Kapitel 7 Die Papstkirche um 1600
N. hat die Zurückdrängung des Einflusses Roms in kirchlichen
Angelegenheiten eines katholischen Landes als „Verfolgung der
Kirche“ bezeichnet und den Beginn dieser >Verfolgung< auf das
Jahr 1606, ihren (vorläufigen) Höhepunkt auf das Jahr 1792
datiert. Warum er das Jahr 1606 hervorhebt, wird in VH (34)
erklärt, und der Hinweis auf 1792 bezieht sich auf die neue Zeit-
rechnung, die der französische Nationalkonvent damals einführt,
weil er die christlich geprägte Ära hinter sich lassen will,
Einführung (7c). Mit der >Verfolgung< der Kirche meint er die
Abnahme der weltlichen Macht der Papstkirche, die sich in der Tat
über Jahrhunderte hingezogen hat. Wie aus dem folgenden Kapitel
hervorgeht, hat er die Kirche aber nicht nur als Bedrängte
wahrgenommen, sondern auch ihrerseits als Verfolger von Wissen-
schaftlern gesehen, die neue, das Weltbild berührende astrono-
mische Erkenntnisse vertreten. Er selbst gehört wohl auch zu den
Sympathisanten des Kopernikus, dessen Buch erscheint, als N.
vierzig Jahre alt ist.
Auszug aus dem historischen Inhaltsverzeichnis
04/18 Die gelehrtesten Astronomen gejagt wie Verbrecher
08/71 Astronomen gebannt, ihre Bücher zensiert
Die gelehrtesten Astronomen gejagt wie Verbrecher
04/18 Des plus letrés dessus les faits celestes/ Seront par princes ignorants reprouués:/ Punis d’ Edit, chasses, commes scelestes,/ Et mis à mort la ou seront trouués. (1555)
Die Gelehrtesten in den himmlischen Tatsachen/ werden von unwissenden Fürsten verdammt werden,/ mit Strafe bedroht durch Edikt, gejagt wie Verbrecher/ und zu Tode gebracht da, wo sie angetroffen werden.
3) Lat. Adj. scelestus frevelhaft > lat. n.n. scelus Verbrechen, Freveltat
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Vz 1 [Gelehrteste in himmlischen Tatsachen] Pfändler (1996 S. 283) will hier eine Astrologenverfol-
gung erkennen. Er übersetzt die plus letrés dessus les faits celestes als die „Gebildetsten in Sachen
Sternkunde“. Aber die faits celestes sind die „himmlischen Tatsachen“, was eher dafür spricht, dass
hier Astronomen gemeint sind. Von „Astronomen“ spricht N. ausdrücklich in Vers 8/71 (s.u.) und
unterscheidet davon die „Astrologen“, die er von seiner Prophetie fernhalten will, Einführung (17) .
Vz 2/3 [Von unwissenden Fürsten verdammt/ Mit Strafe bedroht durch Edikt] Die katholische Kirche
hat zu keiner Zeit die heliozentrische Lehre zur Häresie erklärt; darunter versteht sie die beharrliche
Leugnung oder das beharrliche Zweifeln an einer zu glaubenden Wahrheit durch einen getauften
katholischen Christen. Daher ist es auch nicht die Glaubenskongregation, sondern die Kongregation
für den Index der verbotenen Bücher, die die Sache entscheidet. Sie erlässt am 5.3.1616 ein Dekret,
welches das Buch des Kopernikus von 1543 auf den Index setzt. Darin heißt es,
„…dass die falsche und der Heiligen Schrift ganz und gar zuwiderlaufende Lehre von der Bewegung der Erde und der Unbewegtheit der Sonne … sich bereits verbreitet hat und von vielen angenommen wird…. damit diese Auffassung nicht zum Verderben der katholischen Wahrheit sich weiter einschleicht, hat die Kongregation beschlossen, dass die Bücher des Kopernikus >De revolutionibus orbium< … bis zur Verbesserung zu suspendieren seien…und alle anderen Bücher, die gleichermaßen dasselbe lehren, zu verbieten, wie sie durch gegenwärtiges Dekret sie insgesamt verbietet und verdammt beziehungsweise suspendiert.“
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zit. nach A. Fölsing, Galileo Galilei, Prozeß ohne Ende, München 1983, S. 341f.
Im Jahr 1619 beklagt Johannes Kepler, dass „es durch die Schroffheit einiger Leute, die Fragen
der Sternkunde an unrechter Stelle und in unpassender Weise behandeln, dahin gekommen ist,
dass das Lesen des Buches des Copernicus fast 80 Jahre lang ganz unbehelligt blieb, schließlich
untersagt wurde, bis das Werk verbessert sei.“ Damit meint er hauptsächlich Galilei, der die
kopernikanische Lehre als Wahrheit behauptet, während die Kirche das neue System nur als
Hypothese diskutieren lassen will.
Wer nach 1616 das neue heliozentrische System vertritt, muss also damit rechnen, dass seine
Veröffentlichungen verboten und seine Person verfolgt werden, soweit der Arm Roms reicht. Die
Kurienkardinäle beziehen ihr Wissen aus der Bibel und von Aristoteles und meinen, dass der
Wahrheitsanspruch der neuen Astronomie den katholischen Glauben gefährde. Sie wollen daher
„unwissend“ bleiben, bis endgültige Beweise für die eine oder die andere astronomische Lehre
erbracht sind. (Das geschieht erst im 18. Jahrhundert; 1757 wird die Indizierung des Buches des
Kopernikus zurückgenommen.)
Vz 4 [zu Tode gebracht] Der geniale Giordano Bruno ist Philosoph und Dichter, aber er lehrt auch,
dass die Erde nur eine annähernde Kugelgestalt besitze und an den Polen abgeplattet sei, dass
sich auch die Sonne um ihre eigene Achse drehe, dass alle Fixsterne Sonnen seien und sich
zahlreiche Planeten um sie herum bewegen. Für die letzte Behauptung werden gegenwärtig die
ersten Beweise erbracht. Im Februar 1600 wird er in Rom hingerichtet, weil er seine Zweifel am
Trinitätsdogma nicht widerrufen mag. Beim Lesen des Verses entsteht allerdings der Eindruck,
dass eine größere Zahl von Menschen wegen ihrer Gelehrtheit in der Astronomie zu Tode gekom-
men sei. Aber das ist nicht der Fall. Und auch Bruno ist, wie ausgeführt, nicht wegen seiner
kosmologischen Spekulationen auf dem Scheiterhaufen umgekommen.
Astronomen gebannt, ihre Bücher zensiert
08/71 Croistra le nombre si grand des astronomes Chassez, bannis & liures censurez,/ L’ an mil six cens & sept par sacre glomes/ Que nul aux sacres ne seront asseurez. (1568)
Stark wachsen wird die Zahl der Astronomen,/ (sie werden) gejagt, gebannt und (ihre) Bücher zensiert./ Das Jahr 1607, durch (eine) Weihe Verstrickungen,/ und keiner wird vor den Geweihten sicher sein.
3) Mittelfrz. n.m. sacre I. Raubvogel (oiseau de proie) II. 1. Weihe eines Königs (cérémonie du consecration d‘ un roi) 2. Fronleichnam (La Fête-Dieu) > lat. Adj. sacer heilig, geweiht, n.m. sacerdos Priester Lat. n.n. glomus Knäuel > lat.v. glomerare zusammenrollen, -drängen
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Vz 1/2 [Zahl der Astronomen wächst/ Zensur] Im 17. Jahrhundert nimmt das Interesse für die
Erkundung der Erscheinungen am Firmament und ihre Erklärung stark zu. Die neuen Möglichkeiten
durch verbesserte optische Instrumente, aber auch der stark anwachsende Schiffsverkehr mit Zielen
in Übersee tragen dazu bei. Die Anordnung Roms vom März 1616, dass die Lehre des Kopernikus
über die Sonne als Zentralgestirn der katholischen Wahrheit zuwiderlaufe, mag die Sterngucker in
nichtkatholischen Landen zusätzlich beflügelt haben. Es ist das erste und wohl auch letzte Mal,
dass eine astronomische Lehre von Theologen beurteilt und verworfen wird, 4/18 (s.o.).
Vz 3 [1607 durch Weihe Verstrickung] Als treibende Kraft hinter den Vorgängen erkennt N. Papst
Paul V., der allerdings nicht 1607, sondern im Mai 1605 zum Papst gewählt wird und ein Mann ist,
der alte Rechtspositionen des Papsttums mit unnachgiebiger Härte wiederherstellen will. Unter ihm
kommt es zu einer „Verstrickung“ (glome) der Theologie in die für den Glauben förderliche, aber
nicht unbedingt notwendige Erkenntnis der Natur. Herausgefordert wird diese Verstrickung durch
Galilei, der sich nicht damit begnügt, das kopernikanische System als Hypothese zu diskutieren,
was ihm die Kirche erlaubt, sondern es als allein wahres Erklärungsmodell durchsetzen will in einer
Zeit, da die letzten Beweise noch gar nicht erbracht sind.