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         Kapitel 2 Britische Inseln im sechzehnten Jahrhundert

       Auszug aus dem historischen Inhaltsverzeichnis

         07/16    Englische Truppen müssen Calais räumen

     10/19    Elisabeth I. wird Königin (Januar 1559) -
                  „Zuvor demütig, war sie niemals so stolz“

      06/74   Unter Maria gedemütigt, wird Elisabeth doch noch Königin
                  „Die Verjagte wird umkehren zu Herrschaft“

      10/84   „Die Uneheliche“ kommt „sehr hoch empor“, ihre Heirat
                   beschäftigt die Gemüter, potentielle „Ehegatten in Streit“

          08/23    Die casket letters der Maria Stuart werden gefunden

          01/86    Maria Stuart flieht nach England, wagt damit zu viel

 

          Englische Truppen müssen Calais räumen

 

07/16    Entree profonde par la grande Royne faicte/

Rendra le lieu puissant inaccessible:/

L’ armee des troys Lyons sera deffaite/

Faisant dedans cas hideux & terrible.  (1568)

 

(Der) tiefe Vorstoß, durch die große Königin befohlen,/

wird den Ort mächtig (und) uneinnehmbar machen./

Die Armee der drei Löwen wird geschlagen werden/

und darin eine scheußliche und schreckliche Sache anrichten.

 

3) Zu Löwen s.a Glossar unter -> lyon.

 

 

         Während des französisch-spanischen Krieges 1556ff. tritt England unter der katholischen Königin

         Maria I. im Herbst 1557 an der Seite Spaniens in den Krieg ein.  Den Engländern dient die

         Hafenstadt Calais als Stützpunkt auf dem Kontinent, der seit mehr als 150 Jahren der englischen

         Krone gehört.  Doch im Januar 1558 kann der Herzog von Guise die Stadt unverhofft für Frankreich

         zurückerobern.  Sie hat bis dahin als „uneinnehmbar“ gegolten, was in diesem Kontext demnach

         ironisch oder sarkastisch gemeint ist.

         England hat drei Leoparden im Wappen.  Die Armee der drei Löwen ist die englische Besatzung

         von Calais, die geschlagen und vertrieben wird, aber zuvor noch übel Rache nimmt an der

         französischen Bevölkerung der Stadt.

 

          Elisabeth I. wird Königin (Januar 1559) -
              „Zuvor demütig, war sie niemals so stolz“

 

10/19    Iour que sera par royne saluee,/

Le iour après le salut, la priere:/

Le compte fait raison & valbuee,/

Par avant humble oncques ne fut si fiere. (1568)

 

Wenn sie als Königin begrüßt werden wird,/

(ist) tags darauf der Ehrensalut, der Treueid der Vasallen./

Die Aufzählung rechtfertigt und (wird) geachtet./

Zuvor demütig, war sie niemals so stolz.

 

2) Mittelfrz. Wendung faire uneprière die Vasallen kommen lassen

(convoquer les vassaux)

3) Mittelfrz. v. compter, mettre en compte auch: aufzählen (énumerer)

Alte Wendung faire raison durch Begründung rechtfertigen;

valbuee“ ist wohl nur ein verschriebenes valuee.

 

 

          Vz 3 [Aufzählung rechtfertigt, wird geachtet]  Mit der „Aufzählung“ die „geachtet“ wird, dürfte hier

         die Reihe der Thronanwärter gemeint sein, denn sie „rechtfertigt“ oder „gibt Grund“, dass eine Frau

         Königin wird.  Das sehen allerdings nur die Anglikaner so, während die Katholiken an Maria Stuart

         als der rechtmäßigen Thronerbin festhalten, 10/84 Vz 3 (s.u.). 

         Vz 4 [Zuvor demütig]  Beim Tode Heinrichs VIII. von England im Jahr 1547 ist Elisabeth nach ihren

         Halbgeschwistern Edward und Maria die dritte in der offiziellen Thronfolge.  Edward stirbt 1553,

         Maria wird Königin.  Im April 1554 wird Elisabeth der Mitwisserschaft an einer Verschwörung ver-

         dächtigt, muss zwei Monate im Tower verbringen und mit dem Schafott rechnen.  Sie beteuert ihre,

         Treue zu Maria, muss sich vor dieser demütigen.  Aber man kann ihr nichts nachweisen.  Sogar

         Philipp II. von Spanien, Gatte Marias, rät davon ab, gegen die schon damals populär Werdende

vorzugehen.

         Vz 1/2 [Stolze Königin]  Nach dem Tod Marias im November 1558 wird Elisabeth im Januar 1559

         in London zur Königin gekrönt (Ehrensalut, Treueid der Vasallen).  Das Volk feiert seine junge

         Königin, die anders als ihre halbspanische Vorgängerin reine Engländerin ist.

 

 

          Unter Maria gedemütigt, wird Elisabeth doch noch Königin
            - „Die Verjagte wird umkehren zur Herrschaft“

 

   06/74    La deschassee au regne tournera,/

                    Ses ennemis trouués des coniurés:/

                    Plus que iammais son temps triomphera,/

                    Trois & septante à mort trop asseurés. (1568)

 

                    Die Verjagte wird umkehren zur Herrschaft,/

                    ihre Feinde werden angetroffen unter Verschwörern./

                    Mehr als jemals wird ihre Zeit triumphieren,/

                    drei und siebzig (kommt sie) zu Tode, (seid) ganz sicher.

 

 

         Vz 4 [„Drei und siebzig“ ist sie tot]  Elisabeth Tudor, die I. von England, wird am 7.9.1533 geboren

         und stirbt am 24.3.1603.  „Drei“, nämlich im Jahr 1603, „und siebzig“, d.h. in ihrem siebzigsten

         Lebensjahr, stirbt sie.  Im Vorwege wäre genauso das Jahr 1573 als Todesjahr in Frage gekommen

         oder es hätte ein Alter von 73 Jahren als erreichbar gelten können, wäre der Vers überhaupt

         auf Elisabeth bezogen worden  -  eine menschenfreundliche Vieldeutigkeit, aber auch eine gelun-

         gene, denn  n a c h  dem Eintreten der Ereignisse ist die Zuordnung des Verses recht eindeutig.

         Vz 1 [Die Verjagte…]  Elisabeth ist nach der Hinrichtung ihrer Mutter für illegitim erklärt, aber noch

         vor dem Tod Heinrichs VIII. wieder in die Reihe der Thronfolgeberechtigten aufgenommen worden.

         Im April 1554 wird sie beschuldigt, am Wyatt-Komplott zum Sturz ihrer Halbschwester Maria beteiligt

         zu sein.  Nach zweimonatiger Gefangenschaft im Tower wird sie frei gelassen, muss sich aber von

         der Hauptstadt und vom Hof fernhalten.  Aus einem dieser beiden Gründe heißt sie am Anfang des

         Verses „die Verjagte“.

         Vz 1/3 [… kehrt um zur Herrschaft/ ihre Zeit triumphiert]  Nach dem Tod Marias wird sie im Januar

         1559 zur Königin gekrönt.  Die virgin queen (jungfräuliche Königin) ist eine erfolgreiche Monarchin,

         legt den in der nach ihr benannten Ära den Grundstein des Kolonialreichs und pflegt im Innern

         religiöse Toleranz in einem Maße, wie es damals alles andere als selbstverständlich ist.

         Vz 2 [Ihre Feinde nur Verschwörer]  Die von Frankreich unterstützten Ansprüche der Stuart-Linie

         auf den Thron finden daher im Land selbst nie nennenswerte Unterstützung.  Ihre Feinde müssen

         sich bedeckt halten, sind nur „Verschworene“:

 

 

         „Die Uneheliche“ kommt „sehr hoch empor“.
        Ihre Heirat beschäftigt die Gemüter, potentielle „Ehegatten in Streit“

 

10/84    La naturelle à si hault non bas,/

Le tard retour fera marris contens:/

Le Recloing ne sera sans debatz,/

En empliant & perdant tout son temps.  (1568)

 

Die Uneheliche (gelangt) sehr hoch hinauf, (bleibt) nicht unten,/

die späte Rückkehr versetzt Ehegatten in Streit./

Der geltend gemachte Anspruch wird nicht unstreitig sein./

Wer sich damit beschäftigt, vertut all seine Zeit.

 

1) Ein enfant naturel ist ein uneheliches Kind.

2) Adj. content zufrieden.  Aber einen Sinn ergibt nur die Auffassung,

dass hier das Adjektiv content(ieux) streitig in abgekürzter Form vorliegt.

3) Mittelfrz. n.m. reclaim Anruf (appel), Beschwerde (recours),

Klage (plainte), Einspruch (réclamation), Anspruch (prétention)

 

 

         Vz 1/3 [Die Uneheliche/ streitiger Anspruch]  Elisabeth Tudor, geboren 1533, Tochter Heinrichs VIII.

         aus seiner zweiten Ehe mit Anna Boleyn, kommt nach der Hinrichtung ihrer Mutter 1536 für die

         Nachfolge nicht mehr in Frage.  Doch drei Jahre vor seinem Tod nimmt ihr Vater sie wieder in die

         Reihe der Thronanwärter auf.  Für die Katholiken bleibt sie illegitim, da der Papst die späteren

         Ehen Heinrichs nicht anerkennt.  Darauf spielt Elisabeths Anrede als „die Uneheliche“ hier an,

         erkennbar auch an dem „streitigen Anspruch“ auf den Thron zwei Zeilen weiter. 

         Vz 2 [Späte Wiederkehr …]  Nach dem Tod ihrer Halbschwester Maria im November 1558

         wird Elisabeth Königin, 22 Jahre nach ihrem Ausschluss von der Thronfolge, vierzehn Jahre

         nach ihrer Rehabilitierung.  Insofern kommt ihre Wiederkehr, der Wechsel ihres Geschicks,

         6/74 Vz 1 [s.o.], „spät“.

         Vz 2 […versetzt Ehegatten in Streit]  Nach der Krönung sind England und die europäischen

         Königshäuser sogleich mit der Frage beschäftigt, wen die heiraten werde.  Philipp II. von Spanien

         und die jüngeren Brüder des Kaisers sind im Gespräch.  Sie rivalisieren um die Kandidatin,

         es liegen potentielle „Ehegatten in Streit“.  Traumatisiert durch die Hinrichtung ihres ersten

         Geliebten Thomas Seymour und die damit verbundene Lebensgefahr für sie selbst, äußert

         Elisabeth schon früh den Wunsch, >jungfräuliche Königin< zu bleiben.  So lässt die virgin queen

         ihre Not in Tugend umdeuten und nutzt die Offenhaltung der Heiratsfrage zur Festigung ihrer

         Herrschaft.  Die Piratenkapitäne, die sie dann von der Leine lässt, suchen auf den Weltmeeren

         nach Verbotenem.  Die Aggression der Kinderlosen gebiert den Grundstein des Kolonialreichs.

         Vz 4 [Rivalen ohne Chance]  Neben den entfernten Verwandten der Suffolk-Linie ist es vor allem

         die schottische Königin Maria Stuart, die ihr den Thron mit dem Argument der Illegitimität streitig

         macht und dafür am Ende mit dem Leben bezahlt, 1/86 (s.u.).  Der Seher deutet an, dass die

         Konkurrenten Elisabeths keine Chance haben würden.

 

 

          Die casket letters der Maria Stuart werden gefunden 

 

   08/23    Lettres trouuees de la royne coffres,/

                    Point de subscript sans aucun nom d’ hauteur/

                    Par la police seront cachez les offers,/

                    Qu’ on ne scaura qui sera l’ amateur.  (1568)

 

                    Briefe werden gefunden in der Königin Gepäck,/

                    ganz ohne Unterschrift und ohne Namen des Verfassers./

                    Durch die Polizei werden verborgen die Angebote,/

                    so dass man nicht wissen wird, wer der Verehrer ist.

 

 

          Vz 1/2 [Briefe im Gepäck der Königin ohne Verfasser]  In der Zeit ihrer leidenschaftlichen Liebe zum

          Grafen Bothwell hat Maria Stuart Gedichte und Briefe geschrieben, die der Adressat in einer silbernen

          Kassette verwahrt, die er ebenfalls von der Geliebten bekommen hat.  Nach einer überstürzten Flucht

          des Grafen werden die Briefe an seinem Aufenthaltsort gefunden.  Die Zeitgenossen haben keinen

          Zweifel daran, wer allein als Urheberin in Frage komme, trotz der fehlenden Angabe des Verfassers.

          In den Prozessen gegen die Königin werden diese Briefe zu einem wichtigen Belastungsmaterial.

          Erst in späteren Jahrhunderten, als die romantische Verklärung des Lebens der Maria Stuart einsetzt,

          wird die Echtheit der casket letters in Frage gestellt.

          Vz 3/4 [Angebote verborgen]  In der zweiten Vershälfte scheint es, als sein nach dem Aufkommen

          der Briefe von interessierter Seite versucht worden, das belastende Material zurück zu erwerben.  -

          Vorgänge dieser Art könnten im Leben mancher Königin vorgekommen sein.   Die Zuordnung des

          Verses zu Maria Stuart ist daher eine vorläufige.

 

 

        Maria Stuart flieht nach England, wagt damit zu viel

 

01/86   La grande royne quand se verta vaincu,/

Fera exces de masculin courage:/

Sus cheual, fluue passera toute nue,/

Suite par fer:  à foy fera oultrage.  (1555)

 

Die große Königin wird, wenn sie sich besiegt sieht,/

ein Übermaß an männlichem Mut aufbringen./

Zu Pferde wird sie (einen) Fluss überqueren, ganz nackt./

Verfolgung durch ‘s Schwert.  Das wird den Glauben kränken.

 

1) verta ist ein verschriebenes verra.

4) Mittelfrz. n.m. fer u.a.: jede schneidende Waffe, besonders das Schwert

(toute arme tranchante, en partic. l‘ epée)

 

 

         Vz 1 [Große Königin …]  Die schottische Königin Maria Stuart lebt 1548 bis 1561 am französischen

         Hof und ist als Frau Franz‘ II. vierzehn Monate lang Königin von Frankreich.  Nach dem Tod ihres

         jungen Gemahls geht die neunzehnjährige Königinwitwe zurück in ihr abgelegenes Reich nach

         Schottland.  Dort vermählt sie sich erneut, ist in die Ermordung ihres zweiten Gatten verstrickt und

         heiratet dessen Mörder, den sie leidenschaftlich liebt. 

         Vz 1 [… sieht sich besiegt/ verfolgt durch ‘s Schwert]  Mehrmals ist sie zu Pferde geflohen, um die

         Krone und ihre Freiheit zu retten, so im Mai 1568 aus dem Seeschloss Lochleven.  Nur dank zahl-

         reicher Helfer gelingt ihr diese Flucht, bei welcher sie noch nicht auf sich gestellt, ohne Gefolge und

         in diesem Sinne >nackt< ist.  Erst nach der im selben Monat verlorenen Schlacht, bei der ihr Bruder

         obsiegt, flieht die Verfemte allein, hat in ihrem eigenen Reich keinen sicheren Ort mehr. 

         Vz 2/3/4 [Überquert Fluss ganz nackt/ Übermaß an Mut]  Nach England zu gehen, in das Land der

         Königin, deren Thron zu beanspruchen sie nie aufgegeben hat, ist eine Tat des Mutes und Stolzes.

         Aber sie wagt zu viel, ihre Zuflucht wird zum Ort langjähriger Gefangenschaft. 

         Vz 4 [Kränkung des Glaubens]  Im protestantischen England bleibt Maria Stuart trotz mancher

         Anfeindungen ihrem Glauben treu.  Durch Verleugnen oder Konversion hat sie den Glauben also

         keineswegs gekränkt.  Die Kränkung des Glaubens besteht für N. vielmehr darin, dass auf dem

         Schafott von Fotheringhay Castle die Unantastbarkeit des Gottesgnadentums der Maria Stuart

         missachtet wird.  Dieses Prinzip wird >gekränkt<, d.h. verletzt, als Elisabeth I. die alte Rivalin

         im Februar 1587 hinrichten lässt.