Kapitel 5 Heinrich III. von Frankreich (1574-89)
Auszug aus dem historischen Inhaltsverzeichnis
04/87 Heinrich kann die katholische Partei nicht auf sich verpflichten
08/44 Heinrich >muss sich vor dem Führer der Protestanten niederwerfen<
03/55 Der Große von Blois lässt seinen Freund töten
06/11 Glaubensbrüder bringen sich gegenseitig um
03/51 In Paris wird die Ermordung Heinrichs geplant
01/36 Mit Heinrich erlischt das Königtum der Valois
Heinrich III. kann die katholische Partei nicht auf sich verpflichten
04/87 Vn filz du Roy tant de langues aprins, A son aisné au regne different: Son pere beau au plus grand filz comprins, Fera perir principal adherent. (1568)
Ein Sohn des Königs, in Sprachen sehr gewandt,/ (ist) anders in der Herrschaft als dessen Erstgeborener./ Sein Schwiegervater, vom größten Sohn (wird es so) aufgefasst,/ wird untergehen lassen (seinen) vornehmsten Parteigänger.
2) N.m. aîne Erstgeborener, Ältester. „Sein“ Erstgeborener müsste sich auf den Königssohn beziehen. Wie die Deutung ergibt, bezieht es sich aber auf den König. Grammatisch korrekt wäre aisné de lui gewesen. 3) N.m. beau-père Schwiegervater, hier zur Verwirrung verkehrt herum.
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Vz 1/2 [Königssohn sprachgewandt/ anders als Erstgeborener] Heinrichs II. Erstgeborener Franz
kommt mit fünfzehn, „in unfähigem Alter“, 10/39 (Kap.4), auf den Thron Frankreichs. Heinrich
dagegen ist erwachsen, als er mit 22 im Jahr 1574 den Thron besteigt. Der spätere Heinrich III.
wird als das intelligenteste Kind aus der Ehe Heinrichs II. und der Katharina von Medici beschrieben
(Hartmann, Peter, Französische Könige und Kaiser der Neuzeit, München 1994 S.122).
Vz 3/4 [Schwiegervater lässt ihn untergehen] Im Jahr 1575 heiratet er die aus Lothringens Herzogs-
haus stammende Louise de Vaudémont. Deren Vater, Herzog Karl III. und Kardinal von Lothringen,
hält zur Politik der Guisen, die die katholische Partei anführen, wird 1584 sogar deren Thronprätendent.
Seitdem untergräbt die Unversöhnlichkeit dieser Partei die Stellung des Königs und verursacht das
Scheitern seiner Aussöhnungspolitik. Heinrich III. ist insofern „vornehmster Parteigänger“ der katho-
lischen Partei, als er die katholische Religion, die die Guisen zu ihrer Sache zu machen vorgeben,
nie verleugnet. Nach dem Attentat, auf dem Sterbebett, legt er dem designierten Nachfolger, dem
Hugenotten Heinrich von Navarra, den Übertritt zum alten Glauben nahe.
Heinrich >muss sich vor dem Führer der Protestanten niederwerfen<
08/44 Le procrée naturel dogmion De sept à neuf du chemin destorner A roy de longue & amy aumy hom Doit à Navarre fort de PAV. prosterner. (1568)
Der echte Nachkomme des Ogmios,/ wird von sieben bis neun vom Weg abkommen./ Vor dem König von weither und Freund der Hälfte der Vasallen,/ vor Navarra, dem Starken von Pau, muss er (sich) niederwerfen.
1) Enfant naturel uneheliches Kind. Aber diese Spezialbedeutung muss nicht gemeint sein. Adj. naturel echt, natürlich, angeboren. 2) Mittelfrz. v. destourner (altfrz. destorner) einen Umweg machen (faire un détour), behindern (empêcher), im Kontext aber offenbar intransitiv 3) Altfrz. n.m. mi Hälfte, Mitte. Mittelfrz. n.m. homme Mensch, Mann, Vasall, Getreuer.
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Vz 1 [Echter Nachkomme des Ogmios …] Heinrich III. ist ein leiblicher Sohn Heinrichs II., ein echter
Valois, einer von Geblüt. Heinrich II. erhält hier den Namen einer keltischen Gottheit, der kriegerische
Heldentaten zugunsten der Menschen nachgesagt wurden. Das dürfte N. als Huldigung seines Königs
gemeint haben, dem er auch sonst über die Maßen mit Huldigungen bedenkt, VH (1), VH (46).
Vz 2 [… von sieben bis neun auf Abwegen] Im Oktober 1587 kann Heinrich von Navarra, der Führer
der Partei der französischen Protestanten, einen Sieg über die Truppen der katholischen Liga erringen.
Auf Betreiben des Herzogs von Guise, der die katholische Partei anführt, werden anschließend
protestantische deutsche Söldner aus dem Land getrieben. Das Ansehen der Guisen steigt, Paris ist
in Händen der Liga. König Heinrich III. dagegen gerät immer mehr zwischen die Fronten, sein Ansehen
sinkt beständig. Der Seher sieht ihn 1587 auf einen Abweg geraten „bis neun“, bis 1589. Im Jahr 1589
wird Heinrich III. von einem fanatisierten Anhänger der katholischen Partei ermordet.
Vz 3 [… wirft sich nieder vor Navarra] Heinrich von Navarra heißt hier, wie damals (bis zur Thron-
besteigung) üblich, einfach Navarra. Mit ihm hat der König im April 1589 die politische Zusammenarbeit
aufgenommen, weil ihm die Unversöhnlichkeit der katholischen Partei keine andere Wahl lässt.
Vom Standpunkt der katholischen Partei, den N. einnimmt, ist das eine Demütigung des Königs.
In Wahrheit haben die Guisen den König ständig gedemütigt.
Vz 4 [König von weither und Freund der Hälfte der Vasallen] Heinrich III. wird durch Heinrich von
Navarra beerbt. Dieser ist „der Starke von Pau“, einer Stadt seines ganz im Südwesten des Reiches
gelegenen kleinen Königreichs. Er ist nur der „Freund der Hälfte der Vasallen“, weil er die katholischen
Fürsten Frankreichs zum Feind hat. Das Bestreben des neuen Königs ist es, die jahrzehntelangen
Glaubenskriege zu überwinden in einem Frieden, der die Ausübung beider Religionen garantiert,
1/54 (Kap.6). Vom unversöhnlichen Standpunkt des Sehers aus ist er ein >Ketzer<, 5/72 (Kap.6).
Heinrich lässt den Führer der katholischen Partei ermorden
03/55 En l‘ an qu‘ un oeil en France regnera,/ La cours sera à un bien fascheux trouble:/ Le grand de Bloys son ami tuera: Le regne mis en mal & doute double. (1555)
In dem Jahr, in dem ein Auge in Frankreich herrschen wird,/ wird der Hof in einer sehr misslichen Verwirrung sein./ Der Große von Blois wird seinen Freund töten,/ das Reich gestürzt in doppeltes Übel und doppelte Ungewissheit.
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Das Königsgeschlecht der Valois geht durch Aussterben unter. Der Vers handelt vom gewalt-
samen Tod zweier Valois-Könige, des viertletzten, den N. persönlich kannte, und des letzten.
Vz 1/2 [Ein Auge regiert] Beim Turnierkampf im Juli 1559 dringt ein Splitter der Lanze seines Gegners
durch ein Auge bis ins Gehirn ein, 1/35 (Kap.3), aber der König lebt. Dass der Hof in einer solchen
Lage in einer „misslichen Verwirrung“ ist, bedarf keiner besonderen Begründung. Die Frage ist,
wie es weitergeht und ob der König seinen Unfall übersteht. Doch die Verletzung endet tödlich,
und der König regiert nur noch wenige Tage mit „einem Auge“ das Land.
Vz 3 [Großer von Blois tötet Freund] Der „Große von Blois“ ist König Heinrich III., der 1588 die Stände
nach Blois einberuft, um die Heinrich von Guise angeführte katholische Liga neu auf sich zu verpflichten
und dadurch sein Königtum zu befestigen. Der König sucht die Unterstützung durch Guise, der nicht
sein Freund ist, den er aber gern als Freund erscheinen lassen will. Guise aber kann sich weitgehend
durchsetzen, der König sieht sich beiseite gedrängt. Daraufhin lässt er den Konkurrenten ermorden.
Nur ein halbes Jahr später wird er dann selbst ermordet, 3/51 (s.u.).
Vz 4 [Doppeltes Übel, doppelte Ungewissheit] Mit dem „doppelten Übel“ können die Morde an den
beiden führenden Männern gemeint sein, sowie die Tatsache, dass mit dem Tod des letzten Valois
nicht nur ein König, sondern eine ganze Dynastie ihr Ende findet. Die „doppelte Ungewissheit“ ist
die Frage, wie es in Frankreich weitergehen werde, wer politisch die Macht erringen und welche
Religion sich durchsetzen werde.
>Brudermorde<: Glaubensbrüder bringen sich gegenseitig um
06/11 Des sept rameaux à trois seront reduicts,/ Les plus aisnez seront surprins par mort,/ Fratricider les deux seront seduicts,/ Les coniurez en dormant seront morts. (1568)
Von sieben Zweigen werden sie auf drei reduziert,/ die Älteren werden überrascht werden vom Tod./ Zum Brudermorden werden die zwei verführt werden./ Die Verschworenen werden schlafend sterben.
1) Lat. n.m. ramus Zweig, auch Zweig eines Stammbaums
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Vz 1/2 [Sieben Zweige reduziert auf drei/ Ältere sterben überraschend] König Heinrich II. von
Frankreich hat zehn legitime Kinder, von denen drei als Kleinkinder sterben und sieben erwachsen
werden (Hartmann, Französische Könige der Neuzeit S. 71). Franz (als König der zweite) stirbt
1560 mit 16 Jahren, Elisabeth 1568 mit 22 Jahren. Karl (als König der neunte) stirbt 1574
mit 23 Jahren, seine Schwester Claudia 1575 mit 27 Jahren. Es sind vier junge Erwachsene,
deren Tod nicht zu erwarten ist und somit überraschend eintritt. Danach sind noch drei übrig:
Heinrich (als König der dritte), sein Bruder Francois-Hercule (>Alencon<) und seine Schwester
Margarethe. Die Aussage, dass drei übrig sind, bezieht sich somit auf die Zeit von 1575 bis 1584,
dem Jahr, in dem >Alencon< stirbt und >Navarra< an die erste Stelle der Thronfolge aufrückt.
Vz 3/4 [Zwei Verführt zum Brudermord/ Verschwörer sterben schlafend] Die „zwei“ im Jahr 1584
verbleibenden Kinder Heinrichs II. sind Heinrich III. und seine Schwester Margarethe, die >Navarra<
geheiratet hat. Die Verschwörer sind die Anführer der katholischen Liga („Liga zur Verteidigung der
Heiligen Katholischen Kirche“ heißt sie offiziell) Henri und Louis de Guise, die das aufständische Paris
in der Hand haben und auf die Abdankung Heinrichs III. hinarbeiten. Sie werden auf Befehl des Königs
am 23./24. Dezember 1588 als Rebellen ermordet. Sie ahnen nichts (>schlafend<).
Es sind keine natürlichen Brüder, sondern Glaubensbrüder des Königs, Katholiken. Margarethe von
Navarra, geborene Valois, hat mit dem Mord nichts zu tun, aber anscheinend unterstellt ihr N. das,
weil sie mit einem >Ketzer< verheiratet ist, der am Ende der Nutznießer des Kampfes unter Glaubens-
brüdern sein wird. Ein Katholik lässt Katholiken umbringen, ein unchristliches Verhalten, zu dem er
sich hat verführen lassen.
In Paris wird daraufhin die Ermordung Heinrichs geplant
03/51 Paris côiure vn gradn meurtre cômetre,/ Bloys le fera sortir en plain effet:/ Ceux d’ Orleans voudront leur chef remetre,/ Angiers, Troy, lâgres leur ferôt grâ forfeit.
Paris verschwört sich, eine große Mordtat zu begehen,/ Blois wird sie hervorkommen lassen in der Wirkung./ Die von Orleans werden ihr Haupt wiedereinsetzen wollen,/ Angiers, Troyes, Langres werden ihnen eine große Schandtat antun.
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Vz 1/2 [Blois bewirkt Mordtat, zu der sich Paris verschwört] Im Jahr 1587 bildet sich in Paris unter
dem Eindruck von Gerüchten über eine Invasion deutscher Protestanten eine katholische Liga der
Sechzehn, angeführt von den lothringischen Guisen. Die Autorität des Königs Heinrich III., der
zwischen den Fronten derer steht, die vorgeben, die Religion zu ihrer Sache zu machen, nimmt
immer weiter ab. Als er in Blois sein Königtum ausgehöhlt und sich zu Unternehmungen gegen die
Hugenotten genötigt sieht, die er nicht billigt, lässt er die führenden Guisen ermorden, 6/11 (s.o.).
Daraufhin sagen sich die Hauptstadt und viele andere Städte vom König los. Im Jahr darauf wird
er selbst von einem fanatisierten Mönch nahe bei Paris ermordet. Nach dem Mord an den Guise-
Brüdern in Blois radikalisiert sich die schon vorher gegen den König gerichtete Stimmung in Paris
derart, dass der Königsmord möglich wird.
Vz 3 [Die von Orleans wollen ihr Haupt wieder einsetzen] Der Herzog von Mayenne wird anschließend
zum Führer der katholischen Partei. Der Kardinal von Lothringen wird gegen Heinrich von Navarra
zum König aufgestellt. Die katholische Partei, zu der er hält, sieht N. in der Tradition des französischen
Freiheitskampfes und nennt sie daher „die von Orléans“.
Vz 4 [Schandtat] Als das Kriegsglück den Hugenotten Heinrich von Navarra begünstigt und der
1593 zum Katholizismus übertritt, sind auch die vorher zur Gegenseite haltenden Städte bereit,
ihm zu huldigen - eine Schandtat für den Seher als unversöhnlichen Katholiken.
Mit Heinrich III. erlischt das Königtum der Valois
01/36 Tard le monarque se viendra repentir/ De n’ auoir mis à mort son aduersaire:/ Mais viendra bien à plus hault consenter/ Que tout son sang par mort fera defaire. (1555)
Spät wird der Monarch (soweit) kommen zu bedauern,/ seinen Widersacher nicht in den Tod geschickt zu haben. Doch wird er dem Höchsten gänzlich beistimmen/ und wird sein ganzes Geblüt durch Tod eine Niederlage erleiden lassen.
1) bis 4) Folgt man der Annahme, dass das Subjekt des ersten Satzes (Vz 1/2) auch das Subjekt des zweiten Satzes (Vz 3/4) ist, bezieht sich „sein ganzes Geblüt“ auf den Monarchen und nicht auf den Widersacher.
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Vz 3 [Monarch stimmt dem Höchsten gänzlich bei] Im Edikt von Nemours hat Heinrich III. auf Druck
der katholischen Liga im Juli 1585 die protestantische Religion in Frankreich verboten und die Ausübung
des hugenottischen Glaubens mit der Todesstrafe bedroht. Im Sommer 1588 muss er erneut die
uneingeschränkte Katholizität Frankreichs bestätigen. Damit stimmt er dem in Dingen des Glaubens
dem Höchsten, dem Papst, bei, denn der duldet keine anderen christlichen Konfessionen.
Vz 1/2 [bedauert spät, seinen Widersacher nicht getötet zu haben] Die Ausweglosigkeit seiner Lage
bestimmt ihn auf der Versammlung der Stände in Blois, seinen „Widersacher“ Heinrich von Guise sowie
dessen Bruder Ludwig ermorden zu lassen. Das geschieht „spät“, im fünfzehnten und vorletzten Jahr
seiner Herrschaft, im Dezember 1588. Das späte Bedauern, etwas nicht getan zu haben, bedeutet
hier also, dass das Unterlassene am Ende doch noch getan wird. Erst nach Eintreten der Ereignisse
offenkundig, ist der Hintersinn dieser Formulierung typisch für den verschleiernden Stil des Sehers.
Vz 4 [Sein ganzes Geblüt erleidet durch Tod eine Niederlage] Der Kinderlose wird ein halbes Jahr später
dann selbst ermordet. Damit ist er der Letzte aus dem Geblüt derer von Valois auf dem Thron Frankreichs.