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        Kapitel 17  Das Schicksal des Königs und seiner Familie

Aus heutiger Sicht weniger interessant, ist dieses Kapitel der

Treue des Sehers zur gottgegebenen Ordnung des Königtums geschul-

det.  Er interessiert sich für Ludwig XVI. nicht als Person,

sondern weil er der l e t z t e König des Ancien Régime in fort-

laufender Folge ist.  N. fasst es kaum, dass die Tötung des Königs

nicht mehr als Verbrechen gilt, sondern von einer „diabolischen

Versammlung“, 1/42 (Kap.15), dem Nationalkonvent, ganz offiziell

beschlossen wird.  Für ihn ist das ein Akt des politischen wie auch

des christlichen Ungehorsams, vollzogen nicht von einem einzelnen

Attentäter, sondern von einem verbrecherischen Kollektiv.

 

Auszug aus dem historischen Inhaltsverzeichnis

03/50   Eingesperrt, aber noch nicht ausweglos

09/20   Ein Fluchtversuch scheitert kläglich in Varennes

06/89   Der König als Marionette des Nationalkonvents …

09/23   … und als Opfer einer neuen >heiligen Ordnung<

09/21   Die Verfolgung von Geistlichen in Blois (September 1792)

06/92   Der König abgesetzt und des Hochverrats angeklagt

08/87   Das Blut des legitimen Königs vom eigenen Volk vergossen

01/57   Seine Hinrichtung auf der Guillotine als Schauspiel für das Volk (Januar 1793)

10/17   Die abgesetzte Königin Marie-Antoinette gefangen ...

09/77   … und zum Tode verurteilt

01/07   Versuch, sie zu befreien.  Ihre Hinrichtung (Oktober 1793)

Exkurs (6) Zum Begriff der Sekte bei N.

02/98   Die Hinrichtung des Herzogs von Orléans

 

       Eingesperrt, aber noch nicht ausweglos

 

03/50    La republicque de la grande cité/

A grand rigeur ne voudra consenter:/

Roy sortit hors par trompete cité/

L’ eschele au mur, la cité repentir.  (1555)

 

Die Republik der großen Stadt/

wird großer Strenge nicht zustimmen wollen./

(Der) König verlässt mit Fanfaren durch Täuschung (die) Stadt./

Die Leiter an der Mauer, die Stadt bedauert.

 

3) N.f. trompette Trompete.  V. tromper täuschen, n.f. tromperie

Täuschung.  Die Deutung ergibt, dass beides gemeint ist, daher

die doppelte Übersetzung

3) N.f. trompette Trompete.  V. tromper täuschen, n.f. tromperie

Täuschung.  Die Deutung ergibt, dass beides gemeint ist, daher

die doppelte Übersetzung

 

 

Vz 1/2 [Republik nicht streng]  Im Oktober 1789 ist die französische Königsfamilie von einer auf-

gebrachten, z.T. mordlustigen Volksmenge genötigt worden, nach Paris überzusiedeln, wo sie

in den Tuilerien Quartier bezieht.  Als die Tanten des Königs im Februar 1791 Paris verlassen

wollen, wird ein Gesetz in den Konvent eingebracht, das die Auswanderung verbietet.  Auf Betrei-

ben Mirabeaus, der heimliche Kontakte zur Königin hat, wird es abgelehnt.  Die Republik werde

„großer Strenge nicht zustimmen wollen“.  Doch an Ostern 1791 dürfen die Eingesperrten nicht

einmal wie gewohnt einen Landsitz aufsuchen.  Paris verdächtigt den König, heimliche Kontakte

ins Ausland zu haben, ist argwöhnisch  -  und das mit Grund, wie sich dann zeigt.

Vz 3/4 [König flieht heimlich/ Fanfaren]  Am 21. Juni verlässt die Königsfamilie nachts heimlich

die Stadt.  Die >Leiter an der Mauer< ist das Bild schlechthin für eine heimliche Flucht, muss also

nicht wörtlich verstanden werden.  Man kann die Bewacher überlisten (Täuschung).  Fanfaren sind

unter solchen Umständen freilich nicht zu hören.  Die Trompetenstöße, die seit alter Zeit den König

ankündigen, sind wie die >Leiter an der Mauer< nicht wörtlich, sondern als Hinweis darauf zu ver-

stehen, dass es sich um einen König handelt, der heimlich flieht.  Ludwig hat große Pläne, will vom

Ausland her die Revolution niederkämpfen.  Aber die Flüchtlinge werden dann in Varennes gestellt,

9/20 (s.u.), und zur Rückkehr genötigt.  Man könnte gegen diese Deutung einwenden, dass Frank-

reich zur Zeit dieses Fluchtversuchs formell noch Monarchie und noch nicht „Republik“ ist.  Aber die

reale Macht des Königs tendiert bereits gegen Null, was die beschriebenen Vorgänge verdeutlichen.

 

 

       Eine Flucht scheitert kläglich in Varennes

  

09/20    De nuit viendra par la forest de Reines,/

Deux pars vaultorte Herne la pierre blanche,/

Le moine noir en gris dedans Varennes/

Esleu cap. cause tempeste feu, sang tranche.  (1568)

 

Nachts wird er kommen durch den Wald von Reims./

Zwei Gefährten gebeugten Willens erben nicht den weißen Stein,/

der Mönchskönig in grau in Varennes./

Gewähltes Haupt verursacht Sturm, Feuer.  Blut, Schneide.

 

1) Reines steht hier für Reims, um den Reim zu erfüllen.

2) Mittelfrz. n.m. par Gefährte, Kamerad (compagnon), Gleicher (pair)

Die Eigenschöpfung vaultorte ergibt einen Sinn, wenn sie aufgefasst wird

als Kontraktion aus dem lat. n.f. v o l untas und dem lat. Adj. t o r t us gequält.

Wendung marquer un jour d´ une pierre blanche einen Durchbruch schaffen.

Die Eigenschöpfung Herne ergibt einen Sinn, wenn sie aufgefasst wird als

Kontraktion aus dem lat .n.m. h e r es Erbe und dem lat. Adv. n e nicht und

beides zusammen das Prädikat der Verszeile ist.

3) Das Adjektiv noir steht hier wie öfters für einen König (Roi) -> noir.

4) Lat. n.n. caput Haupt

 

 

Wie der Umfang des Anmerkungs-Apparats schon deutlich macht, hat N. es hier mit dem Verhüllen

und Verstecken des Sinns stark übertrieben.  Es braucht viel Findigkeit und guten Willen, hier die

Vorgänge vom 21./22. Juni 1791 zu erkennen.  Die Meinung, es werde da wohl in den Vers hinein-

gelesen, was der Deutende eben finden möchte, ist zu respektieren.  Der Vers ist kein Beispiel für

eine gelungene Bildersprache, weil er gleich mit mehreren Wörtern aufwartet, die N. erfunden hat.

Vz 2/1 [Zwei Gefährten gebeugten Willens/ Wald von Reims]  Die königliche Familie ist seit 1789

in Paris de facto interniert, insofern ist der Wille von König und Königin „gebeugt“.  Am 21. Juni 1791,

nachts um halb drei, ergreift die Königsfamilie heimlich, 3/50 Vz 4 (s.o.), die Flucht und versucht,

das Ausland zu erreichen.  Die Stadt Reims wird nicht berührt, liegt aber der Fluchtroute nicht fern

(Wald von Reims). 

Vz 3 [Der Mönchskönig …]  Die Rede vom Mönchskönig greift das biblische Sinnbild von der

>Ehe< des Herrschers mit seinem Volk auf (-> mariage).  König Ludwig XVI. ist >von seinem

Volk verlassen< worden, da es ihn als wirklichen König, dem es Gehorsam schuldet, nicht mehr

anerkennt.  Dem alleinstehenden Mönch in der Klausur entspricht der von seinem Volk allein-

gelassene und eingesperrte König.  Das Bild ist insofern schief, als der Mönch die Ehelosigkeit

freiwillig wählt, während der verlassene Ehemann unfreiwillig in diese Lage gerät.  Der Einwand,

dass die Monarchie in Frankreich 1791 immer noch Anhänger habe, hat dagegen kein Gewicht,

weil die Königstreuen machtlos sind. 

Vz 3/2 [… in grau in Varennes/ erbt nicht den weißen Stein]  Die Königsfamilie fährt >in grau<,

ohne den königlichen Prunk, was allerdings nur unvollständig gelingt.  Man hat bürgerliches

Gewand angelegt, um unerkannt zu bleiben, der Dauphin ist als Mädchen verkleidet.  Aber es

hilft alles nichts, in Varennes nah der Grenze wird der Vierspänner aufgehalten, die Flüchtlinge

werden erkannt, festgehalten und zur Rückkehr genötigt.  Die königlichen Eheleute >erben nicht

den weißen Stein<, d.h. sie schaffen den erhofften Ausbruch aus ihrer verzweifelten Lage nicht. 

In den Geschichtsbüchern heißt das gescheiterte Unternehmen >die Flucht nach Varennes<,

weil der Ausbruchsversuch dort endet.

Vz 4 [Gewähltes Haupt …]  Im September leistet der König den Eid auf die Verfassung, die ihn

neben der Nationalversammlung als Verfassungsorgan einsetzt.  Er ist König nicht mehr aus

eigenem Recht, sondern kraft der neuen Konstitution.  Nun scheitern viele Deuter an der Klippe,

die sie darin erkennen, dass Ludwig XVI. nie, auch nicht nach der Verfassung vom September

1791, „gewählt“ worden sei.  Das trifft zu, aber der Nationalkonvent wählt eine konstitutionelle

Monarchie als Verfassung für das Land mit einem König als Statisten an der Spitze.  Dass es

sich dabei um eine echte Wahl handelt, zeigt sich schon ein Jahr später im September 1792,

als man die Alternative wählt, eine Republik ausruft und das Amt des Königs suspendiert.

Vz 4 [… verursacht Sturm, Feuer/  Blut, Schneide]  Die Auslandskontakte Ludwigs bilden dann

die Grundlage dafür, den abgesetzten König wegen Hochverrats unter Anklage zu stellen. 

Während des Verfahrens erinnert man sich an einen Ahnen der Bourbonen namens Hugo Capet

und spricht den Angeklagten als „Bürger C a pet“ an.  Ludwig XVI. hat die Revolution nicht verur-

sacht, aber durch seine Unentschlossenheit, 10/43 (Kap.14), und Ahnungslosigkeit, 10/16 (Kap.14),

zum Ende des Königtums in Frankreich beigetragen.  Er endet auf der Guillotine, 1/57 (s.u.).

 

 

       Der König als Marionette des Nationalkonvents …

 

06/89    Entre deux cymbes piedz & mains estachés,/

De miel face oingt & de laict substanté:/

Guespes & mouche fitine amour fachés,/

Poccilateurs faucer, Cyphe tempté.  (1568)

 

Zwischen zwei Zimbeln angebunden Füße und Hände/

des mit Honig gesalbten Antlitzes, mit Milch darunter./

Wespen (und) Fliegen, (aus) Dreckskübelliebe erzürnt,/

Mundschenke üben Verrat, Becher in Versuchung geführt.

 

1) Altfrz. n.m. cimble, cimbe Becken (cymbale)

Mittelfrz. v. estachier anbinden, fesseln (attacher)

3) N.f. tine Kübel, Interjektion fi  pfui!

4) Lat. n.m. poccilator Mundschenk, lat. n.m. scyphus Becher, Pokal

 

 

Vz 2/1 [Gesalbtes Antlitz/ zwischen zwei Zimbeln   ]  Das mit Milch und Honig gesalbte Antlitz meint

einen in herkömmlicher Weise auf den Thron gelangten König, 1/57 (s.o.).  Zimbeln, Trompeten und

Glocken erklingen im Alten Testament, wenn ein neuer König den Thron besteigt, 2/44 (Kap.26). 

Vz 1 [… angebunden]  Es ist also ein König, dessen „Füße und Hände angebunden“ sind

„zwischen zwei Becken“ oder „Zimbeln“.  Das soll erstens bedeuten, dass er keine Bewegungs-

freiheit mehr hat.  Seine Bewachung nach dem fehlgeschlagenen Fluchtversuch vom Juni 1791

wird noch einmal rigoros verschärft, er befindet sich offiziell in der >Obhut< des Konvents. 

Zweitens muss er auch noch das tun, was der Konvent ihm nahelegt, nämlich den Eid auf die

neue Verfassung ablegen.  Dabei wird ihm klar gemacht, dass man im Fall, dass er sich wider-

setzen würde, genügend belastendes Material habe, das für eine Anklage wegen Hochverrats

reiche.

Vz 3 [Wespen und Fliegen erzürnt]  Die neuen Herren erscheinen als lästige, Unflat liebende

und in ihrem Zorn gefährliche Insekten.  Wie in Sz 36 (Kap.15) werden Analogien aus dem Tier-

reich bemüht, um Menschen abzuwerten, deren Taten der Seher missbilligt und verwirft.

Vz 4 [Mundschenke üben Verrat]  Auch die Männer der Kirche werden durch die neuen Herren

„in Versuchung geführt“ oder „auf die Probe gestellt“ werden, die manch ein Spender der

Kommunion (>Mundschenk<) nicht bestehen werde.  Etwa ein Drittel des französischen Klerus

ist bereit, den Eid auf die französische Verfassung zu leisten, d.h. sich dem neuen Staat zu

unterstellen.

 

 

      … und als Opfer einer neuen >heiligen Ordnung<

 

09/23    Puisnay iouant au fresch dessouz la tonne,/

Le hault du toict du milieu sur la teste,/

Le pere roy au temple saint Solonne,/

Sacrifiant sacrera fum de feste.  (1568)

 

Nachgeborener spielend, kaltgestellt, in der Laube (?),/

der Hohe des Hauses der Unterwelt über dem Haupt./

Der Vater (ist) König im Tempel (des) heiligen Solon,/

(ihn) opfernd, werden sie weihen festlichen Rauch.

 

1) Mittelfrz. Adj. fresque frisch (frais) Wendung mettre qu. au frais

jdn. kaltstellen, einlochen.   N.f. tonnelle Laube.

2) Mittelfrz. toict > lat. n.n. tectum Dach; Zimmerecke; Haus.

N.m. (le)milieu kann bedeuten:  Unterwelt, kriminelles Milieu.

4) Altfrz. n.m. fum Rauch (fumee), Duft (parfum)

 

 

Vz 1 [Nachgeborener spielend]  Im August 1792 wird die königliche Gewalt in Frankreich

suspendiert. Der des Hochverrats angeklagte >Bürger Capet< wird mit seiner Familie im Temple

interniert, einem düsteren alten Gebäude, einst vom Templerorden erbaut.  Die Internierten dürfen

den Garten benutzen, der siebenjährige Dauphin darf dort spielen. 

Vz 3/2 [König im Tempel des heiligen Solon/ Hoher des Hauses über dem Haupt]  Der Athener

Solon hat 594 vor Christus die feudale Ordnung der athenischen Polis aufgehoben;  er hat die

Bauern befreit und den Staat auf eine ganz neue gesetzliche Grundlage gestellt.  In ähnlicher

Weise, meint N., werde der verfassunggebende Nationalkonvent handeln, indem er im August

1792 das Königtum abschafft und dabei der „antiken Phantasie“ huldigt, dass man mit einer

egalitären demokratischen Ordnung besser fahren werde als mit dem Königtum, 2/12 (Kap.15). 

Dieser Nationalkonvent wäre es demnach, der >im Tempel des heiligen Solon< tagt  -  das hat

sarkastischen Klang.  In Wahrheit, meint N., haben sich dort Kriminelle, die >Unterwelt< zusammen-

getan zu einer „diabolischen Versammlung“, 1/42 (Kap.15).  Bei Verhandlungen mit Beteiligung

des abgesetzten Königs saß der Vorsitzende an höherer Stelle als der Zeuge und später dann

Angeklagte.

Vz 4 [Ihn opfernd, weihen sie festlichen Rauch]  Auf der >Feier der neuen Ordnung< werde man

schließlich den König als Opfergabe dem neuen Gott, der Vernunft, darbringen;  der König stirbt

auf der Guillotine.

 

 

      Die Verfolgung von Geistlichen in Blois (September 1792) 

  

09/21    Au temple hault de Bloys sacre Solonne,/

Nuict pont de Loyre, Prelat, Roy pernicant,/

Curseur victoire aux marestz de la lone/

D’ où prelature de blancs à bormeant.  (1568)

 

Beim hohen Tempel von Blois, heiliger Solon,/

nachts (auf der) Loîre-Brücke (ein) Prälat, (dem) König

den Rest gebend,/  (Ein) Läufer:  Sieg in den Sümpfen von (?),/

von dort (die) Prälatur der Weißen verabscheuend (?).

 

1) Die Kathedrale Saint-Louis in Blois soll bis 1730 Saint Salonne

geheißen haben, sie könnte auch gemeint sein.

2) Lat. v. pernecare völlig töten

4) à bormeant wohl vom v. abominer verabscheuen

 

 

         Vz 4/1 [Prälatur der Weißen/ Heiliger Solon]  „Die Weißen“ sprechen dafür, dass es sich um Vorgänge

         während der französischen Religion handelt.  So wird die Partei der Königstreuen wegen des weißen

         Banners des Königs genannt.  Die >Prälatur der Weißen< ist die papsttreue, dem Ancien Régime

         verpflichtete, den Eid auf die Verfassung verweigernde, nach der Revolution illegal gewordene franzö-

         sische Kirche.  Für die Zeit der Revolution spricht auch der >heilige Solon<, wenn er denn gemeint ist.

         In der antiken Polis Athen hat er, wie die Revolutionäre in Frankreich, das Staatswesen aus eigener

         Vollmacht und nach eigenem Gutdünken ganz neu geordnet, 9/23 (s.o.)

         Vz 2 [auf der Loîre-Brücke ein Prälat, dem König den Rest gebend]  Der Generalvikar des Bischofs

         von Blois hat 1791 Gegner der Revolution um sich geschart.  Nach dem Sieg des Konventsheeres

         über das Heer der Koalition bei Valmy am 20. September 1792 wird einen Tag später in Paris die

         Monarchie suspendiert und die erste französische Republik ausgerufen.  Es kommt überall im Land

         zu den sogenannten Septembermorden.  In Blois werden zahlreiche Geistliche zum Tode verurteilt

         und von einer Brücke in die Loîre gestürzt.  Diese revolutionsfeindlich gesonnenen Geistlichen tragen

         bei zu der Stimmung, in der die Verurteilung des Königs zum Tod im Januar 1793 möglich wird  -  das

         will N. hier wohl zu verstehen geben.

 

      Der König abgesetzt und des Hochverrats angeklagt

  

06/92    Prince de beauté tant venuste,/

Au chef menée, le second faict trahy:/

La cite au glaive de poudre face aduste,/

Par trop grand meurtre le chef du Roy hay.  (1568)

 

Fürst von liebenswürdiger Schönheit,/

sie (wird) zum Vorgesetzten geführt, die zweite Sache verraten./

Die Stadt beim Schwert, vom Pulver Antlitz verbrannt./  Wegen

zu reichlichen Mordens (wird) der Vorgesetzte des Königs gehasst.

 

1) Lat. Adj. venustus lieblich, anmutig; liebenswürdig, fein

2) Das weibliche p.p.p. menée ist erklärt, wenn es die

„Schönheit“ ist, die vorgeführt wird.

3) Altfrz. n.m. glaive Schwert (épée) > lat. n.m. gladius Schwert

Lat. v. adurere verbrennen, p.p.p. adustus verbrannt

 

 

Vz 1 [Fürst von liebenswürdiger Schönheit …]  Die Porträts des XVI. Ludwig zeigen einen gut-

mütigen und üppig genährten Mann, der nach Maßstäben des Rokoko auch schön gewesen sein

mag.  Für N. aber ist er >schön<, weil er die alte, im christlichen Glauben gegründete Ordnung

verkörpert. 

Vz 2 [… zum Vorgesetzten geführt/ zweiter Verrat]  Wenn der gemeinte König ein „Oberhaupt“,

einen „Vorgesetzten“ oder „Chef“ hat, dem er vorgeführt wird, ist das ein sehr deutlicher Hinweis

auf die durch die Revolution 1789ff. schwer erschütterte Stellung des letzten Königs des Ancien

Regime in ununterbrochener Folge, Ludwigs XVI.  Seiner >absoluten< Stellung beraubt ist er

de facto seit Juli 1789 und seit dem September 1792 auch offiziell, als die Konstituante eine

Verfassung mit einem konstitutionellen König an der Spitze verabschiedet.  Diese Verfassung

stattet ihn immerhin noch mit Rechten aus.  Im Jahr darauf wird er abgesetzt, und man verurteilt

ihn, trotz der von der Verfassung garantierten Unverletzlichkeit seiner Person, zum Tode.  So wird

für den Seher als Anhänger der Monarchie ein „zweiter Verrat“ begangen.  Die Revolutionäre

missachten erst das Königtum und dann die von ihnen selbst geschaffene Verfassung.

Vz 3 [Stadt beim Schwert/ Antlitz verbrannt]  Nach der Exekution wird der abgetrennte Kopf

routinemäßig in eine Grube mit ungelöschtem Kalk geworfen.

Vz 4 [Wegen zu reichlichen Mordens Vorgesetzter des Königs gehasst]  In den achtzehn

Monaten nach der Hinrichtung des Königs kommt die Schreckensherrschaft zu voller Entfaltung. 

Allein in Paris werden mehrere tausend Menschen im Eilverfahren zur Guillotine verurteilt. 

Robespierre, die treibende Kraft der Blutjustiz, steigt zum mächtigsten und am meisten gefürch-

teten Mann der jungen Republik auf.

 

 

       Das Blut des legitimen Königs vom eigenen Volk vergossen

  

   08/87    Mort conspiree viendra en plein effect,/

                    Charge donnee & voiage de mort/

                    Esleu, creé, recue par siens deffait./

                    Sang d‘ innocence deuant foy par remort.  (1568)

 

                    Tod, gemeinsam ausgeheckt, wird voll zur Ausführung kommen./

                    Zum Angriff geblasen, und (eine) Todesfahrt./

                    Erwählt, geschaffen, angenommen. durch (die) Seinen

niedergemacht,/

                    unschuldiges Blut vor dem Glauben, bedauerlich.

 

 

Vz 3 [Erwählt, geschaffen, angenommen]  Auch in diesem Vers ist das Schicksal Ludwigs XVI.

gemeint.  Die Könige des Ancien Régime sind nach der alten Lehre von Gott „erwählt“ und

„geschaffen“ zum König;  von den Menschen sind sie als legitime Herrscher „angenommen“. 

Vz 1/2/3 [Gemeinsam ausgeheckt/ Angriff/ durch die Seinen niedergemacht]  Spürbar ist das

große Erstaunen und Befremden darüber, dass ein legitimer König durch das eigene Volk

„niedergemacht“ wird.  Der >Angriff< ist die Stoßrichtung der Revolution, die nicht das Werk

einer Verschwörung Einzelner, ist, bei der vielmehr große Kreise der Bevölkerung zusammen-

wirken (conspirer).

Vz 2/4 [Todesfahrt/ unschuldig vor dem Glauben]  Das deutlichste Detail ist die „Todesfahrt“. 

Gemeint ist die Flucht der Königsfamilie im Juni 1791, die kläglich endet, 9/20 (s.o.).  Die

hochverräterischen Verbindungen ins Ausland, die dem König in diesem Zusammenhang

vorgeworfen werden, sind die Grundlage für das Todesurteil, das der Nationalkonvent eineinhalb

Jahre später fällt.  Vor der Konstitution, die zu beeiden man ihn genötigt hat, ist der König wohl

wirklich schuldig geworden. N. aber hält den König für unschuldig „vor dem Glauben“, weil er

die alte, im Glauben gegründete Ordnung nicht verraten habe.  Alle Zugeständnisse hat man

dem König in der Tat abpressen müssen; er hat sich von dem Revolutionsfieber nicht mitreißen

lassen wie manch anderer Adlige.

 

 

       Seine Hinrichtung auf der Guillotine als Schauspiel für das Volk (Januar 1793)

 

01/57    Par grand discord la trombe tremblera./

Accord rompu dressant la teste au ciel:/

Bouche sanglante dans le sang nagera:/

Au sol la face ointe de laict & miel.  (1555)

 

Unter großem Missklang wird der Sturm erbeben./

Der Zusammenklang unterbrochen, hebt man den Kopf

zum Himmel./

Ein blutender Mund wird in dem Blut schwimmen,/

am Boden das Antlitz, das mit Milch und Honig gesalbte.

 

1) N.f. trombe Windhose, Wasserhose.  Die Wendung arriver en trombe

bedeutet: mit Getöse daherkommen, angesaust kommen

 

 

Vz 3/4 [Am Boden das Antlitz, mit Milch und Honig gesalbt]  Mit Milch und Honig aus der goldenen

Ampulle sind die Könige bei ihrer Krönung in Reims gesalbt worden.  Es ist also ein König von

Frankreich, dessen „Antlitz am Boden“ liegt und im Blut schwimmt.  Es kann sich hier nur um

Ludwig XVI., den letzten König des Ancien Régime in fortlaufender Folge handeln, der am

21.1.1793 hingerichtet wird. 

Vz 1/2 [Sturm erbebt/ Zusammenklang unterbrochen/ Kopf hochgehoben]  Der Vers zeichnet mit

wenigen Strichen, aber in plastischer Deutlichkeit die Szenerie dieser Hinrichtung.  Zum Vergleich

ein paar Zeilen aus einem zeitgenössischen Flugblatt: 

 

„Als der Scharfrichter ihm die Haare abschnitt, ward er erschüttert, wendete sich an das Volk, und sagte mit lauter Stimme:  >Franken, ich sterbe unschuldig. 

Von diesem Schaffotte herunter, in dem Augenblick, da ich bereit bin, vor Gott

zu erscheinen, sage ich euch diese Wahrheit!  Doch ich verzeihe meinen

Feinden, und wünsche, daß Frankreich …<    Hier wirbelten die Trommeln,

wodurch die Stimmen, die Gnade riefen, erstickt wurden, und die Henker

banden ihm die Hände und Füße auf ein Brett, und streckten den Körper auf

die Guillotine oder Kopfmaschine!  Die Exekution dauerte nicht 8 Sekunden,

und kaum war der Streich geschehen, als sich ein allgemeines Geschrei erhob: 

>Es lebe die Nation!  Es lebe die Republik!< …  Der Henker nahm hierauf

den Kopf, und zeigte ihn zweimal dem jubelnden Volke, und der Rumpf ward

in den Korb gelegt….“

 

              zit. nach S. Pabst, Die Köpfe der französischen Revolution, Frankfurt 1989

         Für den königstreuen Seher erzeugen die Trommeln einen „Missklang“, denn in seiner Schau ist

         es eine Blutschuld, die das Volk damit auf sich lädt, 4/49 (Kap.18).

 

 

       Die abgesetzte Königin Marie-Antoinette gefangen …

 

10/17    La Royne Ergaste voiant sa fille blesme,/

Par un regret dans l’ stomach encloz,/

Crys lamentable seront lors d’ Angolesme,/

Et au germain marriage fort clos.  (1568)

 

Die Königin (als) Häftling sieht ihre Tochter blass,/

durch einen Schmerz, in der Seele eingeschlossen,/

jämmerliches Wehklagen wird es dort geben von (der) Angoulême/

und mit dem Neffen (eine) verworfene Heirat.

 

1) Lat. n.n. ergastulum Arbeitshaus, Zuchthaus, n.m. ergastulus

Häftling, Gefangener.  Aus Ergaste wird durch Buchstabenumstellung

estrage oder strageeRoyne stragee bedeutet etwa: gestürzte Königin,

> lat. n.f. strages Niederlage

4) Germain frère kann bedeuten: 1. Bruder 2. Neffe 3. Geistes-

verwandter 4. Großneffe (großer Larousse)

Mittelfrz. v. forclore ausschließen (exclure), verhindern (empêcher)

 

 

Vz 1/2 [Königin/ Tochter/ Schmerz]  Als man Marie-Antoinette, die abgesetzte Königin, im

Temple gefangen hält (seit September 1792), ist ihre mitgefangene Tochter Marie Thérèse

Charlotte vierzehn Jahre alt.  Im Januar 1793 wird Louis XVI., Vater der Marie Thérèse,

hingerichtet.  Dann setzt Hébert, ein Mann niedrigster Gesinnung, es durch, dass man Marie-

Antoinette den Sohn, der Schwester den Bruder entzieht, der damals acht Jahre zählt und

Louis XVII. geworden wäre.  Die Königin ist nun mit der Tochter und einer treuen Gouvernante

allein.  Grund zur Trauer gibt es für die zerstörte Familie genug.

Vz 3/4 [Angoulême heiratet Neffen]  Die Tochter heiratet später ihren Neffen, den Sohn des

Grafen von Artois, des späteren Königs Charles X., eine eigentlich unzulässige Verbindung. 

Ihr Mann trägt den Titel eines Herzogs von Angoulême, und sie wird durch die Heirat Herzogin

von Angoulême.  Die abgekürzte Anrede von Adligen mit dem Namen des Fürstentums in ihrem

Titel ist damals üblich.

 

 

        … und zum Tode verurteilt

  

09/77    Le regne prins le Roy conuiera/

La dame prinse a mort iurez a sort,/

La vie a Royne fils on desniera,/

Et la pellix au fort de la consort.  (1568)

 

Die Herrschaft ergriffen, wird der König vorladen lassen./

Die Dame ergriffen, (sie werden) zum Tode verurteilt durch‘ s Los./

Das Leben wird man dem Sohn (der) Königin verweigern,/

und die Hure erst recht der Schicksalsgefährtin.

 

4) Lat. v. pellicere anlocken, davon mittellat. n.f. pelex, pellex Hure.

Die Wendungen au fort de qc. oder au plus fort de qc. bedeutet:

mitten in, mitten hinein, an der stärksten Stelle.

 

 

Vz 1/2 [König/ verurteilt durch Los]  Nach der Hinrichtung Ludwigs XVI. im Januar 1793 geht

es - nicht offiziell, aber in Wirklichkeit -  darum, wer im Namen des neuen Gottes, der Vernunft,

König wird.  Robespierre greift nach der Herrschaft, will „König“ werden und wird es auch,

ohne sich so zu nennen, indem er ab März 1793 die Gründung eines Revolutionstribunals betreibt. 

Dessen Geschworene werden durch das Los aus den Mitgliedern des Konvents bestimmt.  Es

hat unbeschränkte Vollmacht gegenüber Personen, die ihm von Konvent überstellt werden.

Vz 3 [Dem Königssohn Leben verweigert]  Zu diesen Personen gehört auch die abgesetzte

Königin Marie Antoinette.  Ihr Sohn, der achtjährige Louis Charles, ist im Juli zur Umerziehung

einer Handwerkerfamilie übergeben worden, die ihn verkommen lässt;  er ist wahrscheinlich

früh gestorben.

Vz 4 [Auch der Schicksalsgefährtin verweigert die Hure das Leben]  In der „Hure“ wird meist

die Madame Dubarry erkannt, ehedem Mätresse des Königs Ludwig XV.  In Wirklichkeit meint

N. mit der „lockenden Dirne“ oder „Hure“ das Volk des revolutionären Paris, dessen >Herren-

losigkeit< verführerisch wirkt auf jene, die sich berufen fühlen, nach der Herrschaft zu greifen. 

In dem wenig schmeichelhaften Namen deutet N. die Bereitschaft des Volkes an, mit jedem

>sich einzulassen<, der es materiell gut entschädigt oder zu entschädigen verspricht. 

Marie-Antoinette ist das vom Volk meistgehasste Mitglied der Königsfamilie, 9/20 (s.o.). 

Die >Hure< ruht nicht, bis auch die abgesetzte Königin zum Tode verurteilt ist.  Sie wird im

Oktober 1793 hingerichtet, erleidet somit das gleiche Schicksal wie ihr Ehemann neun

Monate zuvor.

 

 

        Versuch, sie zu befreien.  Ihre Hinrichtung (Oktober 1793) 

 

01/07    Tard arriué l‘ execution faicte/

Le vent contraire, letres au chemin prinses/

Les coniures. xiiij. dune secte/

Par le Rosseau senez les entreprinses.  (1555)

 

Spät gekommen, die Hinrichtung (ist) ausgeführt,/

der Wind widrig, Briefe unterwegs abgefangen./

Die Verschworenen (sind) von einer Vierzehnten-Sekte,/

durch den Rousseau sehen die Pläne alt aus.

                   

3) Die Chiffre „xiiij.“ kann als römische Zahl vierzehn (XIV), und wegen

des Punktes als Ordnungszahl „Vierzehnte(r)“ verstanden werden.  Es

könnte auch eine „vierzehnte Sekte“ gemeint sein, aber das ergibt im

Kontext keinen Sinn.

4) Lat. v. senescere 1. alt werden 2. abnehmen, verfallen, schwinden.

Mittelfrz. n.f. entreprinse Initiative (initiative), Vorhaben (projet)

 

 

Vz 1/2 [Briefe unterwegs abgefangen/ Hinrichtung ausgeführt]  Seit dem 1.8.1793 ist Marie

Antoinette, die abgesetzte Königin, in der Pariser Conciergerie interniert und wird dort streng

bewacht.  Ein Freund, der schwedische Graf von Fersen, weiß sie in höchster Gefahr und versucht

vom Ausland her verzweifelt, sie zu befreien.  Mit der Hilfe von Pariser Freunden stellt er Kontakt

her zu der Gefangenen.  Ein als Nelke getarntes Kassiber und die Antwort der Königin kommen

auf, werden „unterwegs abgefangen“.  Dieses sogenannte Nelken-Komplott beschleunigt das

Schicksal der Königin, das es hätte wenden sollen (Stefan Zweig, Marie Antoinette, Eine Bio-

graphie, Frankfurt/M. 1980, S. 498ff).  Der anschließende Prozess endet mit dem Todesurteil,

das am 16.10.1793 vollstreckt wird.

Vz 3/4 [Verschworene einer Vierzehnten-Sekte/ Rousseau]  Als Königstreuer sympathisiert N.

mit den Befreiungsplänen und erkennt die Bemühungen als erfolglos, weil verspätet, Vz 1. 

Als Königstreuer nennt er die Revolution >widrigen Wind< und die Revolutionäre „Verschwo-

rene“.  Wer hier mit der >Sekte< gemeint ist, ergibt sich aus dem Kontext.  Die gescheiterte

Rettung, Vz 1, die Erwähnung Rousseaus, eines der geistigen Väter der Revolution, sowie

das Wort „Vierzehnter“ verweisen darauf, dass mit der >Sekte< die Parteigänger der revolutio-

nären Republik gemeint sind.  Am 14.7.1789 ist die Bastille erstürmt worden, ein Pariser

Gefängnis.  Erstmals am 14.7.1790 wird das Gedenken an dieses Ereignis feierlich begangen. 

Bis heute ist der 14. Juli der Nationalfeiertag der französischen Republik.

 

          Exkurs (6) zum Begriff der Sekte bei N.

Als Anhänger des Königtums übernimmt N. auch sprachlich nicht den Standpunkt

der Anhänger der Republik.  „Verschworene“ sind nicht Gegner der Republik,

sondern Gegner des Königtums.  Wer gegen das Königtum vorgeht, es schwer

erschüttert und dann beseitigt, weil er die Ungleichheit und das Gottesgnadentum

nicht mehr akzeptiert, der gründet für N. eine >Sekte<, die sich gegen den christlichen

Glauben stellt.  Er wird Partei mit dem Beiklang nicht nur politischer Verschwörung,

sondern auch des christlichen Ungehorsams. 

Ist dann die alte Ordnung umgestoßen, und sind die Revolutionäre an der Macht,

sind sie es, die die politische Sprache bestimmen.  Der Versuch zur Befreiung der

internierten Königin, wird zur Affäre, zum Komplott, eingefädelt von Verschwörern. 

N. aber lässt sich nicht beirren und bleibt bei seiner Sicht der Dinge.  Für ihn sind

in Wahrheit die von der Republik bestellten Richter, die das Todesurteil fällen,

die >Verschworenen< einer >Sekte<.  So nennt er abschätzig die erfolgreichen

Parteigänger der Republik, die sich gegen das Königtum gestellt und das Königspaar

physisch vernichtet haben.  Ebenso abschätzig nennt er die sich für aufgeklärt

haltenden Denker des 17. und 18. Jahrhunderts eine >neue Sekte von Philosophen<,

3/67 (Kap.13), weil sie sich gegen den alten Glauben stellen, soweit er als Legitimation

der alten Ordnung des Königtums dient.

In der Vorschau wird die Anhängerschaft des >neuen Weisen<, 4/31 [III], der nach

dem Kataklysmus [II] auftritt, einmal eine Sekte genannt, VH (30), wobei N. wieder

seinen Maßstab zugrundelegt, weil er die Lehren dieses Mannes als verderblich für

die Christen erkennt.  Doch an den meisten Fundstellen der Vorschau sind es die

Glaubensgemeinschaften der alten Religionen, die pauschal mit dem abwertenden

Begriff der Sekte belegt werden, z.B. in VH (25), 1/45 [VIII] und 1/96 [VIII]. 

Die Glaubensinhalte, die sie bis dahin bewahrt haben, werden am Ende mit dem

Bann eines globalen Regimes belegt;  wer noch an ihnen festhält, gilt als Sektierer.

 

     Die Hinrichtung des Herzogs von Orléans

 

02/98    Celuy du sang resperse le visaige/

De la victime proche sacrifi´´ee:/

Tonant (!) en Leo augure par presaige:/

Mis ester `a mort lors pour la fianc´´ee.  (1555)

 

Jener von Geblüt (wird) bespritzt (haben) das Gesicht/

(mit dem Blut) des verwandten Opfers, der Gottheit dargebracht./

Donner gegen (den) Löwen (ein) Vorzeichen durch Vorhersage:/

Er wird zu Tode gebracht (werden) wegen der Verlobten.

 

1) Lat. v. respergo, respersi, respersum besprengen, bespritzen

2) N.f. victime Opfer (eines Verbrechens, eines Unfalls); 

n.m. sacrifice Opfer (für einen Gott), v. sacrifier opfern.

3) Lat. v. tonare donnern, dröhnen, krachen, lat. tonans Donnerer,

(der Gott) Jupiter, mittellat. tonans Gott

 

 

Vz 1/2 [Jener von Geblüt/ verwandtes ..]  Herzog Louis Philippe von Orléans ist Spross einer

Seitenlinie des französischen Königshauses Bourbon, ist daher „von Geblüt“.  Über den gemein-

samen Vorfahren Louis XIII. ist er  „verwandt“ mit König Ludwig XVI.  Dieser Adlige stellt sich

auf die Seite des Volkes, macht mit den Vertretern des dritten Standes gemeinsame Sache. 

Vz 2 [..Opfer, der Gottheit dargebracht]  Er stimmt im Januar 1793 in der Nationalversammlung

für die Verurteilung des Königs zum Tod  -  darin erkennt N. die Darbringung eines Opfers aus

religiösen Gründen, 1/44 (Kap.15).  Dass die Anhänger der Revolution einem anderen Glauben

huldigen, dem Glauben an die Kraft der Vernunft des Menschen, trifft zu, und ebenso, dass der

König umkommt, um diesem neuen Glauben ein für allemal zum Durchbruch zu verhelfen. 

Louis Philippe hofft darauf, selbst einmal auf den (erneuerten) Thron zu gelangen.   

Vz 3 [Donner gegen den Löwen ein Vorzeichen/ Er wird umgebracht…]  Der >Donner gegen

den Löwen<, das königliche Tier, steht für die Verurteilung des Königs Ludwig XVI. zum Tode. 

In dieser Verurteilung erkennt N. ein Vorzeichen für den nahen Tod des Verwandten, der an

dem Tod des Königs mitschuldig geworden ist.  Philippe Égalité, wie er sich nennt, um seine

Gesinnung zu demonstrieren, wird am 7.4.1793 verhaftet und am 6.11.1793 hingerichtet, nur

einige Monate später als der König.  

Vz 4 [… wegen der Verlobten]  Es ist der Beschluss eines vom revolutionären Konvent bestellten

Gerichts, ihn zum Tod zu verurteilen.  In letzter Instanz ist die >Verlobte< dieses Adligen das Volk,

das >heiraten< zu können dieser Bourbone gehofft hat.