschaft und Geburt, 8/75, 1/58 [s.u.], sowie Verlobung

und Heirat, 5/49 [s.o.], 10/55 [s.o.].  Beide Bilder widersprechen einander nicht, sondern werden

hier in Vers 6/50 zum Bild des >Inzestes< zusammengefügt.

         Vz 3 [Man sucht Ruhm und Ehre …]  Unter den neuen Herren wird sich die politische Verfassung

         der Welt grundlegend wandeln, 4/21 [VII].  Das sich entfaltende Regime wird die prophetischen

         Verheißungen der alten Religionen, die ein Friedensreich auf der Erde ankündigen, auf die eigene

         Gegenwart beziehen, 5/53 [VII], und in diesem Sinne „Ruhm und Ehre“ für sich beanspruchen.

         Vz 4 [… und erhält Mars, wartend auf seinen Stern]  Diese Ordnung wird sich als totalitär entpuppen

         und Widerstand herausfordern.  Der wird in Gestalt des Befreiers namens Heinrich und seiner

         Verbündeten auf >seinen Stern<, d.h. auf die rechte Zeit zum Eingreifen warten müssen, 8/61 [XIII]. 

         Der sich bewaffnet organisierende Widerstand, insbesondere der ihn Anführende erhält hier den

         Namen des römischen Kriegsgottes.

 

        (7) Mutter Kirche gebiert einen siamesischen Zwilling

         Kind mit zwei Köpfen und vier Armen lebt einige Jahre ungeteilt

 

 

01/58    Trenche le ventre naistra auec deux testes,/

Et quatre bras:  quelques ans entier viura:/

Iour qui Alquilloye celebrera ses festes/

Foussan, Turin, chief Ferrare suyura.  (1555)

 

Wenn aufgeschnitten ist der Bauch, erscheint (ein Kind) mit zwei

Köpfen/  und vier Armen.  Einige Jahre wird es ungeteilt leben./

Am Tag, wenn Aquillius‘ Gesetz seine Feste feiert,/

werden Fossano, Turin dem Haupt von Ferrara folgen.

 

3) Aquillius Regulus hieß der Mann, der hier wohl gemeint ist.  Im Unterschied zum

überzähligen zweiten Buchstaben scheint hier die Abwandlung des Wortendes gewollt

zu sein;  in ihr steckt das Wort loy Gesetz;  daher die angegebene Übersetzung.

 

        

         Vz 1 [Mutter gebiert …]  Die katholische Kirche begreift sich als >Mutter<, welcher aufgegeben ist,

         Christus in den Herzen ihrer >Kinder<, der Gläubigen zu gebären und wachsen zu lassen.  In dem

         Bild von Mutter und Kindern, Kirche und Gläubigen, soll ein geistiges Geschehen erfasst werden. 

         Aber eine >Schwangerschaft und Geburt< durch >Mutter Kirche< kann auch eine von der Kirche

         geförderte Karriere bedeuten, wie sie bei dem Erscheinen von Päpsten vorkommt, mit denen die

         Kirche >schwanger geht<, Sz 56 Vz 6.

         Nach dem Kataklysmus erscheint ein Mann, der den Verdacht erweckt, in ihm sei der Heiland

         wieder als Person auf Erden erschienen.  Dieser Mann wird zunächst >vor der Tür der Kirche

         abgelegt<, ist somit dem Bilde nach ein >Findelkind<, 1/95 Vz 1/2 [III].  Nach inneren Auseinander-

         setzungen findet die katholische Kirche sich bereit, diesen Mann als >wiedergekommenen Heiland<

         zu akzeptieren.  Dadurch leistet sie einen wichtigen, wohl sogar unabdingbaren Beitrag dazu, ihn

         groß zu machen.  Dass sie mit diesem Mann >schwanger geht<, ihn >austrägt<, bedeutet, dass

         sie die ihr folgenden Gläubigen zum Glauben an den neuen Mann ermuntert.  Sie beflügelt eine

         gigantische Karriere.

         Vz 1/2 [… siamesischen Zwilling, der einige Jahre ungeteilt lebt]  Was sie austrägt und gebiert,

         ist ein >siamesischer Zwilling< mit >zwei Köpfen< und >vier Armen<, ein geistiges Monstrum.

         Die Doppelheit der Köpfe und Arme ist ein Bild dafür, dass Christus und sein vermeintlicher

         >Zwillingsbruder<, 1/95 Vz 3/4 [III], in Wirklichkeit zwei verschiedene Personen sind, die sich in ihrem

         Denken und Handeln voneinander unterscheiden.  Das Verwachsen-Sein beider bedeutet, dass

         viele Zeitgenossen den Unterschied nicht erkennen, sondern beide für >sehr eng verwandt<

         ansehen werden.  Erst nach „einigen Jahren“ wird mancher Christ lernen, den geistigen Unter-

         schied zwischen beiden zu erkennen, beide >voneinander zu trennen<.

         Vz 3 [Aquillius‘ Gesetz feiert Feste]  Die zweite Vershälfte springt in die letzte Zeit der alten Erde,

         wenn das Vorhaben des >Zwillingsbruders< ans Licht kommt, was dann bei manchem Christen

         erst die >Teilung des siamesischen Zwillings< ermöglicht.  Ein berühmt berüchtigter Vertreter de

         antiken römischen Sippe des Namens Aquillius war Aquillius Regulus, als politischer Ankläger

         tätig unter den Kaisern Nero und Domitian.  Plinius beschreibt, dass er sich auf Majestätsprozesse

         spezialisiert hatte.  Er brachte Menschen vor Gericht, die ehrenvoll verbannt waren und sich gegen

         die Anwürfe nicht wehren konnten.

         Der Vorsteher der Kirche des Weltstaats, verehrt wie ein antiker Kaiser, 10/71 [X], wird die

         >Feinde des Friedens<, die sich ihm nicht vollständig unterwerfen, vor Gericht stellen lassen, 6/72 [XI]. 

         Nicht >vor dem Bild des Kaisers zu opfern<, wird als Majestätsbeleidigung gelten.  Die geistigen

         Nachfahren des Aquillius werden dann Konjunktur haben.

         Vz 4 [Fossano, Turin folgen dem Haupt von Ferrara]  Die Zeile ist ungeklärt. 

 

      (8) Nach sieben Jahren im Amt scheint es wieder Friede und Einheit zu geben

       Scheinbarer Friede, aber es ist nur ein Waffenstillstand

 

 

04/06    D‘ habits nouueaux apres faicte la treuue,/

Malice tramme & machination:/

Premier mourra qui en fera la preuue/

Couleur venise insidiation.  (1555)

 

Von (Leuten) in neuem Habit (wird) nach geschlossenem Waffenstill-

stand/  Verkehrtheit, Verstrickung und Machenschaft (ausgehen)./

Als erster wird sterben, der dafür den Beweis liefert,/

venezianische Farbe (bedeutet) Hinterlist.

 

1) Mittelfrz. n.f. treve, trieve Unterbrechung, Waffenstillstand (trêve)

2) N.f. trame Hintergrund;  Verkettung von Ereignissen;  alte Bedeutungen

(Larousse): Schicksal (destinee), Machenschaft, Intrige (machination).

N.f. malice Gemeinheit, Verkehrtheit  > lat. n.f. malitia boshafte Tat

4) Venise Venedig.  Mittelfrz. n.f. couleur auch: Vorwand (prétexte)

Lat. n.f.pl. insidiae Hinterhalt; Umstellung; Nachstellung, Hinterlist

 

 

         Vz 1/4 [Waffenstillstand/ Venedig]  Bei Venedig sollen nach sieben Jahren „Friede und Einheit“ neu

         erstehen, 8/93 Vz 3/4 [s.o.].  Auch hier ist Venedig im Spiel, aber hier ist es nur ein „Waffenstillstand“,

         die „Unterbrechung“ eines Kampfes.  Die Spaltung, zu der es gekommen ist, 8/93 Vz 2, wird in Venedig

         anscheinend noch einmal überbrückt.  Doch hier erfahren wir, dass Friede und Einheit nicht erhalten

         bleiben, weil Leute “in neuem Habit“, die Anhänger des Messias-Prätendenten, das unmöglich machen.

         Vz 2 [Verkehrtheit, Verstrickung]  Von ihnen geht in tückischer Weise „Verkehrtheit“ aus.  Sie geben

         vor, christlich gesonnen zu sein, hängen aber der Philosophie ihres Meisters an, der die christliche

         Lehre so umdeuten wird, wie es in sein Machtkalkül passt, 9/9 [X].  Eine „Verstrickung“ durch derlei

         „Machenschaften“ kann es aber nur geben, wenn die Kirche zuvor Ansatzpunkte dafür bietet.  Dass

         sie das tun wird, macht N. mit den Sinnbildern von >Verlobung< und >Heirat< deutlich, die die

         Anerkennung des neu aufgetretenen Messias-Anwärters bedeuten sollen, s.o.  Die „Verstrickung“

         entspricht dem „Gebundensein“ in 8/45 und dem „Gefangensein“ in 10/29 [VIII].

         Vz 3 ist noch ungeklärt.

        

       (9) Eine Täuschung fliegt auf, und deutlich wird, wer die Kirche in Wahrheit spaltet

         Laut Vers 6/93 Vz 3/4 [V] wird erst, „wenn alles ins Gegenteil verkehrt ist“, erkennbar werden, wer wirklich

         die Christenheit spaltet und die Menschen aufeinander hetzt.  Der Vers wird in Vorschau [V] besprochen.

 

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