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        Kapitel 24  Der Untergang des Empire

   Als Zeichen des nahenden Endes Napoleons erkennt N. dessen

   Versuch, eine Dynastie zu gründen, das Vordringen der Briten

   in Spanien und vor allem die katastrophale Niederlage der

   Grande Armée im russischen Winter des Jahres 1812. 

Auszug aus dem historischen Inhaltsverzeichnis

01/88   Wenn Napoleon eine Dynastie gründen will, kommt sein Untergang in Sicht

02/99   Wenn die revolutionäre Nation zu weit nach Norden vordringt,

erleidet sie eine Niederlage

09/99   >Nordwind< vertreibt eine Belagerung

04/75   Tod auf weißem Gebiet

10/34   Murat sagt sich von Napoleon los

04/70   Wellington siegt in Spanien und dringt nach Südfrankreich vor

10/76   Napoleons Abdankung

 

        Wenn Napoleon eine Dynastie gründen will, kommt sein Untergang in Sicht

  

01/88    Le diuin mal surprendra le grand prince/

Vn peu deuant aura femme espousée,/

Son puy & credit à vn coup viendra mince,/

Conseil mourra pour la teste rasée.  (1555)

 

Das göttliche Unheil wird den großen Fürsten überfallen,/

kurz zuvor wird er eine Frau geheiratet haben./ 

Rückhalt und Glaubwürdigkeit werden auf einen Schlag

fadenscheinig,/

Rat wird schwinden für den geschorenen Kopf.

 

1) Zu divin s. das Glossar unter -> Dieu.

Mittelfrz. n.m. mal Bosheit (méchanceté), Übel, Unglück (malheur)

3) Das n.m. appuy ist hier versmaßbedingt verkürzt zu puy.

4) V. mincir dünner werden, fadenscheinig werden

 

 

Vz 4 [geschorener Kopf]  In den Jahren nach der Revolution zunächst noch langhaarig, zeigt das

Bild von der Kaiserkrönung in Nôtre-Dame einen kurzgeschorenen Napoleon, der seinem antiken

Vorbild G.J. Caesar gleichen will und schon an seiner Legende arbeitet.  Nach vielen perücken-

bewehrten Königen fällt der „geschorene Kopf“ auf dem Thron auf.

Vz 1 [göttliches Unheil]  Heute vielleicht anachronistisch anmutend, wird die Katastrophe des

Russlandfeldzuges im Jahr 1812 von vielen Zeitgenossen als Gottesurteil empfunden.

 

 „Mit Mann und Ross und Wagen,/ so hat sie Gott geschlagen./

Es irrt durch Schnee und Wald umher/ das große, mächtge Franzosenheer:/

der Kaiser auf der Flucht,/ Soldaten ohne Zucht./

Mit Mann und Roß und Wagen,/ so hat sie Gott geschlagen.“

 

 

heißt es in einem zeitgenössischen Gedicht, dessen deutscher Verfasser nicht überliefert ist. 

Diese Sicht der Dinge passt nahtlos zur Wertung Napoleons durch den Seher.  Zu seinem

Repertoire gehört es, den Zorn Gottes auf Menschen herab zu wünschen, 2/53 (Kap.8).  Für

diese Deutung des „göttlichen Unheils“ spricht aber vor allem, dass die Angaben der zweiten

Vershälfte auf die Folgen des Russlandfeldzuges passen.

Vz 2 [Kurz zuvor Heirat]  Napoleons Ehe mit Josephine Beauharnais ist kinderlos geblieben. 

Da er aber unbedingt eine Dynastie gründen will, um sein Empire zu stabilisieren, glaubt er,

dass die Staatsräson die Scheidung gebiete (Dezember 1809).  Metternich hat passenderweise

eine junge Frau aus altem Adel im Angebot, Napoleon greift zu und heiratet die achtzehnjährige

Marie Louise von Habsburg im April 1810. Im März 1811 gebiert sie ihm den ersehnten Thronerben. 

Vz 3/4 [Rückhalt fadenscheinig/ Ratlosigkeit]  Eine erste Niederlage hat der Kaiser der Franzo-

sen im Mai 1809 bei Aspern gegen die Österreicher erlitten.  Doch das Blatt wendet sich erst

wirklich, als der Russlandfeldzug im Winter am Ende des Jahres 1812 in einer Katastrophe endet. 

Der Nimbus der Unbesiegbarkeit Napoleons ist dahin.  In Deutschland kommt es zu Aufständen,

der Rheinbund beginnt sich aufzulösen. Preußen, eben in Russland noch verbündet, erklärt

Frankreich den Krieg. Der "Rückhalt" für Napoleon in den Satellitenstaaten nimmt rapid ab.  

„Rat wird schwinden“  - der Kaiser findet kein Rezept mehr gegen das Zerbröckeln seines

Empire.  Als eine der Ursachen des Niedergangs wird die mit zunehmendem Alter des Despoten

abnehmende Bereitschaft zur Selbstkritik genannt.

 

 

        Wenn die revolutionäre Nation zu weit nach Norden vordringt,                                                                erleidet sie eine Niederlage

 

02/99    Terroir Romain qu‘ interpretoit augure,/

Par gent Gauloyse sera par trop vexée:/

Mais nation Celtique craindra l’ heure,/

Boreas, classe trop loing l’ auoir poussee. (1555)

 

Römisches Gebiet, wie der Seher deutete,/

wird durch gallisches Volk allzu sehr bedrängt werden./

Aber die keltische Nation wird die Stunde fürchten/

(und den) Nordwind, (die) Armee allzu weit hinausgetrieben

zu haben.

 

1) Mittelfrz. Relativpronomen que bedeutet auch: soweit, soviel, wie (à ce que)

3) Zur keltischen Nation s. Glossar unter -> Celtes.

4) Lat n.m. boreas Nordwind

Zu classe s. das Glossar unter -> classe.

 

 

Vz 1 [Wie der Seher deutete]  Um seine Visionen in Worten niederlegen zu können, musste der

Seher sie deuten.  Das Deuten geschah zusammen mit dem Wahrnehmen oder bald danach,

und die erste Niederschrift wahrscheinlich noch in derselben Nacht, 1/1 (vor Kap.1).  Das Material

des Verseschmieds sind also nicht Visionen, sondern gedeutete Visionen.  Der Leser muss die

Deutungsmuster des Sehers lesen lernen, wenn er die Verse verstehen will.

Vz 3 [keltische Nation]  Die französische Nation bekommt von N. das Attribut „keltisch“ wegen

der Revolution von 1789.  Die danach einreißenden Zustände will er als nachchristlich kennzeichnen,

s. Glossar unter CeltesEin Land, dessen Bewohner ihrem weltlichen Herrn den Gehorsam auf-

kündigen, den sie ihm auch von Gott her schulden (Römerbrief Kapitel 13), lässt für Nostradamus

die christlich geprägte Epoche hinter sich. 

Vz 1/2 [Römisches Gebiet durch gallisches Volk bedrängt]  Die Armeen des nachrevolutionären

Frankreich dringen erstmals 1796/97 nach Italien vor, dann erneut in den Jahren 1798, 1800 und

1808. Papst Pius VI. wird 1798 von den Franzosen verschleppt, 6/46 (Kap.22), und das Ende

seiner weltlichen Herrschaft verkündet. In Italien werden Republiken, später vom Kaiser abhängige

Königreiche nach Gutdünken des Korsen installiert. In der fremden Oberherrschaft erkennt N. eine

Bedrängnis der Italiener.

Vz 4 [Armee allzu weit hinausgetrieben/ Nordwind]  Der >Nordwind< ist ein Bild für den >Gegenwind<

aus Russland, dem Napoleon trotzen will.  Zur Auseinandersetzung mit Russland führt die Polenfrage

und vor allem der Rückzug des Zaren von der Teilnahme an der Kontinentalsperre gegen Groß-

britannien. Napoleon lässt seine Grande Armée mit etwa 560000 Soldaten im Juni 1812 nach Russ- 

land einmarschieren. In der Weite des Landes mit seinem strengen kontinentalen Winter scheitert

das Unternehmen. Der Kaiser entkommt auf dem Rückzug an der Beresina nur mit knapper Not

>Nordwind<, den die russischen Streitkräfte entfachen.

 

        >Nordwind< vertreibt eine Belagerung

 

09/99    Vent Aquilonaire fera partir le siege,/

Par murs getter cendre, chauls, & poussiere:/

Par pluyes apres, qu‘ il leur fera bien piege,/

Dernier secours encontre leur frontiere. (1568)

 

Nordwind wird die Belagerung vertreiben,/

wird über Mauern Asche, Hitze und Staub werfen./

Nachher bei Regen, der ihnen eine hübsche Falle stellen wird,/

treffen letzte Hilfstruppen auf ihre Landesgrenze.

 

1) Lat. n.m. aquilo Nordostwind, griechisch boreas, 2/99 (s.o.)

s. zu Aquilon auch das Glossar.

2) Mittelfrz. v. jeter, gecter hervorbringen, erzeugen (produire, engendrer)

schleudern (lancer), hinausschaffen (faire sortir)

 

 

Auch dieser Vers handelt vom Russlandfeldzug.  Dass er in seiner Centurie an derselben Stelle

steht wie der zuvor besprochene Vers, ist kaum zufällig.  Die Zahl hundert gehört zum unbekannten

Schlüssel, der vielleicht einmal ermöglichen wird, die ursprüngliche Reihenfolge der Verse wieder-

herzustellen.

Vz 1 [Nordwind …]  Wie im Vers zuvor ist der >Nordwind< ein Bild für die Widrigkeiten Russlands,

besonders den Wintereinbruch ab Oktober 1812, welche die Grande Armée zu spüren bekommt. 

Im Juni 1812 überschreitet man die russische Grenze.  Schon vor der Schlacht bei Borodino sterben

wegen des ausbleibenden Nachschubs mehrere hunderttausend der eingedrungenen Soldaten an

Hunger, Erschöpfung und Krankheiten. 

Vz 1/2 [… vertreibt die Belagerung/ Asche, Hitze und Staub über Mauern]  Am 15.9.1812 zieht

Napoleon in das von den Bewohnern verlassene Moskau ein.  Zurückgeblieben sind nur Sträflinge,

die vom Moskauer Gouverneur beauftragt sind, die Stadt anzuzünden.  Der Brand kann erst nach

fünf Tagen gelöscht werden. Napoleon will Frieden mit Zar Alexander schließen, bekommt aber

keine Antwort auf seine Depeschen. Am 18.10. befiehlt er den Rückzug.

Vz 3/4 [Regen als Falle/  letzte Hilfstruppen an der Grenze]  Durch „Regen“ werden die ohnehin

schlechten Wege nahezu unpassierbar.  Russische Kavallerie greift die Truppen immer wieder an,

Brücken werden zerstört.  Durch Frost, Hunger und Kämpfe dezimiert, erreichen im Dezember

etwa 5000 Mann der Grande Armée mehr tot als lebendig die Grenze des verbündeten Preußen. 

Der Anteil der Rückkehrer liegt unter einem Prozent, der der Gefallenen bei über 99 Prozent.

 

  

        Tod auf weißem Gebiet 

 

04/75    Prest à combattre fera defection./

Chef aduersaire obtiendra la victoire./

L’ arrieregarde fera defension,/

Les defaillans mort au blanc territoire. (1568)

 

Bereit, Schlachten zu schlagen, wird er eine Niederlage erleiden,/ 

der feindliche Anführer wird den Sieg erringen./

Die Nachhut wird (die) Verteidigung übernehmen,/

die Geschwächten (finden den) Tod auf weißem Gebiet.

 

1) Mittelfrz. n.f. defection Niederlage (défaite)

4) Mittelfrz. v. defaillir mangeln (faire défaut), schwächer werden (s‘ affaiblir)

 

 

Vz 1 [Bereit zur Schlacht/ Niederlage]  Wer als Angreifer in den Krieg zieht, ist auch „bereit zur

Schlacht“, warum also erwähnt N. das?  Napoleons Strategie, den offenen Kampf zu suchen,

wird im Herbst 1812 von den Russen unterlaufen, indem sie ihn in die Weite des Landes vor-

dringen lassen, ohne sich zu stellen. Die Bereitschaft zum Kampf auf Seiten des Angreifers

ohne Entsprechung beim russischen Gegner ist charakteristisch für den Russlandfeldzug. 

Erst kurz vor Moskau kann der Kaiser unter großen Verlusten eine Schlacht gewinnen.

Vz 2/3/4 [Feind siegt/ Nachhut verteidigt/ Tod auf weißem Gebiet]  Die gegnerischen Generäle,

namentlich der altgediente General Kutusow, halten sich klug zurück.  Sie erringen keinen „Sieg“

in offener Feldschlacht, haben aber mit ihrer Taktik der punktuellen Angriffe auf die langen Trecks

der Grande Armée großen Erfolg, besonders als diese schon auf dem Rückmarsch ist.  Die

Rückkehrer sind schon geschwächt durch Hunger und ab Ende Oktober durch den Winterein-

bruch.  Der „Tod auf weißem Gebiet“ ist der Tod im Schnee des russischen Winters.

 

 

        Murat sagt sich von Napoleon los

 

10/34    Gauloys qu‘ empire par guerre occupera/

Par son beau frere mineur sera trahy,/

Par cheual rude voltigeant traynera,/

Du fait le frere long temps sera hay. (15768)

 

(Der) Gallier, der das Kaiserreich durch Krieg in Besitz nimmt,/

wird durch seinen untergeordneten Schwager verraten./

Durch rüdes, herumspringendes Pferd schleift er mit,/

wegen seiner Taten wird der Schwager lange gehasst werden.

 

3) Der Deutung zufolge ist der „Gallier“ auch in der zweiten Vershälfte Subjekt.

4) Im Kontext ist der frere ein verkürzter beau frere Schwager.

 

 

Vz 1 [Gallier nimmt Kaiserreich durch Krieg in Besitz …]  Es sind eindeutig Napoleons Leistun-

gen als Feldherr, die ihn zum Ersten Konsul der Republik und de facto zum Diktator werden

lassen, der sich später auch den Titel eines Kaisers der Franzosen zulegt.

Vz 2 [… wird durch untergeordneten Schwager verraten]  Joachim Murat hat Napoleons

Schwester Caroline geheiratet.  Als Mitglied des korsischen Clans macht er unter dem Kaiser

Karriere.  Nach der Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813 löst sich der Rheinbund auf.  

Auch Schwager Murat sagt sich vom Clanchef los und verbündet sich im Januar 1814 mit

Österreich, um König von Neapel bleiben zu können.

Vz 3 [… durch herumspringendes Pferd schleift er mit]  Napoleon >gehen die Pferde durch<,

die er geritten hat -  die Herrscher, die er eingesetzt hat, beginnen ihn >abzuwerfen<.  Er wird

noch eine Zeit lang >mitgeschleift< von durchgegangenen Pferden, zu denen Murat gehört.

Vz 4 [Schwager lange gehasst]  Noch lange nach seinem Tod wird nicht Murat, sondern

Napoleon gehasst. Namentlich Deutsche und Italiener bewahren die Erinnerung an den

blutigen Fremdherrscher. Sie beginnen sich als Nationen zu empfinden, die einen einheit-

lichen Staat brauchen, um sich zu behaupten.

 

 

        Wellington siegt in Spanien und dringt nach Südfrankreich vor

 

04/70    Bien contigue des grans monts Pyrenees,/

Vn contre l‘ aigle grand copie addresser,/

Ouuertes veines, forces exterminees,/

Que iusqu’ à Pau le chef viendra chasser. (1568)

 

Ganz in der Nähe hoher Gipfel der Pyrenäen/

wird einer gegen den Adler (ein) großes Heer schicken./

Venen geöffnet, Streitkräfte vernichtet,/

und bis nach Pau wird (man) den Anführer jagen.

 

2) Zum Adler s. Glossar unter -> aigle.

Lat .n.f.pl. copiae Truppen

 

 

Napoleon hat einen Adler im Wappen.  Im Juni 1813 besiegt der britische Herzog von Wellington

bei Vitoria im Baskenland, unweit der „Pyrenäen“, ein französisches Heer.    Der Brite treibt seinen

französischen Gegner Marschall Soult vor sich her, zieht über San Sebastian, Orthez, „Pau“ und

Tarbes bis nach Toulouse, das er an Ostern 1814 erreicht.  Die >geöffneten Venen< sind ein Bild

für das nach vielen Kriegsjahren ausgeblutete Frankreich, auf dessen Boden der Krieg nun zurück-

gekehrt ist.

 

 

        Napoleons Abdankung 

 

10/76    Le grand senat discernera la pompe,/

A l‘ vn qu‘ apres sera vaincu chassé,/

Ses adherans seront à son de trompe/

Biens publiez, ennemis deschassez. (1568)

 

Der große Senat wird abtrennen den Prunk/

von Einem, der später besiegt (und) vertrieben wird./

Seine Anhänger werden beim Schall der Trompete/

- (ihre) Güter konfisziert -  (als) Feinde weggejagt.

 

1) Mittelfrz. v. discerner trennen, abtrennen (séparer)

4) Lat. v. publicare (für den Staat) einziehen, altfrz. v. publier versteigern

Zu den Feinden s. Glossar unter -> ennemi.

 

  

Vz 1 [Senat entfernt Prunk …]  Nach der Eroberung von Paris durch die Alliierten der fünften

Koalition im März 1814 stimmt der „Senat“ am 3. April 1814 für die Absetzung des Kaisers.

Vz 2 [… von einem, der später besiegt wird]  Aber erst über ein Jahr „später“, im Juni 1815,

wird Napoleon nach Verbannung und Rückkehr endgültig von Briten und Preußen „besiegt

(und) vertrieben“.

Vz 3 [Beim Schall der Trompete …]  Am 5. April 1814 beruft der Senat den Comte de Provence,

einen jüngeren Bruder des von der Revolution gestürzten Königs, als Ludwig XVIII. auf den Königs-

thron. Biblisch verbindet der Schall von Trompeten und Posaunen Gott mit seinem Volk, 4. Moses

Kapitel 10 Vers 9. Es werde wieder ein legitimer König den Thron besteigen, zeigt N. damit an.

Vz 3/4 [… seine Anhänger als Feinde vertrieben/ ihre Güter konfisziert]   Am 12. Januar 1816 

- Ludwig XVIII. ist nach seiner Flucht vor dem zurückgekehrten Napoleon wieder im Lande - 

beschließt das Parlament in Paris, dass binnen zwei Monaten das Land verlassen müsse, wer

während der Herrschaft der hundert Tage (Kap.25). Ämter innegehabt habe.  Außerdem wird

verfügt, dass die Vermögen der Verbannten an den Staat fallen.