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        Kapitel 32 Zwischenkriegszeit: Hitlers Herkunft und sein Regime

Die Entwurzelung der Deutschen durch die Industrialisierung und

die Auflösung der feudalen Gesellschaftsordnung sowie das

wirtschaftliche Elend als Folge von Krieg und Hyperinflation

setzen einen gesellschaftlichen Gärungsprozess in Gang.  Das

politische Klima der Weimarer Republik ist geprägt von der

Demütigung durch den verlorenen Krieg und das Diktat von

Versailles, das die Kriegsschuld allein den Deutschen zuweist und

ihnen drückende langfristige Reparationen auferlegt.  In dieser

Lage wittern Revolutionäre, Heilsprediger und Rhetoriker unter-

schiedlichster Art ihre Chance.

Hitlers öffentliches Wirken beginnt 1919 in München, als er merkt,

dass seine rhetorische Begabung ihn zum politischen Agitator

befähigt.  Ein erster Höhepunkt seines Wirkens ist der >Marsch

auf die Feldherrnhalle< am 9.11.1923, ein rechtsgerichteter Putsch

gegen die Republik von Weimar.  Das folgende Jahr der Festungshaft

in Landsberg nutzt er, seine Ideensammlung zu sichten und die

Grundgedanken, die >seinen Kampf< bestimmen, schriftlich nieder-

zulegen.  Sein Gemenge aus sozialdarwinistischen, rassistischen

und antisemitischen Ideen verdichtet sich zu einer Ideologie

des germanischen Herrenmenschen, dem der nötige Lebensraum fehle

(systematisch dargestellt bei Carl Améry, Hitler als Vorläufer,

München 1998).

 

            Auszug aus dem historischen Inhaltsverzeichnis

          03/58   Wenn Völker zu spät gekommen sind bei der Aufteilung der Welt,
                      wird ihnen ein >Großer< geboren              

            06/67   Ein hassgelenkter Imperator                                          

            03/76   Die nationalsozialistische Ideologie als neues Heidentum

          05/29   „Freiheit nicht wiedererlangt“:  Das Diktat der Siegermächte
                      wird abgelöst durch die Diktatur Hitlers               

            06/84   Militarisierung der Gesellschaft und ein „großer Hinker“: Minister Goebbels

            02/36   Die Prophetie in Händen des Tyrannen, und ein Räuber in Schwierigkeiten

            09/90   Abkommen und expansive Politik als Vorstufen eines Revanchekrieges 

 

        Wenn Völker >zu spät gekommen< sind bei der Aufteilung der Welt,
                                                        wird ihnen ein >Großer< geboren

  

   03/58    Aupres du Rin des montaignes Noriques/

                    Naistra vn grand de gents trop tart venu,/

                    Qui defendra SAVROME & Pannoniques,/

                    Qu‘ on ne saura qu‘ il sera deuenu. (1555)

 

                    Am Rhein der norischen Berge/ 

                    wird ein Großer geboren werden von zu spät gekommenen

                    Völkern./ Dieser wird Sarmatien und Pannonien verteidigen,/

                    und man wird nicht wissen, was aus ihm geworden ist.

 

 

Vz 1 [Am Rhein der norischen Berge…]  Die antike römische Alpenprovinz namens Noricum

mit der Hauptstadt Iuvavum, heute Salzburg, erstreckte sich im Norden bis hinauf zu Donau und

wurde im Westen durch den Inn begrenzt.  Der Inn gleicht dem Rhein darin, dass er aus den

Schweizer Alpen kommt und sein Unterlauf den Alpenbereich verlässt.  Der „Rhein der norischen

Berge“ ist der Inn, der beim Alpenaustritt mehr Wasser führt als der Rhein.

Vz 2 [… wird ein Großer geboren…]  In Braunau, auf der österreichischen Seite des Inns und auf

dem Gebiet der ehemaligen römischen Provinz Noricum wird am 20.4.1889 Adolf Hitler in klein-

bürgerlichen Verhältnissen geboren.  Wegen der herausgehobenen Machtstellung, die er später

erringt, nennt N. ihn >groß<.  Damit reflektiert er die zeitgenössische, nicht die eigene Wertung.  

Die von ihm wahrgenommene >Größe< ist fast immer die von den jeweiligen Zeitgenossen

herbeigeführte und bejubelte außerordentliche Macht eines Menschen, s. Exkurs (5).

Vz 2 […von zu spät gekommenen Völkern]  Die Deutschen finden viel später als andere europä-

ische Völker, z.B. Briten, Franzosen, Spanier und Niederländer, zur politischen Einheit.  Als dann

1871 eine kleindeutsche Einheit erreicht ist, haben andere Nationen die Welt weitgehend schon

unter sich aufgeteilt.  Fast nur in Afrika gelingt es noch, einige Territorien zu ergattern.  So ge-

winnen am Ende des neunzehnten und am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts viele, darunter

maßgebliche Deutsche den Eindruck, bei der Aufteilung der Welt zu spät und dadurch zu kurz

gekommen zu sein. 

 

„Betrachten wir … die Stellung des Deutschtums auf der Welt, so müssen wir

uns mit blutendem Herzen gestehen, dass die politische Stellung des Deutschen

Reiches in keiner Weise dem Kulturwert des deutschen Volkes und der

wirtschaftlichen Bedeutung des Deutschtums im Auslande entspricht …  Obwohl

die wirtschaftliche Bedeutung des Deutschtums auf der ganzen Erde … eine sehr

bedeutende geworden ist (sic!), können wir uns.. als Weltmacht nirgends zur

Geltung bringen, und nur an wenigen Orten der Erde kann sich das Deutschtum

frei und selbständig entwickeln, nämlich in den wenigen Kolonien, die wir

seinerzeit mit Englands Einverständnis erworben haben und auch heute noch

besitzen. -   Dieser Kolonialbesitz entspricht in keiner Weise weder unserer

Bedeutung als Kulturvolk noch unseren wirtschaftlichen Bedürfnissen, noch der

zahlenmäßigen Größe und Entwicklungsfähigkeit unseres Volkes … 

Wenn wir dagegen die Kolonialreiche Englands, Frankreichs und sogar des kleinen

Belgien betrachten, erkennen wir klar, daß wir bei der Verteilung der Erde nicht

ohne unsere eigene schwere Schuld zu kurz gekommen sind.“

 

General Friedrich von Bernhardi, Die Unvermeidbarkeit des Krieges, 1912, zitiert nach: http://germanhistorydocs.ghi-dc.org

Im Jahr 1890 beginnt nach der Entlassung Bismarcks die Ära der wilhelminischen >Weltpolitik<,

die geprägt ist von dem Ziel, dem Deutschen Reich einen >Platz an der Sonne<, d.h. Weltgeltung

und ein Weltreich zu erringen.  Die „zu spät gekommenen Völker“ sind die Deutschen des zweiten

Kaiserreichs  -  wegen der Rede von den Salzburger Alpen auch die Österreicher, die 1871ff noch

nicht dazugehören, weil der „Große“ erst als solcher erkannt werden und die Zeit für seine Taten

erst reif werden muss.

Vz 3 [Großer verteidigt Sarmatien und Pannonien]  Von der Zeit, in die Hitler hineingeboren wird,

handelt die erste Vershälfte, und die zweite von der Zeit seines Endes  -  eine bei N. nicht seltene

Art des Brückenschlages. Sauromatae oder Sarmatae hießen in der römischen Antike Nomaden-

völker, die den Raum zwischen Weichsel und Wolga bevölkerten.  Östlich an Noricum grenzte

(mit dem Inn als Grenzfluss) die Provinz Pannonia, die ungarische Tiefebene bis zur Donau und

Teile Sloweniens sowie Kroatiens umfasste. Diese Gebiete, die hier für den osteuropäischen

Raum als ganzen stehen, verteidigt die deutsche Wehrmacht in der Endphase des von dem

„Großen“ angezettelten Krieges.

Vz 4 [man wird nicht wissen, was aus ihm geworden ist]  Nach Hitlers Tod gibt es  - nicht nur bei

Parteigängern - noch lange Gerüchte, er habe irgendwohin entfliehen können.  Auch z.B. Stalin

glaubte das.  Genährt werden die Gerüchte, weil die genauen Umstände des Todes und der

Verbleib der Überreste nicht lückenlos und sicher geklärt werden können.  Das gelingt erst in den

1990er Jahren, als die russischen Archive zugänglich werden. N. aber hat gesehen, dass Hitler

nicht überleben würde, er sah, wie „zwei auf dem Pflaster gegrillt werden" - die Leichen Hitlers

und seiner Frau, die nach der Selbsttötung mit Benzin übergossen und abgefackelt werden,

6/65 (Kap.34).

 

 

        Ein hassgelenkter Imperator

 

06/67    Au grand Empire paruiendra tout vn aultre/

Bonté distant plus de felicité:/

Regi par vn issu non loing du peaultre,/

Corruer regnes grand infelicité. (1555)

                   

Zum großen Imperium emporkommen wird ein ganz Anderer,/

von Güte weiter entfernt als vom Glück./

Regiert von einem, (der) herstammt nicht weit vom Strohlager,/

brechen Reiche zusammen, großes Unglück.

 

3) Mittelfrz. n.m. peautre, altfrz. peltre schlechtes Bett, Strohsack

(mauvais lit, grabat)

4) Lat. v. corruere zusammenstürzen

 

 

Vz 1 [großes Imperium]  Der Vers passt auf Napoleon wie auch auf Hitler, etwas besser auf den

Letztgenannten. Empire ist das französische Wort für Kaiserreich.   Napoleon nennt sich Kaiser

und dominiert für für einige Jahre den europäischen Kontinent.   Hitler nennt sich nicht Kaiser,

erwirbt aber 1940ff ebenfalls ein weite Teile Europas umspannendes Imperium.   Von N. wird er

auch „König der Könige“ genannt, 9/90 (s.u.), weil er in den eroberten Gebieten Machthaber von

seinen Gnaden einsetzt.

Vz 3 [Herkunft vom Strohlager]  Beide, Napoleon wie Hitler, sind Emporkömmlinge, Hitler stammt

aus kleinbürgerlichen Verhältnissen.  Mit gleichen Worten wie hier  - hervorgegangen aus einem

Strohlager -   wird in Vers 9/76 (Kap.38) die Herkunft eines Mannes beschrieben, den N. mit Nero

vergleicht.  Und in Vers 9/17 (Kap.40) ist es eindeutig Hitler, der mit Nero verglichen wird.  Nicht

die einfache Herkunft will N. verächtlich machen, sondern den Anspruch auf Herrschaft vor diesem

Hintergrund in Frage stellen.

Vz 2 [von Güte weiter entfernt als vom Glück]  Hitler hat das zweifelhafte Glück, einem Volk anzu-

gehören, das seinen Ungeist und seine Paranoia nicht wahrnehmen will und ihm die Gelegenheit

bietet, seine Ideen in die Tat umzusetzen und dadurch immense Schuld auf sich zu laden.  Durch

die gewaltigen Erfolge der Vorkriegszeit und der ersten Kriegsjahre scheint >der Führer< ein vom

Glück hoch Begünstigter zu sein.  „Von Güte“ aber ist er „weit entfernt“, denn er wird gelenkt von

Groll und Hass, Groll wegen der Demütigung der Deutschen nach dem ersten Weltkrieg, und Hass

auf die Juden als die daran angeblich Schuldigen.

Vz 4 [Reiche brechen zusammen, großes Unglück]  Zu den Nationen, die unter dem Andrang

der Truppen des „Großen“ zusammenbrechen und jahrelang politische Fremdherrschaft erdulden

müssen, gehört auch die Nation des Sehers.  Der „Große“ hat vielen europäischen Ländern

Krieg und damit ungeheures Leid gebracht, auch dem eigenen Volk.

 

 

        Die nationalsozialistische Ideologie als neues Heidentum

 

03/76    En Germanie naistront diuerses sectes,/

S‘ approchans fort de l‘ heureux paganisme,/

Le cueur captive petites receptes,/

Feront retour à payer le vray disme. (1555)

 

In Germanien werden verschiedene Parteien erstehen,/

die sich stark annähern dem glücklichen Heidentum.

Das Herz verführt, und klein die Rezepte,/

kehren sie um, den wahren Zehnten zu zahlen.

 

1) Zum Begriff der Sekte bei N. s. das Glossar unter -> secte.

3) Mittelfrz. n.m. cueur Mut (courage), Ehrgeiz (ambition)

Mittelfrz. v. captiver zwingen (contraindre), verführen (séduire)

Mittelfrz. n.f. recepte Art der Bereitung eines Heilmittels, Verschreibung

(manière de préparer un remède, ordonnance)

 

 

Vz 1 [Germanen]  Kelten nennt N. Menschen, die den christlichen Gehorsam gegenüber der Obrig-

keit aufkündigen, die althergebrachte Ordnung des Königtums zerstören und dadurch Zustände

herbeiführen, die er als vorchristlich kennzeichnen will, s. .  Deutsche, die etwas Vergleich-

bares unternehmen, nennt er Germanen.  Die feudale Gesellschaftsordnung löst sich bei den

Deutschen erst auf in der Folge des verlorenen Ersten Weltkrieges.

Vz 1 [Sekte]  Für Nostradamus‘ Begriff der secte gibt es im modernen Sprachgebrauch kein

genau entsprechendes Wort.  Modern gibt es Sekten nur in der Bedeutung von religiösen Splitter-

gruppen.  Im sechzehnten Jahrhundert sind aber Politik und Religion noch nicht so klar getrennt,

wie sie es heute zu sein scheinen.  Anhänger einer secte sind für Nostradamus Menschen, die

sich vom Katholizismus lossagen und in der Folge auch politisch die hergebrachte Ordnung in

Frage stellen.  Politische Parteien, die ohne die Monarchie auskommen wollen und nicht am

Katholizismus orientiert sind, erfüllen diesen Tatbestand.  Von ihnen gibt es in der Republik von

Weimar nicht wenige.

Vz 2 [Heidentum]  Unter ihnen ragen die Nationalsozialisten heraus, weil für sie die Kennzeich-

nung als neue Form des Heidentums inhaltlich zutrifft.  Manch >einfachem< Menschen bleibt der

Widerspruch zwischen der nationalsozialistischen Ideologie und dem christlichen Glauben nicht

verborgen, doch obere Ränge des Klerus leugnen die Unvereinbarkeit von >nationaler Revolution<

und Christentum ausdrücklich.  N. aber erkennt, dass der deutsche Staat nach 1933 die Kinder

in einem anderen als dem christlichen Geist erziehen lassen werde, 2/24 (Kap.39).  Das Kon-

kordat mit dem Vatikan ändert daran nichts, weil es die Kirche auf den immer enger werdenden

privaten Bereich verweist.

Pfändler wendet ein (Nostradamus, Seine Prophezeiungen, Die Urtexte, Chieming 1996 S. 252),

dass es im Umfeld des Nationalsozialismus neuheidnische Strömungen gegeben habe, diese

aber nur „Randerscheinungen einer komplexen Bewegung“ gewesen seien.  In der Tat werden

die Grabungsfunde auf dem Gebiet des Germanen-Mythos nur zur Garnierung dessen verwendet,

was der Nationalsozialismus den Deutschen serviert:  Die Volksgemeinschaft als höchsten Wert

(„Du bist nichts, dein Volk ist alles“), den Kult eines charismatischen Führers und die Militarisie-

rung der Gesellschaft im Dienst der Vorbereitung eines Revisionskrieges.  In dieser Ideologie ist

das religiöse Motiv der sittlichen Reinheit zur biologistischen Idee der >reinen Rasse< verkehrt

und verkommen.  Der für das Gottesreich Ausersehene ist mutiert zum Herrenmenschen, prä-

destiniert zur Eroberung und Beherrschung eines Weltreichs. Mit der Universalität der christlichen

Liebegebote ist das alles unvereinbar, im geistigen Sinn also durchaus heidnisch.

Vz 4 [Rückkehr zum wahren Zehnten]  Wer >umkehrt, den wahren Zehnten zu zahlen<, kehrt in

den Schoß der katholischen Kirche zurück, nachdem er sich von ihr abgewandt hatte.  Hier

müsste die Zeit nach dem Nationalsozialismus gemeint sein.  Ob man von einer wirklichen

Rückkehr zum christlichen Glauben in der Nachkriegszeit sprechen kann, ist fraglich.  Zutreffend

daran ist, dass die nationalsozialistische Ideologie ausgespielt hat und die Kirchen wieder

ungehindert am öffentlichen Leben teilnehmen können.  Man mag hier auch einwenden, dass

die meisten deutschen Kirchenmitglieder der Jahre nach 1933 ihre Kirche gar nicht verlassen

haben, wie auch Hitler selbst, der bis zum Lebensende der katholischen Kirche pro forma

angehört.  Da aber Nostradamus nicht auf äußere, sondern auf geistige Zugehörigkeit schaute,

ist er nicht zu verstehen, wenn man an falschen Etiketten hängenbleibt.

 

 

        „Freiheit nicht wiedererlangt“:  Das Diktat der Siegermächte
                                                wird abgelöst durch die Diktatur Hitlers
 

 

05/29    La liberté ne sera recouuree,/

L’ occupera noir fier, villain inique:/

Quand la matiere du pont sera ouuree,/

D’ Hister, Venise faschee la republique. (1568)

 

Die Freiheit wird nicht wiedererlangt werden,/

es wird sie an sich reißen (ein) finsterer König, hochmütig,

niederträchtig, ungerecht./ 

Wenn die Sache der Brücke eröffnet ist,/

(wird) wegen Hister, Venedig erzürnt (sein) die Republik.

 

2) Zu noir schwarz s.a. unter -> noir

3) N.m. pont Brücke, Deck (eines Schiffes), Achse (eines Fuhrwerks)

s. dazu auch das Glossar unter pont

4) Lat. Eigenname Hister Unterlauf der Donau, s.a. das Glossar

 

 

Vz 3/4 [Sache der Brücke/ Venedig]  Mit der „Sache der Brücke“ ist hier die sogenannte >Achse

Berlin-Rom< gemeint, die in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts von sich reden macht.  Vor

dem Hintergrund ideologischer Verwandtschaft der beiden faschistischen Regime soll die

>Achse< bedeuten, dass man sich bei der Verfolgung imperialistischer Interessen unterstützen

und eine gemeinsame Haltung im spanischen Bürgerkrieg und gegen die aufstrebende Sowjet-

Union einnehmen werde.  Für diese Deutung spricht, dass im gleichen Satz „Venedig“ erwähnt

wird, wo sich Hitler und Mussolini im Oktober 1936 treffen, am 1.11.36 Zusammenarbeit verein-

baren und erstmals das Wort Achse für das Verhältnis beider Diktaturen zueinander propagan-

distisch verwenden lassen.

Vz 4 [Wegen Hister…]  Hister hieß in römischer Zeit der Unterlauf der Donau.  Vor allem weil

Hister ähnlich klingt wie Hitler, und weil der aus dem Donauraum stammt, 3/58 (s.o.), wird Hister

bei N. zum Decknamen für Hitler.

Vz 4 […Republik erzürnt]  „Die Republik“, die über die Entwicklung im Verhältnis Deutschlands zu

Italien „erzürnt“ ist, ihre Beziehung zu Italien deshalb einfriert und sich an Großbritannien annähert,

ist die französische (dritte) Republik.

Vz 1 [Freiheit nicht wiedererlangt]  Gegen das Diktat der Siegermächte des ersten Weltkrieges

zu kämpfen, hat Hitler versprochen.  Angetreten ist er, das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen

und in diesem Sinn ihre Freiheit wiederherzustellen.  An die Macht gekommen, errichtet er eine

Diktatur, „beschlagnahmt“ die Freiheit seines Volkes.  Die Deutschen tauschen gegen das

Versailler Diktat nicht die Freiheit ein, sondern die Diktatur Hitlers.

Vz 2 [finster, hochmütig, niederträchtig]  Noir schwarz ist zugleich Anagramm von Roi(n) König

und außerdem Kennzeichnung des Gemeinten als Finsterling.  Hitler selbst hält sich für eine

Lichtgestalt und wird von vielen Zeitgenossen auch so gesehen.  Die Juden sind für ihn schuld

am Materialismus, an blutsmäßiger Degeneration, an der Revolution in Russland und am

>Schandfrieden< von 1919; sie verkörpern für ihn das Böse in der Welt. Durch ihre Ver-

nichtung glaubt er den Deutschen und der Welt einen Dienst zu erweisen.  Um seinem Hass

ein Ziel zu geben, hat er das Motiv der sittlichen Reinheit zur >Reinheit des Blutes< verkehrt.

In dem religiösen Wahn von der >arischen Herrenrasse<, denen die >nichtarischen Rassen<

als minderwertig gegenübergestellt werden, gehen Hochmut und Niedertracht eine unlösliche

Verbindung ein.

 

        Militarisierung der Gesellschaft und ein „großer Hinker“: Minister Goebbels

 

06/84   Celuy en Sparthe Claude ne peut regner,/

Il fera tant par voye seductive:/

Que du court, long le fera arraigner,/

Que contre Roy fera sa perspectiue. (1568)

 

Jener in Sparta große Hinker kann nicht regieren,/

(doch) wird er viel bewirken im Wege der Verführung./

Und er wird über kurz oder lang den einspinnen,/

der gegen (den) König seine Perspektive stellt.

 

1) V. claudiquer hinken (boiter), >  lat. v. claudicare hinken, lat. Adj.

claudus lahm, hinkend.  Groß geschrieben, kann mit “großer Lahmer”

oder “großer Hinker“ übersetzt werden.  Claude könnte auch als Name

römischer Kaiser gemeint sein; dann wäre zu erklären, wie dieser

Kaisername im Kontext des Verses einen Sinn ergibt.

2) Zur Verführung s. das Glossar unter seduire.

3) Ein v. araigner ist und war nicht gebräuchlich.  Nachdem das n.f.

araignée Spinne bedeutet, kann mit „einspinnen“ übersetzt werden.

 

 

Vz 1 [Sparta]  Im klassischen Griechenland war Sparta ein Staat, den eine allgemeine, schon

die Jugendlichen erfassende Militarisierung des Lebens kennzeichnete.  Darin gleicht der

nationalsozialistisch beherrschte deutsche Staat nach 1933 der spartanischen Polis im alten

Griechenland.  Diese Sparta-Analogie ist keine Absurdität des Sehers, sondern wird auch von

einem anerkannten modernen Historiker verwendet, der sicherlich mit Nostradamus nicht in

Verbindung gebracht werden möchte und durch das folgende Zitat auch nicht gebracht wird:  

 

„… besessen aber waren Hitler und seine Anhänger… von dem Ideal des großen

Revisionskrieges als Racheakt und Tor in eine helle Zukunft zugleich.  Allerdings

galt es, sich ungleich solider vorzubereiten, als das vor 1914 der Fall gewesen 

war. Notwendig war dafür die Aufrüstung mit den modernsten Waffen, der

Einsatz aller Ressourcen für den anvisierten Endkampf, auch die lückenlose

Militarisierung der gesamten Gesellschaft, damit der zur kampfwilligen Einheit

verschmolzene >Volkskörper< des neuen Sparta den zweiten totalen Krieg

gewinnen konnte.“

 

              Heinrich August Winkler, Der zweite Dreißigjährige Krieg, Spiegel spezial 1/04, S. 143

Vz 1 [großer Hinker…]  Der >in Sparta große Hinker< ist Joseph Goebbels, ein Mann von

mickriger Statur, den ein frühkindlich erworbener Klumpfuß zum Hinken zwingt.  Das Schicksal

hat ihm ein schwaches Ego zugetraut, aber der Karrierist will genau das nicht annehmen.  So

wird er mit seinem Hinkefuß zum "Bild des Bösen" (W. Döbereiner) und zur Canaille (Schurke),

wofür er, von sich auf andere schließend, die Menschen im Allgemeinen hält.

Vz 1 […kann nicht regieren]  Lange einer der engsten Vertrauten Hitlers, hat er durchaus nicht die

gleichen politischen Ansichten wie dieser, ist aber schon vor Januar 1933 bereit, die Differenzen

um der Karriere willen zurückzustellen.  Die politische Ideologie und später die militärischen Ziele

werden von Hitler vorgegeben;  der Hinker kann an ihnen nichts ändern und kann in diesem Sinne

„nicht regieren“.

Vz 2 [… bewirkt viel als Verführer]  Als Minister >für Volksaufklärung und Propaganda< stellt

Goebbels seine großen agitatorischen und demagogischen Fähigkeiten in den Dienst des

Führerkultes und des Judenhasses seines Herrn.  Er versteht es, Begeisterung für das Regime

zu erwecken und auch Gebildete zu beeindrucken.  Da Verführung bei N. immer auch Wegführung

vom christlichen Glauben bedeutet, s. Glossar unter seduire, steckt darin wieder der Hinweis

auf den unchristlichen Charakter des >neuen Sparta<.

Vz 4 [Der gegen den König seine Perspektive stellt…]  Man könnte hier an die Illusionen von

Hitlers Paladinen denken, den Diktator beerben zu können.  Besonders Reichsmarschall Göring

macht sich Hoffnungen.  Aber dem intelligenteren Goebbels ist klar, dass er sich vom Untergang

Hitlers nicht werde abkoppeln können.  Seine Perspektive reicht über das Ende des >Dritten

Reiches< nicht hinaus. -

Am 2.11.1939 warnt der Schweizer Astrologe Karl Ernst Krafft schriftlich davor, dass Hitlers Leben

vom 7. bis 10. November durch Explosivstoffe gefährdet sei.  Sein Adressat im Reichssicherheits-

hauptamt schließt das Memorandum als zu brisant weg.  Aber Krafft schickt am 9.11.1939, einen

Tag nach dem fehlgeschlagenen Attentat in München, ein Telegramm an den für seine okkulten

Neigungen bekannten Führerstellvertreter Rudolf Heß.  So kann er bei einigen ranghohen National-

sozialisten Eindruck machen, nicht ohne sich in Gefahr zu bringen, da die Gestapo ihn als Mitwisser

verdächtigt (nach Howe, Ellic, Uranias Kinder, Die seltsame Welt der Astrologen unf das Dritte

Reich, Weinheim 1995, S. 228f.).  Alexander Centgraf erzählt unter dem Pseudonym N.A. Centurio

in seinem 1953 erstmals erschienenen Nostradamus-Buch, Krafft habe dann die deutsche Führung

Anfang 1940 unter Hinweis auf Vers 5/94 (Kap.38) vor einem Feldzug gegen Russland warnen

wollen und in diesem Sinne „seine Perspektive gegen den König gestellt“.

Vz 3 [… wird vom Hinker eingesponnen]  Vom Propagandaminister beredet, habe Krafft sich dann

aber dazu verführen lassen, aus dem duc d‘ Armenie, dem Führer aus Armenien, den duc d‘ Arminie,

den Führer des Arminius-Landes, sprich Deutschlands zu machen und so die ablesbare Niederlage

Deutschlands >wegzudeuten<. Daraufhin erst sei er von Goebbels zum astrologischen Berater

ernannt worden.  Dass Krafft diese Fehldeutung von Vers 5/94 im Jahr 1940 aufgeschrieben hat,

ist durch Howe (1995 S. 246f) belegt.  Dass er dazu von Goebbels verführt wurde, ist nur durch

Centgraf-Centurio überliefert.  In Goebbels‘ Tagebüchern, soweit sie veröffentlicht sind, findet sich

dazu nichts.

 

 

        Die Prophetie in Händen des Tyrannen, und ein Räuber in Schwierigkeiten 

 

02/36    Du grand Prophete les lettres seront prinses,/

Entre les mains du tyrant deuiendront:/

Frauder son roy seront les entreprinses,/

Mais ses rapines bien tost le troubleront. (1555)

                   

Des großen Propheten Schriften werden ergriffen werden,/

in die Hände des Tyrannen werden sie gelangen./

Seinen König zu täuschen, wird sein Vorhaben sein,/  aber seine

Räubereien werden ihn sehr bald in Schwierigkeiten bringen.

 

3) Eine zur angegebenen Deutung passende Möglichkeit ist, dass

Tyrann und König identisch sind und eine  a n d e r e  Person in Vz 3

die Täuschung ausführt.

4) Mittelfrz. v. troubler auch: einen schlechten Dienst erweisen (desservir)

 

 

Nimmt man an, dass Tyrann und König dieselbe Person sind, muss es ein Anderer sein, der den

König täuscht, dann ergibt sich folgendes Bild. 

Vz 1/2 [prophetische Schriften in Händen des Tyrannen]  Ein tyrannischer Herrscher interessiert

sich für prophetische Schriften, weil er dort den Erfolg seiner Projekte angekündigt finden möchte. 

Ob Hitler selbst die Centurien in die Hand nimmt, ist nicht sicher.  Dass er wähnt, die Vorsehung

habe ihn zum Führer des deutschen Volkes bestimmt, ist bekannt.  Die Erfolge der ersten Jahre

geben ihm das Gefühl, von einer großen Kraft getragen zu sein.  So ist es auch, nur trägt ihn nicht

die Vorsehung, sondern das deutsche Volk.

Vz 3 [jemand will den tyrannischen König täuschen]  Es findet sich jemand, der bereit ist, dem an

Prophetie interessierten Herrscher zu versichern, dass die Gunst des Schicksals auf seiner Seite

sei.  Dieser Jemand weiß es in Wahrheit besser, denn sonst könnte er nicht täuschen wollen. 

Er hat aber keine Scheu, seine falsch positiven Schicksalsdeutungen dem Herrscher zu unter-

breiten, die Prophetie für seine Karriere zu plündern, sie auszurauben („Räubereien“), um sich

bei Hofe beliebt zu machen, 6/84 [s.o.].

Vz 1 [Schriften werden ergriffen]  Nach dem Englandflug (17.5.1941) von Rudolf Heß, der ernstlich

auf Astrologen hört, wird dem schlechten Einfluss dieser Berater die Schuld an der Eigenmächtig-

keit des Führerstellvertreters gegeben.  Daher beginnt die Gestapo im Mai 1941, massiv gegen

die Astrologen vorzugehen.  Alle Nostradamus-Bücher werden beschlagnahmt.  Mit Befremden

hat N. das wahrgenommen und macht es zum Aufhänger eines Verses, der davon handelt, wie es

soweit kommen kann.

Vz 4 [Ein Räuber in Schwierigkeiten]  Mit Heß hat Krafft den wichtigsten Protegé verloren.  Wie

viele andere Astrologen wird auch er Anfang Juni 1941 inhaftiert.  Auf dem Transport in ein Lager

stirbt er 44jährig am 8. Januar 1945. - 

Prophetie ist nicht für jene da, die sie allenfalls propagandistisch für die psychologische Krieg-

führung ausschlachten, denen es also nur um Macht und nicht um Wahrheit geht.  Wer als

Astrologe in einer Diktatur Karriere machen will, entscheidet sich für die Macht.

Vz 1 [großer Prophet]  Dem Kontext nach stuft Nostradamus sich hier selbst als großen Propheten

ein.  Davon mag jeder halten, was er will.  In Vers 3/94 [XV] nennt er sein Werk eine „Zierde der

Zeit“  -  das liegt auf der gleichen Linie.

 

 

        Abkommen und expansive Politik als Vorstufen eines Revanchekrieges

 

09/90    Vn capitaine de la grand Germanie/

Se viendra render par simulé secours/

Au Roy des roys ayde de Pannonie,/

Que sa reuolte fera de sang grand cours. (1568)

        

Ein Feldherr des großen Germanien/

wird nachgeben wollen bei vorgetäuschtem Beistand./

Dem König der Könige (kommt) Hilfe von Pannonien./

Und sein Umsturz wird ein großes Blutvergießen bewirken.

 

2) V. venir mit Infinitiv: Vorhaben oder Zweck

V. se rendre sich ergeben, nachgeben, sich wohin begeben

4) Das mittelfrz. n.m. revoltement konnte schon Auflehnung, Aufruhr

(action de se révolter, révolte) bedeuten.

 

 

Vz 2  [nachgeben …]  In den ersten Jahren werden Abkommen geschlossen, 1933 ein Konkordat

mit dem Vatikan, 1934 ein Nichtangriffspakt mit Polen, 1935 ein Flottenabkommen mit Großbritan-

nien usw.  So gelingt es ihm, sich als Politiker von zivilisiertem Zuschnitt darzustellen.  Er erweckt

den Eindruck, verhandeln zu wollen, auch einmal nachgeben zu können, letztmalig beim Münchner

Abkommen, als er erklärt, dass seine Gebietsansprüche mit der Abtretung der sudetendeutschen

Gebiete erfüllt seien, 1/34 (Kap.34).

Vz 2 [… bei vorgetäuschtem Beistand]   Als Grund für die Nichtbeachtung von Passagen des

Versailler Vertrages nach 1933 wird angegeben, deutschen Volksgruppen mit Sonderstatus oder

außerhalb der Reichsgrenzen „beistehen“ zu müssen, z.B. den Deutschen im Saarland, in der

entmilitarisierten Rheinlandzone, in den Sudeten.  Doch der Beistand war ein „vorgetäuschtes“

Motiv, denn diese Deutschen waren z.T. diskriminierte, aber nicht wirklich bedrohte Minderheiten.

Vz 1/2 […wird ein Feldherr]  In der Zeit des „Nachgebens“ und des „vorgetäuschten Beistands“

von 1933 bis 1939 war Hitler allerdings noch kein „Feldherr“.  Man kann deshalb die Deutung

verwerfen oder darin den Hinweis erkennen, dass Abkommen und expansive Politik Vorstufen

eines Krieges waren, auf den der Diktator von Anfang an zusteuerte.  Dass Hitler es von vorn-

herein auf Krieg abgesehen hatte, wird heute nicht mehr bestritten.

Vz 3 [Hilfe von Pannonien]  „Pannonien“ hieß zur Römerzeit eine Provinz in der ungarischen

Tiefebene westlich der Donau bis hinauf nach dem heutigen Wien.  In Österreich sind nach

1934 die Parteien verboten, arbeiten aber im Untergrund weiter.  Der Regierungsapparat wird

zunehmend von Nationalsozialisten unterwandert.  Das Schuschnigg-Regime gibt dem Druck

nach und nimmt im Februar 1938 den Nationalsozialisten Seyss-Inquart in die Regierung auf. 

In der Stärke der nationalsozialistischen Bewegung in Österreich kann man die „Hilfe“ sehen,

die Hitler benötigte, den Anschluss der >Ostmark< an das deutsche Reich im März 1938 durch-

zusetzen.

Vz 1 [großes Germanien]  Deutschland nach dem Zusammenbruch der Monarchie und der

alten Feudalstrukturen im Jahr 1918 nennt N. „Germanien“ und gibt damit zu verstehen, dass es

anschließend zu einem Rückfall in die Zeit vor der Christianisierung im Mittelalter und sogar vor

der römischen Zivilisierung kommen werde.  (Die aktuelle Geschichtsschreibung datiert den

Zivilisationsbruch nicht auf 1918, sondern auf 1933.)  Nach dem Anschluss Österreichs kam die

Bezeichnung „Großdeutsches Reich“ auf, die während des zweiten Weltkriegs auch offiziell

gebraucht wurde.

Vz 3/4 [Umsturz/ König der Könige]  Der zweite Weltkrieg ist Hitlers „Umsturz“ oder „Revolte“,

weil mit ihm das für Deutschland schmachvolle Ergebnis des ersten großen Krieges korrigiert

werden soll.  Während des Krieges wird der deutsche Diktator wie vorher nur Napoleon zum

Herrscher über große Teile des Kontinents und in diesem Sinne zum „König der Könige“, der

nach Gutdünken Gouverneure in den eroberten Ländern einsetzt.  Das „große Blutvergießen“

beschreibt die Vorgänge aus großer Distanz.