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         Kapitel 4  Franz II. (1559-60) und Karl IX. (1560-74),
        
                Beginn der Religionskriege in Frankreich

          Auszug aus dem historischen Inhaltsverzeichnis

          10/39   Erster Sohn der Witwe wird König in „unfähigem Alter“

          02/14   Die große Huldreiche auf Tournee durch ihr Reich

          04/47   Ein finsterer, ungeselliger König >übt in seiner Schmiede<

          04/08   Paris überrascht von plötzlichem Angriff

          Sz 52   Die große Stadt >hat kein Brot< für die Hälfte der Bewohner

          04/40   Nie zuvor gab es eine so erbärmliche Spaltung

 

         Erster Sohn der Witwe wird König in „unfähigem Alter“

  

10/39    Premier fils vefue malheureux mariage,/

Sans nuls enfans deux Isles en discord,/

Auant dixhuict incompetant eage,/

De l‘ autre pres plus bas sera l‘ accord. (1568)

 

Erster Sohn (der) Witwe (führt eine) unglückliche Ehe,/

ganz ohne Kinder.   Zwei Inseln in Zwietracht,/

vor achtzehn, (in) unmündigem Alter./ 

Dem Anderen, Verwandten, wird (in) noch niedriger(em Alter)

die Zustimmung (gegeben) werden.

 

 

Vz 1/2 [Erster Sohn der Witwe / Ehe ohne Kinder]  „Erster Sohn“ der durch den Unfalltod ihres

Gatten verwitweten Katharina von Medici ist Franz, der, im Juli 1559 erst fünfzehnjährig, als

Franz II. König wird.  Im Jahr davor hat er die ein Jahr ältere schottische Königin Maria Stuart

geheiratet.  Die Ehe der beiden Halbkinder wurde wahrscheinlich nie vollzogen, blieb kinderlos

und war nach dem damaligen Maßstab schon deshalb nicht glücklich.

Vz 2/3 [Zwei Inseln in Zwietracht/ vor achtzehn]  Franz war von labiler körperlicher und seelischer

Verfassung und starb schon Ende 1560, noch vor Erreichen des achtzehnten Geburtstags, Vz 3. 

Seit seiner Heirat als volljährig geltend, ist er wegen der Schwäche der natürlichen Autorität

eines Halbwüchsigen und wegen seiner Kränklichkeit in „unfähigem Alter“, das Amt des Königs

auszufüllen.

Vz 4 [Verwandter noch jünger bei Zustimmung]  Seine Witwe Maria Stuart geht 1560 zurück nach

Schottland.  Ihr Anspruch auf den englischen Thron führt zur „Zwietracht“ zwischen >zwei Inseln<,

England und Schottland.  Elisabeth I. unter-stützt die schottische Opposition gegen Maria.  König

Franz II. folgt der zehnjährige Karl als der IX. seines Namens auf den Thron.  Ihm wird die

„Zustimmung“ gegeben, der Treueid geschworen, in „noch niedrig(erem Alter)“.

 

  

        Die große Huldreiche auf Tournee durch ihr Reich

  

02/14    A. Tours, Iean (!), garde serôt yeux penetrants/

Descouuriront de loing la grand sereyne,/

Elle & sa suite au port seront entrants/

Combat, poussés, puissance souueraine.  (1555)

 

(In) A(ngers), Tours, Gien (?) werden sie geschützt sein,

durchdringende Augen/

werden von weitem die große Huldreiche entdecken./

Sie und ihr Gefolge werden in den Hafen einfahren,/

(ein) Gefecht, Geschlagene, souveräne Macht.

 

1) Spätere Ausgaben haben „Gien“, auch als „Gian“ auf alten

Karten verzeichnet.  Diese Stadt liegt wie Tours an der Loîre.

2) Serein heiter, fröhlich wurde früher als Ehrentitel für Fürsten

verwendet, meist aber als Substantiv serenité.

 

  

Vz 1 [In Tours geschützt/ durchdringende Augen]  Auf der über zweijährigen >Tournee< der Regentin

Katharina von Medici und ihres Hofes durch Frankreich, auf der sie, um N. zu befragen, auch dem

unbedeutenden Salon de Provence einen Besuch abstattete, kam die Königinmutter im November

1565 nach Tours.  Die „durchdringenden Augen“ könnten die des Sehers sein, denn die Aussage

der ersten Verszeile ergibt als Antwort auf Fragen der Medici einen Sinn.

Vz 2/3/4 [Einfahrt/ Schlacht/ große Huldreiche, souveräne Macht]  Die Regentin und ihr Gefolge

kommen von Angers, weiter unterhalb an der Loîre gelegen.  Die Entrée joyeuse, der feierliche

Einzug des Königs und seines Gefolges in eine Stadt, ist damals eine gern geübte Gewohnheit. 

In Tours beherrschen, anders als auf mancher früheren Station der Reise, Eintracht unter altgläubi-

gen und reformierten Untertanen sowie allgemeine Königstreue das Bild.  Man lässt sich Veran-

staltungen zur Unterhaltung der königlichen Gäste etwas kosten.  Es scheint, dass dabei wie schon

andernorts auch Schlachten als Schauspiel aufgeführt wurden.  Die Bezeichnung der Königinmutter

als Huldreiche sowie ihre angeblich „souveräne Macht“ des Königshauses, die in Orten wie Tours

souverän erscheint, obwohl sie es im Ganzen des Landes nicht ist, sind Ergebenheitsadressen

des Sehers, wie sie in seiner Zeit Herrschern gegenüber üblich sind.

 

 

        Ein finsterer, ungeselliger König >übt in seiner Schmiede<

  

04/47    Le noir farouche quand aura essayé/

Sa main sanguine par feu, fer, arcs tendus:/

Trestout le peuple sera tant effraie:/

Voyr les plus grads par col & pieds pendus.   (1555)

 

Der finstere ungesellige König, wenn er erprobt haben wird/

seine blutige Hand mit Feuer, Eisen, gespannten Bögen,/

wird das ganze Volk sehr erschrocken sein,/

die Größten an Hals und Füßen aufgehängt zu sehen.

 

1) noir ist Anagramm von Roi(n) und zugleich Hinweis auf das finstere

Wesen des Gemeinten.

4) Bei grads fehlt der übliche Zirkumflex, gemeint sind grands.

 

 

         Vz 1/2 [Erprobt Hand mit Feuer, Eisen]  Bei diesem Vers sind sich die Kommentatoren einmal weit-

         gehend einig, was selten der Fall ist.  Es handle sich um Karl IX. von Frankreich und die sogenannte

         Bartholomäus-Nacht am 23./24. August 1572, von der auch der Vers 4/8 (s.u.) noch handelt.  Was

         stark für diese Deutung spricht, weil es König Karl IX. kennzeichnet, ist das „Erproben der Hand mit

         Feuer, Eisen“.  Karl IX. hat ein Steckenpferd, das seine Biographen vermerken, weil man es damals

         als absonderlich und eines Königs unwürdig empfindet.  Er hat sich eine Schmiedewerkstatt einrichten

         lassen, wo er sich an der Herstellung von Waffen versucht.  Dort habe er >geübt< und seine Fertig-

         keiten zur Geltung gebracht, als der Mordbefehl gegeben ist, scheint N. nahezulegen.  Das ist aber

         nicht wörtlich zu nehmen, weil der König das Morden zwar geschehen lässt, sich daran aber, soweit

         bekannt, nicht selbst beteiligt. 

         [Einwand]  Gegen diese Deutung wird eingewandt, dass nicht der erst zweiundzwanzigjährige König,

         sondern seine Mutter die treibende Kraft hinter dem Gemetzel gewesen sei.  Aber wer die treibende

         Kraft ist, ob die Spanier, die Guisen oder die Medici, ist einerlei, weil nur der König den Befehl unter-

         zeichnen kann.  Und das hat er getan.

         Vz 3 [Ganzes Volk sehr erschrocken]  Gegen die Deutung spreche auch (Pfändler 1997), dass nicht

         alle Pariser, also nicht „das ganze Volk erschrocken“ gewesen seien.  Mindestens die im Blutrausch

         Metzelnden selbst seien als zumeist gestandene Soldaten sicherlich nicht erschrocken gewesen. 

         Das wird nicht bestritten, aber trestout le peuple als „jeden Einzelnen“ zu deuten, ist eine überzogene

         Anforderung.  Denn es ist nicht nur der versammelte hugenottische Adel des Landes, der abgeschlachtet

         wird.  Auch unter den katholischen Bewohnern wird manch offene Rechnung beglichen, man ergreift die

         >Gelegenheit<.  Das religiöse Bekenntnis ist im Übrigen nicht an der Kleidung abzulesen, und man

         muss sich in Acht nehmen vor Verleumdungen.  Insofern ist sicherlich ganz Paris „erschrocken“, und

         das ist noch ein schwacher Ausdruck für das Ausmaß der Angst, die damals geherrscht haben muss.

         Vz 4 [Größte aufgehängt]  Auch die Anführer der Hugenotten (“die Größten“) werden nicht geschont,

         der Leichnam des Admirals Coligny z.B. wird öffentlich aufgehängt.  >Groß< reflektiert bei N. im Übrigen

         nicht sein eigenes Werturteil, sondern kennzeichnet eine herausgehobene Stellung, s. Exkurs (5).

 

         Paris überrascht von nächtlichem Angriff

 

04/08    La grâd cité d‘ assaut prompt repentin/

Surprins de nuict, gardes interrompus/

Les excubies & veilles saint Quintin/

Trucidés, gardes & les pourtails rompus.  (1555)

 

Die große Stadt von plötzlichem Angriff/

überrascht des nachts, Schutzleute ausgeschaltet./

Die Wachmannschaften und Wachen (von) St. Quentin/

umgebracht, Schutzleute und die Portale zerschlagen,

 

1) Lat. Adj. repentinus plötzlich, unvermutet

3) Lat. n.m. excubitus, n.f.pl. excubiae Wache, Wachtposten

 

 

         Vz 1/2 [Plötzlicher unvermuteter nächtlicher Angriff]  Ende August 1572 ist in Paris („große Stadt“)

         aus Anlass der Vermählung des Hugenotten Heinrich von Navarra mit Marguerite de Valois, einer

         Tochter der Königinwitwe Katharina von Medici, fast der gesamte hugenottische Adel des Landes

         anwesend.  Die Hochzeit ist als großes Fest der Versöhnung der Franzosen unterschiedlichen

         Glaubens geplant.  Daher rechnen die Hugenotten nicht damit, dass in der Nacht vom 23. auf den

         24. August 1572 der widerstrebende König Karl IX. auf Betreiben der Guisen und wohl auch seiner

         Mutter den Befehl zum Losschlagen gibt.

         Vz 3/4 [Wachen von St. Quentin umgebracht]  Mehrere tausend Hugenotten werden niedergemetzelt,

         darunter auch ihr Anführer, Admiral Gaspard de Coligny.  Die zu seinem Schutz aufgestellten zwölf

         Schweizer werden umgebracht oder gefangen gesetzt.  Coligny hat sich 1557 bei St. Quentin gegen

         die Spanier für den König von Frankreich geschlagen.  Die Hochzeit geht als Bluthochzeit, die Nacht

         als Bartholomäus-Nacht in die Geschichte ein, Sz 52 (s.u.).

 

        Die große Stadt >hat kein Brot< für die Hälfte der Bewohner

 

   Sz 52      La grand Cité qui n’ a pain à demy,/

                    Encor un coup la sainct Berthelemy,/

                    Engravera au profond de son ame,/

                    Nismes, Rochelle, Geneve & Montpellier

                    Castre, Lyon, Mars entrant au Belier,/

                    S‘ entrebatteront le tout pour une Dame.

 

                    Die große Stadt, die kein Brot hat für die Hälfte,/

                    noch einen Schlag wird der heilige Bartholomäus/

                    ihr tief in die Seele prägen./

                    (In) Nîmes, Rochelle, Genf und Montpellier,/

                    Castres, Lyon, wenn Mars den Widder betritt,/ 

                    werden sie sich gegenseitig bekämpfen, alles wegen einer Dame.

 

                    3) Altes v. engraver einschneiden, einritzen, eingraben (graver)

                    6) Mittelfrz. v. s‘ entrebattre rivalisieren (rivaliser)

 

 

         Vz 1/2/3 [Kein Brot für die Hälfte/ heiliger Bartholomäus]  „Die große Stadt“ ist Paris, das im August

         1572 die Christen des katholischen wie des reformierten Glaubens am Brot der Eucharistie teilhaben

         lassen will, also auch die zur Hochzeit der katholischen Prinzessin Marguerite de Valois mit König

         Heinrich von Navarra eingeladenen Hugenotten.  (Selbstverständlich ist damit kein ökumenischer

         Gottesdienst gemeint, damals völlig undenkbar;  die Reformierten wie die Katholiken feiern beide

         jeweils ihren Gottesdienst.)  Aber als in der Nacht vor dem Bartholomäus-Tag (24.8.) die Reformierten

         niedergemetzelt werden, ist klar, dass es in dieser Stadt >Brot< nur für Katholiken gibt. 

         Vz 4/5 [Städte]  Das Gemetzel in Paris ist der Startschuss für ähnliche Vorgänge in den Provinzen. 

         Gemeinsam ist den genannten Städten, dass sie in der gemeinten Zeit von Reformierten beherrscht

         werden (Nîmes, Rochelle, Genf, Montpellier) oder eine zahlreiche reformierte Gemeinde beherbergen

         (Lyon). 

         Vz 6 [Alles wegen einer Dame]  Die „Dame“, die im Hintergrund die Fäden zieht, ist die Königinwitwe

         Katharina von Medici.  Sie hat die Hochzeit als Meilenstein ihrer auf Versöhnung angelegten Politik

         geplant.  Die Katastrophe hat sie weder geplant noch vorhergesehen, aber wohl letztlich ihre Zustimmung

         zum Morden gegeben.  Hätte sie sich dagegen gestemmt, wäre es vielleicht nicht soweit gekommen. 

         Das könnte N. hier gemeint haben.

 

 

        Nie zuvor gab es eine so erbärmliche Spaltung

 

04/40    Les forteresses des assieges sarres,/

Par poudre a feu profondes en abysme:/

Les proditeurs seront touts vifs serres/

Onc aux sacristes nauint si piteux scisme.  (1555)

 

Die Festungen der Belagerten eingeschlossen,/

durch Pulver mit Feuer geworfen in (den) Abgrund./

Die Verräter werden alle lebendig eingesperrt werden,/

nie gab es bei den Dienern der Kirche eine so erbärmliche Spaltung.

 

1) V. sarrer ist ein provencalisch abgewandeltes v. serrer

4) N.m. sacristain Kirchendiener, Küster, Mesner

 

 

         Vz 1 bis 4 [Belagerte eingeschlossen/ Verräter eingesperrt/ erbärmliche Spaltung]  Es geht um

         unterschiedliche Auffassungen vom Glauben, s. unter -> scisme im Glossar.  Wegen der bedauern-

         den Haltung des Sehers (p i t e u x  scisme) ist es der christliche Glaube.  Sein Standpunkt ist der

         eines unversöhnlichen Katholiken, 5/72 (Kap.6).  „Verräter“ des wahren Glaubens, wie er ihn versteht,

         werden hier „lebendig eingesperrt“ in Festungen, die belagert und bekriegt werden.  So ergeht es vielen

         Hugenotten, die sich in befestigte Städte, z.B. im Jahr 1628 nach La Rochelle zurückgezogen haben,

         um gegen die Angriffe der Katholiken geschützt zu sein.  Die Religionskriege in Frankreich beginnen

         im Jahr 1562, sieben Jahre nach Veröffentlichung des Verses.

[Einwand]  Es wird eingewandt, dass die Hugenotten eigene Glaubensgemeinschaften gebildet haben,

die von vornherein außerhalb der Kirche stehen und daher kein Schisma, keine Kirchenspaltung ver-

ursacht haben (Pfändler, Nostradamus, Die Urtexte, Chieming 1996).  In der Tat versteht die katholische

Kirche unter einem Schisma, dass hochgestellte Kleriker in bestimmten Fragen die Unterordnung unter

den Papst verweigern und die ihnen folgende Teilkirche abspalten.  Reformchristliche Gemeinden, die

>von unten<, d.h. aus dem Bereich der Laien und einfachen Priester, aufgrund von Differenzen in Lehre

und Liturgie entstehen, verursachen in diesem Sinn kein Schisma.  Aber diese Unterscheidung ist eine

akademische, weil beides auf dasselbe hinauskommt:  Christen, die zuvor vereint einer Kirche angehör-

ten, sind danach in verschiedenen Glaubensgemeinschaften getrennt.  Die Unterscheidung in Ehren,

doch an der Deutung ändert sie nichts.  Wer es in diesem Punkt genau nimmt und die katholische

Terminologie übernimmt, wird von einem >Schisma< sprechen.  Man kann aber auch scisme mit

Glaubensspaltung übersetzen, weil die Sprache des Sehers nun einmal bildhaft und nicht technisch

exakt ist.