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Kapitel 40 Die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg

Wer hier Aussagen erwartet über die Geschichte der westeuro-

päischen Demokratien der Nachkriegszeit, wenigstens der franzö-

sischen, hat sich getäuscht.  Die Demokratien gelten dem proven-

calischen Seher als Fehlentwicklung, die sein Interesse allen-

falls finden, wenn es mit ihnen bergab geht, wie sich am Beispiel

der spanischen Demokratie der Jahre nach 1931 zeigt (Kap.33).

N. ist mit der Offenbarung des Johannes vertraut, und daher ist

ihm der Gedanke an ein Endgericht nicht fremd.  Vielleicht des-

halb hat er gesehen, dass die Siegermächte des zweiten Welt-

krieges Gericht halten würden über die Anstifter von Krieg und

Holokaust. Darüber hinaus hat er die gewandelten internationalen

Kräfteverhältnisse wahrgenommen.  Die kriegsbedingten militäri-

schen Entwicklungen würden zwei Supermächte auf den Plan führen. 

Gleichzeitig mit deren Aufstieg sieht er die Vorherrschaft

Europas über die Welt schwinden, exemplarisch erkennbar am

Niedergang der britischen Weltmacht.

 

            Auszug aus dem historischen Inhaltsverzeichnis

            02/80   Die Großen des Nazi-Regimes entkommen nicht

            02/38   Das Nürnberger Tribunal und das Ende der Anti-Hitler-Koalition

            02/89   Vom Joch des Krieges befreit: Zwei „große Meister“

            10/100 Das britische Empire endet nach über dreihundert Jahren

            08/97   Rückzug der Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich

 

        Die Großen des Nazi-Regimes entkommen nicht

 

02/80    Apres conflit du lesé eloquence/

Par peu de temps se tramme faint repos:/

Point l’ on n’ admet les grands à deliverance:/

Les ennemis sont remis à propos. (1555)

 

Nach (dem) Konflikt der gekränkten Beredsamkeit/

schleicht sich für kurze Zeit eine täuschende Ruhepause ein./

Keinesfalls gestattet man den Großen Befreiung,/

den Feinden werden sie überlassen sein zur rechten Zeit.

 

1) Korrekt wäre de la lesée eloquence, aber das passt nicht ins Versmaß.

2) se tramer qch. heimlich etwas vorbereiten (préparer secrètement qch.)

4) Zu den Feinden s. Glossar unter -> ennemi.

à propos angemessen, zur rechten Zeit

 

 

Vz 1 [Konflikt der gekränkten Beredsamkeit]  Gemeint ist der zweite Weltkrieg und seine

propagandistische Vorbereitung und Begleitung durch das Nazi-Regime.  Die Kränkung der

Deutschen durch den Verlust des ersten Weltkrieges und das Friedensdiktat von Versailles wird

propagandistisch genutzt zur Vorbereitung eines Revisionskrieges.  Hitler selbst gibt mit seinen

Reden dafür das beste Beispiel.  Lange vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten wird die

Dolchstoßlegende verbreitet, der zufolge landesverräterische Politiker den deutschen, >im Felde

unbesiegten< Truppen in den Rücken gefallen seien.

 

„In Ranküne und Ehrgeiz enttäuschter Landsknechte, zu denen eine jüngere

Generation aufblickte wie zu tragischen Helden, steckt eine tiefe Pfahlwurzel der

LTI (lingua tertii Imperii = Sprache des Dritten Reiches, d. Verf.).“

 

               Viktor Klemperer, LTI, Leipzig 1975, S. 39/40

Vz 3 [Große nicht befreit …]  Manche der großen Nazis, z.B. Göring, haben sich, als das Kriegs-

ende näherkommt, eingebildet, ungeschoren davonkommen, gar Hitler beerben zu können. 

Daraus wird nichts, vielmehr werden die „Großen“, soweit man ihrer habhaft werden kann,

verhaftet und zur Verantwortung gezogen.

Vz 2 [für kurze Zeit unechte Ruhepause]  Angesichts des sicheren Sieges sieht das alliierte

Militär von standrechtlichen Maßnahmen ab.  Die kurze Ruhepause ist die Zeit von der Kapitula-

tion am 8. Mai 1945 bis zum Potsdamer Abkommen vom 2.8.1945, demgemäß die Alliierten

einen internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg einrichteten.  Vor diesem Sondergericht

wird im Oktober 1945 Anklage gegen 24 Hauptangeklagte erhoben.  Aber auch niedriger

gestellte Personen, z.B. Wachmannschaften von Konzentrationslagern, müssen sich vor Militär-

gerichten verantworten.

Vz 4 [… den Feinden überlassen]  Es ist das  d e u t s c h e  Volk der „gekränkten Beredsamkeit“

ausgesetzt gewesen, und es geschieht im besiegten  D e u t s c h l a n d, dass eine Pause bis

zur gerichtlichen Verfolgung der Täter eintritt.  Der ganze Vers nimmt die deutsche Perspektive

ein, für die die Alliierten bis Kriegsende „Feinde“ sind, denen danach das Führungspersonal des

Dritten Reiches zur Aburteilung überlassen ist.

 

 

        Das Nürnberger Tribunal und das Ende der Anti-Hitler-Koalition

 

02/38    Des condemnés sera (!) fait vn grand nombre/

Quand les monarques seront conciliés:/

Mais a (!) l’ vn d’ eux viendra si malencombre/

Que guerres (!) ensemble ne seront raliés. (1555)

 

Eine große Zahl von Verurteilten wird es geben;/

wenn die Monarchen sich verständigt haben werden.

Aber von einem von ihnen wird ein so übles Hindernis ausgehen,/

dass sie, (in) Kriegen beisammen, nicht (mehr) vereint sein werden.

 

3) Mittelfrz n.f. malencontre üble Begegnung (mauvaise rencontre), mittelfrz. n.m.

encombre schwierige Lage (embarras), Hindernis (obstacle)

4) guerres könnte ein verschriebenes gueres sein.  Dann müsste man übersetzen:

„dass sie, kaum beisammen, nicht (mehr) vereint sein werden“.

 

 

Vz 2 [Monarchen]  Im Juli 1945 konferierten in Potsdam die Siegermächte, vertreten durch US-

Präsident Truman, den britischen Premier Churchill und den sowjetischen Regierungschef Stalin. 

Die Großen Drei, wie sie damals genannt werden, treten auch in 1/31 (Kap.38) als gekrönte

Häupter ins Bild.  Als Entscheidungsträger der Siegermächte haben sie Aufgaben, die in

früheren Zeiten den Monarchen oblagen.

Vz 2/1 [Verständigung/ große Zahl von Verurteilten]  Einig ist man sich darin, dass Deutschland

demilitarisiert werden müsse und dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen seien. 

Daraufhin tagt ab Oktober 1945 ein internationaler Militärgerichtshof, das Nürnberger Tribunal. 

Dort werden die 24 Haupttäter und in Folgeprozessen 177 weitere Personen verurteilt.  Auch

auf der Ebene der Besatzungszonen gibt es Verfahren vor Militärgerichten, in der amerikani-

schen Zone allein etwa 950000 Prozesse.

Vz 3/4 [einer stört das Einvernehmen]  An den gegensätzlichen Standpunkten, besonders über

die polnischen Grenzen und deutsche Reparationsleistungen drohte die Potsdamer Konferenz

zu scheitern.  Es zeichnet sich ab, dass die „große Allianz“ (Churchill) der drei Mächte mit dem

Sieg über Deutschland erschöpft ist und nicht weiter bestehen werde.  Der „eine“, von dem das

„üble Hindernis“ ausging, ist für N. sicherlich Stalin, der Herrscher des religionsfeindlichen

kommunistischen Machtbereichs.

 

„No sooner had Germany capitulated than American-Russian relations again

began quickly to deteriorate.  The shift was sharp and rapid, as if history desired

to demonstrate that the alliance of the Big Three had been a purely wartime

combination.”

 

                David J. Dallin, The Big Three, New Haven 1945, S. 266

 

 

        Vom Joch des Krieges befreit: Zwei „große Meister" 

 

02/89    Du iou (!) seront demis les deux grâds maistres/

Leur grand pouvoir se verra augmenté:/

La terre sera en ses haults estres:/

Au sanguinaire le nombre racompté.

 

Vom Joch werden befreit sein die beiden großen Meister,/

ihre Macht wird sichtbar gesteigert sein./

Die neue Erde wird ihre hohe Zeit erleben,/

vom Blutrünstigen wird die Zahl berichtet.

                   

1) Mittelfrz. n.m. jou Joch (joug).  Spätere Textausgaben haben

meist jour anstelle des iou des Urtextes.

2) V. se voir  sichtbar sein (être apparent, visible)

3) Mittelfrz. n.m. estre u.a. Zustand (état), Verhältnisse (conditions)

4) Mittelfrz. Präp. -> bedeutete auch: von (de), gegen (contre)

 

 

Vz 1 [Vom Joch befreit …]  Das Joch, von dem „die beiden großen Meister“ befreit sind, ist das

Joch des Krieges.  Damit ist die mit dem Niederringen Hitlerdeutschlands verbundene Last

gemeint, deren Hauptteil die Sowjet-Union und die USA getragen haben.  Davon befreit ist die

Sowjet-Union am 9.5.1945, der dort seitdem als Tag des Sieges begangen wird.  Als am

10.8.1945 Japan kapituliert, haben auch die USA das Kriegsjoch abgeschüttelt.

Vz 1 [… die beiden großen Gebieter]  Ihre militärische Stärke im zweiten Weltkrieg und danach

hat den USA und der Sowjet-Union die Dominanz ihrer jeweiligen politischen Sphäre gesichert. 

Sie werden daher nach 1945 von den Zeitgenossen Supermächte genannt.  Diesen Sachverhalt

hat N. in einfacher Sprache erfasst.  Wer einwendet, er hätte das moderne Wort superpuissance

wählen müssen, um als Seher glaubwürdig zu sein, will ohne Nachdenken auskommen.

Vz 2 [ihre Macht sichtbar gesteigert]  Der Machtzuwachs der Supermächte beruht auf der während

des Krieges zur Abschüttlung des Jochs geschaffenen Atombombe, über die seit 1951 auch die

Sowjet-Union verfügt.  Das charakteristische Bild ihres Einsatzes, der sogenannte Atompilz, wird,

durch Massenmedien verbreitet, „sichtbar“.

Vz 4 [Zahl vom Blutrünstigen]  Zu den Neuigkeiten nach Kriegsende gehört die „Zahl“ der Opfer,

die erstens der Krieg und zweitens der Völkermord an den Juden gefordert hat.  Die Deutschen

müssen erkennen, dass sie einem „Blutrünstigen“ gefolgt sind, den N. auch in Vers 9/76 (Kap.38)

so bezeichnet.

Vz 3 [Neue Erde erlebt hohe Zeit]  Die „neue Erde“ ist der zu Lebzeiten des Sehers neue Erdteil

Amerika, der noch in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts >Neue Welt< heißt bzw.

le Nouveau Monde.  Ihr sagt N. für die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg beste Verhältnisse,

eine hohe Zeit voraus, was zwar sehr allgemein gehalten ist, aber zutrifft.  Die USA werden zur

Führungsmacht des Westens und erleben nach 1945 die Zeit ihrer höchsten Machtentfaltung

und Attraktivität.

 

 

        Das britische Empire endet nach über dreihundert Jahren

 

10/100  Le grand Empire sera par Angleterre,/

Le pempotam des ans plus de trois cens:/

Grandes copies passer par mer & terre,/

Les Lusitains n‘ en seront pas contens. (1568)

 

Das große Weltreich wird (errichtet) sein durch England,/

den Flüsse-Aussender von mehr als dreihundert Jahren./

Zahlreiche Truppen ziehen über Meer und Land,/

die Portugiesen werden damit nicht zufrieden sein.

 

2) Im Kunstwort pempotam stecken das griechische v. pempein schicken

und n.m. potamos Fluss. „Le pempotam“ ist wörtlich der Flüsse-Aussender,

3) Lat. n.f.pl. copiae Truppen

4) Die römische Provinz Lusitania lag im Westen der iberischen Halbinsel.

 

 

Vz 1/2 [Weltreich/ England/ pempotam]  Das Kunstwort „pempotam“ steht im Kontext aus

England und Weltreich für ein Land, das >Ströme aussendet<.  Gemeint sind Ströme von

Menschen, nämlich „zahlreiche Truppen“, also Marine wie aber auch Handelsschiffe.  Gemeint

ist England in der Zeit, als es ein Weltreich erworben hat und unterhält.

Vz 4 [Portugiesen nicht zufrieden]  Seit dem britischen Sieg über die spanische Armada von 1588

sitzt Spanien auf dem absteigenden Ast.  Im 17. Jahrhundert greifen Niederländer und Briten viele

der überseeischen Niederlassungen der Iberer an.  Portugal verliert während der Personal-Union

der Krone mit Spanien (1580-1640) u.a. Ceylon, den Norden Brasiliens, ebenso Java und die

Molukken.  Nach mehreren Seekriegen gegen Holland (1652ff, 1665ff, 1672ff) werden die Briten

zur dominierenden Seemacht.

Vz 2 [mehr als dreihundert Jahre]  Die größte Ausdehnung erreicht das britische Weltreich nach

1918, als Großbritannien einen Teil der ehemals deutschen Kolonien übernehmen kann und ihm

vom Völkerbund noch Mandatsgebiete übertragen werden.  Aber die sogenannten Dominions,

Kanada, Australien und Südafrika treten bereits als eigene Staaten in Erscheinung.  Die Um-

wandlung des Empire in den lockeren Bund des Commonwealth of Nations ist bereits im Gang. 

Mit der Unabhängigkeit Indiens beginnen sich dann auch die ehemaligen Kolonien von Groß-

britannien zu lösen.  Wegen der Unzufriedenheit der Portugiesen kann man den Beginn der

„mehr als dreihundert Jahre“ auf das Jahr 1588 festlegen und das Ende auf die Zeit nach dem

zweiten Weltkrieg, wofür auch der folgende Vers spricht.

 

 

        Rückzug der Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich

 

08/97    Aux fins du VAR changer le pompotans,/

Pres du riuage les trois beaux enfans naistre,/

Ruyne au peuple par aage competans/

Regne au pays changer plus voir croistre. (1566)

 

Auf den Gebieten des VAR wandelt sich der Pompotans,/

in Ufernähe werden die drei schönen Kinder geboren./

Zerrüttung dem Volk in heiratsfähigem Alter,/

Herrschaft im Land wandelt sich, es wachsen zu sehen.

 

1) Lat. n.f.pl. fines ein von Grenzen umschlossenes Gebiet.

Die Deutung der VAR auf die Unie Arabe Republique scheitert nicht

am männlichen Artikel, da sich N. auch beim Genus Freiheiten erlaubt.

3) Mittelfrz. Wendung age competans heiratsfähiges Alter -> mariage

 

 

Vz 1 [pompotans ...]  Dieses Kunstwort steht wie der „pempotam“ in 10/100 (s.o.) für Groß-

britannien in der Zeit, da es die Weltmeere beherrscht und ein gewaltiges Kolonialreich

aufbaut.  Drin steckt die römische pompa, der Triumphzug nach einem Sieg, und potare trinken. 

Ein pempotam, ein Flüsse-Aussender kolonisiert die Welt;  ein pompotans berauscht sich an

Triumphen.

Vz 1 [… wandelt sich auf den Gebieten des VAR]  Der „Wandel“ findet statt „auf den Gebieten

des VAR“, mit der die Vereinigte Arabische Republik, die Unie Arabe Republique gemeint ist,

die vom ägyptischen Präsidenten Nasser 1958 ausgerufen wird.  Sie umfasst Ägypten, Syrien

und den Jemen.  Schon 1956 ist es um den Suezkanal, der international ist, zum Konflikt ge-

kommen, in dem sich Ägypten gegen die alten Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich

stellt.  Er endet für die beiden Großmächte mit einer Niederlage.  Der „Wandel“ ist demnach als

Machtverlust zu verstehen.

 

„Einen tiefen Einschnitt in der Geschichte des britischen Weltreichs bedeutete

1956 die Suezkrise, als Großbritannien und Frankreich nach der Verstaat-

lichung der Suezgesellschaft durch Ägypten militärisch intervenierte,

sich jedoch dem Druck der USA und der UdSSR beugen mußte.  Damit war

der Abstieg Großbritanniens von einer Weltmacht zu einer Macht zweiter

Ordnung unübersehbar geworden.“

 

                Brockhaus Enzyklopädie, 20. Auflage 1996-1999, Band 3, S. 735 

Vz 2 [in Ufernähe drei schöne Kinder geboren]  Darin können mit Allgeier (1987) die drei Mittel-

meer-Anrainerstaaten Marokko, Algerien und Tunesien erkannt werden.  Marokko und Tunesien

werden 1956, Algerien 1962 von Frankreich unabhängig, also zur selben Zeit, als der Niedergang

des britischen Empire in der Suezkrise sichtbar wird.  Die Maghreb-Staaten erleben einen

Wandel im gleichen Sinne, dem des Rückzugs der alten Kolonialmächte.

Vz 3/4  Die zweite Vershälfte ist noch nicht erfüllt.  Mit dem >heiratsfähigen Alter< ist das Alter

der >Kinder< gemeint.  Wenn >Völker heiraten<, bedeutet das bei N., dass sie einen Monarchen

bekommen, s. Glossar unter mariage.  Das >Wachstum< der Kinder kann einen Machtzuwachs,

aber auch eine territoriale Expansion bedeuten.  Das  k a n n  als Hinweis darauf zu verstehen

sein, dass die einst Kolonisierten nun ihrerseits in Europa so etwas wie Kolonien gründen. 

Vgl. dazu 6/54 Vz 1/2 [VI].