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        Kapitel 9  Britische Inseln:  Die >Glorreiche Revolution< von 1688

Der Seher ist fasziniert, zugleich angezogen und abgestoßen,

vom Niedergang des Königtums, wo immer er ihn erschaut. Wenn sich

der Machtverlust der Könige durch Revolutionen, oder auch als Folge

von Kriegen wie in einem Brennpunkt zuspitzt, sieht er Anmaßung und

Gottverlassenheit des modernen Menschen am Werk.  Auf diese Phasen

der Zuspitzung konzentriert sich seine Aufmerksamkeit.  Für Nostra-

damus übt die britische Verfassungsänderung von 1688 in den folgen-

den hundert Jahren einen verderblichen Einfluss aus, indem die

neuen Ideen, wie Staat und Gesellschaft anders als herkömmlich

geordnet werden könnten, auf den Kontinent und besonders auf

Frankreich überzugreifen beginnen, 2/87 (Kap.14).

 

            Auszug aus dem historischen Inhaltsverzeichnis

           08/58    Die katholischen Könige Karl II. und Jacob II. als Gegner der Anglikaner

         10/22    Jakob II. >will nicht einwilligen in die Scheidung<  -
                      der Anglikaner von Rom

        04/89    Eine Verschwörung gegen den König  -  dann
                    „wird ein König gewählt, gebürtig von Friesland“

            02/67    Wilhelm von Oranien verjagt König Jakob

            03/80    Ein „Unwürdiger“ wird verjagt, und dann kommt ein >Bastard<

        02/68    „Das Tor über dem Ozean offen“, und „die Herrschaft
                     auf der Insel wird neu zusammengefügt“

         04/96    Doppel-Inthronisation im >Reich des Gleichgewichts<  -
                      Maria II. und Wilhelm III. auf dem Thron

 

        Die katholischen Könige Karl II. und Jacob II. als Gegner der Anglikaner 

 

08/58   Regne en querelle aux freres diuisé,/

Prendre les armes & le nom Britannique/

Tiltre Anglican sera tard aduisé,/

Surprins de nuict mener à l’ air Gallique. (1568)

 

Reich in Aufruhr, unter den Brüdern entzweit,/

sie ergreifen die Waffen und nehmen den britannischen Titel an./

Anglikanisches Anrecht wird spät angestrebt./

Nächtliche Überraschung führt in gallische Luft.

                   

1) V. diviser teilen, trennen, metaphorisch auch: entzweien

3) Mittelfrz. v. adviser, aviser 1. wahrnehmen (apercevoir) 2. Ansehen (regarder)

3. achtgeben (faire attention) 4. auf etw. zielen, nach etw. trachten (viser)

4) Wörtlich: „Überrascht bei Nacht führen (sie) in gallische Luft.“

Zur Luft bei N. s. das Glossar unter  -> air.

 

 

Vz 1/2 [Brüder nehmen den britannischen Titel an]  Karl II. wird 1660 König von England, Schott-

land und Irland, nimmt also „den britannischen Titel“ an.  Britannien ist England mit Schottland. 

Im Jahr 1685, als Karl stirbt, wird sein Bruder als Jakob II. König und trägt denselben Titel (bis

1688).  Anders als der Anglikaner Karl ist Jakob Katholik.

Vz 1/2 [sie ergreifen die Waffen]  Das ist nicht wörtlich zu verstehen, sondern ein Bild für den

Kampf um den Erhalt der Stuart-Dynastie und des Königtums in seiner überkommenen Gestalt. 

Denn darum ging es für Nostradamus.  Die britischen Könige ab 1660 müssen sich mit Parla-

menten auseinandersetzen, die ihre Vorhaben immer wieder blockieren.

Vz 1/3 [Reich unter Karl II. entzweit/ Anglikanisches Anrecht angestrebt]  Karl II. sucht sein Land

zu einen, u.a. indem er im Act of Indulgence von 1672 den Briten weitgehende Religionsfreiheit

gewährt.  Aber er scheitert am politischen Widerstand der Briten anglikanischen Glaubens. 

Das Parlament zwingt ihm sogar ein Gesetz auf, das nur Bekennern der anglikanischen Kirche

Zutritt zu Ämtern ermöglicht.  Dann werden Katholiken ausdrücklich ausgeschlossen von Parla-

ment und Königshof.  Man folgt der Maxime, dass nur ein Anglikaner ein guter Brite sei, „strebt“

in diesem Sinn „anglikanisches Anrecht an“.

Vz 1 [Reich in Aufruhr/ spät]  Seit 1679 kämpft das Unterhaus mehrheitlich dafür, den katholi-

schen Bruder des Königs von der Thronfolge auszuschließen.  „Spät“ führen die Ansprüche der

Anglikanischen Staatskirche das Land in die Nähe eines neuen Bürgerkrieges und in die letzte

Phase des Königtums der Stuarts.  Als Jakob II. dann 1685 doch König wird, vertiefen sich die

Gräben zwischen der Krone auf der einen, dem Parlament und der Anglikanischen Staatskirche

auf der anderen Seite.  Die Politik Jakobs, die Katholiken und Dissenters begünstigt, entfremdet

ihn vielen Briten.  Aus Sicht der Anglikaner will er der >Scheidung< von Rom nicht zustimmen,

10/22 (s.u.).  Somit ist unter ihm „das Reich entzweit“, mehr noch als unter seinem Vorgänger.

Vz 4 [Nächtliche Überraschung führt in gallische Luft]  Im November 1688 leisten die Briten

keinen Widerstand gegen die Invasion der Insel durch den protestantischen Wilhelm von Oranien,

einen Niederländer.  Er ist von britischen Verschwörern eingeladen worden.  Einen Monat nach

der Landung Wilhelms sieht sich König Jakob wegen mangelnder Unterstützung durch seine

Untertanen gezwungen, das Land zu verlassen.  Bei seiner Flucht in der Nacht vom 10. auf den 11.

Dezember mit einem Zollhausboot wird er gefasst, ausgeraubt, dann erst als König erkannt und

nach London gebracht (von Ranke, Englische Geschichte Bd. III, S. 198).  Elf Tage später lässt

man ihn dann ziehen;  er sucht Zuflucht am Hof Ludwigs XIV. von Frankreich.

 

 

        Jakob II. >will nicht einwilligen in die Scheidung<  -  der Anglikaner von Rom

 

10/22    Pour ne vouloir consentir au divorce,/

Qui puis après sera cogneu indigne,/

Le roy des Isles sera chasse par force,/

Mis à son lieu qui de roy n’ aura signe. (1568)

 

Weil er nicht einwilligen will in die Scheidung,/

der dann später bekannt wird als unwürdig,/

wird der König der Inseln mit Gewalt vertrieben werden./

An seine Stelle wird (einer) eingesetzt (werden),

der das Zeichen des Königs nicht hat.

 

 

[Gängige Fehldeutung]  König Edward VIII. von Großbritannien wollte sich nicht ausreden lassen, die

als >unmöglich< geltende Amerikanerin Wallis Simpson zu heiraten, die bürgerlich und geschieden war.

Er wollte sich nicht von ihr trennen, einer >Scheidung nicht zustimmen<.  Er galt daher als des Thrones

„unwürdig“, und im Jahr 1938 nötigte man ihn zur Abdankung.  Doch „gewaltsam vertrieben“ wurde er

nicht.  Wenn es heißt, dass der Nachfolger „das Zeichen des Königs nicht hat“, ist das ein kennzeichnen-

der Unterschied zum Vorgänger.  Edwards Bruder, der dann als George VI. König wurde, war legitimer

Thronfolger.  Wieso Edward das Zeichen des Königs hatte, der ihm folgende George aber nicht, kann

man nicht wirklich erklären.

Vz 1/3  [Scheidung/ König der Inseln …]  Die Scheidung Heinrichs VIII. von Katharina von Aragon,

die ihm den ersehnten männlichen Thronerben nicht gebar, hat 1534 zu einer Scheidung der sinn-

bildlichen Art geführt, nämlich zur Trennung der Church of England von der katholischen Kirche. 

Jakob II., der 1685 seinem Bruder Karl II. auf den Thron folgt, ist König von England, Schottland

und Irland (Inseln). 

Vz 1 [… will nicht einwilligen in die Scheidung]  Jakob II. ist ein liberaler Katholik und verordnet

in der Declaration of Indulgence seinen Landsleuten eine sehr weitgehende Religionsfreiheit. 

Durch sie sollen auch die Vertreter religiöser Minderheiten, der Katholiken sowie der protestan-

tischen Dissenters, dem britischen Staat verpflichtet werden.  Bei den Anglikanern aber wächst

die Befürchtung, es solle am Ende die katholische Kirche als Staatskirche restauriert werden. 

Aus ihrer parteilichen Sicht will der König der Trennung der Anglikaner von Rom nicht zustimmen.

Vz 3 [… wird mit Gewalt vertrieben]  Ende 1688 ergreift Jakob die Flucht, nachdem eine von

britischen Verschwörern eingeladene Armada unter dem Niederländer Wilhelm von Oranien

auf der Insel gelandet ist.  Dessen Armee muss nicht kämpfen, da ihr kein Widerstand geleistet

wird.  Aber die fremde Armee in seinem Reich bedeutet für König Jakob, dass seine Herrschaft

mit Machtmitteln militärischer Art beendet wird.  Die Alternative zur Flucht wäre im übrigen Haft

und Prozess nach dem Vorbild von 1649 (Kap.8), auch hier droht also Gewalt.

Vz 2 [… wird später bekannt als unwürdig]  In der Bill of Rights von 1689 wird die Thronfolge auf

anglikanische Thronerben beschränkt.  Damit findet die Vertreibung Jakobs eine nachträgliche

und quasi offizielle Begründung. Katholiken gelten von da an als des Thrones „unwürdig“.  Wie

schon bei der angeblich fehlenden Einwilligung des Königs in die Trennung der Anglikaner von

Rom kommt darin nicht die Wertung des Katholiken Nostradamus, sondern die Wertung jener

zum Ausdruck, die sich durchsetzen können, der zeitgenössischen britischen Anglikaner.

Vz 4 [Nachfolger wird eingesetzt, der das Zeichen des Königs nicht hat] 

 

„.. der Krönungseid für Wilhelm und Maria enthielt den Satz, sie regierten

>according to the statutes in parliament agreed on<.  Einen solchen Satz hatten

englische Könige noch nie beschwören müssen.  In gewisser Hinsicht stellte er das

Parlament über die Krone!  Schließlich arbeitete es auch noch eine Bill of Rights

aus, eine Grundrechtscharta.“

 

                Michael Maurer, Kleine Geschichte Englands, Stuttgart 1997, S. 226

Für den von der alten Monarchie herkommenden Seher ist das Zeichen des Königs, dass sein

Wort Gesetz ist.  Wegen der erweiterten Rechte des Parlamentes, die einen deutlichen Schritt

in Richtung Souveränität des Volkes und weg von der Souveränität des Königs sind, ist N. nicht

bereit, in Wilhelm III. von England noch einen wirklichen Monarchen zu erkennen.   

Zugunsten der vorangestellten, verworfenen Deutung ließe sich anführen, dass die britischen

Könige des 20. Jahrhunderts genauso wenig „das Zeichen des Königs“ im angegebenen Sinn

haben wie Wilhelm von Oranien.  Das trifft zu, spricht aber nicht gegen die favorisierte Deutung. 

Denn Wilhelm III. ist der  e r s t e  König Englands, der unbestritten nach Regeln herrscht, die

nicht er selbst aufstellt.  Es ist der Niedergang des Königtums, für den sich N. interessiert,

weil er die Übel der Moderne darauf zurückführt.  Die Könige der yellow press unserer Tage

sind ihm gleichgültig.

 

 

        Eine Verschwörung gegen den König  -  dann        „wird ein König gewählt, gebürtig von Friesland“ 

 

04/89   Trente de Londres secret coniureront,/

Contre leur Roy sur le pont l’ entreprinse,/

Luy, satalites la mort degousteront./

Vn Roy esleu blonde, natif de Frize. (1568)

 

Dreißig von London werden sich geheim verschwören/

gegen ihren König, auf die Brücke (zielt) ihr Unternehmen./

Ihm werden Missgeschicke den Tod verleiden./

Ein König (wird) gewählt, goldfarben, gebürtig von Friesland.

 

2) Zu N.s Schiffsmetaphorik s. Glossar unter -> nef und -> pont.

3) „satalites“ ist ein verschriebenes „fatalités“ Missgeschicke, Verhängnisse

4) Mittelfrz. Adj. blond goldfarben (couleur légèrement dorée), goldgelb (jaune dorée)

 

 

Vz 1 [Verschwörung]  Jakob II. von England hat sich einen großen Teil der Führungsschicht seines

Landes zum Gegner gemacht, indem er „anglikanisches Anrecht“ nicht so anerkennt, 8/58 (s.o.),

wie die Anglikaner es wollen, nämlich als protestantisches Vorrecht.  Als ihm ein Sohn geboren

und damit die Aussicht auf eine katholische Dynastie eröffnet wird, ist das der Anlass für die

Gegner, sich zusammenzutun und mit dem Schwiegersohn des Königs, dem protestantischen

Niederländer Wilhelm von Oranien, ernstlich in Verhandlungen zu treten  -  ein hochverräterisches

Unternehmen.

Vz 1 [Dreißig von London]  Die Runde, die am 30.6.1688 zusammenkommt, besteht aus sieben

einflussreichen Anglikanern, die ein Schreiben an den Niederländer aufsetzen mit der Aufforderung,

in England einzugreifen. Die Zahl „dreißig“ ist als Anspielung auf die Lage Athens nach seiner

Niederlage gegen Sparta im Jahr 404 v. Chr. gemeint, als ein vom Feind eingesetztes Komitee

von 30 Athenern die Stadt tyrannisierte, die man deshalb „dreißig Tyrannen“ nannte.  N. gibt damit

nur die seiner Königstreue geschuldete Wertung, der zufolge die Hochverräter Feinde des Landes

mit tyrannischen Ambitionen seien.

Vz 2 [auf die Brücke zielt ihr Unternehmen]  Ein Motiv der Hochverräter ist es, eine katholische

Dynastie zu verhindern, von welcher man eine Rekatholisierung Englands befürchtet.  Die >Brücke

des Schiffes< der anglikanischen Kirche soll von Eingriffen der Krone zu ihren Ungunsten freige-

kämpft werden.   Zu diesem Zweck baut man Wilhelm von Oranien eine >Brücke< nach England 

-  auch das ergibt einen Sinn, ist aber eher nicht gemeint.

Vz 3 [dem alten König werden Missgeschicke den Tod verleiden]  Das bedeutet, dass Jakob

am Ende seines Lebens als Gescheiterter dastehen werde.  Als der Niederländer Anfang

November 1688 auf der Insel landet, manövriert Jakob hektisch und unentschlossen. 

Desertionen in seiner Armee häufen sich.  Nach seiner Flucht macht er den Versuch, von Irland

aus seine Kronen zurückzugewinnen, scheitert aber.  Aufstände seiner Anhänger bleiben aus. 

Vom französischen Exil aus muss er miterleben, wie ein Anderer auf seinem Thron sitzt und

im Frieden von Rijswijk 1697 faktisch als britischer König auch von Ludwig XIV. anerkannt wird. 

Jakob stirbt 1701.

Vz 4 [König gewählt, gebürtig von Friesland]  Anfang 1689 wird Wilhelm von Oranien durch

Beschluss der beiden Häuser des britischen Parlamentes zum König von England „gewählt“.  

Sein Geburtsort Haag gehört zur Grafschaft Holland, die sich mit anderen Fürstentümern,

darunter der Herrschaft Friesland, 1648 zur Repubik der Vereinigten Niederlande zusammen-

geschlossen hat.

Vz 4 [goldgelb]  Wilhelm hat dunkelbraune Haare.  Das Kennzeichen blond, das bei einem

Holländer immer gleich auf Haarfarbe und Teint bezogen wird, meint etwas Anderes:  Die

Herkunft des neuen britischen Königs aus dem Hause  O r ange-Nassau.  Im  Mittelfranzösi-

schen bedeutet blond goldgelb, und or ist Gold.  An solchem Hintersinn hatte N. seinen Spaß.

 

 

        Wilhelm von Oranien verjagt König Jakob 

 

02/67   Le blonde au nez forche viendra cômetre/

Par le duelle & chassera dehors:/

Les exiles dedans fera remetre/

Aux lieux marins commetât les plus forts. (1555)

 

Der Goldgelbe mit dem Zinken wird (es) sich zuschulden kommen

lassen/ durch den Zweikampf und wird (den Gegner) hinausjagen./

Die ins Exil Getriebenen wird er begnadigen./

Für die Seehäfen ernennt er die Stärksten.

 

1) Mittelfrz. Adj. blond goldgelb (jaune dorée), n.m. fourchon (altfrz. forchon)

jeder Zinken eine Gabel (chacune des branches d‘ une fourche)

3) Mittelfrz. v. remettre begnadigen (faire grace de), vergeben (pardonner),

zurückschicken (renvoyer)

 

 

Vz 1 [Der Goldgelbe mit dem Zinken …]  Wie schon in Vers 4/89 (s.o.) ist das mittelfranzösische

blond, zu deutsch goldgelb, ein verdeckter Hinweis auf die Herkunft des Gemeinten aus dem

Fürstenhaus O r anien-Nassau, in dessen Namen das Gold, französisch or, enthalten ist.  Auf den

Porträts Wilhelms III. von England ist eine starke Nase zu erkennen.

Vz 2/1 [… jagt im Zweikampf hinaus/ lässt sich zuschulden kommen]  Nach Verhandlungen mit

den anglikanischen Gegnern Jakobs, 4/96 Vz 2 (s.u.), setzt der Niederländer im November 1688

mit einer bedeutenden Armada über den Kanal.  Auf der Insel schmilzt die Loyalität der Unter-

tanen Jakobs wie Butter in der Sonne, und der König entschließt sich, das Land zu verlassen. 

Dass Wilhelm ein Verbrechen begehe (commetre), ist die Wertung des Sehers, der über die

Niederlage des britischen Königtums nicht erfreut ist.

Vz 3 [… begnadigt die Exilierten]  Militante Puritaner, die unter Jakob II. zur Emigration gezwungen

worden und zumeist in die Niederlande gegangen waren, können unter Wilhelm III. zurückkehren.

Vz 4 [… ernennt zur See die Stärksten]  Ein Hauptmotiv Wilhelms für sein britisches Abenteuer ist

es, die Kräfte Englands für den Kampf gegen das katholische Frankreich einzuspannen, durch

dessen Expansionspolitik die Niederlande sich bedroht fühlen.  Daher kommt es ab 1690 zum

Seekrieg Britanniens gegen Frankreich.  In diesem Krieg behält die britische Flotte die Oberhand,

z.B. im Mai 1692 beim Kap La Hogue.

 

  

        Ein Unwürdiger wird verjagt, und dann kommt ein >Bastard< 

 

03/80   Du regne Anglois l’indigne (!) deschassé,/

Le conseillier par ire mis à feu:/

Ses adherans iront si bas tracer,/

Que le bastard sera demi recue. (1555)

        

Aus dem englischen Reich (wird) der Unwürdige verjagt./

Der Ratgeber wird im Zorn ins Feuer geworfen./

Seine Anhänger werden so niederträchtigen Spuren folgen,/

Dass der Bastard halb eingeführt ist.

 

3) Mittelfrz. v. tracer 1. einer Spur folgen (suivre à la trace) 2. verfolgen

(poursuivre) 4. suchen, durchsuchen (chercher, fouiller)

4) S.a. Glossar unter -> bastard.

 

 

Vz 1 [Der Unwürdige …]  Jakob II. von England (1685-89) ist Katholik und protegiert seine Glaubens-

brüder.  Seine Untertanen gehören mehrheitlich der anglikanischen Staatskirche oder anderen

protestantischen Glaubensformen an.  Die Politik des Königs weckt bei den Anglikanern die Furcht,

es solle demnächst der Protestantismus unterdrückt werden, wie gerade in Frankreich geschehen,

3/6 (Kap.10).  Nach der Vertreibung Jakobs wird in die neue Verfassung hineingeschrieben, dass

Katholiken prinzipiell nicht mehr britischer König werden dürfen.  „Unwürdig“ ist also die von N. wahr-

genommene Wertung der britischen Zeitgenossen, wie in 10/22 (s.o.). 

Vz 1 [… wird verjagt]  Ende 1688 muss Jakob aus seinem Reich fliehen, weil ihm seine Untertanen

die Gefolgschaft mehr oder weniger offen verweigern.  Er findet Zuflucht am französischen Hof.

Vz 2 [Der Ratgeber …] Mit dem „Ratgeber“ ist Ludwig XIV. von Frankreich gemeint, auf den sich

Jakob II. außen- und religionspolitisch stützt und auf dessen Hilfe er nach seiner Vertreibung setzt.

Vz 2 [… wird im Zorn ins Feuer geworfen]  Der neue König Wilhelm III. führt von 1690 bis 1697

Krieg gegen den „Ratgeber“, Ludwig XIV. von Frankreich.  Dieser wird bildlich >ins Feuer

geworfen<, d.h. mit Krieg überzogen.

Vz 3/4 [Bastard …]  So hießen die mit nichtadligen Frauen gezeugten Abkömmlinge von Adligen,

wenn die vom adligen Erzeuger anerkannt wurden.  Beide Eltern Wilhelm von Oraniens entstam-

men Königs häusern, im wörtlichen Sinn ist er also kein Bastard.  Wilhelm wird gemeinsam mit

seiner Frau, der älteren Tochter Jakobs, inthronisiert. Die Zustimmung der Briten kann er durch

sein Versprechen erwirken, die erweiterten Rechte des Parlaments anzuerkennen, 4/96 (s.u.). 

Dass er auf diese Weise den Thron für sich erringt, macht ihn für Nostradamus, der nur ein

absolutes Königtum gelten läßt, zu einem >Bastard< mit gemischter Legitimität: Als Gatte der

legitimen Thronerbin ist er >von oben< eingesetzter Monarch und zugleich ein >von unten<,

von einem ständischen Parlament berufener illegitimer Usurpator der Krone.

Vz 4 [… halb eingeführt]  Nach seiner Inthronisation ist Wilhelm III. bei seinen Untertanen

„eingeführt“ im Sinne von anerkannt.  Aber die katholischen Fürsten Europas halten sich noch

zurück.  Erst nach dem Seekrieg gegen Frankreich wird Wilhelm III. 1697 im Frieden von

Rijswijk auch von Frankreich als Vertragspartner und damit faktisch als König anerkannt. 

Damit ist er neun Jahre nach der Vertreibung des >Unwürdigen< nicht mehr nur „halb ein-

geführt“, sondern ganz.

Vz 3 [seine Anhänger folgen niederträchtigen Spuren]  In der Bereitschaft, die Rechte des

Monarchen beschneiden zu lassen, um selbst auf den Thron zu kommen, will N. die Niedertracht

Wilhelms und seiner Anhänger erkennen.

 

 

        „Das Tor über dem Ozean offen“, und

„die Herrschaft auf der Insel wird neu zusammengefügt"

 

02/68    De l‘ Aquilon les efforts seront grands:/

Sus (!) l’ Ocean sera porte ouuerte,/

Le regne en l’ isle (!) sera reintegrand:/

Tremblera Londres par voile descouuerte. (1555)

 

Vom Adlerland werden die Anstrengungen groß sein./

Über dem Ozean wird das Tor geöffnet sein./

Die Herrschaft auf der Insel wird neu zusammengefügt./

Beben wird London, wenn (ein) Segel entdeckt wird.

 

1) Lat. n.f. aquila Adler, lat. n.m. aquilo Nordwind. Welche dieser beiden

Möglichkeiten gemeint ist, kann nur der jeweilige Kontext erweisen.

S.a. das Glossar unter -> Aquilon.

3) V. réintegrer rückgliedern, rückführen > lat. reintegrare ganz wiederher-

stellen, n.f. reintegratio Wiederherstellung eines Ganzen, Erneuerung

4) Zum Beben s. Glossar unter -> trembler.

 

 

Vz 1 [Vom Adlerland her große Anstrengungen]  Wegen des von den alten Römern geerbten Adlers

als Hoheitszeichen nennt N. das Römische Kaiserreich (deutscher Nation) Adlerland.  Es umfasst

zu Zeiten des Sehers und noch im 17. Jahrhundert auch die Niederlande.  Anfang November 1688

überquert der Niederländer Wilhelm von Oranien mit einer holländischen Flotte von mehr als 500

Schiffen den Ärmelkanal.   

Vz 2 [Tor über dem Ozean geöffnet]  König Jakob II. von Britannien ist bei der Mehrheit seiner

Untertanen unbeliebt wegen seiner der Tendenz nach absolutistischen Politik.  Obwohl Katholik,

betrachtet er die anglikanische Staatskirche, die sich schon 150 Jahre zuvor von Rom losgesagt

hat, als ihm untergeben.  Mindestens ebenso wie eine Rekatholisierung des Landes fürchten

hochgestellte Anglikaner um ihre Positionen in Kirche und Staat.  Daher gibt es keinen Wider-

stand, als Ende 1688 fremde Truppen an den Küsten der Insel landen.  Hochgestellte Verschwö-

rer haben Wilhelm sogar schriftlich dazu eingeladen.  In diesem Sinn ist >das Tor über dem

Ozean offen<.  Dem Bilde nach ist die britische Insel hier eine Burg, und ihre Küsten sind das

Tor, das kurzzeitig offensteht, weil es von den Burginsassen nicht verteidigt wird. 

Vz 4 [London bebt…]  Das Segel steht als Teil für das Ganze, nämlich für die bedeutende Flotte

unter dem Kommando des Niederländers.  Dass >London bebt<, will hier besagen, dass die

Herrschaft eines legitimen Königs durch eine Invasion über ‘s Meer >erschüttert< wird und dann

>umstürzt<.

Vz 3 [Herrschaft neu zusammengefügt]  Wilhelm besteigt 1689 zusammen mit seiner Frau

Maria, einer Tochter Jakobs, den britischen Thron.  Ein Parlament mit erweiterten, vom König

beschworenen Rechten   konstituiert sich. Die innere Zerrissenheit des Landes unter seinen

Vorgängern,  8/58 (s.o.), wird überwunden. Die Ansprüche der ständischen Führungsschichten

auf Teilhabe an der Herrschaft werden erfüllt und in diesem Sinne "die Herrschaft neu zusammen-

gefügt“.  Die Gefahr eines neuen Bürgerkrieges ist abgewendet.

 

 

        Doppel-Inthronisation im >Reich des Gleichgewichts<  - 

    Maria II. und Wilhelm III. auf dem Thron

 

04/96    La soeur aisnée de l‘ isle Britannique/

Quinze ans deuant le frère aura naissance;/

Par son promis moyennant verrifique,/

Succedera au regne de balance. (1568)

 

Die ältere Schwester der britischen Insel - /

fünfzehn Jahre zuvor wird der Bruder geboren werden./

Mit seinem Versprechen verhandelnd, (wird er) bestätigt,/

er wird nachrücken im Reich des Gleichgewichts.

 

1)2) Man könnte auch umgekehrt übersetzen, dass nämlich die Schwester

fünfzehn Jahre vor dem Bruder geboren wird.  Aber gemeint ist es nicht.

3) moyennant ist hier nicht Präp., sondern das p.p.a. des alten v. moyenner

vermitteln (négocier), verhandeln (traiter).  Statt verifié steht verrifique,

nachgebildet dem p.p.p. verific-atus vom lat. v. verificare

3)4) In der zweiten Vershälfte könnte auch “sie”, die ältere Schwester,

Subjekt sein.  Aber im Deutungskontext ist „er“, der Bruder gemeint.

4) N.f. balance 1. Waage 2. Gleichgewicht 3. Schwebe 4. Bilanz

S.a. Glossar unter -> balance.

 

 

Vz 1 [ältere Schwester der britischen Insel]  Aus der ersten Ehe Jakobs II. von England (1685

-1689) stammen Maria, geboren 1662, und Anna, geboren 1665.  Maria ist somit die „Ältere“

zweier Schwestern. 

Vz 2 [>Bruder< fünfzehn Jahre älter]  Maria heiratet 1677 Wilhelm von Oranien, geboren 1650,

der also nicht fünfzehn, sondern nur zwölf Jahre älter ist.  Er ist der Sohn einer Tante Marias,

für sie also ein Cousin und kein Bruder.  Daher kann das Wort „Bruder“ hier nicht die Angabe

eines Verwandtschaftsverhältnisses sein. Wilhelm heißt >Bruder< der englischen Königstochter,

weil 1689 beide gemeinsam wie >Geschwister< im Wege einer doppelten Krönung den briti-

schen Thron besteigen.  Diese doppelte Inthronisation gilt den Zeitgenossen wegen fehlender

historischer Vorbilder als etwas Eigentümliches, das besonderer Begründung und Absprache

bedarf.  N. hat diese Besonderheit wahrgenommen und sie in seiner verhüllenden Bildersprache

niedergelegt.

Vz 3/4 [mit Versprechen verhandelnd/ bestätigt/ nachrücken]  Der Invasion vorausgegangen sind

geheime Verhandlungen des Niederländers mit Vertretern des britischen Parlaments, bei denen

es um die Stellung des zukünftigen Königs und seine Rechte geht.  Mit dem „Versprechen“ ist

die Bereitschaft Wilhelms gemeint, die erweiterten Rechte des Parlamentes anzuerkennen und

in Übereinstimmung mit diesen zu regieren, wenn er auf den Thron „nachrücken“ sollte.

Vz 4 [Reich des Gleichgewichts]  „Reich des Gleichgewichts“ nennt N. Britannien wegen der

Verbindung, die der britische Parlamentarismus mit dem Prinzip der dynastischen Legitimität

im Jahr 1689 eingeht. Diese Verbindung findet in der Doppelkrönung des protestantischen,

vom Parlament erkorenen Wilhelm und seiner katholischen Frau Maria aus der alten Dynastie

sinnfälligen Ausdruck.  Es wird ein Ausgleich zwischen den Rechten des Thrones und der

Ständevertretung gefunden in einer Zeit, da fast überall in Europa die Fürsten >absolut<

regieren.  Die balance, eine Gleichgewicht anzeigende Waage, wird zum Sinnbild für die

an eine Konstitution gebundene Monarchie.

 

„Zu einer Zeit, als überall der Fürst, gestützt auf Armee und Beamtentum, zum

entscheidenden Machtfaktor wurde oder sich in dieser Position behaupten

konnte, entwickelte sich England erst zu einer konstitutionellen und dann zu

einer parlamentarischen Monarchie, in der der König über keine andere Macht mehr verfügte als die eines >King in parliament<.“

 

               H.A. Winkler, Geschichte des Westens, München 2009 S. 157