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        Kapitel 8  Britische Inseln: Cromwells Revolution 

Tragende Pfeiler der gottgewollten Ordnung sind für N. die

Monarchie und der alte (katholische) Glaube -  und dement-

sprechen ist deren Niedergang Hauptgegenstand seines länder-

und zeitenübergreifenden Interesses.

Auszug aus dem historischen Inhaltsverzeichnis

09/49   Niedergang der spanischen und der britischen Monarchie 1648/49

08/76   Mehr Schlächter als König in England

03/81   Großer Schreihals zum Befehlshaber der Armee gewählt

08/37   >Die Festung fällt<  -  das Königtum, in die Defensive

gedrängt, unterliegt seinen Feinden

Exkurs (1) Das Ineinanderfließen von buchstäblicher und bildlicher

Redeweise als Mittel der Verdunklung

10/36   Nach einem >Tyrannenmord< kommt erst der wahre Tyrann

10/04   Der Sohn Karls I. flieht und kehrt sieben Jahre später zurück

09/11   Die Pest in London …

02/53  …als >Rache des Himmels<

02/51   Cromwells Staat zerbricht.  Der Brand Londons 1666

 

        Niedergang der spanischen und der britischen Monarchie 1648/49

 

   09/49    Gand & Bruceles marcheront contre l‘ Anvers/

                    Senat de Londres mettront a mort leur Roy,/

                    Le sel & vin seront à l’ envers,/

                    Pour eux avoir le regne en desarroy. (1568)

                   

                    Gent und Brüssel werden gegen Antwerpen marschieren,/

                    Senat(oren) von London werden ihren König zum Tode verurteilen./

                    Salz und Wein werden sich gegen ihn wenden,/

                    wegen ihnen haben sie das Reich in Unordnung.

 

 

Vz 1 [Gent und Brüssel gegen Antwerpen]  Die Niederlande als ganzes sind seit 1551 eine zu

Spanien gehörende Provinz.  Im Jahr 1579 haben sich Flandern („Gent“), Brabant („Brüssel“) und

einige andere niederländische Fürstentümer zur Union von Utrecht zusammengeschlossen und sich

vom „spanischen Tyrannen und Rechtsbrecher" losgesagt.  Hier ist die Rückeroberung Flanderns

und Brabants und die Besetzung Antwerpens durch Truppen des spanischen Statthalters Alexander

Farnese im Jahr 1585 gemeint. 

Erst im Haager Frieden von 1648 werden die aufmüpfigen Niederlande als Republik der Vereinig-

ten Niederlande von Spanien unabhängig, und der niederländische Freiheitskampf findet ein Ende.

Vz 2 [Senat von London verurteilt König zum Tode]  Im britischen Parlament sind nach dem

6.12.1648 nur noch die von den siegreichen Puritanern Cromwells geduldeten Mitglieder vertreten. 

Ein von diesem Rumpfparlament eingesetzter Gerichtshof verurteilt im Januar 1649 König Karl I.

Stuart zum Tode.

Vz 3 [Salz und Wein gegen den König]  „Salz und Wein“ als wichtige Handelsgüter stehen hier für

die Kaufleute der Londoner City.  Seit der Inthronisation Karls im Jahr 1625 hat sich die Londoner

Gentry gegen den König eingestellt, Rechte eingefordert und des Öfteren die zur Kriegführung

benötigten Steuern nicht bewilligt.  Sie „wenden sich gegen den König“ und kündigen ihm den

politischen Gehorsam auf.  Nur gottverlassene Pfeffersäcke tun so etwas, meint N.  Denn wahre

Christen, die das >Salz der Erde< sind und >Wein<, das Blut der Kommunion trinken, geben dem

von Gott eingesetzten Herrn das Seine.

Vz 4 [Reich in Unordnung]  Weil das aufstrebende Bürgertum einen von Gott eingesetzten Herrn

über sich nicht mehr anerkennen will, haben die Briten ihr „Reich in Unordnung“.  Die „Unordnung“

ist ein schwacher Ausdruck für die Bürgerkriege, die 1642 ausbrechen und mit der Enthauptung

des Königs enden. 

Vz 1 bis 4 [Zusammenhang]  Auch in den Niederlanden steht der durch den Handel gestiegene

Reichtum der Bürger neben den religiösen Differenzen im Hintergrund des Aufstandes gegen die

spanische Herrschaft.  Das Gemeinsame der Vorgänge ist der Niedergang der spanischen und

des englischen Königtums durch das Aufstreben des Bürgertums, kulminierend in den Jahren

1648/49.

 

 

        Mehr Schlächter als König in England 

 

08/76   Plus Macelin que roy en Angleterre/

Lieu obscur nay par force aura l‘ empire:/

Lasche sans foy, sans loy saignera terre,/

Son temps s’ approche si pres que ie souspire. (1568)

 

Mehr Schlächter als König in England,/ 

von niedriger Herkunft, wird er mit Gewalt an die Macht kommen./

Losgelassen ohne Glauben, ohne Gesetz, wird er die Erde schröpfen./

Seine Zeit naht so bald, dass ich seufze.

 

1) Mittelfrz. n.m. maisel Fleischmarkt (marché aux viandes) > lat. n.m.

macellum Fleischbank;  mittelfrz. v. maiseler schlachten; misshandeln

2) Lat. Adj. obscurus dunkel, (von der Herkunft eines Menschen) unbekannt, niedrig

3) Lasche kann das p.p.p. von lâcher loslassen oder das n.m. lâche Feigling sein.

Zum Gesetz s. Glossar unter -> loy. Zum >Schröpfen der Erde<

s. Glossar unter -> sang.

 

  

Vz 2 [niedrige Herkunft]  Für den Legitimisten N. ist damit nur gesagt, dass der Gemeinte nicht von

königlichem Geblüt ist.  Oliver Cromwell, geboren am 25.4.1599 in Huntingdon, ist der Spross

einer neureichen Grundbesitzerfamilie, deren Reichtum aus der Aneignung von Kirchengütern

stammt, die unter Heinrich VIII. schutzlos geworden sind.  Prägend für den Sohn wird die furchtbare

Alternative Calvins, von Gott her entweder für die ewige Verdammnis prädestiniert zu sein oder

zu den Auserwählten zu gehören.  Wie bei vielen Zeitgenossen gebären die daraus entstehenden

Selbstzweifel bei ihm moralische Rigorosität, gepaart mit Aggressivität gegen Menschen anderen

Glaubens.

Vz 1/2 [mehr Schlächter als König/ mit Gewalt an die Macht gekommen]  In den britischen Bürger-

kriegen 1642ff. steht das Parlament gegen den König.  Im Parlamentsheer macht Cromwell Karriere,

erficht eine Reihe von Siegen und wird nach der Hinrichtung des Königs und der Abschaffung der

Monarchie Chef des Staatsrates, der neuen Exekutive.  Dann schickt ihn das Parlament nach Irland,

um einen Aufstandniederzuwerfen.    

  

„Cromwell entledigte sich dieser Aufgabe 1649/50 mit gewohnter Effizienz,

aber mit neuartiger Brutalität.  Seinen Feldzug stilisierte er zum Religionskrieg; 

jedes Mittel schien gerechtfertigt, die von ihm als Gottes Willen erkannten Ziele

durchzusetzen.  Durch die Massaker von Drogheda und Wexford

(Niedermetzelung der Zivilbevölkerung, nachdem die Städte sich ergeben

hatten) schrieb sich Cromwell mit Blut in das Buch der irischen Geschichte ein.

 

                 Michael Maurer, Kleine Geschichte Englands, Stuttgart 1997, S. 202f.

Vz 3 [ohne Glaube/ ohne Gesetz…]  Im Empfinden der Zeitgenossen des Sehers und auch

noch der Zeitgenossen Cromwells ist die Monarchie heilig und der König unantastbar. 

N. meint, dass sein Glaube es Cromwell verbieten müsste, das Leben des Königs anzutasten. 

Das „Gesetz“ ist hier die Monarchie von Gottes Gnaden, „ohne“ die  der Militärdiktator werde

auskommen wollen.  Zu N.s Gesetzesbegriff s. Exkurs (2).

Vz 3 […wird er die Erde schröpfen]  Er werde >die Erde schröpfen<, ihr also zu Heilungs-

zwecken Blut entziehen.  Weil Adam einst u.a. aus Erde geschaffen wurde, kann >Erde<

für die Menschen im irdischen Leben stehen.  Cromwell werde die Gesellschaft >schröpfen<,

ngeblich um sie zu heilen.  Bei seinen Strafexpeditionen nach seinem Sieg werden nicht

wenige Menschen, vor allem katholische Iren, ums Leben gebracht. 

Vz 4 [bald]  Von der Veröffentlichung der Centurien 1555 sind 44 Jahre bis zu Cromwells

Geburt, bis zum britischen Bürgerkrieg ein knappes Jahrhundert.   Für N. ist die Mitte des

17. Jahrhunderts die nähere Zukunft, weil er noch sehr viel weiter schaute, 3/94 [XV].

 

        Großer Schreihals zum Befehlshaber der Armee gewählt 

 

03/81   Le grand criard sans honte audacieux,/

Sera esleu gouuerneur de l’ armée:/

La hardiesse de son contentieux,/

Le pont rompu, cite de peur pasmée: (1555)

 

Der große Schreihals, ohne Scham, vermessen,/

wird gewählt werden zum Befehlshaber der Armee./

Die Dreistigkeit des polemischen Gedröhns,/

die Brücke zerbrochen, Stadt vor Furcht erstarrt.

 

1) Mittelfrz. n.m. criart wer eine unangenehme Stimme hat (qui produit

un son désagréable), wer auf lästige Art schreit (qui crie d‘ une manière désagréable).

3) Mittelfrz. Adj. contentieux Streithansel (qui aime la dispute, querelleur),

wer Gegenstand einer Auseinandersetzung ist (qui est l‘ objet d‘ une dispute).

4) Zur Brücke s. Glossar unter -> pont.

Zur Stadt s. Glossar unter -> cité.

 

 

Vz 1/2 [Schreihals zum Befehlshaber der Armee gewählt]  Im November 1640 wird Cromwell in

das Lange Parlament gewählt.  Sein soldatischer Charakter passt nicht zu den parlamentarischen

Umgangsformen.

 

„Sein Benehmen war für einen Mann, der wie Hyde von Juristen

abstammte und selbst ein begabter Richter war, geradezu empörend. 

Parlamentarische Versammlungen können nicht weiter tagen, wenn lautes

Schreien und Schimpfen dieser Art erlaubt ist.“

 

                Hilaire Beloc, Oliver Cromwell, Einsiedeln 1936, S. 106

Im April 1645 wird Cromwell vom Parlament an die Spitze der Kavallerie des neuen, vom Parla-

ment auf sein Betreiben beschlossenen Berufsheeres gestellt.  Noch nicht nominell, aber faktisch

ist er wegen seines soldatischen und religiösen Charismas schon damals Oberbefehlshaber. 

Vz 1/3 [schamlos, vermessen]  Diese Attribute erhält Cromwell von N. schon deshalb, weil er die

britische Monarchie zerstören will, was ihm für einige Jahre auch gelingt.

Vz 4 [Brücke zerbrochen]  Anfang Dezember 1648 ergreift die Armee unter Cromwell die Macht,

indem alle gemäßigten Parlamentarier, die für eine Verständigung mit dem König eintreten, aus

dem Parlament ausgeschlossen werden.  Damit ist ein Brückenschlag zwischen Parlament und

König nicht mehr möglich, die >Brücke< eines Ausgleichs zwischen beiden ist >zerstört<.  Um

den radikalen Massen der Londoner City entgegenzukommen, wird der Prozess gegen den König

eröffnet. 

Vz 4 [Stadt in Furcht]  Am 30. Januar 1649 wird Karl I. Stuart hingerichtet.  Cromwell selbst hat

den Vollstreckungsbefehl unterzeichnet.  Manchem Zuschauer der Szene ist unbehaglich zumute.  

 

 „Während die Volksmenge bei der Hinrichtung Straffords gejubelt hatte,

herrschte bei der Hinrichtung des Königs betretene Stille;   ein entsetztes

Aufseufzen lief durch die Menge, als das abgetrennte Haupt empor-

gehalten wurde.“

 

                  Michael Maurer, Kleine Geschichte Englands, Stuttgart 1997, S. 202

 

 

        >Die Festung fällt<  -  das Königtum, in die Defensive gedrängt,

unterliegt seinen Feinden 

  

08/37   La forteresse aupres se la Tamise/

Cherra par lors le Roy dedans serré,/

Aupres du pont sera veu en chemise/

Vn deuant mort, puis dans le fort barré. (1568)

 

Die Festung bei der Themse/

wird fallen, wenn der König darin eingesperrt (sein wird)./

Bei der Brücke wird er gesehen werden im Hemd,/

einer vor ‘m Tod, dann in der Festung weggesperrt.

                   

1)4) Zur Festung s. Glossar unter -> fort.

Lat. Tamisa oder Tamesis die Themse

4) N.m. fort 1. Starker 2. Stärke 3. Festung, Fort

 

 

Vz 1 [Festung bei der Themse …]  Die Festung bei der Themse könnte der Tower in unmittelbarer

Nähe des Flusses sein, bis 1665 Wohnsitz englischer Könige.   Aber der Tower fällt nicht, er steht

noch heute.  Mit der >Festung< ist im Kontext der Aussagen des Verses etwas Anderes gemeint. 

Das aufstrebende Bürgertum fordert Mitsprache bei der Auferlegung von Steuerlasten, gerichtliche

Untersuchung durch Gleichgestellte bei Gefangennahme von Personen und Beschlagnahme ihres

Vermögens usw.  Mit der Petition of Right, die Karl I. im Jahr 1628 unterschreibt, werden diese

Forderungen anerkannt.  Im Jahr 1629 wehren sich Parlamentarier gegen das alte Vorrecht des

Königs, das Parlament aufzulösen, jedoch ohne Erfolg.  Es folgen elf Jahre ohne Parlament, in

denen sich der König dem Volk entfremdet, weil man eine katholische Restauration und absolu-

istische Bestrebungen befürchtet.  Anfang 1642 verlässt Karl London, weil seine Sicherheit

gefährdet ist.  Mitte 1642 beginnen die Bürgerkriege, in denen sich am Ende das Parlamentsheer

mit Cromwell an der Spitze durchsetzt.  Die >Festung< ist ein Bild für das in der Mitte des 17.

Jahrhunderts in die Defensive geratene britische Königtum.

Vz 2 [… fällt, wenn der König darin eingesperrt]  Diese >Festung< ist gefallen, als die Institution

des Königtums zur Disposition ihrer siegreichen Gegner steht.  Vor seiner Hinrichtung ist Karl I.

wegen Eingriffs in die Rechte des Volkes und wegen angeblicher Tyrannei wörtlich „eingesperrt“

worden, zuletzt auf Schloss Windsorcastle, also wieder in einer realen Festung, da man in einer

bildlichen Festung nicht eingesperrt werden kann. 

Vz 3/4 [bei der Brücke im Hemd/ einer vor ‘m Tod]  Nahe Whitehall, wo die gerade gekrönten

Könige sich dem Volk zeigen, wird das Blutgerüst errichtet.  Vom Banketinghouse führt eine

eigens errichtete hölzerne Brücke zum Schafott, errichtet zum Hinübergehen, wörtlich wie sinn-

bildlich.  Der König ist denen, die sich zu seinen Richtern aufwerfen, schutzlos ausgeliefert,

>im Hemd<.  Auf dem Schafott steht er nach Ablegung seines Mantels dann auch tatsächlich

„im Hemd“ da und gibt nach Verrichtung eines Gebets selbst das Zeichen, dass das Beil nun

niederfahren solle. 

Vz 4 [König in der Festung weggesperrt]  Nach seinem Ableben braucht Karl I. nicht mehr

weggesperrt, sondern nur noch begraben zu werden.  Das Wort barré mit begraben zu über-

setzen (Bouvier, Bernhard, Nostradamus, 1996, S. 348), erscheint als hingebogen. 

>Weggesperrt< wird vielmehr der König als Institution, als die Monarchie dann am 7. Februar

1649 durch Beschluss des Langen Parlaments abgeschafft wird.  Der König Britanniens als

Institution wird in >lebenslängliche Festungshaft< genommen, d.h. man will mit dem König

als Souverän für alle Zukunft nichts mehr zu tun haben.

  

             Exkurs (1): Das Ineinanderfließen von buchstäblicher und
            
                bildlicher Redeweise als Mittel der Verdunklung

             Vor Eintreten der Ereignisse hätte ein unbefangener Leser Vers 8/37 etwa folgender-

             maßen deuten können:  Der britische König ist eingesperrt, wird aber dann befreit,

             schließlich doch zum Tod verurteilt und endlich zu Festungshaft begnadigt. 

             Dass die zutreffende (oben im Kommentar angegebene) Deutung ex ante nicht möglich

            ist, leuchtet unmittelbar ein.  Die Antwort auf die Frage nach dem Sinn der Vermengung

             von wörtlicher und bildlicher Redeweise lautet demnach:  Es handelt sich um ein Mittel

             der Verdunklung, die Verse  s o l l e n  n i c h t  vor Eintreten der Ereignisse verstanden

             werden, wofür es wiederum mehrere Gründe gibt, siehe Einführung (4).

             Auch die moderne Gebrauchssprache kennt noch Metaphorik, wenngleich gegenüber

             dem 16. Jahrhundert ein Rückgang zu verzeichnen ist, wieder aus mehreren Gründen. 

             Der moderne Mensch in seinem Weltbemächtigungswahn kann Mehrdeutigkeit nicht

             brauchen  -  wenn z.B. die Funkbefehle an eine Raumstation mehrdeutig wären, könnte

             das übel ausgehen.  Der moderne Mensch ist Realist und nennt die Dinge beim Namen,

             >redet nicht drum herum<, und Philosoph wie Wissenschaftler definieren ihre Sprache

             um der Klarheit und Nachprüfbarkeit willen, und ihr Lohn ist die beweisbare Richtigkeit

             der gewonnenen Aussagen.

             Domänen der Metaphorik sind seit jeher die Dichtung und die Sprache der Religion.

             Um die Verhältnisse im Reich des Geistes in ihrer Gestalt für uns fassbar zu machen,

             kleidet sich die Wahrheit in Bilder.  Je mehr das Interesse an diesem Reich nachlässt,

             desto größer wird das Unverständnis für und die Abneigung gegen bildliche Redeweise.

             Ganz anders der Seher:  Zum ausgiebigen Gebrauch der Metaphorik kommt bei ihm eine

             stilistische Dichte, die er auch durch Changieren mit doppelten Bedeutungen herstellt.  

             Die Festung in Vers 8/37 steht für das bedrängte Königtum  u n d  ein reales Gefängnis

             des Königs, die Brücke für ein reales Holzgerüst  u n d  bildlich für die Möglichkeit der

             Verständigung. 

             Aus Freude an der Verdunklung erfindet N. in sozusagen virtuoser Manier auch gern

             neue Symbole, wofür der Exkurs (9) über die Symbolik geographischer Namen weitere

             Beispiele bietet.

 

        Nach einem >Tyrannenmord< kommt erst der wahre Tyrann      

 

10/36    Apres le Roy du soucq guerres parlant,/

L‘ isle Harmotique le tiendra à mespris,/

Quelques ans bons rongeant vn & pillant/

Par tyrannie à l’ isle changeant pris. (1568)

 

Nachdem der König vom Stumpf von Kriegen spricht,/

wird die tyrannenmörderische Insel auf ihn weniger Wert legen./

Einige gute Jahre ist einer am Nagen und Plündern,/

durch Tyrannei gegen die Insel ändert (man) die Wertschätzung.

 

1) N.f. souche (>gallisch tsukka) Baumstumpf, metaphorisch auch:

Personen im unteren Bereich eines Stammbaums

2) Harmodios, der Mörder eines athenischen Tyrannen, war schon bei den Römern

sprichwörtlich für einen Tyrannenmörder (z.B. bei Seneca De tranquillitate animi). 

Vz 4 spricht explizit von Tyrannei, was ein Indiz dafür ist, dass N. diese

alte Allegorie hier aufgreift.  Daher die Übersetzung mit „tyrannenmörderisch“

3) Mittelfrz.  v. ronger benagen, auch; (Reserven, Erbe, Kapital) anbrechen

4) Mittelfrz. n.m. pris Achtunf, Wertschätzung (estime)

 

  

Vz 1 [König vom Stumpf …]  Das ist wahrscheinlich eine Anspielung auf die Todesart des Gemein-

ten, König Karl I.  Mit einem Beil wird ihm der Kopf abgeschlagen, den er zuvor auf einen Holzklotz

hat legen müssen.  Vielleicht soll der „Stumpf“ auch den kurzen Stammbaum der Stuarts als britische

Königssippe bedeuten.  Er wurzelt 1603 mit Jakob I. und erreicht 1688 mit Jakob II. als dem vierten

Ast seine Spitze und sein Ende.

Vz 1/2 [… spricht von Kriegen/ Insel >tyrannenmörderisch<]  Diese Angaben beziehen sich auf den

Prozess gegen den König, der am 20.1.1649 beginnt.  Der König warnt seine Richter vor Bürger-

kriegen, die erneut ausbrechen könnten, wenn er beseitigt würde.

 

„Das Rumpfparlament eröffnete einen eigens zu diesem Zweck installierten

Gerichtshof, der den König unter Anklage stellte:  Er habe in die Rechte und

Freiheiten des Volkes eingegriffen und sein Königsamt zur Errichtung einer

unbeschränkten Tyrannei mißbraucht.  Karl erklärte, daß die Armee wohl einen

Gerichtshof einrichten und ihn mit Gewalt beugen könne;  daß dann aber kein

Engländer seines Eigentums und seines Lebens sicher sein könne.  Daraufhin

wurde kurzerhand das Urteil gefällt, daß der besagte Karl Stuart als Tyrann,

Verräter und bekannter Feind aller guten Engländer enthauptet werden solle.“

 

            Michael Maurer, Kleine Geschichte Englands, Stuttgart 1997 S. 201f.

Schon als Karl I. 1640 nach dem Einfall der Schotten in England erstmals nach elf Jahren wieder

ein Parlament einberuft, um sich die nötigen Mittel bewilligen zu lassen, werden dort erst einmal

ausgiebig die eleven years of tyranny der parlamentslosen Zeit beklagt.

Vz 3 [Nagen und Plündern/ >gute Jahre<]  An die Spitze der Exekutive tritt dann Oliver Cromwell,

von N. abschätzig „einer“ genannt.  Die Feldzüge gegen Irland und gegen die schottische Armee

unter dem Sohn des hingerichteten Königs wie auch der Seekrieg gegen Holland werden durch

hohe Steuern finanziert, auch durch Verkauf von Gütern der Krone, der anglikanischen Kirche und

von Royalisten.  Die drückende Besteuerung ist ein Hauptgrund dafür, dass das aus der Revolution

hervorgegangene Regime sich nicht auf Dauer halten kann.  Für N. stürzen die Menschen ohne

König sowieso ins Chaos, die >guten Jahre< sind ganz klar sarkastisch gemeint.

Vz 4 [Durch Tyrannei gegen die Insel …]  Für N. ist es nicht der König, sondern Cromwell, der

starke Mann im neuen Staat, der wirklich eine Tyrannei errichten werde.  Unter einer Tyrannei wird

seit Aristoteles eine Willkürherrschaft durch Nichtachtung des Rechts verstanden.  Da für N. der

König als Souverän die Quelle und der Hüter des Rechts ist, gilt ihm jemand, der den König besei-

tigt und sich selbst zum Herrscher aufwirft, schon deshalb als Tyrann.  Das größte Recht, Cromwell

einen Tyrannen zu nennen, haben wohl die Iren, deren katholische Bevölkerung vielfach enteignet

und dabei stark dezimiert wird, um verdiente Söldner zufriedenstellen zu können.  Immerhin versucht

Cromwell in England nicht, ein religiöses Einheitsregiment durchzusetzen, wozu seine Autorität

nicht ausgereicht hätte.

Vz 4 [… Wertschätzung geändert]  Dass man auf den angeblichen Tyrannen Karl I. „weniger Wert

legt“, hat die Abschaffung des Königtums zur Folge.  Wenn sich am Ende des Verses „die Wert-

schätzung ändert“, ist das ein sarkastischer Hinweis auf ein Comeback des Königtums am Ende

der wirklichen „Tyrannei“.  Nach dem Tod Cromwells im September 1658 ist kein Nachfolger mit

genügender Autorität im Parlament  u n d  mit Rückhalt in der Armee da, der ihn hätte beerben

können.  So kommt man ganz von selbst darauf, mit dem im Exil lebenden Sohn des gestürzten

Königs Kontakt aufzunehmen.

 

 

        Der Sohn Karls I. flieht und kehrt  sieben Jahre später  zurück 

 

10/04   Sus la minuict conducteur de l‘ armee/

Se sauluera, subit esvanouy,/

Sept ans après la fame non blasmee,/

A son retour ne dira oncq ouy. (1568)

 

Um die Mitternacht wird (der) Führer der Armee/

sich davonmachen, (ist) plötzlich verschwunden./

Sieben Jahre später  - das Ansehen unbeschädigt - /

wird er bei seiner Rückkehr niemals ja sagen.

 

1) Mittelfrz. Präp. sus  u.a.: ganz nah bei (joignant, tout proche de)

2) Mittelfrz. v. esvanuir verschwinden (disparâitre)

3) Mittelfrz. n.f. fame Ansehen (réputation), guter Ruf (renommée)

 

 

Vz 1 [Führer der Armee…]  Die Schotten haben nach der Hinrichtung Karls I. Stuart dessen Sohn

Karl zu ihrem König ausgerufen.  Der kommt daraufhin aus dem französischen Exil nach Schottland

und sammelt ein Heer, wird aber von Cromwells Armee 1650 geschlagen.  Im Sommer 1651 stößt

er noch einmal nach England vor, erleidet aber erneut eine schwere Niederlage, bei der er nur

knapp der Gefangenschaft entgeht.

Vz 2 […um die Mitternacht plötzlich verschwunden]  Nach einer abenteuerlichen Flucht durch das

von seinem Feind beherrschte England kann Karl sich absetzen und wieder auf dem Kontinent

Zuflucht finden.  Die Angabe „um Mitternacht“ nicht wörtlich zu verstehen, weil Schlachten damals

mit Einbruch der Dunkelheit automatisch beendet sind.  Die Aussichten für die Dynastie der Stuarts

sind am 3.9.1651 auf dem Tiefpunkt angelangt, es sieht finster aus für den König und das Königtum.

 

„Wenige schottische Reiter schlugen sich durch, Karl selbst war unter ihnen. 

Die Masse seines Heeres aber war getötet, verwundet und gefangen, ehe die

Nacht kam.  Die Entscheidung war vollständig … Das letzte royalistische Heer

hatte aufgehört zu bestehen.“

 

              Hilaire Beloc, Oliver Cromwell, Einsiedeln 1936, S. 303 

Vz 3 [Sieben Jahre später …]  Am 3. September 1658, ganz genau „sieben Jahre später“,

stirbt Oliver Cromwell, der als Lord Protector an der Spitze des britischen Staates gestanden hat. 

Die Republik wird instabil, es fehlt an Personen mit parteienübergreifender Autorität.

Vz 4 […bei seiner Rückkehr…]  Daher verhandeln Gesandte des Parlaments und der Anglikani-

chen Kirche mit dem Königssohn Karl, unter welchen Bedingungen er aus dem Exil zurück-

kehren könne, was dann im Mai 1660 geschieht.  Das Ansehen der Monarchie erweist sich als

„unbeschädigt“.

Vz 4 [… sagt er niemals ja] 

 

„Es wurde das Prinzip festgesetzt, daß nur diejenigen Gesetze des Langen

Parlamentes wirklich Gesetzeskraft erlangt hätten, denen Karl I. noch zugestimmt

hatte.  Daraus folgte, daß die Gesetze seit 1642 nicht einmal widerrufen zu werden

brauchten.“

 

               Michael Maurer, Kleine Geschichte Englands, Stuttgart 1997, S. 214

 

        Die Pest in London …

  

09/11    Le iuste à tort à mort lon viendra mettre/

Publiquement, & du milieu estaint:/

Si grand peste en ce lieu viendra naistre,/

Que les iugeans fouyr feront constraint. (1568)

                   

Den Gerechten wird man zu Unrecht dem Tod übergeben,/

öffentlich und von seinen Leuten ausgelöscht./

Eine so schlimme Seuche wird an diesem Ort ausbrechen,/

dass die Richter gezwungen sein werden zu fliehen.

 

2) N.m. milieu Mitte, aber auch die Umgebung einer Person (entourage),

ihr Umkreis (sphère).  Mittelfrz. v. esteindre auch: töten (faire mourir).

4) „feront contraint“ geht grammatikalisch nicht, die Lesart seront

contraints dürfte zutreffen. Eingangs-s und -f- sind im Urtext fast gleich.

 

 

Vz 1 [Gerechter zum Tod verurteilt …]  Nicht weil N. von Karl I. von England als Person viel gehalten

hat, sondern weil dieser die gottgefällige Ordnung des Königtums verkörperte, nennt er ihn den

„Gerechten“ und seine Verurteilung notwendig eine unrechtmäßige.

Vz 2 [… öffentlich von seinen Leuten]  Mit der „Umgebung“ oder seinen Leuten sind die Angehöri-

gen der ganzen Nation gemeint, die es zuließ, dass ihr König hingerichtet wurde.  Das Schafott

wurde vorWhitehall, also in aller Öffentlichkeit errichtet.

Vz 3 [schlimme Seuche an diesem Ort]  Zwischen 1601 und 1680 gab es in London des Öfteren

Fälle von Pest. Die schlimmste Epidemie grassierte 1665 mit 68000 Toten, die zweitschlimmste

1667 mit 35000 Toten (Rouffié/Sournia, Die Seuchen in der Geschichte der Menschheit, 2.Aufl.

München 1993 S. 53).

Vz 4 [Richter müssen fliehen]  Dass viele der Bessergestellten, die es sich leisten konnten, im

Sommer 1665 aus der Stadt flüchten, um sich vor der Seuche in Sicherheit zu bringen, beschreibt

Daniel Defoe in seinem Journal oft he Plague Year sehr ausführlich.  Doch die Parlamentarier,

die 1649 das Todesurteil unterschrieben haben, gelten ab 1660, als die Monarchie restauriert wird,

als Königsmörder und müssen sich verantworten.  Von ihnen dürften die wenigsten in der Lage

gewesen sein zu fliehen.  Für N. ist 1649 die ganze britische Nation schuldig geworden und erhält

mit der Pest den >gerechten Lohn<.  Alle Flüchtenden seien schuldig gewesen.

 

 

        … als >Rache des Himmels<

 

02/53   La grande peste de cite maritime/

Ne cessera que mort soit vengée/

Du iuste sang, par pris damne sans crime/

De la grande dame par feincte n’ outraigée. (1555)

 

Die große Seuche wird von der Stadt am Meer/

nicht weichen, bevor der Tod des gerechten Geblüts gerächt ist,/

zum Lohn verurteilt, ohne Verbrechen,/

von der großen Dame, der heuchlerisch nicht gekränkten.

 

1) Mittelfrz. n.m. pris auch: Belohnung (récompense)

 

 

Vz 3 [zum Lohn verurteilt ohne Verbrechen …]  Nach Ansicht des Sehers hat Karl I. das Todesurteil

nicht verdient.  >Zum Lohn< für seinen Dienst am Land werde er verurteilt werden  -  das ist purer

Sarkasmus.  In der Tat ist der Vorwurf der Tyrannei sehr summarisch und entspricht hauptsächlich

den gestiegenen Anprüchen des Bürgertums auf Teilhabe an der Herrschaft, denen der König nicht

genügend entgegengekommen sei.

Vz 4 [… von der großen Dame, der heuchlerisch nicht gekränkten]  Die „große Dame“ ist im Kontext

das britische Volk, das sich seines Königs mit Gewalt entledigte und dadurch >herrenlos< wurde. 

S. dazu im Glossar unter -> dame. Aber der Nachsatz zeigt, dass N. doch differenziert, denn er

erkennt, dass der König nicht ums Leben gekommen wäre, wenn es wirklich nach dem Empfinden

der Mehrheit gegangen wäre, demzufolge die Person des Königs unantastbar ist.  Verhandlungs-

bereite Mitglieder des Langen Parlamentes hat Cromwell ausschließen lassen, gegen das Todes-

urteil aufbegehrende Mitglieder des Rumpfparlamentes setzt er persönlich unter Druck.

Vz 1/2 [Seuche als Rache]  Eine menschliche Schwäche wie Rachsucht sollte man Gott nicht

unterstellen, weil es sicherlich nicht der Wahrheit entspricht.  N. aber bringt in der Manier des

alttestamentarischen Propheten seinen Zorn über den Königsmord von 1649 zum Ausdruck. 

Vielleicht ist ja das Verschwinden des Königtums ein wirkliches Verhängnis  -  das Jüngste

Gericht hat noch nicht getagt.

 

 

        Der Staat Cromwells zerbricht.  Der Brand Londons 1666 

 

02/51    Le sang du iuste à Londres fera faute/

Bruslés par fouldres de vint trois les six./

La dame antique cherra de place haute:/

De mesme secte plusieurs sont occis. (1555)

 

Das Blut des Gerechten wird in London fehlen,/

(Sie werden) verbrannt durch zahlreiche Blitze, die drei Sechsen./

Die antike Dame wird stürzen von hohem Ort,/

von derselben Partei werden mehrere erschlagen werden.

 

1) Wendung faire faute fehlen, vermisst werden

2) Zahlwort vingt 1. zwanzig 2. zahlreich

3) Zur antiken Dame s. Glossar unter -> dame Grecque.

4) Zu der Sekte s. Glossar unter -> secte.

 

 

Vz 1 [Blut des Gerechten fehlt]  Wenn in London das Blut des Gerechten fehlt, dann gibt es dort

keinen lebendigen König mehr.  Der Thron, der für N. die Spitze der gerechten Ordnung des

Gemeinwesens bildet, ist vakant. 

Vz 3 [antike Dame …]  Die „griechische Dame“ steht in 9/78 (Kap.34) für die im antiken Griechen-

land geborene Idee eines politischen Gemeinwesens ohne Monarchen, für die Herrschaft des

Volkes (Demokratie). Cromwell, ein religiöser Eiferer, errichtet eine Republik und bekleidet

selbst die Stelle eines obersten Beschützers derselben.  De facto ist es eine Militärdiktatur,

also keine Demokratie im antiken oder modernen Sinn.  Aber N. bringt jede Herrschaft, die nicht

vom Monarchen, sondern von Schichten des Volkes getragen wird, mit Demokratie in Verbindung.

Vz 3 [… stürzt von hohem Ort]  Nach Cromwells Tod 1658 zerbricht die Republik wieder, die

>antike Dame< verliert jäh die hohe Wertschätzung, die sie für einige Jahre erfahren hat. 

Im Jahr 1660 kommt der Sohn des Hingerichteten als Karl II. auf den Thron.

Vz 2 [verbrannt/ die drei Sechsen/ zahlreiche Blitze]  Im Jahr 1666 findet der große Brand der

Stadt London statt, dem vier Fünftel der Stadt zum Opfer fallen.  N. hat hier also ein Ereignis

einhundert Jahre nach seinem Tod (im Jahr 1566) mit Ort und Zeit auf ein Jahr genau angegeben. 

Den Grund für das Ereignis - wie schon für die Pestausbrüche im Jahr davor und danach - 

glaubt er in dem Königsmord von 1649 zu erkennen. Die Stadt habe damit eine Schuld auf sich

geladen, die sich sich rächen werde. Die >Rache des Himmels< beschreibt er unter dem Bild

des Unwetters mit zahlreichen Blitzen. Den Zorn Gottes in Donner, Blitz und Hagel zu erkennen,

ist archaisches Erbe, nicht spezifisch christlich.

Vz 4 [Von demselben Bekenntnis mehrere erschlagen]  Mit „demselben Bekenntnis“ sind hier die

unter Cromwell führenden Puritaner gemeint.  Zur Rechenschaft werden unter Karl II. nur jene von

ihnen gezogen, die man für die Verurteilung seines Vaters zum Tod verantwortlich machen kann,

weil sie das Todesurteil unterschrieben haben.