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       Die Sechszeiler

       Vorwort des ersten Herausgebers

         Die Sechszeiler sind in den wenigen zu Lebzeiten des Sehers veröffentlichten Textausgaben nicht

         enthalten.  Ihr Autor ist also von vornherein fraglich.  Sie wurden im Jahr 1605 vom Verleger Vincent

         Seve seinem König Heinrich IV. gewidmet als Teil des ihm angeblich zugänglich gewordenen

         Nachlasses des Michel N.   Es war bekannt, dass dieser König viel von dem provenzalischen Seher

         hielt, der ihm im Oktober 1564 kaum verhüllt die Krone Frankreichs prophezeit hat, als der Fürstensohn

         aus dem Béarn erst zehn Jahre alt und diese Entwicklung noch gar nicht abzusehen ist.  Von dem

         Herausgeber Seve stammt das folgende Vorwort zu den „weiteren Prophetien“ des Michel Nostradamus,

         wie er sie nennt.  Der im Folgenden wiedergegebene Text des Vorworts zu diesen „weiteren Prophetien“

         und der Text dieser selbst folgt der Ausgabe von Pierre Chevillot, Troyes 1611.

         Die Authentizität der Sechszeiler nachzuweisen, ist sicherlich nicht mehr möglich und steht daher

         a priori nicht fest.  Die Antwort auf die Frage nach der Echtheit wird sich ausschließlich daran erweisen,

         ob erfüllte Prognosen vorliegen oder die noch nicht erfüllten Prognosen sich einfügen in das Bild des

         noch Bevorstehenden, wie N. es in Umrissen entworfen hat. 

 

         Text   PREDICTIONS/  ADMIRABLES/ POUR LES ANS COURANS/  en ce siècle

                   Recueillies des memoires de feu Maistre Michem Nostradamus, vivant Medecin

                   du Roy Charles IX, & des plus excellens Astronomes qui furent iamais.

                   Presenté auch tres grand Invincible et tres clement Prince Henri IIII vivant Roy

                   de France et du Navarre.

                   Par Vincent Seve de Beaucaire en Languedoc, des le 19. Mars, 1605,

                   au Chasteau de Chantilly, maison de Monseigneur le Connestable.

Erstaunliche Voraussagen für die laufenden Jahre in diesem Jahrhundert

Gesammelte Denkwürdigkeiten des verblichenen Meisters Michel Nostradamus,

zu Lebzeiten Arzt des Königs Karl IX. und einer der hervorragendsten Astronomen,

der jemals lebte.

Überreicht dem sehr großen, unbesiegbaren und sehr gütigen König Heinrich IV.

von Frankreich und Navarra.

von Vincent Seve aus Beaucaire im Languedoc, seit dem 19. März auf dem Schloss

Chantilly des Herrn Connétable.

 

 

         Text   SIRE,/  Ayant (il y a quelques années) recouvert certaines Propheties ou Pronostications,

                   faictes par feu Michel Nostradamus, des mains d‘ un nommé Henry Nostradamus, neveu dudit

                   Michel, qu‘ il me donna avant mourir, & par moy tenues en secret iusque à present,

                   & veu qu’ elles traictoient des affaires de vostre Estat, & particulierement de vostre personne,

                   & de vos successeurs, recogneu que I’ ay la verité des plusieurs sixains advenus de point

                   en point comme vous pourrez veoir, SIRE, si vostre Majesté y ouvre tant soit peu ses yeux.

Sire, es ist schon einige Jahre her, dass ich gewisse Prophetien oder Voraussagen,

verfasst von dem verstorbenen Michel Nostradamus, erhalten habe aus den Händen eines

gewissen Henry Nostradamus, eines Neffen des besagten Michel.  Er gab sie mir vor seinem

Tode, und von mir wurden sie geheim gehalten bis in die Gegenwart.  Ich habe bemerkt,

dass sie von Angelegenheiten Eures Staates handeln, insbesondere von Eurer Person und

Euren Nachfolgern, vorausgesetzt, es stimmt, dass mehrere Sechszeiler wirklich Punkt für   

Punkt eintreffen werden, wie Ihr werdet sehen können, Sire, wenn Eure Majestät ein ganz  

klein wenig die Augen dafür öffnen möchte.             

                       Anmerkung  Der Herausgeber hat die vielen mit „sechshundertund…“ beginnenden Zahlen

                       in den Sechszeilern als Jahresangaben für sein Jahrhundert, das siebzehnte, gedeutet, wie

                       aus dieser Widmung an Heinrich IV. hervorgeht.  Er scheint sie gerade im Erscheinungsjahr

                       1605 für sehr aktuell gehalten zu haben, da insbesondere die Zahl 605 mehrfach vorkommt.

                       Es ist aber klar festzustellen, dass sich diese Deutungsidee nicht bestätigt hat.  Vielmehr

                       kann hier an Vierzeiler 6/54 [VI] gedacht werden, wo von einem Jahr „tausendsechshundert-

                       undsieben der Liturgie“ die Rede ist und von der Zeit unmittelbar nach dem Kataklysmus

                       gehandelt wird.  Eine ereignisbezogene Synchronisierung der >liturgischen< mit der

                       christlichen Zeitrechnung wird damit möglich werden.  Wie N. auf diese Zeitrechnung

                       kommt und sie begründet, ist dagegen ungeklärt. 

                       In der Existenz eines christlichen Kaiserreiches wurde „das, was den Widersacher noch

                       aufhält“, erkannt;  so verstand mancher Theologe Kapitel 2 Vers 6 im zweiten Brief an die

                       Thessalonicher.  So könnte N. auf die Idee gekommen sein, die Jahre bis zum Erscheinen

                       des (dritten und letzten) Antichristen abzuzählen.  Nach dem Ende des römischen Imperiums

                       um 400 bis zur Reichsgründung im Jahr 800 nach Christus vergehen 400 Jahre ohne Kaiser,

                       ohne dass der Antichrist erschienen wäre;  nach der Auflösung des Heiligen Römischen

                       Reiches deutscher Nation im Jahr 1806 (Kap.22) sind bis 2011 205 Jahre vergangen; 

                       zusammen sind das 605 Jahre.

 

 

         Text   & y trouveront des choses dignes d‘ admiration, i‘ ay pris la hardiesse (moy indigne)

                   vous les presenter transcrits e ce petit Livret, non moins digne & admirable que les

                   autres deux Livres qu’ il fit, don’t le dernier finit en l’ an mil cinq cens nonante sept;

                   traictant de ce qui adviendra en ce siècle, non si obscurement comme il avoit fait

                   les premieres.

Es finden sich darin erstaunliche Dinge.  Ich Unwürdiger hatte die Kühnheit, sie

Euch zu überreichen, abgeschrieben in diesem kleinen Büchlein.  Es ist nicht weniger

glaubwürdig und erstaunlich als die anderen beiden Bücher, die er gemacht hat,

von denen das zweite im Jahr 1597 endet.  Es handelt von dem, was in diesem

Jahrhundert geschehen wird auf weniger dunkle Weise als die beiden ersten.

                       Anmerkung  Die „anderen beiden Bücher“ sind der erste, 1555 veröffentlichte und

                       der zweite, erstmals 1557 veröffentlichte Teil der Centurien.  Seve meint, dass diese

                       beiden Bücher vom sechzehnten Jahrhundert handeln und er nun gewissermaßen

                       die Fortsetzung präsentieren kann.  Diese Meinung ist sicherlich nicht zutreffend.

                       Auch dass die Sechszeiler weniger dunkel sind als die Vierzeiler, kann nicht

                       bestätigt werden.  Die Kühnheit mag darin liegen, dem König nur eine Abschrift

                       zur Verfügung zu stellen.

 

 

         Text   Mais par Aenigmes, & les choses si specifies & claires, qu’ on peult seurement iuger

                   de quelque chose estant advenue, desireux que vostre Majesté en eust la cognoissance

                   premier que nul autre, m’ acquittant par ce moyen de mon devoir, comme l’ un de vos

                   tres-obeyssant & fidelle subject, qu’ il vous plaira aggréer, SIRE

Aber wegen der Rätsel und genau angegebener und klarer Dinge, deren Eintreten man

sicher wird beurteilen können, bin ich darauf erpicht, dass Eure Majestät als erste,

vor allen Anderen davon Kenntnis erhalten.  Dadurch entledige ich mich meiner

Pflicht als einer Eurer gehorsamsten und treuesten Untertanen, wenn Sie belieben

einverstanden zu sein, Sire.

 

 

         Text   Consideré que ce m‘ estoit le plus grand bien qui me scauroit iamais arriver, esperant

                   avev l’ ayde du tout Puissant me ressentir de vostre debonnaire clemence, comme vostre

                   bonté a accoustumé (1) faire, obligeant par tel moyen, non le corps d’ un vostre fidelle subiect

                   ja destine à vostre service, SIRE, Mais bien l’ ame qui continuera de prier pour la santé

                   & prosperité de vostre digne Maiesté, & des dependants d’ icelle comme celuy qui vous est,

                   & sera à iamais,/  SIRE,/  Vostre tres humble, tres obeisant & fidelle serviteur & subiect,

                   De vostre Ville de Beaucaire en Lamguedoc,/  Seve

  (1) Altfrz. v. acostumer zur Gewohnheit machen, einrichten (établir),      gewohnt sein, üblich sein (avoir coutume)

Im Bedenken, dass es für mich wohl der Größte sei, der niemals damit rechnen würde,

dass ich zu ihm käme, hoffe ich, mit der Hilfe des Allmächtigen Eure wohlwollende

Milde zu verspüren, die walten zu lassen Eure Güte sich zur Gewohnheit gemacht hat

in freundlichem Entgegenkommen.  Kaum jemals war der Leib Eures treuen Untertanen

Euch zu dienen bestimmt, Sire, wohl aber seine Seele, die fortfahren wird zu beten für

das Heil und Wohlergehen Eurer würdevollen Majestät und der darauf Angewiesenen

wie jener, der Euer ist und immer sein wird, Sire,/  Euer niedrigster, ergebenster und

treuester Diener und Untertan, aus Eurer Stadt Beaucaire im Languedoc/  Seve.

 

         Überschrift  Autres/  Propheties De/  M. NOSTRADAMUS/  pour les ans courans en ce siecle

Weitere Prophetien des M. Nostradamus für die laufenden Jahre in diesem Jahrhundert

                       Anmerkung  Es folgt nun der Text, der aus dem Nachlass des Michel N. stammen

                       soll. Bei Seve sind die Sechszeiler mit römischen Zahlen fortlaufend nummeriert;

                       der Klarheit halber stehen im Folgenden Sizain 01, Sechszeiler 01 usw.

 

       Vollständiger Text der „weiteren Prophetien“ mit Übersetzung und Kommentaren

         Die Sechszeiler werden vollständig gebracht, gleich ob sie kommentiert werden können oder nicht.

         Den Text nicht auseinanderzureißen, empfiehlt sich auch wegen der vielen Jahresangaben, die als

         Zahlen mit „sechshundertund…“ erscheinen und vielleicht noch manche Prognose ermöglichen werden.

 

         Sizain 01 Sechszeiler 01

         Siecle nouveau, alliance nouvelle,/ Neues Zeitalter, neues Bündnis,/

         Un Marquisat dedans la nacelle,/ ein großer Herr in das Schifflein gestellt./

         A qui plus fort des deux l‘ emportera:/ Ihm wird der Mächtigste zweierlei wegnehmen./

         D‘ un Duc, d’ un Roy, gallere de Florence,/ Eines Heerführers, eines Königs Galeere aus Florenz/

         Port à Marseille, Pucelle dans la France,/ (im) Hafen in Marseille, (die) Jungfrau in Frankreich./

         De Catherine fort chef on rasera. Der Katharina mächtiges Haupt wird man scheren.

2) N.m. marquisat Titel eines Marquis, Land eines Marquis.  Marquis wurde auch ironisch

jemand genannt, der das Gebaren eines großen Herrn annimmt, ohne es zu sein. -Das Wort

maquis oder maquisat, das 1940ff. gebräuchlich wird, kommt nicht in Betracht.

Zum Schifflein s. Glossar unter -> nef.

3) Duc kann einen Kriegsherrn bedeuten, s. Glossar.

4) N.f. galère antikes Kriegsschiff.  Lat. p.p.a. florens blühend;  oder es ist Florenz gemeint.

Anmerkung Der >große Herr< ist der letzte Vorsteher der katholischen Kirche, der sich einen

Großen unter den Päpsten dünkt, 8/19.  In dem „neuen Zeitalter“ nach dem Kataklysmus,

VH (6), geht er eine >neue Allianz< ein, indem er seine Kirche, das >Schifflein<, 1/4 [VIII],

dem >wiedergekommenen Heiland< verbindet, 5/49 [IV].

Wenn der dann über politische Macht verfügt, gar zum „Mächtigsten“ aufgestiegen ist,

1/4 [VIII], wird er der katholischen Kirche die >beiden Schwerter<, VH (23), d.h. politische

wie geistliche Macht entziehen.

Die heilige Katharina gilt als Schutzpatronin der Philosophen, als deren Größten die

Menschheit den >neuen Weisen<, 4/31 [III], feiern wird.  Dieses „Haupt“ der >Dame

Philosophia< wird man am Ende scheren, d.h. ihm all seine Ehren und Würden aberkennen,

1/25 [III].

Die Jungfrau (-> vierge)  ist eine Allegorie des christlichen Glaubens, der sich gegen seine

Unterdrückung durch das globale Regime „in Frankreich“ noch zu erhalten scheint.  Wer

diesen Glauben in der gemeinten Zeit vor dem Ende des >neuen Weisen< wiederaufrichten

und erneuern will, wird es mit >des Königs Galeere<, d.h. mit seiner militanten Glaubens-

gemeinschaft zu tun bekommen.

 

         Sizain 02 Sechszeiler 02

         Que d‘ or, d‘ argent fera despendre,/ Was wird (man) an Gold, an Silber verschwenden,/

         Quand Comte voudra ville prendre,/ wenn (der) Graf die Stadt einnehmen will./

         Tant de mille & mille soldats,/ so viele tausende und abertausende Soldaten/

         Tuez, noyez, sans y rien faire,/ getötet, ertränkt, ohne etwas getan zu haben./

         Dans plus forte mettra pied terre,/ Auf (die) Stärkste wird ihren Fuß setzen/

         Pigmée ayde des Censuarts. verzwergte Hilfe der Zensoren.

1) Mittelfrz. v. despendre ausgeben (dépenser), ausgießen (répandre), verschwenden (gaspiller)

6) Altfrz. pigmain Pygmäe (pygmée).  N.m. censeur Zensor, Beurteiler, reimbedingt abgewandelt

Anmerkung >Gold< und >Silber<  (-> or und -> argent) können die Lehren der christlichen

und der islamischen Religion bedeuten.  Zur Stadt s. Glossar unter -> cité.

        

         Sizain 03 Sechszeiler 03

         La ville sans dessus dessous,/ Die Stadt drunter und drüber,/

         Renversee de mille coups/ umgestürzt von tausend Schüssen/

         De canons:  & forts dessous terre:/ von Kanonen.  Und Starke unter der Erde./

         Cinq ans tiendra:  le tout remis,/ Fünf Jahre hält sie stand.  Das Ganze wieder in Ordnung./

         Et laschée à ses ennemis,/ Und (wieder) überlassen ihren Feinden,/

         L‘ eau leur fera apres la guerre. sie wird überschwemmt werden nach dem Krieg.

1) Wendung sens dessus dessous drunter und drüber, durcheinander

2) Zu Feinden s. Glossar unter -> ennemi.

6) Zum Wasser s. Glossar unter -> deluge.

Anmerkung Die Vz 1 bis 4 könnten sich auf den zweiten Weltkrieg beziehen, Vz 3 auf den

Widerstand. Die „fünf Jahre“ waren allerdings nur 50 Monate, von Mai 1940 bis Juli 1944.

Vz 5 würde sich auf künftige kriegerische Ereignisse beziehen.

 

         Sizain 04 Sechszeiler 04

         D’ un rond, d‘ un lis, naistra un Von einem Rund, von einer Lilie wird geboren

                                      si grand Prince,/ ein sehr großer Fürst,/

         Bien tost & tard venu dans sa Province./ tatsächlich früher oder später gekommen in seine Provinz.

         Saturne en Libra en exaltation:/ Saturn in der Waage in erhöhter Kraft./

         Maison de Venus en descroissante force,/ Haus der Venus in abnehmender Kraft,/

         Dame en apres masculi sous l‘ escorce,/ Dame (trägt) danach einen Männlichen unter der Haut,/

         Pour maintenir l‘ heureux sang de Bourbon. um aufrecht zu erhalten das glückliche Geblüt von Bourbon.

1) Mittelfrz. n.m. rond Umkreis (circonférence), Fülle (plenitude), Vollständigkeit (complétude);

als Parallele zu lis müsste rond ein heraldisches Symbol bedeuten, etwa Krone, Rundschild, Siegel.

3) N.f. exaltation Überschwang, Begeisterung. Den alten Astrologen galt Saturn in der Waage

als >erhöht<. d.h. besonders wirksam.

6) Vgl. a. den „Glücklichen von Bourbon“ in Sz 15.

Anmerkung Die Geburt >von einer Lilie< bedeutet in Verbindung mit dem „glücklichen Geblüt“

von Bourbon, das auch in den Sechszeilern 15 und 34 erwähnt wird, die Abstammung des

Gemeinten von französischen Vorfahren königlichen Geblüts.  Denn die Bourbonen herrschen

1589 bis 1792 in Frankreich.  Sie sind im Hauptstamm 1883 erloschen;  die Linie Orléans-

Bourbon existiert bis heute. Die Linie Bourbon-Anjou mit Philipp V., einem Enkel Ludwigs

XIV. als Stammvater, sitzt von 1700 bis 1931 auf dem spanischen Thron und setzt diese

Tradition seit 1975 fort.

Es wird hier jener Mann angekündigt, der Europa von der Fremdherrschaft durch ein globales

Regime befreien soll, VH (20).  Die >Dame<, die einen >Männlichen<, d.h. einen König

austrägt, wäre das Volk Europas, insbesondere Frankreichs (-> dame).

Saturn (Kronos) herrscht im Goldenen Zeitalter des Mythos, 8/29 [VII].  Nach dem Kataklysmus

werden viele Christen eine neue Blütezeit der christlichen Religion für gekommen halten.

Mit -> Libra und -> Venus kennzeichnet N. die Ideologie der >Weltfriedensordnung<, die dann

errichtet wird.  Wenn diese aufsteigt, ihre Macht noch zunimmt, Vz 3, Frieden und Ausgleich

aber schon wieder schwinden, Vz 4, wächst der Gemeinte auf und kommt empor.

 

         Sizain 05 Sechszeiler 05

         Celuy qui la Principauté  / Jener, der den Fürstenstand/

         Tiendra par grand cruauté,/ erringen wird durch große Grausamkeit,/

         A la fin verra grand phalange:/ wird am Ende (eine) große Schlachtreihe sehen./

         Par coup de feu tres-dangereux,/ Bei (einem) sehr gefährlichen Feuerschlag,/

         Par accord pourroit faire mieux,/ durch Einigkeit wird (er) es besser machen/

         Autrement boira suc d‘ Orange. andernfalls wird (er) Saft vom Goldengel (?) trinken.

4)5)6) Subjekt könnte statt „jenem“ aus Vz 1 auch die Schlachtreihe sein.

4) Einen coup de feu gibt es auch in den Sechszeilern 39 und 49.

6) Orange ist eine Stadt am Unterlauf der Rhône.  Apfelsinen werden Mitte des 16. Jahrhunderts erstmals

in Europa (Portugal) eingeführt.  Orange könnte auch eine Kontraktion aus or Gold und -ange Engel sein.

Anmerkung Der den Fürstenstand erringt, dürfte derselbe „große Fürst“ sein wie im vorauf-

gehenden Sz 4. Der „sehr gefährliche Feuerschlag“ könnte der Bann gegen die alten

Religionen am Ende der alten Erde sein (-> foudre ).

Der >Saft vom Goldengel< ist vielleicht das Blut Christi;  „andernfalls“, wenn er es  n i c h t  

„durch Einigkeit besser macht“, wird dem „großen Fürsten“ ein Martyrium angedroht.

 

         Sizain 06 Sechszeiler 06

         Quand le Robin la traistreuse entreprise/ Wenn der Emporkömmling den Verrat betreibt,/

         Mettra Seigneurs & en peine un grand Prince,/ wird er Herren und einem großen Fürsten Leid zufügen./

         Sceu par la Fin, chef on lui trenchera:/ Aufgekommen am Ende, wird man ihm das Haupt

         La plume au vent, amye dans Espaigne,/ abtrennen./ Die Feder im Wind, geliebt in Spanien,/

         Poste attrappé estant en la campagne,/ Befehlsstand getäuscht, wenn er ins Feld zieht./

         Et l‘ escrivain dans l‘ eaue se iettera. Und der Schriftsteller stürzt sich in die Fluten.

1) Mittelfrz. n.m. robin emporgekommener Bauer, Person ohne Ansehen

4) amye dürfte ein verschriebenes ayme sein.

        

         Sizain 07 Sechszeiler 07

         La sangsue au loup se ioindra,/ Die Blutsaugerin wird sich dem Wolf verbinden,/

         Lors qu‘ en mer le bled defaudra,/ wenn auf dem Meer das Korn ausgehen wird./

         Mais le grand Prince sans envie,/ Aber der große Fürst wird ohne Neid/

         Par ambassade lui donra/ durch Botschafter ihr geben/

         De son bled, pour luy donner vie,/ von seinem Korn, um ihr Leben zu geben./

         Pour un besoin s‘ en pourvoira. Für eine Not wird er vorsorgen.

1) N.f. sangsue Blutegel > lat. n.f. sanguisuga, s. Glossar unter -> sangsue.

Zum Wolf s.a. die Sechszeiler 39, 45, 46 und 50 sowie das Glossar unter -> loup

2) N.m. blé Getreide; Geld.  N.m. bled Hinterland, ödes Land.

4) Mittelfrz. n.m./f. ambassade Auftrag, Mission (mission), Botschaft (message),

Gruppe von Botschaftern (groupe d‘ ambassadeurs)

4)5) Das lui kann sich statt auf den „großen Fürsten“ auch auf den „Wolf“ beziehen.

Anmerkung Der >Wolf< steht für einen Machthaber, der den Weltherrscher zum Gegner hat,

Sz 39, und der sich deshalb >abseits der Herden< halten muss. 

Die Blutsaugerin ist eine Allegorie der Demokratie, weil sie für den medizinisch denkenden N.

>dem befallenen Land die Lebenskraft< entzieht.  Für ihn bezieht es diese geistig aus dem

Blutopfer Christi und dem Gehorsam gegen das Gesetz Gottes, wie es Christus verkündet hat. 

Für diese Deutung der >Blutsaugerin< spricht insbesondere Sz 21.

Wenn die Blutsaugerin >sich dem Wolf verbindet<, bedeutet das, dass die Demokratien

Europas ihre Hoffnungen auf den hier als >Wolf< bezeichneten Machthaber setzen.

Das >Meer< steht für den Bereich der Religion, s. Glossar.

Das vermahlene Korn gehört zum Abendmahl und steht für geistige Nahrung.  Die Vz 1 bis 4

wären dann sehr sarkastisch gemeint und bezögen sich auf die >neue Religion<, die nur

gehaltlose geistige >Fastennahrung< bietet, 10/28 [III].  Nur scheinbar hat der „große Fürst“

vorgesorgt, indem er eine >neue Religion< erfindet und als Ersatz für das >ausgegangene

Korn< - die nicht mehr zugelassene geistige Nahrung - aufdrängt.

 

         Sizain 08 Sechszeiler 08

         Un peu devant l‘ ouvert commerce/ Kurz vor der eröffneten Beziehung/

         Ambassadeur viendra de Perse,/ wird (ein) Botschafter von Persien kommen,/

         Nouvelle au franc pays porter:/ Neuigkeit dem französischen Land zu bringen./

         Mais non receu, vaine espérance,/ Aber (er wird) nicht empfangen, unerfüllte Hoffnung,/

         A son grand Dieu sera l‘ offense,/ gegen seinen großen Gott wird e seine Beleidigung sein,/

         Feignant de le vouloir quitter. und er wird so tun, als wolle er abreisen.

1) Mittelfrz. n.m. commerce soziale Beziehungen, Verbindungen (relations sociales,

rapports), Umgang (frequentation)

3) franc frei ist hier wohl ein abgekürztes francais französisch

Anmerkung Der Vers ist bereits erfüllt und wird im Kapitel 42 besprochen.

Der Ayatollah Khomeini übersiedelt 1978 von Irak nach Frankreich, spielt dort aber offiziell

keine Rolle, sondern erhält nur als Privatmann Asyl.  Die „Neuigkeit“ ist die Botschaft vom

nahen Ende der Herrschaft des Schah in Iran.  Die „eröffnete Beziehung“ ist die >Heirat<

des Geistlichen mit seinem Volk, 8/70 (Kap.42).  Am 1. Februar 1979 reist er ab nach

Teheran.

 

         Sizain 09 Sechszeiler 09

         Deux estendars du costé de l‘ Auvergne,/ Zwei Kriegsfahnen von der Auvergne her,/

         Senestre pris, pour un temps prison regne,/ übler Lohn, eine Zeit lang regiert Gefangenschaft,/

         Et une Dame enfans voudra mener:/ und eine Dame wird ihr Kind führen wollen/

         Au Censuart, mais descouvert l‘ affaire/ zum Zensor.  Doch aufgedeckt die Sache,/

         Danger de mort murmure sur la terre,/ Todesgefahr rauscht über die Erde,/

         Germain, Bastille frere & soeur prisonnier. vollbürtige Geschwister (in) Zwingburg Gefangene.

 

         Sizain 10 Sechszeiler 10

         Ambassadeur pour une Dame,/ Botschafter wird wegen einer Dame/

         A son vaisseau mettra la rame,/ an seinem Schiff das Ruder richten,/

         Pour prier le grand medecin:/ um zum großen Arzt zu beten,/

         Que de l‘ oster de telle peine,/ ihn von solchem Schmerz zu erlösen./

         Mais en ce s‘ opposera Royne/ Aber dagegen wird (die) Königin sich stellen,/

         Grand peine avant qu‘ en veoir la fin.  große Pein, bevor das Ende davon in Sicht ist.

2) Zum Schiff s. Glossar unter -> nef.

3) Ein groß geschriebener Arzt begegnet auch in Sz 28 und 30.  Vgl. auch das

„äußerste Heilmittel“ in Sz 49.

 

         Sizain 11 Sechszeiler 11

         Durant ce siecle on verra deux ruisseaux,/ Während dieses Zeitalters wird man zwei Bäche/

         Tout un terroir inonder de leurs eaux./ ein ganzes Gebiet überfluten sehen mit ihrem Wasser/

         Et submerger par ruisseaux & fontaines:/ und untertauchen durch Bäche und Quellen./

         Coups & Moufrin Beccoyran, & ales/ Comps und Montfrin, Beaucaire (?) und Alès,/

         Par le gardon bien souvent travaillez,/ (sie werden) für den Gard meist gearbeitet (haben),/

         Six cens & quatre alez, & trente moines. 604 (Jahre) vergangen, und dreißig weniger.

2) Zu Überschwenmmungen s. Glossar unter -> deluge.

3) Zur Quelle s. Glossar unter -> puits.

6) moines dürfte wegen der Zahlwörter ein verschriebenes moins weniger sein.

Anmerkung Alès liegt an dem kleinen Fluss Gardon, der unterhalb von Avignon in die Rhône

fließt. In Mündungsnähe gibt es die Ortschaften Comps und Montfrin, und unterhalb der

Gardmündung auf der Westseite Rhône die Stadt Beaucaire, gegenüber von Tarascon.

Eine Überschwemmung durch über die Ufer tretende Bäche und Flüsse ist vorstellbar,

durch Quellen weniger.  So könnten hier auch Sinnbilder gegeben sein.

 

         Sizain 12 Sechszeiler 12

         Six cens & cinq tresgrand‘ nouvelle,/ (Im Jahr) sechshundertundfünf sehr große Neuigkeit

         De deux Seigneurs la grand querelle,/ der große Streit zweier großer Herren./

         Proche de Genaudan sera,/ Nah bei Genaudan wird es sein,/

         A une Eglise apres l‘ offrande/ bei einer Kirche nach der Messe/

         Meurtre commis, prestre demande (ein) Mord begangen, (der) Priester bittet,/

         Tremblant de peur se sauvera. bebend vor Furcht wird er davonlaufen.

Anmerkung Zu den Jahreszahlen s. schon das Vorwort zu den Sechszeilern.

Gevodan hieß eine Landschaft im Languedoc, heute Departement Aveyron.

                  

         Sizain 13 Sechszeiler 13

         L‘ aventurier six cens & six ou neuf,/ Der Abenteurer wird (im Jahr) 606 oder 609/

         Sera supris par fiel mis dans un oeuf,/ überrascht sein durch Galle, in ein Ei getan./

         Et peu apres sera hors de puissance/ Und wenig später wird er vertrieben sein von der Macht/

         Par le puissant Empereur general,/ durch den mächtigen allgemeinen Kaiser,/

         Qu‘ au monde n‘ est un pareil ny esgal./ der auf der Welt seinesgleichen nicht hat,/

         Dont un chascun luy rend obeissance. dem ein jeder Gehorsam erweist.

2) Das n.m. fiel bedeutet auch Zorn, Hass.

Anmerkung Vom Jahr 1609 ist in 10/91 [IV] die Rede.  Dort bestätigt der Klerus dem

vermeintlich >wiedergekommenen Christus< den Status des von Gott Erwählten.  Er wird

"wenig später" zu einem „mächtigen allgemeinen Kaiser“ werden, 1/4 [VIII].  Der „Abenteurer"

wäre der letzte Vorsteher der katholischen Kirche [V].

 

         Sizain 14 Sechszeiler 14

         Au grand siege encor grands forfaits,/ Beim großen Thron nochmals große Schandtaten,/

         Recommencant plus que iamais/ wieder einsetzend, mehr als jemals./

         Six cens & cinq sur la verdure,/ Sechshundertundfünf über das Grün hin/

         La prise & reprose sera/ wird die Eroberung und Rückeroberung sein./

         Soldats és champs iusqu‘ en froidure/ Soldaten auf den Feldern bis zur Winterkälte,/

         Puis apres recommenceras. dann danach wird es wieder losgehen.

3) N.f. verdure Grün, Grünzeug; hier ist wohl, auch als Gegenüber zur „Winterkälte“,

die Wachstumsperiode gemeint, d.h. Frühling, Sommer, Herbst

Anmerkung Der „große Thron“ kann der des Kaisers, des Königs von Frankreich oder der

des Papstes sein, 5/92 (Kap.30).  Im Jahr des Herrn 1605 ist es in Wien, Paris und Rom ruhig. 

In Rom wird im April Leo XI., im Mai Paul V. zum Papst gewählt.  Der Vers ist also noch nicht

erfüllt. Zu den Zahlen mit „sechshundertund…“ s. zunächst oben das Vorwort des ersten

Herausgebers der Sechszeiler.  Es scheint hier, dass das Jahr 605 ein Kriegsjahr wird. 

Der Krieg setzt ein „über das Grün hin“, während der Zeit des Pflanzenwachstums, d.h.

nicht vor März.

 

         Sizain 15 Sechszeiler 15

         Nouveau esleu patron du grand vaisseau,/ Neuer Herr des großen Schiffes gewählt,/

         Verra lon temps briller le cler flambeau/ wird lange die berühmte Flamme sehen,/

         Qui sert de lampe à ce grand territoire,/ die als Leuchte dient für dies große Hoheitsgebiet./

         Et auquel temps armez sous son nom,/ Und die in dieser Zeit unter seinem Namen Gerüsteten,/

         Ioinctes à celles de l‘ heureux de Bourbon/ vereint mit denen vom Glücklichen von Bourbon,/

         Levant, Ponant, & Couchant sa memoire. (bewahren im) Osten, Süden und Westen sein Andenken.

2) Mittelfrz. Adjektiv clair, cler strahlend (brillant), berühmt (illustre)

Anmerkung Wie der „große, in das Schifflein gestellte Herr“ in Sz 1 dürfte in Vz 1 der letzte

Papst gemeint sein.  Die berühmte Flamme, die als Leuchte dient, ist aus 5/66 [X] als

>brennende Lampe< bekannt.  Gemeint ist in sarkastischem Ton der >wiedergekommene

Heiland<, der sich als große >Leuchte<, nämlich als großer Philosoph hervortun wird, 5/31 [III]. 

Der „Glückliche von Bourbon“ kommt auch schon in Sz 1 vor.  Die zweite Vershälfte würde sich

dann erschließen, wenn die „unter  s e i n e m  Namen Gerüsteten“  und „s e i n  Andenken“

Bewahrenden diejenigen sind, die das Andenken  C h r i s t i  bewahren wollen.  Die Anhänger

des betrügerischen vermeintlichen Wiedergängers Christi sind hier also  n i c h t  gemeint.

 

         Sizain 16 Sechszeiler 16

         En Octobre six cens & cinq,/ Im Oktober sechshundertundfünf/

         Pourvoyeur du monstre marin/ wird der Lieferant des Meeresmonstrums/

         Prendra du souverain le creme/ das Salböl des Herrschers ergreifen./

         Qu en six cens & six, en Iuin,/ Wenn im (Jahr) sechshundertundsechs, im Juni/

         Grand‘ ioye aux grands & au commun/ große Freude ist bei Oberen und beim Gemeinen,/

         Grands faits apres ce grand baptesme. (wird es) große Taten (geben) nach dieser großen Taufe.

2) Der „Lieferant“ kommt nur in den Sechszeilern vor, nämlich Sz 38, 39, 46 und 56.

S. dazu das Glossar unter -> pourvoyeur.

3) N.m. souverain (unumschränkter) Herrscher, Gebieter

Anmerkung Es scheint, dass das Jahr 606 das Ende von sehr einschneidenden Ereignissen

(Krieg und Kataklysmus) bringt, die im Jahr 605 eingesetzt haben, Sz 14.

Die >große Taufe< bedeutet zweierlei: 1) die immensen Überschwemmungen im Zuge des

Kataklysmus [II] und 2) in dieser Zeit der Überschwemmungen das erstmalige Auftreten

eines Mannes als >Messias< (zunächst nur) der Juden, analog zur Taufe Jesu am Beginn

der Ausübung seines Lehramtes.  Anschließend herrscht „große Freude“, einmal weil man die

Naturkatastrophe überlebt hat, und weil dazu noch die alte Prophezeiung von der Wiederkunft

Christi in Erfüllung zu gehen scheint.

In christlicher Auffassung ist Jesus von Nazareth der vom Heiligen Geist Gesalbte (Christus

bedeutet wörtlich Gesalbter) und der als Mensch verkörperte Herrscher des Himmels.  Wenn

hier demnach jemand >das Salböl des Herrschers ergreift<, packt er die Gelegenheit beim

Schopf, sich als der Gesalbte Gottes in Szene zu setzen.

Das >Tier aus dem Meer< ist in der Offenbarung des Johannes ein Bild für das, was von der

widergöttlichen Macht auf Erden erscheint.  Diese selbst erhält dort den Namen >Drache<. 

Wenn der Vers von einem Meeresmonstrum spricht, erinnert das an den seltsam geformten

Fisch, 3/21 [III], sowie an die Meeresschlange >Hydra<, 2/43 [II], als Chiffren für jenen Mann,

der >dem Meer entstammt<, d.h. aus dem Bereich der Religion herkommt und sich dann erst

politisch betätigt und sich schließlich weltweit durchsetzen kann.

Lieferant, Vorsorger oder Vorausschauer heißt er, weil ihm der große Durchblick, 5/31 [III],

und die Fähigkeit zugetraut wird, endlich >zu liefern<, d.h. das Gottesreich auf Erden

entscheidend voran zu bringen.  Darauf bezieht sich auch die Rede von den >großen Taten<

nach dem Kataklysmus, die bei N. allerdings deutlich sarkastischen Klang hat, weil er auch

sieht, wie das alles endet.

 

         Sizain 17 Sechszeiler 17

         Au mesme temps un grand endurera,/ Zur selben Zeit wird ein Großer (Leiden) erdulden,/

         Ioyeux mal sain, l‘ an complet ne verra,/ Fröhliche ungesund, er erlebt das Jahr nicht bis zum Ende,/

         Et quelques uns qui seront de la feste,/ aber einige, die am Fest Anteil nehmen./

         Feste pour un seulement, à ce iour,/ (Ein) Fest (ist es) für einen allein, an dem Tag./

         Mais pez apres sans faire long seiour,/ Aber wenig später, ohne langen Aufenthalt,/  werden

         Deux se donront, l‘ un l‘ autre de la teste. zwei sich hingeben, der eine (wie) der andere mit Vorsatz.

6) homme de tête kluger, entschlossener, zielstrebiger Mann,

se donner de quelque chose sich einer Sache widmen

Anmerkung Die Vermutung, dass Sz 17 an Sz 16 anschließt, wird von der folgenden Auslegung

bestätigt. Die „Fröhlichen“, die „am Fest Anteil nehmen“, sind jene Christen, die der Nachricht,

der Heiland sei wieder auf Erden erschienen, Glauben schenken.  Aus dem Gesamtkontext der

Centurien ergibt sich, dass Nachricht und Fest keine Grundlage haben.  Daher nennt N. die

Fröhlichkeit „ungesund“.  Der „Große“ kann in diesem Zusammenhang der Papst sein, der sich

von der unbegründeten Fröhlichkeit nicht anstecken lässt und daher angefeindet wird, 8/47 [IV].

Ein Fest ist die Feier der >Wiederkehr Christi< „für einen allein“, nämlich für den Gefeierten.

Die „zwei“, die dem Gefeierten „sich hingeben“, dürften >Mutter Kirche< und ihr letzter        

Vorsteher sein, wie in 8/13 [IV] und 8/25 [IV].

 

         Sizain 18 Sechszeiler 18

         Considerant la triste Philomelle/ Wenn die traurige Philomele betrachtet,/

         Qu‘ en pleurs & cris sa peine renouvelle,/ wie sich unter Tränen und Wehklagen ihr Leid erneuert,/

         Racourcissant par tel moyen ses iours,/ sich durch dies Mittel ihre Tage verkürzend,/

         Six cens & cinq elle en verra l‘ issue,/ wird sie (im Jahr) 605 das Ende sehen/

         De son tourment, ia la toile tissue,/ ihrer Qual, schon ist das Tuch gewoben./

         Par son moyen senestre aura secours. Durch ihr unheilvolles Mittel wird sie Hilfe haben.

Anmerkung Philomele heißt die Schwester Proknes, der Frau des Königs Tereus.  Auf Besuch

bei den Schwiegereltern verliebt er sich in Philomele.  Er täuscht ihr vor, Prokne sei gestorben

und er werde nun sie heiraten.  Heimlich entführt er sie in sein Land.  Dort sperrt er sie ein und

schneidet ihr die Zunge heraus, damit sie von seiner Schandtat nichts mitteilen kann.  Mittels

eines kunstvoll gewebten Tuches kann die Geschändete ihre Schwester, die Königin, in Kenntnis

setzen, und dann sinnen beide auf Rache.

  

Sizain 19 Sechszeiler 19

Six cens & cinq, six cens & six & sept,/ (Die Jahre) 605, 606 und 607/

Nous monstrera iusques l' an dixsept,/ werden uns zeigen bis zum Jahr -17/

Du boutfeu lire, hayne & envie,/ des Brandstifters Zorn, Hass und Neid,/

Soubz l‘ olivier d‘ assez long temps cache,/ unter dem Olivenbaum genügend lange verborgen./

Le Crocodil sur la terre a caché,/ Das Krokodil (hat) es zu Lande verborgen./

Ce qui estoit mort, sera pour lors en vie. Was tot war, wird dann am Leben sein.

3) lire ist im Zusammenhang mit hayne und envie als l‘ ire der Zorn zu lesen.

5) Zum Land s. Glossar unter -> terre.

Das Krokodil kommt außerdem vor in den Sechszeilern 31, 35 und 45.

Anmerkung In der Antike gilt das Krokodil als eine Verkörperung des Bösen (Hiob Kapitel 40

Vers 25; Physiologus: Vom Ichneumon).  Grenzgänger zwischen Land und Gewässer wie der

landgängige Fisch, 3/21 [III], könnte das Krokodil für jenen nach dem Kataklysmus erstmals

auftretenden außergewöhnlichen Mann stehen, dessen Macht sich auf den religiösen Bereich

(>Meer<) und dann auch auf den weltlichen, d.h. politischen Bereich (>Land<) erstrecken

wird.  Indem er sein Wirken zunächst auf das >Land< beschränkt, wird er „genügend lang“

sein Vorhaben verbergen, auch das >Meer< ganz neu zu ordnen, 4/28 [X], 10/28 [III].

Nachdem der „Brandstifter“ sein Vorhaben >unter dem Olivenbaum<, d.h. im Frieden verborgen

hat, ist es in der letzten Verszeile der fälschlich totgesagte Krieg, 3/36 [VII], der dann doch

wieder >am Leben< sein wird.  Das zunächst Verborgene, dann aber Offenkundige, nämlich

die von oben verordnete >neue Religion< des globalen Staates [X] wird >den Brand stiften<

und doch wieder die Menschen in Anhänger und Gegner entzweien.  Die wahren Motive ihres

Verfertigers will die dritte Verszeile erfassen.

         Sizain 20 Sechszeiler 20

         Celuy qui a par plusieurs fois/ Jener, der mehrere Male/

         Tenu la cage & puis les bois,/ bewohnt hat den Käfig und dann den Wald,/

         R‘ entre à son premier estre kehrt zurück zu seinem ersten Wesen./

         Vie sauve peu apres sortir,/ Leben gerettet, wenig später geht er davon,/

         Ne se scachant encor cognoistre,/ entzieht sich nicht, noch zu lernen,/

         Cherchera subiet pour mourir. wird gehorsam den Tod suchen.

5) Mittelfrz. v. saquer, sacher, sachier gewaltsam ziehen (tirer violemment),

abschütteln (secouer), ausschöpfen, erschöpfen (épuiser), entziehen (retirer)

Mittelfrz. v. cognoistre wieder erkennen (reconnaître); lernen (apprendre); bemerken,

wahrnehmen (remarquer); den Wert von jdm. wieder erkennen (reconnaître la valeur de qqn.)

6) Mittelfrz. adj./ n.m. subject u.a. gehorsam, gefügig (soumis)

 

         Sizain 21 Sechszeiler 21

         L‘ autheur des maux commencera regner/ Der Urheber der Übel wird anfangen zu herrschen/

         En l‘ an six cens & sept sans espargner/ im Jahr 606 oder 607, ohne zu schonen/

         Tous les subiets qui sont à la sangsue,/ all die Untertanen, die der Blutsaugerin gehören./

         Et puis apres s‘ en viendra peu à peu,/ Und dann später wird sie darum kommen nach und nach,/

         Au franc pays r’ allumer son feu,/ im Frankenland ihr Feuer wieder zu entfachen,/

         S‘ en retournant d‘ ou elle est yssue. dahin zurückkehrend, von wo sie ausgegangen ist

4)5)6) Wegen des elle in Vz 6 ist hier sie, die Blutsaugerin, Subjekt, und nicht er, der „Urheber der Übel“.

Zur Blutsaugerin s. Glossar unter -> sang und -> sangsue.

5) Adj. franc fränkisch, frei kann auch ein verkürztes francais französisch sein.

Gemeint ist das freie, weil demokratisch gewordene Frankenland, mit ironischem Unterton.

Zum Feuer als Metapher s. das Glossar unter -> feu.

Anmerkung Völker als ganze sind bei N. weiblich, werden Damen genannt (-> dame ).

Die >Blutsaugerin< ist die Allegorie eines >parasitären Volkes<, das dem Land die Lebenskraft

entzieht.  Ausgegangen ist sie vom „Frankenland“, Vz 5/6, vom französischen Volk, das sich den

Ideen von Freiheit, Demokratie und Gleichheit verschrieben hat.  Die alte Ordnung des Königtums

lebt geistig vom Glauben und damit vom Blutopfer Christi.  Die Idee der Demokratie läuft in N.s

Verständnis dem christlichen Gehorsam zuwider;  sie entzieht dem Gemeinwesen die geistige

Kraft, den Glauben, auf den das Königtum gestellt ist.  Aber sie trägt den Sieg davon:  „Schwach

wird sich Sieger über den Mächtigen nennen lassen“, Sz 37 (Kap.22).  Eine schwache >Dame<

entzieht ihrem Herrn das >Blut<, bis er stirbt, und will und muss dann allein zurechtkommen.

Der „Urheber der Übel“ ist jener Mann, der am Ende die christliche Religion verbieten und die

Verfolgung der altgläubigen Christen zulassen wird.  Das >Feuer< der revolutionären Ideen hat erst

das Königtum weggefegt.  Wenn es in der gemeinten Zeit „wieder“ entfacht wird, Vz 5, werden alle

gewordenen Formen auf dem Gebiet der Religion vom >Feuer< erfasst und zerstört.  In den Jahren

1789ff. von Frankreich ausgegangen, hat dieses >Feuer< große Teile der Welt erfasst und kehrt

am Ende an seinen Ausgangsort zurück, wo es zunichte machen will, was von der alten Ordnung

und dem alten Denken noch übrig ist.

 

         Sizain 22 Sechszeiler 22

         Cil qui dira, descouvrissant l‘ affaire,/ Büßerhemd (?), das das Sagen hat, wird enthüllen die

         Comme du mort, la mort pourra bien faire/ Sache/ des so gut wie Toten, der Tod hat leichtes Spiel./

         Coups de poignard par un qu’ auront induit,/ Dolchstöße durch einen, den sie dazu angespornt haben./

         Sa fin sera pis qu‘ il n‘ aura fait faire/  Sein Ende um so schlimmer, als er sie nicht dazu getrieben

         La fin conduit les hommes sur la terre,/ hat./ Das Ende begleitet die Menschen auf der Erde,/

         Gueté par tout, tant le iour que la nuit. belauert allerorten, bei Tag wie bei Nacht.

1) N.m. cilice Büßerhemd

3) Mittelfrz. v. induire dazu bringen (amener à), treiben (pousser), anspornen (exciter)

Anmerkung Der Dolchstoß ist seit den Zeiten G.J. Caesars das Bild für einen gewaltsamen Tod,

herbeigeführt durch eine Verschwörung von Vertrauten des Opfers.  Das >Büßerhemd< könnte

für den vermeintlich >wiedergekommenen Heiland< stehen, der den Heiligen spielt, demonstrativ

einfach lebt, 8/41 [III], und sich anfangs den Anschein gibt, mit Christus geistig eng verwandt zu

sein, 1/95 [III].

Wenn er nach einigen Jahren den ganzen Bereich der Religion verbindlich neu ordnet, wird er

„enthüllen“, dass die Lehren der alten Religionen nicht mehr fortgelten, 8/28 [X].

>Der so gut wie Tote< ist Jesus Christus, weil er in der gemeinten Zeit nichts mehr gilt und die

meisten Menschen ihn daher leichten Herzens >endgültig begraben<, 3/72 [XI]. 

Das >Büßerhemd<, der vermeintlich >wiedergekommene Heiland<, erscheint hier also nicht

als „Urheber der Übel“ wie in Sz 21, sondern als ausführendes Organ einer weithin vorherr-

schenden Gesinnung.

 

         Sizain 23 Sechszeiler 23

         Quand la grand nef, proue & gouvernail,/ Wenn das große Schiff, Bug und Steuerruder

         Du franc pays & son esprit vital,/ des Frankenlandes und sein Lebensgeist/

         D‘ escueils & flots par la mer secouée,/ von Mächten und Fluten auf dem Meer geschüttelt wird,/

         Six cens & sept, & dix coeur assiegé/ wird (im Jahr) 607 und 610 (das) Herz belagert/

         Et de reflus de son corps affligé,/ und von den Rückflüssen seines Körpers heimgesucht,/

         Sa vie estant sur ce mal renouee. sein Leben wird ihm sauer, wenn dies Übel sich erneuert.

1) Zum Schiff als Symbol -> nef.

3) Altfrz. n.m. escueil Anlauf (élan), Lauf (course), Neid (envie), Verlangen (désir)

Beifall (accueil),  > v. escueillir sammeln, (Kräfte) versammeln, anspornen, vorangehen

Anmerkung Fraglich ist schon, ob das erste Bild die französische Marine meint oder die Kirche

Frankreichs. Das „Herz“ könnte das politische Zentrum des Landes sein.  Oder es ist das

Herz Mariens gemeint, unter dem einst der Erlöser getragen wurde.  Das >Herz< würde dann

Lebensmitte und –grund des christlichen Glaubens bedeuten.  Nach der Bedrängnis 1789ff.

werde dieser noch einmal „belagert“ werden (Übel erneuert).

        

         Sizain 24 Sechszeiler 24

         Le Mercurial non trop de longue vie,/ Der Merkuriale (hat) kein allzu langes Leben,/

         Six cens & huict & vingt, grand maladie,/ sechshundertundacht und –zwanzig schwere Krankheit,/

         Et encor pis danger de feu & d‘ eau,/ Und noch schlimmere Gefahr von Feuer und Wasser./

         Son grand amy lors luy sera contraire,/ Sein großer Freund wird ihm dann entgegengesetzt sein./

         De tel hazards se pourroit bien distraire,/ Von solchen Gefahren wird er sich noch abwenden können/

         Mais bref, le fer luy fera son tombeau.  aber (nur) kurz, das Schwert wird ihm sein Grab bereiten.

1) Zu Merkur s. Glossar unter -> Mercure.

6) Zum Grab s. Glossar unter -> sepulchre.

Anmerkung Merkur ist Chiffre für Jesus Christus.  Die Zahlen meinen Jahre nach dem

Kataklysmus, Sz 16. Dann wird nach kurzer Scheinblüte >er<, d.h. der Glaube an Christus

„schwer krank“. >Feuer und Wasser< bedeuten in 9/9 [X] die Religionen, die verschiedene

Wege zu Heil und Läuterung anbieten.  In ihrer Vermischung durch die >neue Religion<, 6/10 [X],

erkennt N. die Gefahr einer tödlichen >Erkrankung< des Glaubens der Christen.  Ihr vermeint-

licher >großer Freund<, 5/9 [XI], wird ihnen zum Gegner werden.

Das geistliche >Schwert<, bestehend aus der verbindlichen Aufhebung der alten Glaubens-

inhalte, ist aus 10/65 [XI] bekannt.

 

         Sizain 25 Sechszeiler 25

         Six cens & six, six cens & neuf,/ Sechshundertsechs, sechshundertneun,/

         Un Chancelier gros comme un boeuf,/ wird ein Staatsdiener, dick wie ein Rind,/

         Vieux comme le Phoenix du monde,/ alt wie der Phönix der Welt,/

         En ce terroir plus ne luyra,/ in diesem Gebiet nicht mehr leuchten./

         De la nef d‘ oubly passera/ Mit dem Schiff des Vergessens wird er hinüberfahren,/

         Aux champs Elisiens faire ronde. auf den elysischen Feldern die Runde zu drehen.

2) Mittelfrz. n.m. chancelier erster Diener eines souveränen Fürsten,

beauftragt vornehmlich mit der Justiz und der Siegelbewahrung.

Anmerkung Da er sich selbst verbrennt und aufersteht, heißt es im Physiologus vom Vogel

Phönix, dass er „das Antlitz unseres Heilandes annimmt“.

 

         Sizain 26 Sechszeiler 26

         Deux freres sont de l‘ ordre Ecclesiastique,/ Zwei Brüder gibt es mit kirchlicher Weihe,/

         Dont l‘ un prendra pour la France la pique,/ von denen einer für Frankreich den Spieß ergreifen wird,/

         Encor un coup, si l‘ an six cens & six/ (führt) noch einen Schlag, wenn im Jahr sechshundert-

         N‘ affligé d‘ une grand‘ maladie,/ sechs/ er verschont wird von einer großen Seuche,/

         Les armes en main iusques six cens & dix,/ die Waffen in Händen bis sechshundertzehn,/

         Guieres plus loing ne s‘ estendant sa vie. kaum länger sein Leben ausdehnend.

4) Zur Seuche s. Glossar unter -> peste.

         Sizain 27 Sechszeiler 27

         Celeste feu du costé d‘ Occident,/ Himmlisches Feuer, von der Küste des Abendlands/

         Et du Midy, courir iusques au Levant,/ und vom Süden her läuft es bis zum östlichen Mittelmeer./

         Vers demy morts sans point trouver racine/ Halbtote Würmer finden keine einzige Wurzel,/

         Troisieme Aage, à Mars le Belliqueux,/ Dritte Zeit (gehört) Mars, dem Kriegerischen,/

         Des Escarboucles on verra briller feux,/ Feuerbrände von Karbunkeln wird man leuchten sehen,/

         Aage Escarboucle, & à la fin famine. Karbunkel-Zeit, und am Ende Hungersnot.

1) Das himmlische Feuer  k a n n  ein Sinnbild sein, Glossar unter -> foudre.

5)6) N.f. escarboucle Karfunkel, roter Edelstein, mittelfrz. dieselbe Bedeutung

> lat. n.m. carbunculus kleine Kohle; rötlicher Edelstein; bösartiges, brandiges Geschwür

(charbon provencal)

Anmerkung Zu dem dritten Zeitalter des Mars vgl. VH (14).

Der Pestarzt Michel N. wird die als escarboucles bezeichneten Geschwüre gesehen haben.

Voll entfaltet, ist es ein Geschwür mit einem Zentrum schwärzlichen Gewebszerfalls, umsäumt

von einem roten, brandigen Rand.  Aber ein medizinisches Krankheitsbild ist hier kaum gemeint.

Denn die gemeinten Erscheinungen „leuchten“;  so könnten sie im Kontext eines Krieges

Explosionen bedeuten, wahrgenommen aus größerer Höhe;  Wahrnehmungen aus dieser

Perspektive sind bei N. allerdings selten. 

Doppelt wird Hungersnot als Folge des Krieges genannt.

 

         Sizain 28 Sechszeiler 28

         L‘ an mil six cens & neuf ou quatorziesme,/ Im Jahr tausendsechshundertneun oder im –vierzehnten/

         Le vieux Charon fera Pasques en Caresme,/ wird der alte Charon Ostern fastend verbringen./

         Six cen & six, par escrit le mettra/ Sechshundertundsechs wird durch (ein) Schreiben es (ihm)

         Le Medecin, de tout cecy estonné,/ (ihm) geben/ der Arzt, über all dies erstaunt,/

         A mesme temps affligé en personne/ zur eben dieser Zeit persönlich heimgesucht./

         Mais pour certain l‘ un d‘ eux comparoistra.  Aber sicherlich wird einer von beiden vor Gericht stehen.

2) „Charon“ kommt auch vor in Sz 38.

4) Vgl. den „großen Arzt“ in Sz 10, und den „Arzt des großen Übels“ in Sz 30.

Anmerkung Charon ist der grämliche, greise Fährmann, der die Seelen der Verstorbenen über

den Fluss Styx in das Schattenreich des Hades fährt.  >Charon< könnte hier Deckname für den

letzten Papst sein, der sein >Ostern< und das seiner Kirche erleben wird, 8/45.  >Fastend<

wird er dieses verbringen, weil die geistige Nahrung, die seine Kirche austeilt, dann nicht mehr

geduldet ist, siehe -> faim .  Die >Verstorbenen<, deren Fahrt ins Schattenreich er organisiert,

wären jene römischen Christen, die ihm gefolgt sind.

Zu dem „Schreiben“ an >Charon< vergleiche die „Briefe“ eines „Harten“, 10/65 [XI], und den

„in Briefen Rücksichtslosen“, 10/20 [X]. 

Das Erstaunen des >Arztes< dürfte gespielt sein.

 

         Sizain 29 Sechszeiler 29

         Le Griffon se peut apprester/ Der Greif möge sich vorbereiten,/

         Pour à l‘ ennemy resister/ um dem Feind zu widerstehen/

         Et renforcer bien son armee,/ und seine Armee gut verstärken./

         Autrement l‘ Elephant viendra/ Sonst wird der Elefant kommen,/

         Qui d‘ un abord le surprendra,/ der ihn plötzlich überrumpeln wird./

         Six cens & huict, mer enflammee. Sechshundertundacht, Meer in Flammen.

1) Der Greif kommt auch vor in Sz 56.  Und in 10/86 [XIV] heißt es, der „König von Europa“

werde „wie ein Greif“ kommen, d.h. wie ein Rächer der unterdrückten christlichen Religion.

4) Der Elefant begegnet auch in Sz 39 und Sz 56.

Anmerkung Der Greif wohnte in der Wüste Gobi, war ein Adler mit dem Hinterteil eines Löwen

und war den Skythen bekannt für seinen Hunger nach Gold.  Als Hüter von Schätzen steht er für

Wachsamkeit und Rache.  Christlich bedeutete der Greif die Doppelnatur Christi als wahrer

Mensch und wahrer Gott, sowie die Verbindung von weltlicher und geistlicher Macht.

Wegen der Aufforderung, die Armee zu verstärken, muss eine territoriale Macht gemeint sein.

Der Greif könnte für Israel stehen, 1) weil es den ihm einst geraubten >Schatz<, das gelobte

Land, 1948 zurückerobert hat, und 2) weil der Elephant, Symbol für Mächte Nordafrikas, hier

als sein möglicher Gegner auftritt.  Der Elephant wurde in der Antike bekannt als Kriegswaffe

des (gescheiterten) Eroberers Hannibal, kann daher für nordafrikanische Mächte stehen.

 

         Sizain 30 Sechszeiler 30

         Dans peu de temps Medecin du grand mal,/ In kurzer Zeit werden der Arzt des großen Übels/

         Et la sangsue d‘ ordre & rang inegal,/ und die Blutsaugerin, nach Stand und Rang ungleich,/

         Mettront le feu à la brache d‘ Olive,/ das Feuer an den Zweig des Olivenbaums legen./

         Poste courir, d‘ un & d‘ autre costé,/ Befehlsstand fährt umher, von einer Küste zur anderen,/

         Et par tel feu leur Empire accosté,/ und durch solches Feuer kommt ihr Reich an Land./ Wenn

         Se r’ alumant du franc finy salive. es sich neu entzündet, ist der Appetit des Franken gestillt.

1) Der groß geschriebene begegnet auch in Sz 28; von einem „großen Arzt“ spricht Sz 10.

5) Mittelfrz. v. accoster  das Ufer erreichen (atteindre le rivage), sich nähern (s‘ approcher de)

Anmerkung Die >Blutsaugerin< wird in Sz 21 als Sinnbild eines demokratisch verfassten Gemein-

wesens gedeutet.  „Nach Stand und Rang ungleich“ wären >der Arzt des großen Übels<, wenn

damit jener Mann gemeint wäre, von dessen doppelter, spiritueller wie politischer Kompetenz man

sich den entscheidenden Beitrag zur Erreichung eines dauerhaften Weltfriedens erhofft und ihn

deshalb mit der Macht eines „allgemeinen Kaisers“ ausstattet, Sz 13.

Als Wunderarzt tritt der Gemeinte auch in 6/18 [III] auf.  Er hat allerdings auch „extreme Heilmittel“

in seinem Repertoire, Sz 49;  deshalb trügt die Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden, Vz 3.

 

         Sizain 31 Sechszeiler 31

         Celuy qui a les hazards surmontè,/ Jener hat die Gefahren gemeistert,/

         Qui fer, feu, eaue, n‘ a iamais redouté,/ Eisen, Feuer, Wasser niemals gefürchtet,/

         Et du pays bien proche du Basacle,/ auch nicht eines Landes, nahe dem Beifall von unten (?)./

         D‘ un coup de fer tout le monde estonné,/ Über einen Schwertstreich alle Welt erstaunt,/

         Par Crocodil estrangement donné,/ durch das Krokodil eigenartig geführt,/

         Peuple ravi de veoir un tel spectacle.  Volk hoch erfreut, solch ein Spektakel zu sehen.

3) Basacle gibt es nicht.  N.m. bas das Untere, das Gemeine.  N.f. acclamation Beifall.

5) Das Krokodil begegnet auch in den Sechszeilern 19, 35 und 45

Anmerkung In Sz 19 steht das >Krokodil<, ein amphibisch lebendes Reptil, für den >wieder-

gekommenen Heiland<, weil der vorgeben wird, für >Land<  u n d  >Meer<, d.h. für Politik 

u n d  Religion zuständig zu sein, 3/21 [III].  Der >Schwertstreich< könnte derselbe sein,

von dem 10/65 [XI] in Bezug auf die katholische Kirche spricht.  Das >Krokodil< handelt damit

für die meisten Menschen richtig, Sz 22. Endlich einmal >wird es der Kirche gezeigt<,

von (vermeintlich) demselben, dessen Erbe und Sachwalter zu sein die Kirche immer

beansprucht hat. -

Die erste Vershälfte scheint von der Selbstdarstellung des >Krokodils< zu handeln; das Land

>nahe dem Beifall von unten< könnten die urdemokratischen USA sein.

 

         Sizain 32 Sechszeiler 32

         Vin à foison, tres-bon pour les gendarmes,/ Wein in Fülle, sehr gut für die Wachhabenden./

         Pleurs & soupirs, plainctes cris & alarmes/ Tränen und Seufzer, Klagen, Schreie, erschreckte Rufe,/

         Le Ciel fera des tonnerres pleuvoir/ der Himmel wird seine Donnerschläge regnen lassen./

         Feu, eau & sang, le tout meslé ensemble,/ Feuer, Wasser und Blut, das Ganze miteinander vermengt,/

         Le Ciel de sol, en fremit & en tremble,/ der Himmel mit Erde, unter Brausen und Beben,/ Wer da

         Vivant n‘ a veu ce qu‘ il pourra bien voir. lebt, wird etwas noch nie da Gewesenes erleben können.

3)5) Zum Himmel s. Glossar unter -> ciel, zum Donner s. Glossar unter -> foudre.

Anmerkung Es geht um außerordentliche Ereignisse, Vz 6.  Aber die Frage ist, ob der Vers

wörtlich ein Naturgeschehen beschreibt oder sinnbildlich zu nehmen ist.  Dass vom Himmel

auch Blut regnet, spricht für Sinnbilder.

Die >Donnerschläge< sind die Bannstrahle, d.h. Verbote gegen die alten Religionen, 1/65 [XII],

3/13 [XI].  In diesem Kontext ist das vom regnende Blut das der >alten Götter<, d.h. der alten

Religionen, wie in 5/62 [XII].  Auch >Feuer und Wasser< bedeuten die alten Religionen, die

nebeneinander bestehen, aber nicht miteinander vermischt werden können, was aber nicht

respektiert wird, 9/9 [X].

N. erkennt die Tradition als „schlecht bewacht“, 1/68 Vz 3 [XII].  Die „Wachhabenden“ sind die

Oberhirten der alten Kirchen, die den alten Glauben bewahren sollen, diese Aufgabe aber ver-

fehlen. Denn sie sind gut versorgt mit dem >Wein< des >Wiedergekommenen<, dessen Genuss

Gemeinschaft mit ihm begründet, an dem man sich aber „allzu sehr berauscht“, 6/39 Vz 4 [IV].

 

         Sizain 33 Sechszeiler 33

         Bien peu apres sera tres-grande misere,/ Kurz danach wird es eine sehr große Not geben/

         Du peu de bled, qui sera sur la terre,/ wegen des Mangels an Getreide, das am Boden liegt./

         Du Dauphiné, Provence & Viverois,/ der Dauphiné, der Provence und des Vivarais./

         Au Vivaeois est un pauvre presage,/ Für Viviers (?) gibt es eine beklagenswerte Voraussage:/

         Pere du fils sera anthropophage,/ Vater wird des Sohnes Menschenfresser sein,/

         Et mangeront racine & gland du bois. und sie werden Wurzeln essen und Eicheln des Waldes.

Anmerkung Entweder sind hier die Folgen einer großen Naturkatastrophe geschildert,

oder die Hungersnot ist sinnbildlich zu verstehen, wie in 1/67 [XI].

 

         Sizain 34 Sechszeiler 34

         Princes & Seigneurs tout se feront la guerre/ Fürsten und Herren werden alle sich bekriegen,/

         Cousin germain, le frere avec le frere,/ der Vetter den Vetter, der Bruder den Bruder,/

         Finy l‘ Arby de l‘ heureux de Bourbon,/ beendet das Richteramt (?) des Glücklichen von

         De Hierusalem les Princes tant aymables/ Bourbon./ Jerusalems so liebenswürdige Fürsten/

         Du fait commis enorme & execreable,/ werden eine ungeheuerliche und abscheuliche Tat/

         Se ressentiront sur la bourse sans fond. zu spüren bekommen am Säckel ohne Boden.

3) Arby gibt es nicht.  Lat. n.n. arbitrium Gegenwart; Schiedsrichterspruch; freies Ermessen;

Wille, Herrschaft, Macht

Anmerkung Der Glückliche von Bourbon begegnete bereits in Sz 4 und Sz 15.  Wenn er hier

seine Tätigkeit zum Wohl der Menschen einstellt, geht es um eine fernere Zukunft auf der

Neuen Erde.

         Sizain 35 Sechszeiler 35

         Dame par mort grandement attristee,/ Dame durch Tod sehr betrübt,/  Mutter und

         Mère & tutrice au sang qui l‘ a quittee,/ Beschützerin (ist) in dem Blut, das sie aufgegeben hat,/

         Dame & Seigneurs, faits enfans orphelins,/ Dame und Herren zu Waisenkindern geworden./

         Par les aspics & par les Crocodilles,/ Durch die Nattern und die Krokodile/  werden

         Seront surpris forts Bours, Chasteaux & Villes/ überrascht sein Vorstädte, Schlösser und Städte./

         Dieu tout puissant les garde des malins. Gott der Allmächtige schützt sie vor den Übeltätern.

2) Mittelfrz. n.f. tutrice Beschützerin (protectrice)

4) N.m. aspic Natter, eine langue d‘ aspic ist ein Lästermaul.  

Das Krokodil in der Einzahl kommt vor in Sz 19, 31 und 45.

Anmerkung Geistige >Mutter< der Gläubigen und ihre >Beschützerin< vor dem Bösen ist in

ihrem Selbstverständnis die katholische Kirche.  Wenn  d i e s e  Dame „durch Tod sehr betrübt“

ist und die in ihr maßgeblichen Herren zu Waisenkindern werden, müsste das bedeuten, dass

der Vater im Himmel gestorben ist.  Aber der kann nicht sterben;  wohl aber könnte er sich

von der >Dame< abwenden, ihr den irdischen Schutz entziehen und es zulassen, dass sie

verfolgt wird, 5/73 [XI].  Sie und ihre Kinder würden dann dastehen  w i e  Waisen.

Grund dafür ist laut N., dass die Kirche >das Blut<, das am Kreuz vergossene Blut Christi

und den darauf gegründeten Glauben „aufgegeben“ oder „im Stich gelassen“ haben wird.

Johannes der Täufer nannte die zu ihm gekommenen Pharisäer des Tempels eine

Schlangenbrut, Matthäus Kapitel 3 Vers 7.  Daran anknüpfend, ist die Natter im Physiologus

ein Bild für jene, die ihre geistlichen Eltern, d.h. Christus und die Propheten töten.

Und die Anhänger des >Krokodils< sind jene, die totale Macht über >Land<  u n d  >Meer<

sich anmaßen.  Nicht die Kirche, das irdische Gehäuse der Religion, wohl aber die Christen

selbst kann Gott auch dann noch schützen vor ihren Verfolgern.  „Ich will euch nicht als

Waisen zurücklassen; ich komme zu euch“, Johannes Kapitel 14 Vers 18.

 

         Sizain 36 Sechszeiler 36

         La grand rumeur qui sera par la France,/ Die große Unruhe, die über Frankreich hingeht,/

         Les impuissant voudront avoir puissance,/ die Machtlosen werden Macht haben wollen./

         Langue emmielle & vrays Cameleons,/ Honigsüße Sprache und wahre Chamäleons./

         De boute-feux, allumeurs de chandelles,/ In Brandstifter (verwandelt) Anzünder von Kerzen,/

         Pyes & geys, rapporteurs de nouvelles/ Elstern und Häher (sind) Überbringer von Neuigkeiten./

         Dont la morsure semblera Scorpions.  Ihr Biss last sie als Skorpione erscheinen.

4) Das Prädikat wird nahegelegt durch die zuvor erwähnten Chamäleons.

Anmerkung Der Vers bezieht sich auf die Zeit der französischen Revolution und wird in

Kapitel 15 besprochen. N. beklagt die Abwendung vom politischen, Vz 2, wie vom christlichen

Gehorsam, Vz 4, demzufolge man der weltlichen Obrigkeit das Ihre geben soll.  Hinter den

Verheißungen einer neuen und besseren Zeit, die edle Ziele auf ihre Fahnen schreibt, sieht er

niedrige Beweggründe sich nach vorn drängen:  Zerstörungswut (Brandstifter), Raublust (Elstern,

Häher) und Mordgier (Skorpione).  Weitere Analogien aus dem Tierreich für die (angeblichen)

geheimen Motive der Revolutionäre bietet Vers 6/89 (Kap.17).  Dahinter steht der alte Gedanke,

dass die weltliche Ordnung von oben, d.h. letztlich von Gott her gegeben sein muss, um dem

Bösen wirksam entgegentreten zu können, das allzeit darauf lauert, sich vorzudrängen und den

Menschen zu schaden.  Die sich aufgeklärt Nennenden dagegen glauben, dass die Menschen

von sich aus fähig und willens seien, das Gute wählen und das Böse zu verwerfen, und dass sie

Gott und eine von ihm gegebene Ordnung dafür nicht notwendig brauchen.

 

         Sizain 37 Sechszeiler 37

         Foible & puissant seront en grand discord,/ Schwach und Mächtig werden in großer Zwietracht sein./

         Plusieurs mourront avant faire l‘ accord/ Viele werden sterben, bevor sie Eintracht herstellen./

         Foible au puissant vainqueur se fera dire,/ Schwach wird sich Sieger über den Mächtigen nennen

         Le plus puissant au ieune cedera,/ lassen./ Der Mächtigste wird dem Jungen weichen,/

         Et le plus vieux des deux decedera,/ und der Ältere der beiden wird sterben,/

         Lors que l‘ un d‘ eux envahira l‘ Empire. wenn einer von ihnen in das Kaiserreich eindringt.

Anmerkung Der Vers wird hier nur gebracht, um die Sechszeiler vollständig zu haben.  Denn

er ist bereits erfüllt und wird im historischen Kapitel 22 besprochen.  Aus seiner Adlerperspektive

kündigt N. die Revolution als Kampf von Unten (Schwach) gegen Oben (Mächtig) an. 

Der „Ältere“ und auf dem Papier „Mächtigste scheidet dahin“, weil er „dem Jungen weicht“,

Vz 4/5.  D.h. der alte Kaiser muss sein Kaisertum aufgeben, weil ein Herrscher ohne dynastische

Tradition ihn verdrängt.  Der Kaiser des Römischen Reiches (deutscher Nation) tritt 1806 ab

von der Bühne der Geschichte,wenn "der Junge" 1805 bei Austerlitz gesiegt hat und dann

in Wien einzieht, „in das Kaiserreich vordringt".

Die Eintracht zwischen Schwach und Mächtig nach der Auseinandersetzung, Vz 1/2, meint die

konstitutionelle Monarchie, die sich im Europa des 19. Jahrhunderts zur bevorzugten Staatsform

entwickelt.

 

         Sizain 38 Sechszeiler 38

         Par eaue, & par fer, & par grande maladie,/ Durch Fluten und durch Schwert und durch schwere

         Le pourvoyeur à l‘ hazard de sa vie/ Krankheit/ wird der Lieferant unter Lebensgefahr/

         Scaura combien vaut le quintal du bois,/ verstehen, wie viel der Zentner Holz wert ist./ Sechshundert-

         Six cens & quinze, ou le dixneufiesme,/ fünfzehn oder im sechshundertneunzehnten (Jahr)/

         On gravera d‘ un grand Prince cinquiesme/ wird man eingravieren von einem großen fünften Fürsten/

         L‘ immortel nom, sur le pied de la croix. den unsterblichen Namen auf den Fuß des Kreuzes.

2) Zum Lieferanten s. Glossar unter -> pourvoyeur.  Er begegnet auch in Sz 16, 39, 46 und 56.

3) Zum Holz s. Glossar unter -> arbre.

Anmerkung Der >Lieferant< wird in Sz 16 als Bezeichnung für den >wiedergekommenen Heiland<

gedeutet, weil ihm von seinen Zeitgenossen zugetraut wird, dass er >liefert<, d.h. das Gottesreich

auf Erden unter seinem Einfluss entscheidend voranbringt.

Welche Vorgänge in der ersten Vershälfte gemeint sind, ist noch ganz unklar.

Der „große fünfte Fürst“ ist Heinrich V. als Name für den Mann, der sich am Ende der Alten Erde

durchsetzt, 10/27 [XIII].

 

         Sizain 39 Sechszeiler 39

         Le pourvoyeur du monstre sans pareil,/ Der Lieferant des unvergleichlichen Ungeheuers,/

         Si fera veoir ainsi que le Soleil,/ wird sich sehen lassen ebenso wie die Sonne,/

         Montant le long la ligne Meridienne,/ wenn er aufsteigt den langen Weg zum Zenit,/

         En poursuivant l‘ Elephant & le loup,/ dann den Elefanten und den Wolf verfolgt./

         Nul Empereur ne fit iamais tel coup,/  Kein Kaiser führte jemals einen solchen Schlag,/  und

         Et rien plus pis à ce Prince n‘ advienne. das ist das Schlimmste, was von diesem Fürsten kommt.

1) Zum Lieferanten, Vorsorger oder Vorausschauer s. das Glossar unter -> pourvoyeur.

3) Wörtlich: „besteigend die Länge, die Mittagslinie“

4) Zum Elefanten s.a. Sz 29 und 56;  zum Wolf s.a. Sz 7, 45, 46 und 50 und ->

6) Oder: „Nichts Schlimmeres geschieht diesem Fürsten“.

Anmerkung Der Drache als Bild für die widergöttliche Macht schickt den >Lieferanten<, der

den Menschen das Reich Gottes auf Erden verspricht.  Dass ihn die Vorsehung (Providence)

gesandt habe, ist in der Wortherkunft des pourvoyeur auch mit enthalten, und ebenso die

Vorausschau und Vorsorge, die er sich zur Aufgabe macht.

Die Sonne steht bei N. für den in Christus offenbar gewordenen Gott;  Christus selbst erhält an

einigen Stellen den Namen des Götterboten Merkur.  Dass der prätentiöse >Lieferant< wie die

Sonne zum Zenit, zum höchsten Punkt am Himmel aufsteigen werde, lässt etwas erahnen von

Leidenschaft und Überschwang auf der Feier dieses Mannes.  Er wird sich wie Gott selbst

in Szene setzen.  Viele Christen werden ihn für den >wiedergekommenen Sohn< Gottes halten. 

"Unvergleichlich“ nennt ihn N., die zeitgenössische Wertung reflektierend, denn so hoch wurde

bisher noch niemand von Christen (wie von Juden) erhoben.  Wenige Jahre nach seinem ersten

Auftreten steigt er zum Weltherrscher auf, 1/4 [VIII]. "Ungeheuer" nennt ihn N., weil der Anschein

eines Heilsbringers und sein wirkliches Unwesen so weit aueinanderliegen wie nur möglich,

s.a. unter -> monstre

Der Schlag, den er dann führt, richtet sich gegen >Elefant< und >Wolf<.  Der >Elefant< steht

für eine nach Europa ausgreifende Macht Nordafrikas, Sz 29.  Das Regime des >neuen Weisen<

wird schließlich auch die Orientalen unterwerfen, VH (28).

Der >Wolf< könnte mit dem späteren Befreier Europas vom globalen Regime identisch sein, der

sich zunächst von den Zentren fernhalten muss, d.h. nur aus dem Untergrund wirken kann, Sz 7.

Von einem Schlag gegen ihn spricht auch Sz 45.

 

         Sizain 40 Sechszeiler 40

         Ce qu‘ en vivant le pere n‘ avoit sceu,/ Der zu Lebzeiten den Vater nicht gekannt hat,/

         Il acquerra ou par guerre, ou par feu,/ wird Erwerbungen machen durch Krieg oder Feuer/

         Et combattra la sangsue irritée,/ und wird bekämpfen die Blutsaugerin, die erregte./

         Ou iouyra de son bien paternel/ Dabei wird ihm nützen sein väterliches Gut,/

         Et favory du grand Dieu Eternel,/ und als vom großen Ewigen Gott Begünstigter/

         Aura bien tost sa Province heritée. wird er recht bald seine Statthalterschaft ererbt haben.

3) Mittelfrz. ou darin, in dem (dans le, en le, au)

6) Statt heritée wäre herité korrekt.  Die Provinz darf etwas freier übersetzt werden.

Anmerkung Zur Blutsaugerin s. Sz 21.  Der Mann, der hier gemeint ist, dürfte jener Franzose

sein, der am Ende der alten Erde den Weltherrscher und sein Regime bezwingt [XIV].

 

         Sizain 41 Sechszeiler 41

         Vaisseaux, galleres avec leur estendar,/ Schiffe, Galeeren mit ihrer Standarte/

         S‘ entrebatteront pres du mont Gilbattar,/ werden sich bekämpfen beim Berg Gibraltar./

         Et lors sera fors fait à Pampelonne,/ Und dann wird es (eine) Schandtat in Pamplona geben,/

         Qui pour son bien souffrira mille maux,/ das zu seinem Vorteil viele Übel erdulden wird./

         Par plusieurs fois sustiendra les assaux,/ Mehrere Male wird es den Angriffen standhalten,/

         Mais à la fin unie à la Couronne. aber am Ende vereint sein mit der Krone.

1) Zu Schiffen und Galeeren s. Glossar unter -> nef.

3) fors fait ist wohl nur ein verschriebenes forfait.

Anmerkung Von der zukünftigen Vereinigung der spanischen mit der französischen Krone

spricht 4/5 [XIV].

         Sizain 42 Sechszeiler 42

         La grand Cité où est le premier homme,/ (In) der großen Stadt, wo der erste Mann ist,/

         Bien amplement la ville ie vous nomme,/ recht weitläufig ist die Stadt, die ich euch nenne,/

         Tout en alarme, & le soldat és champs/ (ist) alles alarmiert, und die Soldaten im Feld./

         Par fer & eaue, grandement affligee,/ Durch Schwert und Fluten schwer heimgesucht,/

         Et à la fin, des Francois soulagee,/ und am Ende von den Franzosen gelindert./

         Mais ce fera des six cens & dix ans. Das aber werden die 610er Jahre bringen.

4) Zu den Fluten s. Glossar unter -> deluge.

 

         Sizain 43 Sechszeiler 43

         Le petit coing, Province mutinees,/ Die stille Ecke, Provinzen aufsässig,/

         Par forts Chasteaux de verront dominees./ durch starke Burgen werden sie sich beherrscht sehen./

         Encor un coup par la gent militaire,/ Noch ein Schlag durch das Militär,/

         Dans bref seront fortement assiegez,/ kurz danach werden sie machtvoll belagert werden./

         Mais ils seront d‘ un tres grand soulagez,/ Aber Erleichterung wird ihnen zuteil durch einen sehr

         Qui aura fait entree dans Beaucaire. Großen,/ er Einzug halten wird in Beaucaire.

 

         Sizain 44 Sechszeiler 44

         La belle roze en la France admiree,/ Die schöne Rose, in Frankreich bewundert,/

         D‘ un tres-grand Prince à la fin desiree,/ von einem sehr großen Fürsten am Ende ersehnt,/ (im

         Six cens & dix, lors naistront ses amours/ Jahr) 610 werden dann seine Leidenschaften entfacht sein./

         Cinq ans apres, sera d‘ un grand blessee/ Fünf Jahre später, wird sie von einem Großen verletzt/

         Du trait d‘ Amour, elle sera enlassee,/ durch Liebesverrat. Sie wird umklammert werden,/

         Si à quinze ans du Ciel recoit secours. wenn sie (?) mit fünfzehn Jahren vom Himmel Hilfe erhält.

1) Das -z- ist im Französischen stimmhaft; so dürfte roze wie rose zu lesen sein.

S. dazu  Glossar unter -> rose.

5) Ein v. enlasser gibt es auch mittelfranzösisch nicht; wohl aber gibt es das

gleich lautende v. enlacer umschlingen, umarmen, umklammern.

Anmerkung Die Rose dient N. als Symbol für das >Haupt der Weisheit<, 5/31 [III], als welches

der >wiedergekommene Heiland< seinen Anhängern aus dem christlichen Bereich gelten wird.

Der >sehr große Fürst< wäre dann der letzte Papst, der sich für einen Großen unter seines-

gleichen hält, Sz 1 Vz 2, weil es ihm gelingen werde, mit der Hilfe des neuen Mannes dem

katholischen Christentum zu weltweiter Dominanz zu verhelfen.  Die >Rose< ist von ihm

ausersehen, die Verwirklichung dieses Traums zu ermöglichen, und entfacht folgerichtig seine

„Leidenschaften“, Vz 3, seine „unbändige Liebe“, 8/13 Vz 1 [IV].

Daher wird er >Mutter Kirche< den neuen Mann als >Heiratskandidaten< empfehlen, 10/55 [IV].

Vers 10/91 [IV] zufolge wird er im Jahr 609 dazu offiziell erwählt; die >Heirat< scheint hier im

Jahr darauf stattzufinden.

Schon „fünf Jahre später“ wird dem Vers zufolge die katholische Kirche „verletzt werden

durch Liebesverrat“ und „umklammert“ werden.  Es liegt nahe zu vermuten, dass der

>untreue Ehemann< Verrat wie Umklammerung ins Werk setzt.  Seine Untreue beklagen

denn auch Kleriker in späterer Zeit, 10/73 Vz 4 [VIII].

 

         Sizain 45 Sechszeiler 45

         Du coup de fer, tout le monde estonné/ Über einen Schwertstreich die ganze Welt erstaunt,/

         Par Crocodil estrangement donné,/ durch das Krokodil in außerordentlicher Weise geführt/

         A un bien grand, parent de la sangsue,/ gegen einen recht Großen, Erzeuger der Blutsaugerin./

         Et peu apres sera un autre coup/ Und wenig später wird es einen weiteren Schlag geben/

         De guet à pend, commis contre le loup,/ aus dem Hinterhalt, geführt gegen den Wolf./ Und

         Et de tels faits en verra l‘ issue. was bei solchen Taten herauskommt, wird man sehen.

2) Mittelfrz. adv. estrangement in außerordentlicher Weise (extraordinairement).

Das Krokodil erscheint nur in den Sechszeilern, nämlich in Sz 19, 31 und 35.

3) Zur Blutsaugerin s. Sz 21 und Glossar unter -> sangsue.

5) Zum Wolf s. Glossar unter -> loup.  Er erscheint in Sz 7, 39, 46 und 50.

Anmerkung Als Krokodil, gefährlich >an Land< und mehr noch >im Wasser<, tritt in Sz 19 als der

>wiedergekommene Heiland< ins Bild.  Die >Blutsaugerin< wurde als Allegorie der Demokratie

gedeutet, Sz 21.  Als deren Erzeuger gilt N. sein eigenes Land wegen der Revolution von 1789,

2/39 (Kap.33).  Der Wolf steht wahrscheinlich für den späteren Befreier Europas von der

Bedrückung durch das globale Regime, Sz 39.

 

         Sizain 46 Sechszeiler 46

         Le pourvoyeur mettra tout en desroutte,/ Der Lieferant wird alle in die Flucht schlagen,/

         Sangsue & loup, en mon dire n‘ escoutte/ Blutsaugerin und Wolf hören nicht auf mein Wort./

         Quand Mars sera au signe du Mouton/ Wenn Mars im Zeichen des Schafes sein wird,/

         Ioint à Saturne, & Saturne à la Lune,/ verbunden mit Saturn, und Saturn mit dem Mond,/

         Alors sera ta plus grand infortune,/ dann wird dein größtes Unglück sein./

         Le Soleil lors en exaltation. Die Sonne (ist) dann in Erhöhung.

1) Zum Vorsorger s. Glossar unter -> pourvoyeur und die Sz 16, 38, 39 und 56

3) N.m. mouton Schaf, Hammel, Lamm.

6) N.f. exaltation Überschwang, Erhöhung, Steigerung

Anmerkung Der >Vorsorger< oder >Lieferant< steht für einen Menschen, von dem sich die

Menschheit entscheidende Fortschritte auf dem Weg zum Weltfrieden, wenn nicht gleich das

Gottesreich auf Erden verspricht, Sz 16. 

Schläge gegen demokratisch regierte Länder (>Blutsaugerin<) werden auch in Sz 45 geführt;

der Wolf wird vom >Lieferanten< auch in Sz 39 verfolgt.

In den Vz 3 bis 6 werden scheinbar Gestirnstände angegeben, aber eine sinnbildliche Deutung

trifft eher zu.  Die >Erhöhung der Sonne<, die für den Gott der Christen steht, bedeutet die

Entleerung und Umdeutung der christlichen Lehren in einem bombastischen philosophischen

System, 4/30 Vz 2 [X].  >Mars im Zeichen des Schafes<, des friedlichen und wehrlosen Tieres,

deutet auf die Ächtung des Krieges, 3/36 [VII].  Es soll das Goldene Zeitalter des Friedens,

in dem Mythos zufolge Kronos/Saturn herrscht, aufgerichtet werden.  Diesem Frieden werden

auch die islamisch dominierten Länder im Zeichen des >Mondes< sich anschließen müssen,

weil sie vom globalen Regime unterworfen werden, VH (28).

Daraus werde für die Demokratien ihr „größtes Unglück“ entstehen.  Denn zur Durchsetzung

der >neuen Religion< wird sich das globale Regime der Orientalen bedienen, 9/80 [VIII].

Die aufklärerische Idee, dass nur die Demokratie Gewähr bieten könne für die Freiheit,

ist dann in Frage gestellt, weil die Demokratien sich allein nicht erhalten können, Sz 58.

 

         Sizain 47 Sechszeiler 47

         Le grand d‘ Hongrie, ira dans nacelle,/ Der Große von Ungarn wird (ein) Schifflein besteigen,/

         Le nouveau né, sera guerre nouvelle/ der neu Erschienene.  Es wird einen neuen Krieg geben/

         A son voisin qu‘ il tiendra assiegé,/ gegen seinen Nachbarn, den er belagern wird./

         Et le noireau avec son altesse,/ Und der Dunkle mit seiner Hoheit/

         Ne souffrira, que par trop on le presse,/ wird nur daran leiden, dass man ihn allzu sehr drängt./

         Durant trois ans ses gens tiendra rangé. Innerhalb dreier Jahre hat er seine Leute aufgestellt.

 

         Sizain 48 Sechszeiler 48

         Du vieux Charon on verra le Phoenix,/ Den Phönix des alten Charon wird man sehen,/

         Estre premier & dernier de des fils,/ wie er der erste und letzte von einigen Söhnen ist,/

         Reluire en France, & d‘ un chacun aymable,/ wie er wieder glänzt in Frankreich, von einem jeden

         Regner long temps, avec tous les honneurs/ geliebt,/ ange Zeit regiert, mit allen Ehrungen,/

         Qu‘ auront iamais eu ses predecesseurs,/ die seine Vorgänger jemals werden genossen haben,/

         Dont il rendra sa gloire memorable. unter denen er seinen Ruhm denkwürdig machen wird.

Anmerkung Mit dem Phönix des alten Charon, dem auferstandenen Charon des Mythos, ist

wie in Sz 28 der letzte Papst gemeint.  Der Vers handelt aber nicht von der Wirklichkeit,

sondern davon, wie dieser Sohn seiner Kirche sich die Zukunft der Kirche und seine Rolle darin

erträumt und ausmalt.  Da der Unterschied zwischen Traum und Wirklichkeit in diesem Fall

gewaltig ist, hat der Vers durchgängig ironischen bis sarkastischen Klang. 

Tatsächlich ist er der Letzte in einer sehr langen Reihe, scheint sich aber einen „Ersten“ unter

seinesgleichen zu dünken wegen des >großen Fischfangs<, 7/35 [V], an dessen Erfolg er glaubt.

Sein >Schiff<, die katholische Kirche, könne mit der Hilfe des >wiedergekommenen Heilandes<,

der man sich nur ernstlich versichern müsse, zur weltweit dominierenden Glaubensgemeinschaft

werden. 

Frankreich war einst der Ort, von dem aus es (387 vor Christus) gelang, Rom zu erobern.

Das >Glänzen in Frankreich< steht für die Vorschusslorbeeren, mit denen der letzte Papst sich

ehren und rühmen lässt für sein Projekt, >Rom zu erobern<, d.h. seine Kirche zur ersten und

wichtigsten Glaubensgemeinschaft der ganzen Welt zu machen, 5/49 [V].  Das böse Erwachen

aus diesen Wunschträumen ist mehrfach belegt [V].

In Wahrheit erweist sich der letzte Papst als Fährmann der (geistig) Toten, die keinen lebendigen

Glauben haben, weil sie es sich gefallen lassen, dass der alte Glaube am Ende verboten wird.

 

         Sizain 49 Sechszeiler 49

         Venus & Sol, Iupiter & Mercure/ Venus und Sonne, Jupiter und Merkur/

         Augmenteront le genre de nature/ sie werden die natürliche Beschaffenheit vergrößern./

         Grande alliance en France se fera,/ Großes Bündnis wird in Frankreich zustande kommen,/

         Et du Midy la sangsue de mesme,/ und vom Süden die Blutsaugerin ebenso./

         Le feu esteint par ce remede extreme,/ Das Feuer gelöscht durch dies äußerste Heilmittel,/

         En terre ferme Olivier plantera. auf festen Grund wird (man den) Olivenbaum pflanzen.

Anmerkung Der Ölzweig, den die von Noah ausgesandte Taube bei ihrer Rückkehr im

Schnabel hält, ist wie der Regenbogen ein Zeichen, dass die Sintflut überstanden und Gott

einen neuen Bund mit den Geretteten schließen will.  Der Ölbaum gilt seitdem als Symbol

des Friedens mit Gott. Im Vers will man >den Ölbaum auf festen Grund pflanzen<. d.h. dem

Weltfrieden eine sichere Grundlage geben.  Das >Feuer<, das durch ein „extremes Heilmittel“

gelöscht werden soll, ist daher >das Feuer des Krieges<.  Der Krieg, als bis dahin unausrott-

bare Geißel, soll ein für allemal abgeschafft werden.  Worin aber besteht das „äußerste Heilmittel“?  

Wie soll Frieden mit Gott geschlossen werden?  Wodurch soll es möglich werden, dass der Krieg

von der Erde verbannt wird ?

Merkur dient N. als Chiffre für Jesus Christus, und die Sonne steht für Gott, der sich in Christus

offenbart hat (-> sol, -> Mercure).  Mit Gottes und Christi „natürlicher Beschaffenheit“ dürfte

ihr wahres Wesen gemeint sein, wie es in den Evangelien, den Aufzeichnungen des NT über

Leben und Taten Jesu Christi erfahrbar ist. 

Gesetz der Venus heißt die >Weltfriedensordnung<, 5/53 [VII], und >Jupiter< nennt N. den

>wiedergekommenen Heiland<, nachdem dieser an die Spitze dieses >großen Bündnisses

in Frankreich< gestellt, d.h. mit außerordentlicher weltlicher (politischer) Macht ausgestattet

worden ist (-> Venus, -> Jupiter).  Frankreich aber ist in das Land der Revolution, an die

sich große Hoffnungen auf eine bessere Zukunft knüpften;  so wird >Frankreich< in Sz 48

sinnbildlich zum Ort der großen leeren Heilsversprechen.

Die >Weltfriedensordnung< will das Projekt verwirklichen, das Gottesreich  a u f   E r d e n

zu schaffen.  Zur alten Verheißung vom Gottesreich gehört, dass das Reich Christi  n i c h t

von dieser Welt sei, Johannes Kapitel 18 Vers 36.  Die >Vergrößerung< oder >Erhöhung<

meint das neue Versprechen, das Gottesreich  j e t z t  und  h i e r  a u f  E r d e n  schon

zu verwirklichen.  Möglich soll das werden durch die >neue Religion< [X], die die Lehren der

alten Religionen in ganz neue philosophische Zusammenhänge stellt, sie dadurch >aufbläst<,

8/28 [X], und ihnen einen >anderen Geist< einbläst.  Erst wenn alle Menschen von diesem

>neuen Geist< erfüllt seien und sich zur >neuen Religion< bekennen, werde der große Frieden

mit Gott möglich.  Man >erhöht< die alte Verheißung vom Gottesreich und dadurch vor allem

sich selbst.

 

         Sizain 50 Sechszeiler 50

         Un peu devant ou apres l‘ Angleterre/ Kurz vorher oder nachher (wird) England/

         Par mort de loup, mise aussi bas que terre,/ durch Tod des Wolfes am Boden zerstört (sein),/

         Verra le feu resister contre l‘ eaue,/ wird das Feuer sich wehren sehen gegen die Fluten,/

         Le r‘ alumant avecques telle force/ wenn (man) es wieder entzündet mit solcher Kraft/

         Du sang humain, dessus l‘ humaine escorce/ menschlichen Blutes, auf menschlicher Haut./

         Faute de pain, bondance de cousteau. Mangel an Brot, Überfluss an Messern.

2) Zum Wolf s. Glossar unter -> loup und Sz 7, 39, 45, 46.

6) Zum Mangel an Brot s. Glossar unter -> faim.

 

         Sizain 51 Sechszeiler 51

         La ville qu‘ avoit en ses ans/ Die Stadt, die in ihrer (großen) Zeit/

         Combatu l‘ iniure du temps,/ bekämpft hatte den Zahn der Zeit,/

         Qui de son vainqueur tient la vie,/ erhält ihren Besieger am Leben,/

         Celuy qui premier l‘ a surprist,/ jenen, der sie als erster überrascht hat./  Wenn wenig

         Que peu apres Francois reprist,/ später (der) Franzose (sie) wieder eingenommen hat,/

         Par combats encor affoiblie. (wird) sie durch Schlachten nochmals geschwächt.

1) Mittelfrz. en ses ans in seiner Zeit

2) l‘ injure du temps der Zahn der Zeit

5) Mittelfrz. Konjunktion que auch: weil (parce que), wenn (quand)

                  

         Sizain 52 Sechszeiler 52

         La grand Cité qui n’ a pain à demy,/ Die große Stadt, die kein Brot hat für die Hälfte,/

         Encor un coup la sainct Berthelemy/ noch einen Schlag wird der heilige Bartholomäus/

         Engravera au profond de son ame,/ ihr tief in die Seele einprägen./

         Nismes, Rochelle, Geneve & Montpellier,/ (In) Nîmes, Rochelle, Genf und Montpellier,/

         Castre, Lyon, Mars entrant au Belier,/ Castres, Lyon, wenn Mars den Widder betritt,/  werden

         S‘ entrebatteront le tout pour une Dame. sie sich gegenseitig bekämpfen, alles wegen einer Dame.

3) Altes v. engraver einschneiden, einritzen, eingraben (graver)

6) Mittelfrz. v. s‘ entrebattre rivalisieren (rivaliser)

Anmerkung „Die große Stadt“ ist Paris, das im August 1572 die Christen des katholischen

wie des reformierten Glaubens am „Brot“ der Eucharistie teilhaben lassen will, also auch

die zur Hochzeit der katholischen Prinzessin Marguerite de Valois mit König Heinrich von

Navarra eingeladenen Hugenotten.  Aber als in der Nacht auf den Bartholomäus-Tag (24.8.)

die Reformierten niedergemetzelt werden, ist klar, dass es in dieser Stadt >Brot< nur für

Katholiken gibt.  Das Gemetzel in Paris ist der Startschuss für ähnliche Vorgänge in den

Provinzen.  Gemeinsam ist den genannten Städten, dass die in der gemeinten Zeit von

Reformierten beherrscht werden (Nîmes, Rochelle, Genf, Montpellier) oder eine zahlreiche

reformierte Gemeinde beherbergen (Lyon).  Die „Dame“, die im Hintergrund die Fäden

zieht, ist die Königinwitwe Katharina von Medici. S.a. Kapitel 4.

 

         Sizain 53 Sechszeiler 53

         Plusieurs mourront, avant que Phoenix meure,/ Etliche warden sterben, bevor Phoenix stirbt,/

         Iusques six cens septante ans est sa demeure,/ bis 670 Jahre wird seine Dauer sein./

         Passé quinze ans, vingt & un, trente neuf,/ Fünfzehn Jahre sind vorbei, einundzwanzig,

         Le premier est subiet à maladie,/ neununddreißig,/ der Erste ist erkrankt,/

         Et le second au fer, danger de vie,/ und der Zweite im Krieg bei Lebensgefahr,/

         Au feu à l‘ eau, est subiet trente neuf. mit Feuer, mit Wasser, wird er unterworfen (im Jahr) 39.

2) Zu den Zahlen mit 600 s. das Vorwort zu den Sechszeilern.

           

         Sizain 54 Sechszeiler 54

         Six cens & quinze, vingt, Grande Dame mourra,/ (Im Jahr) 615, 620 wird (eine) große Dame sterben,/

         Et peu apres un fort long temps plouvra,/ Und wenig später wird ein Starker es lange regnen

         Plusieurs pays, Flandres & l‘ Angleterre/ lassen./ tliche Länder, Flandern und England/

         Seront par feu & par fer affligez,/ werden durch Feuer und Schwert heimgesucht werden,/

         De leurs voisins longuement assiegez,/ von ihren Nachbarn lange belagert,/

         Contraints seront de leur faire la guerre. werden sie gezwungen sein, gegen sie Krieg zu führen.

 

         Sizain 55 Sechszeiler 55

         Un peu devant ou apres tres grand Dame/ Kurz vorher oder nachher wird sehr große Dame/

         Son ame au Ciel, & son corps soubs la lame,/ ihre Seele im Himmel, und ihr Leib unter der Klinge,/

         De plusieurs gens regrettee sera,/ von etlichen Leuten bedauert werden./

         Tous ses parens seront en grand‘ tristesse,/ All ihre Verwandten werden in großer Trauer sein,/

         Pleurs & soupirs d‘ une Dame en ieunesse,/ Tränen und Seufzer von einer Dame in ihrer Jugend,/

         Et à deux grands, le dueil delaissera. und für zwei Große wird sie den Kummer aufgeben.

6) Mittelfrz. n.m. deul, dueil, deuil Heimsuchung (affliction), Schmerz durch

den Tod eines lieben Menschen (douleur causée par la mort d‘ un être cher)

Anmerkung Die „sehr große Dame“ könnte die katholische Kirche sein, >Mutter Kirche<, die

größte aller christlichen Glaubensgemeinschaften.  Die >Klinge< erinnert an das >scharfe

Schwert< in Vers 10/65 [XI]. Die >Verwandten< wären die anderen christlichen Kirchen.

Wer die >Dame in ihrer Jugend< und die >zwei Großen< sind, lässt sich erahnen.

 

         Sizain 56 Sechszeiler 56

         Tost l‘ Elephant de toutes parts verra/ Bald wird der Elephant in allen Richtungen/

         Quand pourvoyeur au Griffon se iondra,/ wenn (der) Lieferant sich dem Greif verbindet,/

         Sa ruine proche, & Mars qui touiours gronde/ seinem Zusammenbruch nahe sein, und Mars, der allzeit

         Fera grand faits aupres de terre saincte/ droht,/ vollbringt große Taten rund um das heilige Land,/

         Grands estendars sur la terre & sur l‘ onde,/ große Truppenaufgebote auf Land und Meer,/

         Si la nef a esté de deux freres enceinte. wenn das Schiff mit zwei Brüdern schwanger gewesen ist.

1) Ein Elephant kommt auch vor in den Sz 29 und 39.

2) Der >Lieferant< oder >Vorsorger< kommt auch vor in den Sz 16, 38, 39 und 46.

5) Mittelfrz. n.m. estendard alle Arten von Feldzeichen im Krieg („Standarte“)

Anmerkung Das >Schiff< ist die katholische Kirche, 1/4 [VIII].  In 2/15 [II] ist von >Castor und Pollux

im Schiff< die Rede, und die Deutung ergab, dass Johannes Paul I. (1978) und Johannes Paul II.

(1978-2005) gemeint sind.  Der vorliegende Sechszeiler handelt demnach von der Zeit,

n a c h d e m  die Kirche diese beiden Päpste hervorgebracht hat, also von der Zeit nach 1978.

Mit den „großen Truppenaufgeboten auf Land und Meer rund um das heilige Land“ können der

zweite Golfkrieg  von 1990/91 und der Irak-Krieg (ab 2003) gemeint sein sowie weitere, noch nicht

stattgefundene Kriege, an denen Israel beteiligt wäre.

>Lieferant< nennt N. den vermeintlich >wiedergekommenen Heiland<, weil er die Erwartung

weckt, er werde >liefern<, d.h. dem Gottesreich auf Erden zum Durchbruch verhelfen.

Der >Elefant<, Symbol für Mächte Nordafrikas, und der >Greif< treten schon in Sz 29 als

einander feindliche Mächte auf.  Hier scheint es um Israel zu gehen, von Juden und Christen

gern als >heiliges Land< bezeichnet.  Die politische und militärische Konstellation bleibt

aber unklar, weil nicht sicher ist, dass mit dem >Greif< wirklich Israel gemeint ist, wie im

Kommentar zu Sz 29 vermutet wird.

 

         Sizain 57 Sechszeiler 57

         Peu apres l‘ aliance faite,/ Wenig später das Bündnis geschlossen,/

         Avant solemniser la feste,/ bevor sie feierlich das Fest begehen./

         L‘ Empereur le tout troublera/ Der Kaiser wird alles durcheinanderbringen./

         Et la nouvelle mariee/ Und die neue Braut,/

         Au franc pays par fort liee,/ in freiem Land durch (den) Starken gebunden,/

         Dans peu de temps apres mourra. wird kurze Zeit danach sterben.

2) Mittelfrz. v. solenniser zeremoniell feiern (fêter avec cérémonie)

Anmerkung Das Bündnis ist wie in Sz 1 die Verbindung der katholischen Kirche mit dem

>wiedergekommenen Heiland<.  Er wird die katholische Kirche (>Mutter Kirche<) >zur Braut

nehmen<, 10/55 [IV], sie auf einer großen >Hochzeitsfeier<, 10/52 [IV] an sich binden. Zum

Weltherrscher („Kaiser“) aufgestiegen, 1/4 [VIII], wird er >alles durcheinanderbringen<, nämlich

die >Sprachen< der alten Religionen miteinander vermischen, VH (29), und schließlich etwas

>ganz Neues< daraus machen.  Das wird seiner >Braut< den Tod bringen, 10/65 [XI].

 

         Sizain 58 Sechszeiler 58

         Sangsue en peu de temps mourra,/ Blutsaugerin wird binnen kurzer Zeit sterben,/

         Sa mort bon signe nous donra,/ ihr Tod wird uns ein gutes Zeichen geben/

         Pour l‘ accroissement de la France/ für das Anwachsen Frankreichs./

         Alliances se trouveront/ Bündnisse werden sich finden,/

         Deux grands Royaumes se ioindront,/ zwei große Königreiche werden sich vereinen,/

         Francois aura sur eux puissance. (Ein) Franzose wird Herrscher über sie sein.

1) Zur Blusaugerin s. Glossar unter -> sangsue und die Sz 7, 21, 30, 40, 45, 46, 49 und 50.

6) Franzose ist eigentlich Francais, auch im alten Französisch. Francois ist ein Vorname.

Anmerkung Wenn ein Bourbone über Frankreich als König herrscht, Sz 4, findet die

>Blutsaugerin< ihr Ende.  Das spricht dafür, dass N. diese als Symbol für eine demokratische

Verfassung und die ihr zugrunde liegende Geisteshaltung verwendet, Sz 21.

Das zweite Königreich ist Spanien, 4/5 [XIV].