Suche 

         Kapitel 20  Der Italienfeldzug 1796/97

Die erste Koalition gegen das revolutionäre Frankreich bilden

Österreich, Großbritannien und einige kleinere Mächte.  Das

gemeinsame Interesse besteht darin, die Verbreitung der revolu-

tionären Ideen über Europa zu verhindern, denn die Fürsten sind

>sehr besorgt um ihre Frauen<, d.h. um ihre Völker, 4/54 (Kap.23). 

Die Regierung in Paris ist 1796 zu der Ansicht gelangt, der Haupt-

gegner Österreich müsse in deutschen Landen geschlagen werden. 

Um davon abzulenken, will man in Italien einen weiteren

Kriegsschauplatz eröffnen.

 

Auszug aus dem historischen Inhaltsverzeichnis

02/26   Paris erweist einem >Großen< seine Gunst, die Lombardei leidet

01/33   Schlacht bei Lodi an der Adda, Belagerung Mantuas

07/15   Sieben >Jahre< Belagerung

04/01   Die Eroberung Venedigs

01/75 Stationen 1796/97: Toskana, Ligurien, Mantua, die Marken.

1798: Zweite Armee unter Berthier im Kirchenstaat. Aufbruch nach Ägypten

      Paris erweist einem >Großen< seine Gunst, die Lombardei leidet

 

02/26    Pour la faveur que la cite fera/

Au gran qui tost perdra (!) la bataille,/

Fuis le rang Po, Thesin versera/

De sâg, feuz, morts, noyes de coup de taille. (1555)

 

Wegen der Gunst, welche die Stadt erweisen wird/

Dem Großen, der bald die Schlacht verlieren wird,/

Fliehe vor der Schlachtreihe, Po!  Tessin wird sich abwenden/ 

von Blut, Bränden, Toten, durch Schwertstreich Ertränkten.

 

1) Zur Stadt s. Glossar unter -> cité.

3) Mittelfrz. v. verser umwerfen (renverser), umgestürzt werden (être renversé),  

sich umdrehen, sich umwenden (se retourner)

Mittelfrz. n.m. rang auch: Schachtreihe (ligne de bataille)

 

  

Vz 1 [Stadt erweist einem Großen Gunst]  Im März 1796 erweist „die Stadt“ Paris, die als

Direktorium bezeichnete Regierung, dem General Bonaparte „die Gunst“, ihn zum Oberkomman-

dierenden eines Feldzuges zu ernennen, durch den der österreichische Einfluss in Italien zurück-

gedrängt werden soll.  Bonaparte ist da noch kein „Großer“, erwirbt aber durch eben diesen

Feldzug ein Renommee, das für seine spätere politische Karriere den Grundstein legt.  Es werde

„ein Kaiser nah bei Italien geboren“, sagt 1/60 (Kap.19), aber ähnlich wie hier nicht  a l s  Kaiser.

Vz 3 [Po, Tessin zur Flucht aufgefordert]  In schnell aufeinanderfolgenden Schlachten besiegt

die Armee Bonapartes erst die Piemontesen und beginnt im Mai mit der Eroberung der

Lombardei.  „Po“ und „Tessin“ begrenzen das zu Österreich gehörende Herzogtum Mailand

im Süden und Westen.  Auf dem Gebiet Mailands, bei Lodi an der Adda, einem weiteren links-

seitigen Nebenfluss des Po, wird die nächste Schlacht geschlagen, wieder siegreich für die

Franzosen, ablesbar an der Aufforderung, vor dem Günstling der Pariser Regierung zu fliehen.

Vz 4 [durch Schwertstreich Ertränkte]  Im Zusammenhang mit dem Pariser Günstling und der

Ortsangabe „Po“ spricht diese Formulierung dafür, dass hier die Schlacht an der Adda gemeint

ist.  Der Durchbruch wird erzielt, indem unter hohem Risiko eine 200 Meter lange Brücke über

den Fluss genommen wird, die unter feindlichem Feuer steht.  Dabei kommen etwa zweihundert

Franzosen, die getroffen werden, in den Fluten um.

Vz 2 [Großer verliert bald die Schlacht]  „Bald“ danach werde der anfangs so Unbezwingliche

„die Schlacht verlieren“.  Aber erst achtzehn Jahre später unterliegt das napoleonische Frank-

reich seinen Feinden.  N. liebte es, aus überzeitlicher Perspektive den Wechsel des Kriegs-

glücks und den Wandel in der Gunst der Zeitgenossen in einem Atemzug zu nennen,

s. den Exkurs (12).

 

 

        Schlacht bei Lodi an der Adda, Belagerung Mantuas 

 

01/33    Prés d‘ vn grant pont de plaine spatieuse,/

Le grand lyon par forces Cesarées/

Fera abbattre hors cite rigoreuse,/

Par effroy portes luy seront reserées. (1555)

 

Nah bei der großen Brücke der weiträumigen Ebene/

wird der große Löwe (erscheinen) mit cäsarischen Truppen./

Er wird (Feinde) niederwerfen, hinaus aus der unbeugsamen Stadt./ 

Erschrocken werden ihm die Tore aufgesperrt.

 

1) Die Poebene heißt französisch la pleine du Pô.  Adj. spacieux geräumig.

2) Zum Löwen s. Glossar unter -> lyon.

3) Adj. rigoreux streng, unerbittlich < lat. rigorosus starr, unbiegsam

4) Lat v. reserare aufsperren, öffnen

 

 

Vz 1 [große Brücke der weiträumigen Ebene]  Den Po haben Napoleons Truppen, von Süden

kommend und auf Mailand zielend, bei Piacenza mit Booten überquert.  Am Fluss namens Adda

kommt es am 10.5.1796 zum Kampf mit den Österreichern.  Die von Truppen des Gegners

gesicherte, etwa 200 Meter lange und vier Meter breite Holzbrücke im Sturm zu nehmen,

ist ein waghalsiges Vorhaben.  Aber es gelingt, und die Schlacht an der Adda wird legendär für

Napoleons militärisches Genie.  Es ist, auch für damalige Verhältnisse, keine große Brücke,

aber eine >große< im Sinne von berühmte.

Vz 2 [großer Löwe/ cäsarische Truppen]  So wie die Schlacht bei Lodi den Grundstein für

Napoleons Ruhm als Feldherr legt, so wird der Italienfeldzug im Ganzen zum Ausgangspunkt

seiner politischen Karriere.  Die französischen Truppen folgen einem späteren Cäsaren, d.h.

Kaiser, und daher sind es "cäsarische Truppen“.  „Der große Löwe“ ist das Bild für einen

großen Räuber, der auf Beutezug ausgeht.  Hier sind die von Napoleon eroberten Territorien

gemeint, auf denen Satellitenstaaten gegründet werden, aber auch die Kontributionen in Geld

und Kunstwerken, mit denen sich das bankrotte Frankreich Waffenstillstände teuer bezahlen lässt.

Vz 3/4 [vertreibt Feinde aus unbeugsamer Stadt]  Fünf Tage nach der Schlacht kann Bonaparte

in Mailand einziehen und wird von den Bürgern gefeiert.  Die Österreicher verschanzen sich

daraufhin in der alten Festungsstadt Mantua.

 

 

       Sieben >Jahre< Belagerung

 

07/15    Deuant cité de l‘ Insubre contrée,/

Sept ans sera le siege deuant mis:/

Le tresgrand Roy y fera son entrée,/

Cité puis (!) libre hors de ses ennemis.  (1568)

 

Vor (der) Stadt der lombardischen Gegend/

wird sieben Jahre die Belagerung vorgetragen./

Der sehr große König wird dort sein Entree sich verschaffen,/

dann (wird die) Stadt frei sein (und) draußen seine Feinde.

 

1) Insubri war der Name eines Volksstammes im Gebiet der heutigen Lombardei.

4) Es könnten auch ihre Feinde, die der Stadt gemeint sein, aber Oberitalien ist

hier nur ein Schauplatz, auf dem sich Frankreich und Österreich bekämpfen.

 

 

Vz 1 [Stadt der lombardischen Gegend …]  Es könnte hier Mailand gemeint sein, Hauptstadt der

Region Lombardei.  Im Mittelalter gelegentlich belagert, hat sich das neuzeitliche Mailand so

ausgedehnt, dass die ganze Stadt als befestigter Platz sich schon lange nicht mehr eignet. 

Einzig das Mailänder Schloss, das Castello Sforzesco, dient noch im neunzehnten Jahrhundert

als Trutzburg.  Gemeint ist denn auch eine andere Stadt, nämlich Mantua in dem nach dieser

Stadt benannten südlichsten Teil der Region Lombardei.

Vz 2  [... belagert]  Während des Italienfeldzuges des französischen Generals Buonaparte ist die

Festungsstadt Mantua der Ort, wo sich österreichische Truppen im Sommer 1796 verschanzen,

nachdem sie die Kontrolle des Landes an den französischen Feind verloren haben.  Als am 27.6.

die von den Österreichern noch gehaltene Mailänder Zitadelle aufgegeben werden muss, werden

im Juli die französischen Truppen, die Mantua blockieren, verstärkt.  Der Artilleriebeschuss der

Stadt ab dem 18.7. eröffnet offiziell den Belagerungsstatus.

Vz 2 [sieben Jahre]  Dass das wohl nicht wörtlich gemeint ist, haben schon andere Deuter vermutet. 

Ergeben hat sich Mantua nach langwierigen Kämpfen am 2.2.1797, also im siebten Monat der

Belagerung. Wir lernen, dass >Jahre< bei N. auch Monate bedeuten können, wie umgekehrt

>Monate< auch einmal für für Jahre stehen, 5/90 (Kap.28).

Vz 3 [sehr großer König]  General Bonaparte ist zu dieser Zeit noch kein sehr großer König. 

Aber der Zutritt zur Stadt Mantua und damit zur Macht in Oberitalien ist für den Korsen das Entree

zu einerKarriere, die ihn bis zum Titel eines Kaisers emporträgt.

 

 

      Die Eroberung Venedigs 

 

04/01    CELA du reste de sang non espandu:/

Venise quiert secours estre donné:/

Apres auoir bien long temps attendu./

Cité liurée au premier corn sonné. (1555)

 

Jener Rest von Blut (wird) nicht vergossen (werden)./

Venedig begehrt Hilfe, sie wird gewährt./

Nachdem (es) recht lange erwartet worden war,/

wird die Stadt übergeben, wenn das erste Horn erschallt.

 

2) Mittelfrz. v. querir, querre suchen (chercher), verlangen (demander),

begehren (vouloir) < lat. v. quaerere suchen, vermissen, erheischen

 

 

Vz 1 [lange erwartet]  Nach dem Krieg um die spanische Erbfolge, also zu Beginn des acht-

zehnten Jahrhunderts, hat Venedig einen erheblichen Teil seiner auswärtigen Besitzungen verloren. 

Seit dieser Zeit ohne starke Verteidigung, ist die älteste Republik Europas nicht mehr kriegerisch

bedrängt worden, obwohl die Venezianer schon lange als Pfeffersäcke gelten, denen es zu gut

gehe, um noch Krieg führen zu können.

Vz 4 [Stadt übergeben, wenn das erste Horn erschallt]  Dem Ersten, der zum Angriff auf sie blasen

lassen wird, werde die Stadt gehören.  Dieser Erste ist der französische General Bonaparte,

der Venedig am 2.5.1797 den Krieg erklärt.  Schon am nächsten Tag bietet er einen Waffenstill-

stand an, wenn seine Forderungen erfüllt werden.  Die Stadt hat 15000 Söldner unter Waffen und

ist, da die Franzosen über keine Flotte verfügen, uneinnehmbar.  Aber der Widerstandswille der

venezianischen Führung ist gering, und die Forderungen werden erfüllt.  Der letzte Doge dankt ab,

die Söldner ziehen ab, und in der Nacht vom 14. auf den 15. Mai rücken die Franzosen ein.

Vz 1/2 [Hilfeersuchen/ Hilfe wird gewährt/ Rest von Blut nicht vergossen] 

 

„11. Mai: [Der französische] General Viktor aus Padua schreibt an Napoleon: 

[Der venezianische General] Condulmer sei bei ihm gewesen.  Er und seine

Mitbürger wünschen, französische Soldaten möchten ihnen zu Hilfe kommen,

um sie vor Unheil, das sich vorbereite, zu bewahren.“

 

              M. Langewiesche, Königin der Meere, Roman einer Stadt, Stuttgart 1955 S. 244

Es ist >Sterbehilfe<, die Venedig begehrt, denn es ist klar, dass die Stadt damit ihre Jahrhunderte

währende Selbständigkeit aufgibt.  >Hilf uns beim Sterben, französischer General, und lass es

ohne Blutvergießen geschehen!<  Und diese Hilfe „wird gewährt“,    indem von der alten Führungs-

schicht persönlich niemand zu Schaden kommt (vom Hafenkommandanten abgesehen, dessen

Kopf Napoleon gefordert und bekommen hat).  Der >Rest von Blut<, des Lebens aus eigener Kraft

und eigenem Recht, weicht kampflos aus dem altersschwachen Körper der einstigen >Königin der

Meere<.  In den folgenden sieben Jahrzehnten wird Venedig zwischen Österreich und Frankreich

hin- und hergeschoben und schließt sich 1866 dem neuen Königreich Italien an.

 

 

      Stationen 1796/97: Toskana, Ligurien, Mantua, die Marken.
      1798: Zweite Armee unter Berthier im Kirchenstaat.  Aufbruch nach Ägypten

 

01/75    Le tyran Siene occupera Sauone:/

Le fort gaigné tiendra classe marine:/

Les deux armées par la marque d’ Ancone/

Par effraieur le chef s’ en examine.  (1555)

 

Der Tyrann (von) Siena wird Savona in Besitz nehmen./

Wenn die Festung genommen ist, wird er die Flotte führen./

Die beiden Armeen (ziehen) durch die Mark Ankona,/

aufgeregt wird das Haupt sich daraufhin prüfen.

 

2) Lat. n.f. classis Flotte, Heer

4) Das Wort effraieur hat N. gebildet nach dem mittelfrz. v. effrayer

erregt, unruhig sein (s‘ agiter), sich ereifern, aufbrausen (s‘ emporter)

 

 

Anfang Juni 1796 zieht Bonapartes Armee von Mailand nach Süden in die Emiglia-Romagna,

die schon zum Kirchenstaat gehört und vertreibt eine päpstliche Armee.

Vz 1 [Tyrann von Siena …]  Dann geht es weiter in das Großherzogtum Toskana, unter Verletzung

von dessen Neutralität.  Die Franzosen besetzen Florenz und Livorno, einen  wichtigen Handels-

hafen.  N. nennt den Eroberer einen „Tyrannen“, weil er die Toskana („Siena“) seinem Willen

unterworfen hat.  Bonaparte gibt sich als >Befreier der Völker Italiens< aus.

Vz 1 [… besetzt Savona]  Im Juni 1796 wird unter französischer Patronage in Genua eine

Ligurische Republik ausgerufen.  Im November diktiert Bonaparte der Republik Genua, zu deren

Gebiet „Savona“ gehört, einen Vertrag, der sie zu Kontributionen (in Form von Geld und Kunst-

werken) und zur Sperrung ihrer Häfen gegen die Engländer verpflichtet.

Vz 2 [Wenn Festung genommen …]  Am 2.2.1797 ergibt sich die befestigte Stadt Mantua nach

siebenmonatiger Belagerung den Franzosen, 7/15 (s.o.).  Sie ziehen dann durch den Kirchenstaat,

man kommt über Faenza, Forli, Rimini nach Ancona.  In den Marken diktiert Bonaparte dem Papst

den Frieden von Tolentino (19.2.1797).

Vz 2 [… wird er die Flotte führen]  Im Februar 1798 setzt das Direktorium in Paris Bonaparte

zum Oberbefehlshaber der Armee gegen England ein.  Der traut der französischen Marine eine

Landung in England nicht zu und entwickelt das Ägypten-Projekt.  Im Mai läuft eine Flotte unter

seinem Befehl von Toulon aus in Richtung Levante. Siehe Kapitel 21.

Vz 3 [zwei Armeen ziehen durch die Mark Ankona]  Bonaparte zieht zu Beginn des Jahres 1797

durch die Marken, Vz 2.  Ein Jahr später nimmt erneut eine französische Armee unter General

Berthier diesen Weg, besetzt Rom, nimmt Pius VI. gefangen und setzt ihm als weltlichen Herr-

scher ab.  Es sind in einjährigem Abstand „zwei Armeen“ des revolutionären Frankreich, die

den Kirchenstaat bedrängen. 

Vz 4 [aufgeregtes Haupt prüft sich]  In der Bedrängnis durch die Franzosen mag der Papst

seine Politik überdacht haben.  Aber zu einer Anerkennung der Zivilkonstitution des französi-

schen Klerus, dessen Mitglieder den Eid auf die Republik zu leisten aufgefordert sind, lässt

sich der Achtzigjährige beide Male nicht bewegen.  Das trägt ihm beim zweiten Einmarsch

Absetzung und Gefangennahme ein.