Suche 

        Kapitel 11  Die Türkenkriege um 1700

Seit dem 14. Jahrhundert breiten sich die Osmanen nach Nordosten

aus, und es kommt zu Auseinandersetzungen mit dem christlich

geprägten Europa (Türkenkriege).  Die aus abendländischer Sicht

sogenannte Türkengefahr - die Bedrohung der Europäer durch Menschen

anderen Glaubens -  ist also schon zu Lebzeiten des Sehers

aktuell.  Wie sich diese Auseinandersetzung zwischen Abend- und

Morgenland entwickeln werde, wer letztlich die Oberhand behalten

werde, ist für N. eine höchst interessante Frage.  Dass noch im

17. Jahrhundert das habsburgische Österreich Hauptgegner der

Osmanen sein würde, dass man sie aber letztlich vom Reich werde

fernhalten können, hat N. gesehen, wie das Kapitel zeigt.

 

Auszug aus dem historischen Inhaltsverzeichnis

08/59   Das Morgenland wird das Abendland schwächen                                    

10/62   In der Nähe Serbiens stehen sie, Ungarn anzugreifen                           

01/49   Andrang der Orientalen um 1700, sie unterjochen „beinah“

den Rand des Reichs   

 

        In der Nähe Serbiens stehen sie, Ungarn anzugreifen

 

10/62   Pres de Sorbin pour assailir Ongrie,/

L‘ heraut de Brude les viendra auertir:/

Chef Bizantin, Sallon de Sclauonie,/

A loy d‘ Arabes les viendra conuertir. (1568)

 

In der Nähe Serbiens (stehen sie), um Ungarn anzugreifen,/

der Herold der Phantasten wird kommen, sie zu warnen./

Das Haupt von Byzanz, Saloniki wird von Slawonien her/

sie zum Gesetz der Araber bekehren wollen.

                   

2) V. broder sticken, metaphorisch: ausschmücken, entstellen, hinzudichten,

übertreiben, seine Phantasie spielen lassen

 

 

Vz 4  [Gesetz der Araber/ Brude]  Dass mit dem „Gesetz der Araber“ der Islam gemeint ist, lässt

sich hier folgern aus dem Verbum convertir bekehren, das eindeutig dem Bereich der Religion

angehört.  Die Brudes oder Brodes kommen bei N. mehrfach vor, in den Versen 8/34, 3/92, 4/3,

die alle noch nicht erfüllt sind. Wenn die Ableitung vom Verbum broder zutrifft, kann man mit

„Phantasten“ oder "Spinner" übersetzen. Diese Deutung bezieht sich auf das damals gängige

Vorurteil der Europäer von den Anhängern des Islam, die N. teilte, VH (9). Demzufolge seien

die Anhänger des Islam zwar sehr begabt im Erdichten und Erzählen von Geschichten, nähmen

es aber dabei mit der Wahrheit nicht sehr genau.

Vz 1/3  [Nähe Serbiens/ Slawonien] 

 

„Die Grenzen des historischen Territoriums, auf das sich der Name Slawonien

bezieht, haben sich im Laufe der Zeit deutlich verschoben. Im Mittelalter

wurde der gesamte in der Donau- und Savetiefebene gelegene Teil des

damaligen Königreiches Dalmatien, Kroatien und Slawonien als Slawonien

(lateinisch Regnum Slavoniae) bezeichnet…

Nachdem infolge der türkischen Eroberungen im 16. Jahrhundert der größte

Teil des Königreiches Dalmatien, Kroatien und Slawonien mit Ausnahme von

Zagreb vom Osmanischen Reich erobert worden war, wurde Kroatien von

Slawonien im engeren Sinn … unterschieden. Zagreb wurde infolgedessen

politisches Zentrum des Restgebietes, also dem westlichen Teil des mittel-

alterlichen Slawoniens. Der Name Slawonien bezeichnet seitdem nur noch

den östlichen Teil dieses Gebietes.“

 

             zitiert aus http://wikipedia.org.de Stichwort Slawonien

Vz 2  […Ungarn anzugreifen]  Bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts sind die

Osmanen von der bezeichneten Gegend aus nach Ungarn vorgedrungen mit dem Ergebnis

einer Teilung des Landes in einen österreichischen und einen türkischen Teil.  Das ist schon

Vergangenheit, als N.seine Verse schreibt.  In weiteren österreichischen Türkenkriegen der

Jahre 1593-1606, 1663/64, 1683-99 und 1716-18 kommt es zu weiteren Vorstößen der Türken

auf österreichisch beherrschte Gebiete. Dass um „1700“ „die vom Morgenland“ bis zum Rand

des Reiches vordringen würden, teilt N. 1/49 (s.u,) mit. Im Sommer 1683 steht in der Tat nach

gut 150 Jahren erneut ein türkisches Heer vor Wien. Das „Haupt von Byzanz, Saloniki“ nennt N.

den türkischen Sultan, damals Mehmet IV., dessen Heerführer Großwesir Kara Mustafa heißt.

Gegen diese Deutung wird eingewandt (Pfändler 1996), den Türken sei es nicht so sehr

um die Verbreitung des Islam gegangen, als vielmehr um Landnahme und Tribute von den

Besiegten.  Das trifft zu, aber für den streitbaren Katholiken N. stand offenbar der religiöse

Aspekt im Vordergrund.  Seine Darstellung in Sachen Religion ist durch Parteinahme

einseitig und durch Affekt manchmal fehlerhaft; Beispiele finden sich in Kapitel 6 über

König Heinrich IV. von Frankreich.  Wer objektive Einschätzungen von ihm erwartet

wie von einem Historiker, dem werden sich die Zenturien nicht erschließen.

 

 

        Die Orientalen unterjochen um 1700 „beinah“ den Rand des Reiches 

 

01/49    Beaucoup beaucoup auant telles menées/

Ceux d’ Orient par la vertu lunaire/

Lan mil sept feront grand emmenées/

Subiugeant presque le coing Aquilonaire. (1555)

                   

Sehr sehr lange vor diesen Umtrieben/

werden die vom Morgenland durch die mondene Kraft/

(um) das Jahr 1700 herandrängen zu großen Eroberungen/

und dabei beinah die aquilonische Ecke unterjochen.

 

1) Die erste Vz ist auf Vers 1/48 [II] gemünzt

2) Zum Mond s. Glossar unter -> lune.

3) Das n. emmenées hat N. gebildet nach dem v. emmener mitnehmen, weg-

nehmen > lat. v. imminere drohend gegenüberstehen, begehrlich etw. anstreben.

4) Lat. n.f. aquila Adler, lat. n.m. aquilo Nordwind.  S.a. -> Aquilon

 

 

Vz 4 [Ort des Geschehens: die aquilonische Ecke]  Die Ableitung des von N. gebildeten Adjektivs

Aquilonaire von dem lat. n.m. aquilo Nordwind ist möglich, ergibt hier aber keinen Sinn.  Mit

Aquilon ist das Gebiet des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gemeint, das  den

Gedanken des Universalreiches und den Reichsadler als Hoheitszeichen vom antiken Rom

übernommen hatte, s. Glossar .  Die „aquilonische Ecke“ ist jener südöstliche Rand des Reiches,

an dem es die Kämpfe mit den herandrängenden Osmanen ausfechten muss.

Vz 1/2/3 [die vom Morgenland/ mondene Kraft]  Der Vers schließt wahrscheinlich an 1/48 an,

der vom Beginn des dritten christlichen Jahrtausends handelt.  Dafür spricht, dass dort von

einer „Herrschaft des Mondes“ und hier von „mondener Kraft“ die Rede ist, beide Male also

der >Mond< geschichtlich in Erscheinung tritt.  Bei ihren Unternehmungen werden die Türken

beflügelt durch ihre Religion, die ihnen „mondene Kraft“ oder „mondene Tugend“ verleiht. 

Der Erweis des Vorrangs von Allah vor dem Gott der Christen ist ein, wenn auch nicht das

dominierende Motiv ihres Eroberungswillens.  Daher steht der Mond hier für den zunehmen-

den Halbmond als Symbol des Islam.  Der lang erfüllte Vers ist somit Belegstelle dafür,

dass N. mit dem Mond den Islam meint.

Vz 4 [beinah]  Das am Rand des Reiches gelegene Wien zu unterjochen, gelingt den Türken

aber nur „beinah“  -  das Wort presque kann hier nur adverbiell zu subiuguant sein.  Dass die

Belagerung Wiens im Sommer 1686 keinen Erfolg haben werde, dass man die Türken vom

Reich letztlich würde fernhalten können, wäre aus diesem Vers auch schon vor Eintritt der

Ereignisse ableitbar gewesen. 

Vz 3  [das Jahr 1700]  Nimmt man allerdings „das Jahr 1700“ wörtlich und besteht darauf,

dass nur dieses und kein anderes Jahr gemeint ist, dann bricht die Deutung zusammen,

denn im Jahr 1700 greifen die Türken nicht an, nachdem sie im Jahr 1699 umfangreiche

Gebiete an Österreich haben abtreten müssen (Friede von Karlowitz).  Aber bei solchen

Jahresangaben darf man ohne schlechtes Gewissen ein „mehr oder weniger“ mitlesen,

auch wenn es nicht wie in 6/2 (Kap.12) ausdrücklich dabeisteht. Immerhin steht im Jahr

1699 das von N. angedeutete Ergebnis des Ringens  - der Rückzug der Türken -  fest,

und die Angabe des Sehers liegt nur um ein Jahr daneben.

 

 

        Das Morgenland zweimal oben, zweimal unten 

 

   08/59    Par deux fois hault, par deux fois mis à bas

                    L‘ orient aussi l‘ occident foyblira/

                    Son aduersaire apres plusieurs combats,/

                    Par mer chasse au besoing faillira. (1568)

 

                    Zweimal oben, zweimal am Boden,

                    wird das Morgenland auch das Abendland schwächen.

                    Sein Gegner, nach mehreren Schlachten

                    über das Meer gejagt, wird unterliegen.

 

 

Vz 1/2  [erstes Mal oben/ Morgenland schwächt Abendland]  Die Zeit der höchsten Blüte des

Osmanenreiches fällt in etwa zusammen mit dem Sultanat Süleymans des Prächtigen, der

1520 bis 1566 herrscht.  Weil Kaiser Karl V. Hilfe gegen die Türken benötigt, sieht er sich

genötigt, den protestantischen Reichsständen den religionspolitischen Status quo zuzuge-

stehen und muss sein Ziel zurückstellen, die Einheit der Kirche zu bewahren (Nürnberger

Anstand von 1532).  Auf diese Weise schwächt das Vordringen der Türken auf dem Balkan

das Abendland nicht nur nicht nur militärisch. Die erste Zeit, in der „der Orient oben“ sein

und das Abendland in Bedrängnis bringen werde, ist die Zeit des Sehers (1503-66) und

die folgenden noch etwa 130 Jahre.

Vz 1/2  [erstes Mal am Boden]  Ein Wendepunkt ist die erfolglose Belagerung Wiens im

Sommer 1683.  Aber der Abstieg der Osmanen und ihres im Orient lange Zeit größten

und mächtigsten Reiches zieht sich über Jahrhunderte hin.  Der im 19. Jahrhundert

oft so genannte >kranke Mann am Bosporus< muss Niederlagen hinnehmen (Kap.27),

erweist sich aber als zählebig.  Erst das Bündnis mit den Mittelmächten während des

ersten Weltkrieges gibt ihm den Todesstoß, 1/40, 3/95 (Kap.31). Den Beginn des

zweiten Aufstiegs des Orients erleben wir seit etwa 1980, 1/48 [II]. 

Parallelen zwischen 16. und 20. Jahrhundert hat Nostradamus erkannt, und sie werden

auch in moderner Zeit gesehen.

 

„Das sephardische Judentum war von der Inquisition im Namen einer

>religiösen Säuberung< vernichtet worden.  Vier Jahrhunderte später

vernichtete die Shoah das ashkenasische Judentum im Namen der

Rassereinheit.  Auf diese beiden Tragödien folgte das Wiederaufleben des jüdischen Nationalbewusstseins.  Und noch etwas haben das sech-

zehnte und das zwanzigste Jahrhundert gemeinsam: das verblüffende

Erstarken des Islam.“

 

              Marek Halter, Der Messias, Reinbek 1999 S. 537

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

- xxx -