Übersicht
Abschnitt (1) Widmung
Abschnitt (2) Erweiterung des Wissens
Abschnitt (3) Fortsetzung der Widmung, Tausendzahl
Abschnitt (4) Räumlicher Geltungsbereich - Natürlicher Umsturz
Abschnitt (5) Vierzeiler anstößig - Die Jahre 1585 und 1606
Abschnitt (6) Ankunft am Beginn des siebten Jahrtausends - Vermehrung der Gegner Christi
Abschnitt (7) Bedingungen der Wahrheit prophetischer Rede - Berechnungen im Geist der Minerva
Abschnitt (8) Gottesgnadentum der Könige - Nichts gegen den wahren katholischen Glauben
Abschnitt (9) Biblische Zeittafel (I) - Varro und Eusebius - Verführung der Sarazenen
Abschnitt (10) Notwendigkeit der Verdunklung - Möglichkeit der Deutung
Abschnitt (11) Selbstverständnis - Vision und Wort
VH (1) = Vorrede an Heinrich II., Abschnitt (1)
Text A L‘ INVICTISSIME, TRES-PVISSANT, ET tres Chrestien Henry Roy de France second,
Michel Nostradamus son tres-humble, et tres-obeissant seruiteur et subiect, victoire et felicité.
Dem unbesieglichen, höchst machtvollen und höchst christlichen Heinrich,
dem Zweiten, König von Frankreich, (wünscht) Michel Nostradamus,
sein niedrigster und gehorsamster Diener und Untertan, Sieg und Glückseligkeit.
Anmerkung N. widmet seine Vorrede und damit seine ganze Prophetie dem König seines
Heimatlandes. Der modernen Ohren allzu unterwürfig klingende Gestus der Anrede ist
die seinerzeit einzig akzeptable Art, einem Mitglied des Hochadels, und zumal dem König,
in einer schriftlichen Anrede sich zu nähern. Er entspricht im Übrigen der königstreuen
Gesinnung des Sehers. Mit der Weglassung des „von“ in seinem Namen legt der Seher
die Haltung dessen an den Tag, der sich selbst zurücknimmt, um das, was er zu sagen hat,
um so glaubhafter und bedeutsamer erscheinen zu lassen. Zudem gibt er damit zu erkennen,
dass er der Ansicht ist, sein Verdienst sei nicht ererbt, sondern werde durch seine
Zukunftsschau erst begründet.
VH (2) = Vorrede an Heinrich II., Abschnitt (2)
Text POVR icelle souueraine obseruation que i‘ ay eu, ô tres Chrestien & tres victorieux Roy,
depuis que ma face estant long temps obnubilee (a) se presente au devant de la deité de
vostre maiesté immesuree, depuis en ca I’ ay esté perpetuellement esblouy, ne desistant
de honorer et dignement venerer iceluy iour que premierement deuant icelle ie me presentay
comme à une singuliere maiesté tant humaine. Or cherchant quelque occasion par iceluy
mon pouuoir eusse faict ample extension de cognoissance enuers vostre serenissime maiesté.
Or voyant que oar effects le declairer ne m’ estoit possible, ioinz auec mon singulier desir
de ma tant longue obtenebration (b) & obscurité, estre subitement esclarcie et transportee
au deuant de la face die souuerain oeil, du premier monarque de l’ uniuers,
(a) Altfrz. v. obnubler mit Wolken bedecken, verdunkeln > lat. v. obnubilare verhüllen
(b) Mittellat. n.f. obtenebratio Verdunklung, Verfinsterung
Wegen jener aufmerksamen Beachtung durch den Souverän, die ich erfahren habe,
o allerchristlichster und siegreichster König, präsentiert sich nun mein Angesicht,
nachdem es lange verhüllt war, vor der Göttlichkeit Eurer unermesslichen Majestät.
Seit damals bin ich noch immer geblendet und höre nicht auf, jenen Tag zu ehren
und wahrhaft zu preisen, als ich das erste Mal jenem Mann mich vorstellte, einer ebenso
einzigartigen wie menschlichen Majestät. Seither bin ich auf der Suche nach einer
Gelegenheit, bei der ich mit Zuversicht mein Herz ausschütten und Mut zur Offenheit
an den Tag legen könnte, um so vor Eurer huldreichsten Majestät zu verdeutlichen,
dass meine Fähigkeiten eine große Erweiterung des Wissens erreicht haben.
Mit der Einsicht, dass ich dies durch Effekte nicht deutlich machen könne, war mein
besonderer Wunsch verbunden, aus meiner langen Verborgenheit und Unbekanntheit
mit einem Sprung ins Licht und vor das Auge des Souveräns zu treten, des ersten
Königs der Welt.
Anmerkung Katharina von Medici, die Gattin Heinrichs II., war es gewohnt, vor wichtigen
Entscheidungen Astrologen zu befragen und hat auch die Dienste des Michel N. dafür
in Anspruch genommen, der dafür eigens nach Paris gereist ist. Bei dieser Gelegenheit
ist N. anscheinend auch dem König vorgestellt worden, worauf er sich hier bezieht.
Er hat diesen Mann als verbindlich im Umgang, aber als skeptisch bis ablehnend
gegenüber der Möglichkeit einer Zukunftsschau erlebt, 4/57 (Kap.3). Aber warum will
er dann den König in seine „große Erweiterung des Wissens“ einweihen und „mit einem
Sprung ins Licht und vor das Auge des Souveräns treten“ ? Zu dem Entschluss, den
Rest der Verse zusammen mit der Vorrede zu veröffentlichen, braucht es „Zuversicht“
und „Mut“, was darauf schließen lässt, dass er nach dem Erscheinen des ersten Teils
der Verse im März 1555 Anfeindungen ausgesetzt ist, vielleicht auch verdächtigt wird,
mit finsteren Mächten im Bunde zu sein. Verdächtigungen dieser Art können seinerzeit
gefährlich werden. Indem er die Verse dem König widmet, gibt N. zu verstehen, dass er
das Licht der Öffentlichkeit nicht zu scheuen brauche, und tritt gewissermaßen die Flucht
nach vorn an. Er sucht die Protektion von höchster weltlicher Stelle, um mögliche
Verleumder und Verfolger, die vornehmlich aus dem Umfeld der Kirche zu gewärtigen sind,
abzuschrecken. Die Distanz des Königs gegenüber „Effekten“ bedeutet, dass dieser sich
nicht durch „Beweise“ von übernatürlichen Fähigkeiten überzeugen möchte. Das respektiert
Nostradamus, weil er begreift, dass Zeichen und Wunder der biblisch bezeugten oder
ähnlicher Art alle Adepten, die so etwas in späterer Zeit unternehmen, allzu aufdringlich in
die Nähe Gottes und des Gottessohnes rücken würden. Er möchte es vermeiden, seinem
König zu nahe zu treten, ihn durch offene Inanspruchnahme als Schutzpatron zu nötigen.
VH (3) = Vorrede an Heinrich II., Abschnitt (3)
Text tellement que i‘ ay esté en doute longuement à qui ie viendrois consacrer ces trios Centuries
du restant de mes Propheties, paracheuant la miliade, & après auoir eu longuemêt cogité (a)
d’ vne temeraire audace, ay prins mon addresse envers vostre Majesté, n’ estant pour cela
estôné (b), comme raconte la grauissime (c) aucteur Plutarque en la vie de Lycurgue que voyant
les offers & presens qu’ on faisoit par sacrifices aux temples des dieux immortels d’ iceluy temps,
& à celle fin que l’ on ne s’ estonnast (b) par trop souuent desdictes fraiz & mises ne s’ osoyent
presenter aux temples. Ce nonobstant voyant vostre splendeur Royalle, accompagnee d’ vne
incomparable humanité ay prins mon addresse, non comme aux Rois de Perse, qu’ il n’ estoit
nullement permis d’ aller à eux, ni moins s‘ en approcher.
(a) Mittelfrz. n.f. cogitation Gedanke Überlegung > lat. v. cogitare denken
(b) Mittelfrz. v. estonner u.a. erschüttern, wanken lassen (ébranler), lähmen (paralyser)
(c) Lat Adj. gravis auch: gewichtig, ehrwürdig
So kam es, dass ich lange Zeit im Zweifel war, wem ich die drei Centurien aus dem Rest
meiner Prophezeiungen, welche die Tausendzahl vollenden, widmen solle. Und nachdem
ich lange mit verwegenem Mut nachdachte, habe ich meine Anrede an Eure Majestät
gerichtet, ohne hierin wankend zu werden, wie es der höchst ehrwürdige Autor Plutarch
in seinem „Leben des Lykurg“ von denen erzählt, welche im Angesicht der Weihegaben
und Geschenke, die man in den Tempeln den unsterblichen Göttern jener Zeit als Opfer
brachte, am Ende nicht wankend wurden, obwohl (ihre Gaben) allzu oft zurückgewiesen
wurden als neu und aufwendig, so dass sie es nicht mehr wagten, sie in den Tempeln zu
präsentieren. Davon ungehindert habe ich im Blick auf Euren königlichen Ruhm, der von
einer unvergleichlichen Menschlichkeit begleitet wird, eine Anrede gewählt, wie sie bei
den Königen Persiens keinesfalls erlaubt war, zu denen man nicht vorgelassen wurde
und erst recht keinen freien Zutritt hatte.
Anmerkung Diese weitschweifig geratene Passage bringt gegenüber VH (2) wenig Neues.
Bemerkenswert ist, dass N. angibt, die Zahl Tausend werde mit seinen restlichen
Prophezeiungen (der zusammen mit der VH herausgegebenen achten bis zehnten Centurie)
vollendet. Denn es sind nur 942 Vierzeiler überliefert. Vielleicht ist es kein Zufall, dass die
Zahl der posthum aufgetauchten Sechszeiler gerade 58 beträgt; denn 942 + 58 ergeben
genau 1000.
VH (4) = Vorrede an Heinrich II., Abschnitt (4)
Text Mais à vn tresprudent, à vn tressage Prince I’ ay consacré mes nocturnes & prophetiques
supputations, composes plustost d’ vn naturel instinct, accompagné d vne fureur poetique,
que par reigle de poesie, & la plus part composé & accordé à la calculation Astronomique,
correspondant aux ans, moys & sepmaines des regions, contrees, & de la pluspart des villes
& citez de toute l’ Europe, comprenant de l’ Affrique, et vne partie de l’ Asie par le changemêt
des regions, qui s’ approchant la plus part de tous ces climats (a), & compose d’ vne
naturelle faction (b):
(a) Lat. n.m. clima Witterung, Klima, mittellat. und mittelfrz. auch: Gegend (région)
(b) Mittelfrz. n.f. faction Partei, Verschwörung, Machenschaft, militärische Aktion, > lat. n.f. factio Treiben, Umtriebe, Aufstand, Umsturz
Doch einem sehr klugen, sehr weisen Fürsten habe ich meine nächtlichen prophetischen
Berechnungen gewidmet, die eigentlich von einer natürlichen Eingebung zusammen-
gebracht wurden, begleitet von poetischer Leidenschaft statt von Regeln der Poesie.
Das Meiste wurde verfasst in Übereinstimmung mit astronomischer Berechnung, die
sich auf Jahre, Monate und Wochen von Landschaften und Gegenden bezieht und auf
den größten Teil der Städte und Großstädte ganz Europas, einschließlich jener Afrikas
und eines Teils von Asien [1], wegen dem Wandel der Landschaften, die sich größtenteils
zubewegen auf einen vollständigen Umsturz ihrer Klimate, verursacht durch einen
natürlichen Umsturz [2].
Anmerkung 1 [Räumlicher Geltungsbereich] In welcher Weise „natürliche Eingebung“ und
„astronomische Berechnung“ zusammenwirken, wird hier nicht deutlich. Genauer geschildert
wird das weiter unten in VH (7). Der räumliche Geltungsbereich seiner Prophetie fällt
im Wesentlichen zusammen mit der Ausdehnung der antiken Zivilisation des Mittelmeerraums,
zu der auch Nordafrika und Kleinasien gehören. Allerdings wird dieser Geltungsbereich
in einigen Fällen auch überschritten, s. Exkurs (12).
Anmerkung 2 [Natürlicher Umsturz und Klimawandel] Mit dem „natürlichen Umsturz“ ist
dasselbe gemeint wie in VH (18) mit der „großen Versetzung“ infolge der außerordentlichen
Naturereignisse, die um die Zeit der Jahrtausendwende zu gewärtigen sind, siehe unter Vorschau
[II] Komet, Kataklysmus. Dieser „Umsturz“ werde einen Klimawandel im gesamten räumlichen
Geltungsbereich seiner Prophetie herbeiführen. Aus heutiger Sicht (2010) wird er den bereits
im Gang befindlichen Klimawandel ruckartig beschleunigen.
VH (5) = Vorrede an Heinrich II., Abschnitt (5)
Text respondra quelqu‘ vn qui auroit biê besoin de soy moucher, la rithme estre autant facile,
comme l’ intelligence du sens est difficile. Et pource, ô tres-humanissime Roy, la plus part
des quatrains prophetiques sont tellement scabreux (a), que l’ on n’ y scauroit donner voye
ny moins aucuns interpreter, toutesfois esperant de laisser par escrit les ans, villes, citez,
regions où la plus part aduiendra, mesmes de l’ année 1585, & de l’ annee 1606.
(a) Adj. scabreux gewagt, heikel, anstößig > lat. n.f. scabies Krätze, Juckreiz
Jemand, der es freilich nötig hat, sich die Nase zu putzen, wird darauf sagen,
der Rhythmus sei ebenso eingängig wie das Erkennen ihres Sinns schwierig.
Und das kommt daher, o menschlichster König: Der größte Teil der prophetischen
Vierzeiler ist so anstößig [1], dass man keine Hinweise und noch weniger irgendeine
Deutung wird geben können, jedoch erwarten darf, die Jahre, Städte, Großstädte,
Regionen niedergelegt zu finden, in denen das meiste sich ereignen wird, und zwar
in den Jahren 1585 [2] und 1606 [3].
Anmerkung 1 [Vierzeiler anstößig] Auf Erden müssen sich Menschen u.a. die Nase putzen,
und dass die Sterblichen es schwer mit seinen Versen haben würden, war N. klar. Als Grund
für die absichtliche Verdunklung gibt er an, dass der Inhalt der Prophetie, wenn er verstanden
würde, Anstoß erregen, mindestens als „heikel“ (scabreux) empfunden werden würde.
Aber inwiefern heikel oder anstößig ? Nostradamus kündigt, verklausuliert zwar, aber doch
deutlich genug, den Fürsten ihren Sturz aus der Herrschaft an, VH (12), und den Kirchen
ihren Niedergang bis hin zur Zerstörung, VH (23). Das muss seinerzeit noch ganz unglaublich
geklungen haben und kann dem, der es nicht gleich als Unsinn abtat, schon Anlass zu Unruhe
oder auch Empörung gewesen sein. Die Zerstörung der von ihm gegebenen Ordnung werde
Gott nicht zulassen; wer Anderes behaupte, sei selbst ein Aufwiegler und Feind aller weltlichen
und geistlichen Ordnung. Dass N. genau das mit der Anstößigkeit seiner Texte meint, ergibt
sich aus den beiden Jahreszahlen, die er erwähnt.
Anmerkung 2 [1585] Im Jahr 1585 wird in Frankreich das Ende der Dynastie der Valois ein-
geläutet, jenes Königshauses, dem N. als Astrologe und Seher verbunden ist und dessen
Oberhaupt er seine Verse zuvor gewidmet hat. Heinrich von Navarra, der 1584 an die erste
Stelle der Thronfolge gerückt ist, wird im Juli 1585 unter dem Druck der katholischen Liga von
der Thronfolge ausgeschlossen. In dem >Krieg der drei Heinriche<, der darauf beginnt, wird
der kinderlose König Heinrich III. 1589 umgebracht. Damit ist die Königssippe der Valois
ausgestorben. Anschließend erkämpft sich der Hugenotte Heinrich von Navarra den Thron.
Das ist zwar noch nicht der Sturz des Adels aus der Herrschaft, doch N. fremdelt angesichts
dieser Entwicklung, 6/2 (Kap.12). Er erkennt im Untergang der Valois, der einem >Ketzer<
auf den Thron verhilft, einen Markstein auf dem Weg in den Sturz der alten Ordnung. Hätte er
nun den Hinweis auf das Jahr 1585 so verdeutlicht, wäre man in Paris nicht erbaut gewesen
und hätte Anstoß genommen.
Anmerkung 3 [1606] N. erkennt im Jahr 1606 den Ausgangspunkt des langsamen, aber um so
tiefer greifenden Niedergangs seiner Kirche (der katholischen), ihrer weltlichen Macht wie auch
ihrer geistlichen Autorität. Er spricht in VH (34) von einer „Verfolgung der Kirche“, die 1606
einsetzen werde; was er genau meint, wird dort erklärt. Aus den dortigen Konstellationsangaben
ergibt sich eindeutig, dass das Jahr 1606 der christlichen Zeitrechnung gemeint ist. Das gilt
dann auch für das im gleichen Atemzug genannte Jahr 1585.
VH (6) = Vorrede an Heinrich II., Abschnitt (6)
Text accommencant depuis le temps present, qui est le 14. de Mars, 1557,
& passant outre bien loing iusques à l’ aduenement (a) qui sera apres au commencement
du septiesme millenaire profondement supputé, tât que mon calcul astronomique
& autre scauoirs’ a peu estêdre, où les adversaries de Iesus Christ & de son eglise,
commenceront plus fort de pulluler.
(a) Mittelfrz. n.m. avenement Durchbruch (évenement décisif qui permet le success);
Ankunft, Eintreffen (arrivée); Erhebung zu höchster Würde (élévation a une dignité
suprême) > lat. adventus Ankunft
Beginnend in der Gegenwart, dem 14. März 1557, schreite ich weit darüber hinaus
fort bis zu der Ankunft, die nachher stattfinden wird am Beginn des siebten
Jahrtausends [1] - gründlich berechnet, soweit mein astronomisches Kalkül und
anderes Wissen sich darauf erstrecken konnten - , wenn die Gegner Jesu Christi
und seiner Kirche beginnen werden, sich sehr stark zu vermehren [2].
Anmerkung 1 [Siebtes Jahrtausend/ Ankunft an dessen Beginn] Der Kirchenlehrer
Augustin stellte sich, auf ältere Tradition zurückgreifend, den Ablauf der Weltgeschichte,
den sieben Schöpfungstagen des Buches Genesis entsprechend, in sieben aufeinander
folgenden Weltaltern vor:
(1) Von der Erschaffung Adams bis zur Sintflut,
(2) von der Sintflut bis Abraham,
(3) von Abraham bis zu König David,
(4) von David bis zur Babylonischen Gefangenschaft,
(5) von dieser bis zur Fleischwerdung Christi (Inkarnation),
(6) von der Inkarnation bis zur Wiederkunft Christi (Parusie),
(7) von der Parusie bis zum Ende eines tausendjähriges Reiches Gottes.
(8) Erst das achte Weltalter werde dann eine Zeit der ewigen Ruhe sein
(Kurt Flasch, Augustin, Einführung in sein Denken, 2. Aufl. 1994, S. 377).
Diese Spekulationen Augustins schienen N. geeignet zu sein, seine Einblicke zu ordnen.
Wenn er hier vom Beginn des siebten >Jahrtausends< spricht, an dessen Beginn eine nicht
näher erklärte >Ankunft< stehen werde, passt das zu Augustins Geschichtsschema, dem-
zufolge das siebte Weltalter mit der Wiederkunft Christi beginnt. Unmittelbar nach dem
Kataklysmus tritt in der Schau des N. jener Mann auf den Plan, von dem sich mancher
Christ erhoffen wird, in seiner Person erfülle sich die Verheißung Christi, dass er dereinst
wiederkommen, erneut auf Erden >ankommen< werde, Matthäus Kapitel 24 Vers 30.
„Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit ihm, dann wird er
sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen. Und alle Völker werden vor ihm zusammen-
gerufen werden und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den
Böcken scheidet. Er wird die Schafe zu seiner Rechten versammeln, die Böcke aber zur
Linken“, Matthäus Kapitel 25 Vers 31 und 32. Dadurch wird es möglich, anschließend ein
>tausendjähriges< Reich Gottes auf Erden zu errichten. Aber die Frage ist, ob diese mit
der Parusie verbundene Erwartung dann wirklich erfüllt wird.
Aus Vers 1/69 [VII] geht hervor, dass es die Zeit nach Krieg und Kataklysmus sein wird,
in der die Menschheit sich für läuterungsbereit (bußfertig) und fähig halten wird, eine neue
Weltordnung des Friedens [Vorschau VII] zu schaffen, die sich dann aber als instabil und
zerstörerisch erweist. Diese Zeit nennt N. hier >siebtes Jahrtausend<.
Vom siebten Schöpfungstag heißt es in der Genesis Kapitel 2, dass Gott an diesem Tag
seine Werke vollendete und von ihnen ruhte, und dass er diesen Tag segnete und ihn heiligte.
Demnach werden die Bewohner des >siebten Jahrtausends< meinen, ihre Zeit sei von Gott in
besonderer Weise gesegnet. Sie werden hoffen, nun endlich zur Ruhe zu kommen, d.h. den
geschichtlichen Wandel in einer vollkommenen, Gott wohlgefälligen Ordnung abzuschließen.
Es könnte das >siebte Jahrtausend< wohl auch eine Zeit sein, deren Bewohner wirklich von
Gott gesegnet und vollendet s i n d und nicht nur hoffen und meinen, es zu sein. Doch
dagegen steht, dass erst der a c h t e Seraph den >Fall Babylons< verkündet, 8/69 [VII],
und damit den Untergang aller weltlichen Mächte anzeigt, die dem Reich Gottes im Wege
stehen. Erst der a c h t e Schöpfungstag eröffnet eine neue Weltwoche und bringt die
neue Erde und den neuen Himmel, deren Vision die Offenbarung des Johannes Kapitel 21
enthält. Erst im a c h t e n Jahrtausend werde Gottes Wille erfüllt sein, schreibt N. in der
Vorrede an seinen Sohn César.
Anmerkung 2 [Starke Vermehrung der Gegner Christi] Die sehr starke Vermehrung der Gegner
Christi und seiner Kirche am Beginn des >siebten Jahrtausends< meint zunächst den Vormarsch
des militanten Islam auf Europa, der in der Zeit nach dem Kataklysmus einsetzt, 6/54 [VI].
Hauptsächlich aber ist mit der sehr starken Vermehrung der Gegner Christi gemeint, dass der
>neue Heilige<, 10/30 [IX], der in dieser Zeit auf Erden >angekommen< ist und sich später als
Gegner Christi und seiner Kirche entpuppt, eine sehr zahlreiche Anhängerschaft haben wird,
8/21 Vz 3.
VH (7) = Vorrede an Heinrich II., Abschnitt (7)
Text le tout a esté compose & calculé en iours & heures d’ election & bien disposees,
& le plus iustemêt qu’ il ma esté possible. Et le tout Minerva libera, & non invita (a),
supputant presque autant des aduentures du temps auenir, comme des ages passez,
comprenât de present, & de ce que par le cours du temps par toutes regiôs l’ on cognoistra
aduenir tout ainsi nommement comme il est escrit, n’ y meslant rien de superflu,
combine que l’ on dit: Quod de futuris non est determinate omnino veritas.
Il est bien vray, Sire, que pour mon naturel instinct qui m’ a esté donné par mes auites (b)
ne cuidant presage, adioustant & accordant iceluy naturel instinct auec ma longue
supputation vny, & vuidant (c) l’ ame, l’ esprit, & le courage de toute cure, solicitude,
& fascherie par repos & tranquilité de l’ esprit. Le tout accordé & presage I vne partie
tripode aeneo. Combien qu’ ils sont plusieurs qui m’ attribuent ce qu’ est autant à moy,
comme de ce que n’ est rien, Dieu seul eternel, qui est prescrutateur (d) des humains
courages (e) pie, iuste, & misericordieux, en est le vray iuge,
(a) Horaz sagt in der Ars poetica Vz 385, dass der Dichter seine Kräfte kennen und
nichts versuchen solle, was über sein handwerkliches Können geht und damit eine
Sünde „wider den Willen“ oder „gegen den Geist der Minerva“ (Minerva invita) wäre.
(b) Lat. Adj. avitus großväterlich, großmütterlich, hier als Substantiv gebraucht.
(c) Mittelfrz. v. vuider ausräumen (dégarnir), entleeren (rendre vide)
(d) prescrutateur ist gebildet nach dem lat. n.m. scrutator Untersucher
(e) Mittelfrz. n.f. courage Neigungen der Seele (dispositions de l‘ âme), Neigungen
des Geistes (dispositions de l‘ esprit)
Und das Ganze ist zusammengestellt und berechnet worden in ausgewählten Tagen
und Stunden, die dazu geeignet waren, und zwar so sachgerecht, wie ich es nur konnte.
Das Ganze geschah mit Hilfe der freien Minerva, nicht gegen ihren Geist [4], und ich
berechnete fast ebenso viele Begebenheiten der Zukunft wie vergangener Zeiten,
eingeschlossen der Gegenwart, von denen man im Lauf der Zeit in allen Gegenden
erkennen wird, dass es bis ins Einzelne so kommt, wie es geschrieben steht.
Ich mischte nichts Überflüssiges hinein, wie oft man auch deshalb das Sprichwort zitieren
mag: >Was die Zukunft angeht, so gibt es keine gänzlich feststehende Wahrheit< [2].
Das ist wohl wahr, Sire, und ich behaupte nicht, allein aus der natürlichen Eingebung,
die ich von meinen Vorfahren [1] ererbt habe, zu weissagen, sondern ordne natürliche
Eingebungen und bringe sie in Übereinstimmung mit ausführlichen und systematischen
Berechnungen [4], und lasse dabei Seele, Geist und Wille ganz frei werden von Sorge,
Bemühung und Ärger, um Ruhe und Stille zu finden für den Geist. Alles ist in Über-
einstimmung gebracht und vorhergesagt zum Teil mit Hilfe des ehernen Dreifußes.
Mag es auch viele geben, die urteilen, es komme nur aus mir selbst, so ist daran doch
nichts [3], (das weiß) der alleinige ewige Gott, der die Herzen der Menschen prüft,
treu, gerecht und barmherzig und dadurch der wahre Richter ist.
Anmerkung 1 [Vorfahren] Seine Vorfahren väterlicherseits gehörten zu den in Spanien
ansässigen, dort von der Inquisition bedrohten und zur Emigration genötigten Juden; sein
Vater war bereits zum christlichen Glauben übergetreten. Bei den Vorfahren mütterlicherseits,
zu denen ebenfalls spanische Juden gehörten, war des Öfteren eine Neigung und Begabung
für Mathematik und Astronomie aufgefallen, welche N. teilt. Das prophetische Charisma
ist dagegen wohl nicht vererbbar. Ihren biographischen Ursprung scheint diese Begabung
erst in der tiefen Existenzkrise gehabt zu haben, die der angesehene und erfolgreiche,
in Agen niedergelassene Arzt erleidet, als er den Tod seiner Familie an einer unbekannten
Seuche (wahrscheinlich der Diphtherie) nicht verhindern kann und daraufhin mehrere Jahre
als fahrender Arzt umherzieht.
Anmerkung 2 [Eherner Dreifuß/ Quod de futuris] Die antike, von Apoll begabte Priesterin
in Delphi saß auf einem ehernen Dreifuß, wenn sie sich in Trance versetzen ließ. Die Echtheit
ihrer Teilhabe an dem Willen und der Weisheit Apolls war so unumstritten, wie die zutreffende
Deutung ihrer Schicksalssprüche schwierig war. Indem er die Hilfe des „ehernen Dreifußes“
beansprucht, behauptet N., wie die Pythia über echte prophetische Begabung zu verfügen,
deren Resultate ähnlich schwer zu deuten seien. Da es Menschenmaß übersteigt, etwas
Sicheres über die Zukunft sagen zu können, gehört es zur Logik von Orakeln aller Art, dass
sich ihr Urheber auf die Teilhabe an göttlichem Wissen berufen muss. Dass Menschen von
der Zukunft nichts Bestimmtes wissen können, weil das Zukünftige selbst nicht feststehe,
will die lateinische Sentenz besagen, und N. stimmt dem bei. Doch gilt dieser Satz nur für
die Menschen, während Gott die Zukunft kennt und einweihen kann, wen er will. Nur wenn
das geschieht, k a n n es überhaupt Seher und Propheten geben; aber dann s o l l es sie
von Gott her auch geben.
Anmerkung 3 [Bedingungen der Wahrheit prophetischer Rede] Zu den Bedingungen dafür,
dass Prophetie sich bewahrheitet, gehört die Redlichkeit des Berufenen. N. schildert, dass
er nur seine besten Stunden auf die Ausübung seines Charismas verwendet habe und das
Organ für die ihm gewährten Einblicke möglichst rein gehalten habe. Er habe seine Begabung
nicht für eigene Zwecke missbraucht, sie nicht durch „Hineinmischen von Überflüssigem“
verunreinigt. Für die Glaubwürdigkeit dieser Behauptung spricht, dass die Vorhersagen
überwiegend Zeiten jenseits seiner eigenen Lebensfrist betreffen, VH (8).
Doch Redlichkeit ist eine notwendige, aber keineswegs hinreichende Bedingung dafür, dass
das Erschaute auch wirklich eintrifft. Als wahr kann sich das Wort von Sehern und Propheten
nur erweisen, wenn es göttlicher und nicht dämonischer Herkunft ist. Es müsste den Blick-
winkel dessen erkennbar werden lassen, der im äußeren Geschehen dessen heilsgeschicht-
liche Bedeutung erklären kann. Nur manchmal ist bei N. diese >Perspektive des Himmels<
erkennbar, so etwa, wenn Vers 1/96 [VIII] andeutet, warum der Himmel ein verbrecherisches
Regime gewähren lässt.
Schließlich gehört zu den Bedingungen dafür, dass Prophetie sich erfüllt, auch immer, dass
jene ihr keinen Glauben schenken, deren politisches Wirken und Handeln sie widerspiegelt.
Denn würde Prophetie ernst genommen, hätte sie Einfluss auf das Geschehen, und das
Prophezeite würde nicht mehr notwendig eintreffen. Prophetie ist nur möglich, weil die
Mehrzahl der Menschen sie für unglaubwürdig hält. So ist die Existenz von Propheten an
sich schon ein Zeichen für die Gottferne der Menschen. Und umgekehrt: Wer den Willen
Gottes ernst nimmt, braucht keine Prophetie.
Anmerkung 4 [Berechnungen im Geist der Minerva] Seine „langwierigen Berechnungen“
hätten N. in die Gefahr des Hineinmischens von Eigenem, Überflüssigem gebracht,
verstünde man darunter das Wahrsagen von Ereignissen aus den Konstellationen der
Wandelsterne in der Manier der Astrologen. Dies tut er aber gerade nicht, fordert vielmehr
in seinem Bannspruch am Ende der sechsten Centurie die Astrologen auf, sich von seinem
Werk fernzuhalten, weil es mit Astrologie nichts zu tun habe. Seine Berechnungen
entspringen dem Wunsch, die Vielzahl seiner Intuitionen zeitlich zu ordnen, sie auf die
Reihe zu bringen. Möglich wurden diese Berechnungen erst dadurch, dass die Visionen
zumeist „begleitet (waren) vom Lauf der Gestirne“, VH (11), die Planeten und ihre Positionen
mithin Bestandteil seiner Schau waren. Dadurch konnte er in Anwendung seiner astronomi-
schen Kenntnisse anschließend nachrechnen, wann die erschauten Vorgänge eintreffen
würden. Beispiele für diese „judizielle Astrologie“, wie er sie in der Vorrede an Sohn César
nennt, bieten Vers 1/51 (Kap.35) und VH (33); dort verweist die Angabe von Gestirnständen
auf die Jahre 1940/41 sowie 1606. In diesem Zusammenhang will der Hinweis auf Minerva,
zuständig für Handwerker, Künstler und Dichter, besagen, dass N. seine Fähigkeiten nicht
überzogen habe, sich nichts angemaßt habe, was über sein astronomisches Wissen und
Können gegangen und daher eine Sünde gegen der Geist der Minerva gewesen wäre.
VH (8) = Vorrede an Heinrich II., Abschnitt (8)
Text auquel ie prie qu‘ il me vueille defendre de calomnie des meschans, qui voudroyent
Aussi calomnieusement s‘ enquerir pour quelle cause tous vos antiquissimes progeniteurs
Rois de France ont guery des escrouelles, & des autres nations ont guery de la morsure
des serpens les autres ont eu certain instinct de l’ art diuinatrice, & d’ autres cas qui seroyent
long ici à racompter. Ce nonobstant ceux à qui malignité de l’ esprit malin ne sera comprins
par le cours du temps après la terrenne mienne extinction, plus sera mon escrit qu’ a mon
viuant, ce pendant si à ma supputation des ages ie faillois ou ne pourroit estre selon la
volonté d’ aucuns. Plaira à vostre plus qu’ imperialle maiesté me pardoner, protestant (a)
deuant Dieu & ses Saincts, que ie ne pretend de mettre rien quelconque par escrit en
la presente epistre, qui soit contre la vray foy Catholique, conferant les calculations
Astronomiques, iouxte mon sauoir:
(a) Mittelfrz. v. protester schwören (jurer), feierlich erklären (déclarer de manière solennelle)
Zu ihm bete ich, er möge mich verteidigen gegen die Verleumdung der Boshaften,
die in ähnlich verleumderischer Absicht nach der Ursache dafür suchen würden,
dass alle Eure ältesten Vorfahren als Könige von Frankreich die Skrofulose heilten [1],
die Könige anderer Nationen Schlangenbisse heilten und wieder andere eine gewisse
natürliche Begabung zur Weissagung hatten und noch anderes mehr, was hier zu
weit führen würde. Trotz jener, deren Boshaftigkeit schlimmer nicht sein kann,
wird meine Schrift im Laufe der Zeit besser verstanden, nach meinem irdischen
Verlöschen mehr gelten als zu meinen Lebzeiten [2], auch wenn ich bei meiner
Berechnung der Zeitalter Fehler gemacht haben oder es nicht verstanden haben
sollte, den Wünschen der Leser zu entsprechen. Es wird Eurer mehr als kaiserlichen
Majestät gefallen, mir zu vergeben, wenn ich vor Gott und den Heiligen feierlich
erkläre, im vorliegenden Brief nichts zu Papier zu bringen, was gegen den wahren
katholischen Glauben wäre [3], auch nicht, indem ich astronomische Berechnungen
mit meinem Wissen verbinde.
Anmerkung 1 [Heilungswunder] Skrofulose war der Name einer früher nicht heilbaren
Tuberkulose der Haut und der Lymphknoten. Daran Erkrankte zu berühren, um sie zu heilen,
gehörte zum Krönungszeremoniell der Könige von Frankreich, zuletzt unternommen im Juni
1775 von Ludwig XVI., der ein redlicher, im Glauben fester Mann war. Heilkraft wurde dem
frisch gesalbten und gekrönten König als Zeichen der ihm zuteil gewordenen Gnade Gottes
zugetraut. Wer „in verleumderischer Absicht“ die Zeremonie und ihren Erfolg untersucht,
will das Gottesgnadentum der Könige und den Glauben in Frage stellen. Es seien Ungläubige
und Gegner der Monarchie, die so etwas tun, und das seien dieselben, die ihn angriffen,
behauptet N. Er bezichtigt die Gegner seiner Prophetie pauschal des Unglaubens. Das ist
ein grober Keil, von dem man aber annehmen darf, dass er auf ebenso grobe Klötze gesetzt
wird. N. lebt in einer Zeit, die auch wegen der noch frischen Spaltung der Kirche zu
Differenzierungen in Glaubensfragen nicht aufgelegt ist. Man meint bei jeder Einzelfrage,
dass es immer gleich um das Ganze gehe. Die gelassene Haltung des Kaisers Karl V.,
für den 1530 „die Lutherischen nicht so teuflisch sind, wie vorgebracht ist“, wird damals
selten eingenommen. Es bleibt festzuhalten, dass N. sich als Anhänger des Gottesgnadentums
der Könige erweist.
Anmerkung 2 [Nachruhm] Nach seinem Tode werde man ihn besser begreifen und höher
schätzen als zu Lebzeiten. Bis heute (2010) ist das nicht wirklich eingetroffen, denn das
Jahrmarktsgeschrei, auch in den Bücherregalen, missbraucht den Namen Nostradamus nur
als willkommene Projektionsfläche, hat aber mit einer Wertschätzung der Inhalte nichts
zu tun. Aber Vers 3/94 [XV] zufolge werde auch erst nach fünfhundert Jahren (von 1555
an gerechnet), also in der Mitte des 21. Jahrhunderts, schlagartig jene Klarheit herrschen,
von der N. sich seinen Nachruhm erwartet.
Anmerkung 3 [Kirchengehorsam] Dass er manche Wünsche, die man an die Zukunft knüpfen
mag, wohl nicht erfüllen könne, ist blanke Ironie, die Gegnern pauschal Befangenheit im
Subjektiven unterstellt, während es doch klar sein müsse, dass er als Seher in der Nachfolge
seiner biblischen Vorgänger, VH (11), niemandem außer Gott zu gefallen den Wunsch haben
könne. Die Angriffe gegen seine Gegner dienen wie die ausgiebigen Bibelzitate, VH (9), dem
einen Ziel, sich als kirchentreuer, über allen Verdacht erhabener Katholik zu präsentieren.
Wenn diese Selbstdarstellung hier demonstrativ überzogen wirkt und sicher auch dem Schutz
der eigenen Person dient, sollte das aber nicht zu falschen Schlüssen verleiten. Man kann
bei der Lektüre seiner Schrift auch an manch unscheinbarem Ort, z.B. in 1/31 (Kap.38),
den Eindruck gewinnen, dass des Sehers Kirchentreue und sein Christenglaube echt gewesen
sind. Neben der Zukunft seines Heimatlandes ist es vor allem das Schicksal der katholischen
Kirche, das ihm am Herzen liegt und seinem visionären Blick die Richtung vorgibt.
VH (9) = Vorrede an Heinrich II., Abschnitt (9)
Text car l‘ espace de temps de nos premiers, qui nous ont precedez sont tels, me remettant
sous la correction du plus sain iuegment, que le premier home Adam fut deuant Noé
nuiron mille deux cens quarante deux ans, ne computant les temps par la supputation
des Gentils (a), comme a mis par escrit Varron: mais tant seulement selon les sacrees
Escriptures, & selon la foinlesse de mon esprit, en mes calculations Astronomiques.
Apres Noe, de luy & de l vniuersel deluge, vint Abraham enuiron mille huictante ans,
lequel a esté souuerain Astrologue (b), selon aucuns, il inuêta (c) premier les lettres Chaldeiques:
apres vint Moyse enuiron cinq cens quinze ou seize ans, & entre le temps de David & Moyse,
ont esté cinq sens quinze ans là enuiron. Puis après entre le temps de Dauid, & le temps
de nostre sauueur & redempteur Jesus Christ, nay de l’ vnique Vierge, ont esté (selon aucuns
Cronographes) mille trois cens cinquâte ans: pourra obiecter quelqu’ vn ceste supputatiô n’ ester
veritable, pource qu’ elle differe à celle d’ Eusebe. Et depuis le temps de l’ humaine redemption
iusques à la seduction detestable des Sarrazins, s’ ont esté six cens & un an, là enuiron.
(a) Lat. n.m. gentiles Heiden
(b) Das mittellat. n.f. astrologie bedeutete die Lehre von den Bewegungen der Wandelsterne,
aber auch die Deutung ihres Einflusses auf das Schicksal der Menschen, und ein
astrologue widmete sich Beidem.
(c) Mittelfrz. inventer finden, entdecken (découvir), auf etwas kommen (s‘ aviser de)
Es waren nämlich die Zeiträume unserer ersten Vorfahren die folgenden, wobei ich mich
der Korrektur durch das heiligste Urteil unterstelle. Der erste Mensch Adam lebte etwa
1242 Jahre vor Noah, dies aber nicht nach der Rechnung der Heiden, wie sie Varro [1]
niedergelegt hat, sondern ganz allein nach der Heiligen Schrift und, sofern es die
Schwäche meines Geistes zulässt, nach meinen astronomischen Berechnungen.
Etwa 1080 Jahre nach Noah und der weltweiten Sintflut kam Abraham, welcher ein
sehr fähiger Astronom war und Manchen zufolge die chaldäische Wissenschaft entdeckte.
Etwa 515 oder 516 Jahre später kam Moses, und zwischen der Zeit Davids und Moses‘
sind es etwa 570 Jahre gewesen. Dann lagen zwischen der Zeit Davids und der Zeit
unseres Retters und Erlösers Jesus Christus, geboren von der einzigartigen Jungfrau,
1350 Jahre (einigen Chronisten zufolge). Man wird einwenden können, diese Rechnung
sei nicht wahrheitsgetreu, weil sie von jener des Eusebius [1] abweiche. Und von der
Zeit der Erlösung des Menschen bis zur abscheulichen Verführung der Sarazenen [2]
sind ungefähr 621 Jahre vergangen.
Anmerkung 1 [Varro und Eusebius] N. ergänzt in diesem Abschnitt sein soeben vorgetragenes
Bekenntnis der Treue zum katholischen Glauben, indem er sich der obersten Autorität Roms
in Auslegungsfragen unterwirft. Wie das einleitende Wörtchen „nämlich“ zeigt, will er
vor allem seinen Gehorsam unterstreichen, indem er die Berechnung der seit der Erschaffung
Adams verstrichenen Zeit ausschließlich auf die Heilige Schrift gründet und einen Gelehrten
wie den Römer Marcus Terrentius Varro wegen seines Heidentums demonstrativ ablehnt.
In Wahrheit geht es ihm also gar nicht um diese Zählung selbst, erkennbar auch daran,
dass der Einwand, seine Rechnung weiche ab von der des Eusebius, zwar vorgetragen,
aber nicht diskutiert wird. Eusebius von Cäsarea (263 bis 339) verfasste eine Geschichte
der Kirche und dient hier wohl lediglich dazu, Gelehrsamkeit durchblicken zu lassen.
Anmerkung 2 [Verführung der Sarazenen] Im Mittelalter heißen die nach Europa und Afrika
vorgedrungen Muslime auch Sarazenen, womit hier die Anhänger Mohammeds überhaupt
gemeint sind. Dessen Auszug aus dem im Polytheismus (Vielgötterei) befangenen Mekka
markiert den Beginn der islamischen Zeitrechnung. Indem er die Begründung des Islam als
abscheuliche Verführung bezeichnet, will N. erneut seine stramm katholische Gesinnung
unter Beweis stellen und gibt sich als Kind seiner Zeit zu erkennen, die erst mühsam und
unter viel Blutvergießen lernt, wie das Wort Toleranz buchstabiert wird.
VH (10) = Vorrede an Heinrich II., Abschnitt (10)
Text depuis en ca l‘ on peut facilement colliger (a) quel temps sont passez, si la miêne supputation
n’ est bonne & valable par toutes nations, pource que le tout a esté calculé par le cours
celeste, par association d’ esmotiô infuse à certaines heures delaissees par l’ esmotion
de mes antiques progeniteurs: Mais l’ iniure (b) du temps, ô serenissime Roy, requiert
que tels secrets euenemens ne soyent manifestez, que par aenigmatique sentence,
n’ ayant qu’ vn seul sens, & unique intelligence (c), sans y auoir rien mis d’ ambigue
n’ amphibologique calculation.
(a) Mittelfrz. v. colliger zusammenstellen, versammeln (rassembler)
(b) Mittelfrz. n.f. injure Ungerechtigkeit (injustice), Unrecht (tort), Kränkung (offense)
(c) Mittelfrz. n.f. intelligence auch: Sinn, Verständnis von Worten (compréhension)
Von da an kann man nach all dem leicht zusammenstellen, welche Zeiten verstrichen sind,
ob meine Berechnung gut und für alle Nationen gültig ist [1], der zufolge alles nach dem
Lauf der Sterne kalkuliert ist zusammen mit der Erschütterung, die in bestimmten
einsamen Stunden in mich einströmte, jener Erschütterung, mit der schon meine antiken
Vorgänger geschlagen waren. Doch die Ungerechtigkeit der Zeit, o huldreichster König,
erfordert, dass solche geheimen Ereignisse nicht anders als in rätselhaftem Sinnspruch
zum Vorschein kommen [2], der aber nur einen einzigen Sinn und eine einzige Bedeutung
und nichts von zweideutiger oder doppelsinniger Berechnung hat [3].
Anmerkung 1 [Biblische Autorität ?] Die dem heiligen Malachias de 12. Jahrhunderts
zugeschriebene Päpsteweissagung geht auf einen Autor des 16. Jahrhunderts zurück,
der prophetisch begabt war, aber meinte, seine Sinnsprüche um >bereits erfüllte Weis-
sagungen< nach rückwärts ergänzen zu sollen, um ihre Glaubwürdigkeit zu heben
(Troll, Hildebrand, Die Papstweissagug des heiligen Malachias, Aschaffenburg1985).
Wenn N. von seiner Aufreihung der Lebensalter biblischer Gestalten, VH (9), sagt,
dass sich seine Berechnungen auch auf diese vergangenen Zeiten bezögen, will er ihnen
damit die gediegene Glaubwürdigkeit der Bibel verleihen und versucht wie der Autor
der Päpsteweissagung, die eigene Autorität mit einem zweifelhaften Mittel zu stärken.
Denn auch wenn die Jahresangaben korrekt im Sinne der Übereinstimmung mit Rom
abgezählt sein sollten, und auch wenn er aus Konstellationen vergangener Zeiten seine
Schlüsse gezogen haben mag, folgt daraus nicht, dass seine „astronomischen Kalkula-
tionen“ auch für die Zukunft richtig sind. Um die Glaubwürdigkeit seiner Schrift zu
erhöhen, müsste der Autor der Centurien i n h a l t l i c h e Parallelen zwischen
eigener und biblische Prophetie aufzeigen. Sein Versuch, sich das Gewand biblischer
Autorität anzulegen, ist also untauglich und zudem überflüssig. N. ist selbst Urheber
einer Prophetie, der für die Anerkennung des von ihm >Gehobenen< nichts tun kann,
vielmehr genug daran tut, es zur Verfügung zu stellen. Einer Bestätigung von außen
bedarf seine Prophetie nicht; sie kann eintreffen, o b w o h l seine Beweisführung
unter Berufung auf die Bibel scheitert. Mit ihr zugleich scheitert die Meinung über
Nostradamus als dem begnadeten Hochstapler, der alle Welt narrt, denn sein Vesruch,
die eigene mit fremder Autorität zu stärken, ist durchschaubarer als der seines Zeit-
genossen, und er geht dabei weniger dreist zu Werk als der Autor der Päpsteweissagung.
Anmerkung 2 [Notwendigkeit der Verdunklung] Dass es Neider und Denunzianten gab, war
e i n Grund, sich unklar und mehrdeutig auszudrücken, denn im Klartext hätte Manches
Anstoß erregt bei den weltlichen Herren und mehr noch bei der kirchlichen Autorität, VH (5).
Das bedauert N. als eine Ungerechtigkeit seiner Zeit und scheint dabei zu verkennen,
dass echte Propheten und Seher zu allen Zeiten unbeliebt sind, weil sie Dinge sagen, die
die meisten Menschen nicht hören wollen.
Anmerkung 3 [Möglichkeit der Deutung] Trotz des Anscheins der vielfachen Deutungsmöglichkeit
haben seine Texte aber nur jeweils e i n e n Sinn, sagt N. unmissverständlich. Das Gemeinte ist
Eines und nicht beliebiges Vieles. Das teilt hier der Autor, des das ja wissen muss, ganz klar mit.
Wer also der Ansicht ist, es könne und dürfe jeder das Gewünschte herauslesen, ist im Irrtum
(sollte aber nicht bedrängt werden, von seinem Irrtum zu lassen). Wer dagegen vermutet,
es müsse neben den vielen Fehldeutungen doch auch eine jeweils zutreffende Deutung geben,
die zu dem wirklich Gemeinten vordringt, darf sich ermuntert fühlen, auf die Suche zu gehen.
VH (11) = Vorrede an Heinrich II., Abschnitt (11)
Text mais plustost sous obnubilee (a) obscurité par vne naturelle infusion approchant à la sentence
d’ vn des mille & deux Prophetes, qui ont esté depuis la creation du monde, iouxte la supputation
& Chronique punique de Ioel, Effundam spiritum meum super omnem carnem & prophetabunt
filii vestri, & filiae vestrae. Mais telle prophetie procedoit de la bouche du sainct Esprit,
qui estoit la souueraine puissance eternelle, adioncte auec la celeste à d’ aucuns de ce nombre
ont predit de grandes & esmerueillables aduentures: May en cest endroict ie ne m’ attribue
nullement tel tiltre. ja (b) à Dieu ne plaise, ie confesse bien que le tout vient de Dieu,
& luy en rends graces, honneurs, & louange immortelle, sans y auoir meslé de la diuination
que prouient à fato (c): mais à Deo, à natura, & la pluspart accompagnee du mouuement du
cours celeste, tellement que voyant comme dans un miroir ardant, comme par vision obnubilee,
les grands euenements tristes, prodigieux, & calamiteuses aduentures qui s’ approchent
par les principaux culteurs.
(a) Altfrz. v. obnubiler mit Wolken bedecken, verdunkeln > lat v. obnubilare verhüllen
(b) Mittelfrz. Adverb ja schon, bereits (déja), sofort, gleich (tout à l‘ heure)
(c) Lat. n.n. fatum Götterspruch, Schicksal, Verhängnis > lat. v. fari sprechen
Nur in nebligem Dunkel bei natürlichem Einfließen nähere ich mich dem, was einer von
tausendundzwei Propheten, die es seit der Erschaffung der Welt gegeben hat, der Zählung
und punischen Chronik [2] zufolge, (nämlich) Joel sagte: „Ich will meinen Geist über alles
Fleisch ausgießen, und es werden weissagen eure Söhne und Töchter." [1] Doch solche
Prophetie ging aus dem Munde des Heiligen Geistes hervor, der unumschränkten, ewigen
Macht, und mit dieser himmlischen (Macht) verbunden, haben einige aus der Zahl
(der Propheten) große und wunderbare Begebenheiten vorausgesagt. Mir lege ich hier
keinesfalls einen solchen Titel zu [3], das mißfiele Gott sogleich, von dem, ich bekenne es
wohl, alles kommt, dem ich dafür Dank, Ehre und ewiges Lob erweise, und in dessen
Sehergabe ich nichts hineingemischt habe, was von einem Schicksalsspruch herrührt [3].
(Es kommt) vielmehr (alles) von Gott, von der Natur, das Meiste begleitet vom Lauf der
Gestirne derart, dass ich wie durch einen Brennspiegel, wie vernebelten Blicks die
traurigen, ungeheuerlichen Ereignisse und unheilvollen Irrfahrten sehe, die herannahen
durch die fürstlichen Landpfleger [4].
Anmerkung 1 [Joel-Zitat] N. stellt sich hier in die Reihe der alttestamentarischen Propheten.
So wie die wahren Propheten Gottes an dessen Geist, der in sie eingegossen wurde, ihren
Anteil hatten, versteht auch er seine „natürliche Eingebung“ als das „Einfließen“ des Heiligen
Geistes. Das Joel-Zitat dient N. als Beleg dafür, dass immer und überall Seher und Propheten
aufstehen können, die Menschen sich also nicht wundern sollen, wenn das geschieht.
Mancher mag einwenden, dass die Ankündigung Joels durch die Pfingstereignisse, über die
in der Apostelgeschichte Kapitel 2 berichtet wird, schon erfüllt sei. Aber das Joel-Zitat
(Joel Kapitel 3 Vers 1) steht in apokalyptischen Zusammenhang (Joel Kapitel 3 Vers 3 bis 5)
und ist damit zeitlich nicht eingrenzbar, weil die biblische Apokalyptik keine Zeiten angibt.
In den Ereignissen nach der Himmelfahrt Christi erfüllt sich die Ankündigung Joels, ohne
sie geschichtlich auszuschöpfen.
Anmerkung 2 [Punische Chronik] Eine „punische Chronik“, aus der hervorgeht, dass es 1002
Propheten gegeben habe, ist nicht bekannt geworden. Über Nordafrika, wo in der Antike
die Punier siedelten, sind Elemente der morgenländischen Kultur nach Europa gekommen.
Dazu gehören die Märchen von Sindbad dem Seefahrer, von Aladin mit der Wunderlampe und
anderen Gestalten des Orients, die Märchen aus tausendundeiner Nacht. Was er, Nostradamus
zu sagen habe, sei ja vielleicht nur ein weiteres Märchen dieser Art, deutet er an. Ernst meint
er das freilich nicht, sondern will mit hintergründigem Humor zu verstehen geben, dass wohl
Mancher seine Schrift so auffassen und abtun werde. Er lacht über die, die über ihn lachen,
weil er weiß, dass er keine Märchen erzählt.
Anmerkung 3 [Vision und Wort] Dass N. nicht Prophet genannt werden will, ist mehr als
eine Geste der Demut. Im Unterschied zu den biblischen Propheten, deren Rede seiner
Meinung nach unmittelbar „aus dem Munde des Heiligen Geistes hervorging“, ist e r
n i c h t unmittelbar Sprachrohr Gottes, gibt keine Verbalinspiration (Worteingebung)
wieder. Er versteht sich vielmehr ausdrücklich als Seher mit Visionen, die in Worte erst
übersetzt werden müssen, wenn davon etwas mitgeteilt werden soll. Dabei habe er in die
Sehergabe nichts hineingemischt, „was von einem Schicksalsspruch herrührt“. Was von
einem Schicksalsspruch herrührt, ist dessen Deutung, die mehr oder weniger sicher ist
und daher bezweifelt werden kann. Er scheint ernstlich zu behaupten, bei der Übertragung
seiner Visionen in Worte die Visionen nicht gedeutet zu haben, >nur das wiederzugeben, was
er gesehen hat<. Er meint damit nur, dass er ehrlich war, nichts aus Eigenem hinzugefügt
oder gefälscht hat, gibt damit aber auch zu erkennen, dass er den Prozess, der aus Visionen
Vierzeiler werden ließ, nicht reflektiert hat. Wer Bilder beschreibt und ihren Inhalt wiedergibt,
kann gar nicht anders, als sie zu deuten, d.h. sie einzuordnen in sein vorher schon vorhan-
denes Wissen und seine schon gemachten Erfahrungen. So hat auch N. sich seine Visionen
vor dem Hintergrund seiner persönlichen Bildung, seines geschichtlichen Wissens, seiner
politischen Überzeugung und vor allem seines Glaubens zu erklären versucht, ohne sich
und seinen Lesern darüber sonderlich Rechenschaft zu geben. Um so mehr muss, wer die
Texte begreifen will, die Erklärungsmuster herausarbeiten, die dem Seher sein Weltbild
nahelegte.
Anmerkung 4 [Fürstliche Landpfleger] Dazu geben die „fürstlichen Landpfleger“ gleich
Gelegenheit. Im Gleichnis vom Weizen und vom Unkraut (Matthäus Kapitel 13 Vers 24 bis 30,
36 bis 43) bedeutet >der Acker< die Welt. „Der gute Same, das sind die Kinder des Reichs,
und das Unkraut sind die Kinder des Bösen“. Dieser >Acker< ist verflucht um der Sünde
Adams willen (Genesis Kapitel 3 Vers 17), und doch kann in ihm das Himmelreich gleich
einem verborgenen Schatz gefunden werden (Matthäus Kapitel 13 Vers 44). Die Fürsten
sind von Gott eingesetzt, VH (8), den Acker zu bestellen, dem Unkraut zu wehren, das
Wachstum des Weizens zu fördern. Damit haben sie eine dienende Aufgabe wie ihre
Untertanen. Schießt nun allerorten, bei Herrschern wie Dienern, die Herrschlust ins Kraut,
werden deshalb am Ende gar die Herrscher von ihrem Acker vertrieben, werden die
„traurigen Ereignisse“ heraufbeschworen, die der Seher erschaute und deren Grund er sich
so erklärt. In der Vertreibung der Könige und Fürsten von der Spitze der gottgewollten
Ordnung erkennt N. die >Urkatastrophe< der modernen Gesellschaften. Belege dafür bieten
im historischen Teil die Kapitel 8 und 9 für die britische, das Kapitel 17 für die französische
und das Kapitel 33 für die spanische Monarchie. Die lange >Unfruchtbarkeit< der Christenheit,
von der gleich anschließend die Rede ist, weist in die gleiche Richtung.