Kapitel 1 Kaiserreich, Spanien, Niederlande im 16. Jahrhundert
Auszug aus dem historischen Inhaltsverzeichnis
06/15 Das Erstarken des Protestantismus im Reich als
Zeichen für das Scheitern Kaiser Karls
01/89 Die Spanier führen in den Niederlanden ein blutiges Regiment
03/53 Der Kaiser wird getadelt, weil er gegen die Spanier nichts unternehme
03/20 Der Aufstand der Morisken in den Alpujarras 1568-70
05/95 Venedig als Initiator einer >heiligen Allianz< (1571) und deren Erfolg
10/95 Spaniens König unterwirft die vom Freitag auf Land und Meer
06/75 Der Sieger von Lepanto als Statthalter in den Niederlanden
06/83 Alessandro Farnese in den Niederlanden 1578ff
10/54 Eine >Beischläferin doppelt fruchtbar< in den spanischen Niederlanden
Das Erstarken des Protestantismus im Reich
als Zeichen für das Scheitern Kaiser Karls
06/15 Desoubs la tombe sera trouué le Prince,/ Qu’ aura le pris par dessus Nuremberg:/ L’ Espaignol Roy en Capricorne mince,/ Fainct & trahy par le grand Vuitemberg. (1568)
Unter dem Grabmal wird gefunden werden der Fürst,/ der den Lohn für Nürnberg erhalten wird./ Der spanische König (wird) im Steinbock fadenscheinig,/ getäuscht und verraten durch den großen Wittenberg.
2) Mittelfrz. n.m. pris Wertschätzung (estime), Gehalt (salaire), Lohn, Belohnung (récompense) 3) V. mincir dünner werden (devenir plus mince)
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Vz 1/3 [Grabmal/ Spanischer König im Steinbock fadenscheinig] Die Kaiserwürde hat Karl V.
am 12.1.1556 seinem Bruder Ferdinand übertragen und seinen Sohn Philipp zum König von Spanien
ernannt. Am 12.1.1556 steht die Sonne bei 1 bis 2 Grad Wassermann; das Sternbild Steinbock,
auf das es bei solchen Angaben ankommt, 1/51 (Kap.35), liegt damals zwischen 23 Grad Steinbock
und 21 Grad Wassermann. Am 21.9.1558 stirbt Kaiser Karl beim Kloster San Yuste in Spanien.
Der Vers wird 1557 erstmals veröffentlicht, als nur noch der Tod Karls in der Zukunft liegt.
Vz 2/4 [Lohn für Nürnberg/ verraten durch großen Wittenberg] Im Sommer 1532 ist in Nürnberg
ein erster Religionsfriede geschlossen worden, in dessen Folge sich der Protestantismus in
deutschen Landen stark ausbreiten kann. Das nennt N. sarkastisch >Lohn für Nürnberg<.
Wittenberg hat durch Luthers Thesen Bedeutung erlangt, ist zum >protestantischen Rom<
geworden. Die Anrede von Fürsten mit dem Namen ihres Fürstentums ist damals üblich,
und somit steht hier der >große Wittenberg< für den deutschen Reformator. Getäuscht und
verraten hat Luther den Kaiser nicht, den er über seine Thesen und seine Unbeugsamkeit
nicht im unklaren lässt. Protestanten sind für N. schon wegen ihres >Abweichens vom rechten
Glauben< Ketzer und Verräter. - Der Erfolg des Protestantismus hat zur Abdankung Karls
beigetragen; diesen Zusammenhang will N. jedenfalls nahelegen.
Die Niederlande als Spielball fremder Mächte (1567-1648)
01/89 Touts ceux de Ilerde serôt dedans Moselle,/ Metans à mort tous ceux de Loyre & Seine:/ Secours marin viendra pres d’ haulte velle/ Quand Hespagnols ouurira toute veine. (1555)
All die von Lérida werden im Moselland stehen,/ sie bringen den Tod all denen von Loîre und Seine./ Hilfe wird über `s Meer bald kommen von hohem Segel,/ wenn Spanier alle Adern öffnen.
1) Die Stadt Lérida, lat. Ilerda, ist Haupstadt der gleichnamigen nordostspanischen Provinz. 3) velle ist gebildet nach dem lat. n.n. velum Segel 4) Das Prädikat müsste im Plural stehen; aber der falsche Numerus kommt bei N. öfters vor.
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Vz 1/4 [Spanier im Moselland/ öffnen Adern] Spanische Truppen an der Mosel - das muss die Zeit
vor 1648 sein, als die niederländischen Fürstentümer, darunter Luxemburg (Mosel) um ihre Unabhängig-
keit von Spanien kämpfen. Im Jahr 1567 errichtet der spanische Statthalter Herzog Alba ein eisernes
Regiment in der aufmüpfigen Nordprovinz Spaniens. Der >Brüsseler Blutrat< verurteilt eine große
Zahl der adligen Rebellen zum Tode - Spanier >öffnen alle Adern<.
Vz 3 [Hilfe über ‘s Meer] im Jahr 1581 erklären sich die Nordprovinzen für unabhängig von Spanien.
Truppen unter Alexander Farnese versuchen, sie zurückzuerobern, was zum Teil gelingt, 9/49 (Kap.8).
Ab 1585 werden die abgefallenen Nordprovinzen offen von England unterstützt. Das ist für Spanien
drei Jahre später einer der Gründe, die große Armada gegen England aufzubieten.
Vz 2 [Tod denen von Loîre und Seine] Die Liga, die katholische Partei Frankreichs, schließt 1584
ein Bündnis mit Spanien, um sich gegen die Hugenotten im eigenen Land durchzusetzen. Im Jahr
1590 schicken die Spanier ein Heer gegen Heinrich von Navarra, der Paris belagert. Durch die
spanische Unterstützung können Heinrichs Gegner den Kampf bis 1593 fortsetzen.
Der Kaiser wird getadelt, weil er gegen die Spanier nichts unternehme (1567/68)
03/53 Quand le plus grand emportera le pris/ de Nurêberg d’ Auspurg & ceux de Basle/ Par Agrippine chef Francqfort repris/ Transuerserôt par Flamans iusque en Gale. (1568)
Wenn der Größte einfahren wird den Lohn/ von Nürnberg, von Augsburg, und (von) den Baselern,/ (wird) durch Kölner Oberhaupt Frankfurt getadelt (werden)./ Sie werden Flandern durchqueren bis nach Gallien.
1) Mittelfrz. n.m. pris Wertschätzung (estime), Gehalt (salaire), Lohn, Belohnung (récompense) 3) Colonia Agrippina ist der römische Name von Köln. 4) Gale ist eine reimbedingte Abwandlung von Gaule.
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Vz 1/2 [Größter erhält Lohn für Nürnberg, Augsburg, Basel] Nach dem Nürnberger Religionsfrieden
von 1532 erstarkt der Protestantismus in deutschen Landen. Im Augsburger Interim von 1548
und im Augsburger Religionsfrieden von 1555 werden den protestantischen Fürsten ihre Freiheiten
bestätigt. Bei den Eidgenossen sind Genf, Zürich und Basel die Zentren der Reform. Wie in
6/15 (s.o.) nennt N. den sich ausdehnenden Protestantismus in sarkastischem Ton >Lohn für
Nürnberg<. Er sei die Quittung für die zu nachgiebige Haltung des „Größten“ - das ist Kaiser
Karl V., der zu Lebzeiten des Sehers herrscht.
Vz 3 [Kölner Oberhaupt tadelt Frankfurt] Die Stadt Frankfurt, seit dem 12. Jahrhundert der Ort,
an dem die Kaiser gewählt werden, steht hier allegorisch für den Inhaber dieser Institution des Reichs.
Das „Kölner Oberhaupt“ ist der Erzbischof von Köln, der zugleich einer der sechs Kurfürsten ist.
Dieser also tadelt den Kaiser, aber wann und warum ?
Im Jahr 1567 entsendet der spanische König Philipp II. den Herzog von Alba in seine widerspenstige
Nordprovinz, um dort ein streng katholisches Regiment einzuführen. Daraufhin machen die Kurfürsten
des Reichs, in dem seit 1555 Religionsfrieden herrscht, Kaiser Maximilian II. energische Vorhaltungen,
er könne das spanische Vorgehen nicht dulden.
„In dem Reiche war die Aufregung eine allgemeine; denn noch herrschten in Deutschland die Gesinnungen, aus denen der Religionsfriede hervorgegangen war. Die sechs Kurfürsten, die geistlichen sowohl wie die weltlichen, machten dem Kaiser eine sehr energische Vorstellung über das blutige Verfahren in den Niederlanden zur Unterdrückung des Volkes wie des Adels, welches dem Religionsfrieden, der auch die Niederlande begreife, entgegenlaufe, sowie den Rechten und Privilegien der Landschaften selbst … Der Kaiser hielt für genügend, wenn er dem König ernstliche Vorstellungen mache, wozu er seinen Bruder Karl nach Spanien schickte.
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von Ranke, Spanische Geschichte, Nachdruck o.J. (Phaidon Verlag , Essen), S. 250f.
Vz 4 [Durch Flandern bis nach Gallien] Die Truppen Albas kommen 1567 von Süden (Italien) und
„durchqueren Flandern“, um die Provinz zu unterwerfen. Der Nachfolger Albas im Amt des spanischen
Statthalters der Niederlande, Alexander Farnese, mischt zwanzig Jahre später auf katholischer Seite
mit im Kampf um die Nachfolge Heinrichs III. von Frankreich. Dabei kommen die Spanier „bis nach
Gallien“.
Der Aufstand der Morisken in den Alpujarras 1568-70
03/20 Par les contrées du grand fleuue Bethique/ Loing d' Ibere, au regne de Granade,/ Croix repoussées par gens Mahumetiques,/ Vn de Cordube trahira la contrade. (1555)
In den Gebieten des großen baetischen Flusses,/ weit von Iberien, im Reich von Granada,/ werden Kreuze zurückgedrängt durch mohammedanisches Volk./ Einer von Cordoba wird das Land verraten.
4) Provencal contrada Land, Gegend
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Vz 1-4 [Ortsangaben] Iberia heißt in der Antike das Land um den Ebro (Ibero) im Nordosten
Spaniens. Iberi ist "ein zusammenfassender Name für diejenigen Völker, die ... auf dem dem
Mittelmeer zugewandten der Teil der iberischen Halbinsel zwischen West-Andalusien und den
Pyrenäen" siedeln (Brockhaus 1996-99). Weit hinaus über dieses Land der Iberer (von Salon
de Provence aus gesehen), erstreckt sich Andalusien mit dem Fluss Guadalquivir, lat. fluvius
Baetis, der an der Stadt Cordoba vorbeifließt. Im Süden Andalusiens liegt auch die Provinz
Granada.
Vz 3 [Kreuze zurückgedrängt durch Anhänger Mohammeds] Die Stadt Granada ist 1492 für die
sogenannten Katholischen Könige Spaniens zurückerobert worden (Abschluss der Rückeroberung
der iberischen Halbinsel von den Mauren). Für ihre Kapitulation wird den Mauren Granadas freie
Religionsausübung garantiert. Aber diese Garantie wird von der spanischen Gesellschaft, der
Kirche wie den Königen nie wirklich respektiert, sondern immer wieder in Frage gestellt und ist
ständig gefährdet. Daher ziehen sich viele der verbliebenen Mauren in das schwer zugängliche
Gebirgsland der Alpujarras zurück, das die Provinzen Granada und Almeria durchzieht. Während
der Herrschaft Philipps II. (seit 1556) nimmt die Unterdrückung der moriscos (= kleine Mauren),
wie sie die Spanier abschätzig nennen, immer brutalere Züge an. Es kommt zu Zwangskonver-
tierungen, Bücherverbrennungen, dem Verbot der arabischen Sprache und des Islam.
Dies führt Ende 1568 zu einem Aufstand im Gebirgsland der Alpujarras, wobei ein gewisser
Abén Humeya die Führung übernimmt und sich zum "König von Granada und Corduba" ausrufen
lässt. Er will anknüpfen an die Zeit vor 1492, als es 200 Jahre lang ein Königreich von Granada
unter einem nasridischen Emir gegeben hat.
Vz 4 [Einer von Cordoba übt Verrat an dem Land] Wenn ein Gegenkönig in einem Landesteil
ausgerufen wird, erfüllt das den Tatbestand des Hochverrats. Erschwerend kommt für N. hinzu,
dass "mohammedanisches Volk" gegen die Herren aufsteht, der Jahrhunderte alte Feind der
abendländischen Christenheit. Der aufständische Gegenkönig >verrät das Land an die Feinde
des Glaubens< - so werden die Anhänger des Islam damals im Abendland gesehen. Dieser
Hochverräter/Freiheitskämpfer "entstammte einer angesehenen maurischen Familie, die sich
auf die Umayyadendynastie von Cordoba zurückführte und während der Reconquista zum
Christentum zwangskonvertiert war. Daher trug er den christlichen Geburtsnamen Fernando
de Córdoba y Valór." (http://de.wikipedia.org/wiki/Abén_Humeya).
Venedig als Initiator einer Heiligen Allianz (1571) und deren Erfolg
05/95 Nautique rame inuitera les vmbres,/ Du grand Empire lors viendra conciter:/ La mer Aegee des lignes lesencombres,/ Empeschant l’ onde Tirrene defflottez.
Seefahrender Frosch wird einladen die Geister/ des großen Kaiserreichs, dann wird (man) sie hervorrufen./ Ägäisches Meer, von leichten Schiffen (werden) sie zurückgehalten./ Tyrrhenisches Meer versperrend, (werden sie) losgesegelt (sein).
1) Es finden sich rane in 6/46 (Kap.22) und nautique rane in 5/3 (Kap.29); nautique rane hätte auch hier stehen sollen, rame ist ein Setzfehler. Mittelfrz. n.f. ombre oder umbre Anschein (apparence), Vergänglichkeit (qui ne dure pas) > lat. n.f. umbra Schatten, leerer Schein. Es könnten schon auch Umbrer gemeint sein, ergeben aber keinen Sinn. 2) Mittelfrz. v. conciter anregen (exciter), hervorrufen (provoquer) 3) Mittelfrz. n.m. ligne Schaluppe, leichte Fregatte (chaloupe, frégate légère)
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Vz 2 [Des Großen Kaiserreiches …] Der mittelalterliche, auf Bibel und Kirchenväter gegründete
Mythos erzählt von dem einen, die ganze Christenheit umfassenden Kaiserreich, das die Christen
beschützt und den Antichristen „aufhält“, solange es besteht, 2. Thessalonicher Kapitel 2 Vers 6 -
so wird damals diese Bibelstelle gedeutet. Das reale Kaiserreich ist allerdings nur ein Abglanz des
mythischen, schon weil es nur einen Teil der christlichen Völker beherbergt.
Vz 1 [… Schatten werden eingeladen] Wenn nun die Schatten des Kaiserreichs „eingeladen“ werden,
seine Geister und sein Mythos aufgerufen werden, dann wird noch einmal der Zusammenhalt der
Christen beschworen. Dass das real existierende Römische Kaiserreich am Geschehen nicht
beteiligt ist, schadet der Deutung nicht, weil die eingeladenen >Schatten des großen Kaiserreichs<
das mythische Reich bedeuten.
Vz 1/2 [… vom seefahrenden Frosch/ man wird sie hervorrufen] Der Wasserfrosch als Grenzgänger
zwischen Land und Meer ist geeignet als Sinnbild für die Venezianer, die ihre Hauptstadt ins Meer
gebaut haben und durch den Seehandel reich geworden sind, s. Glossar. Schon seit Beginn des
16. Jahrhunderts macht die >Türkengefahr< dem Abendland zu schaffen. Nicht nur auf dem Balkan,
auch im Mittelmeer dringen die Türken vor, bis zu den Küsten Nordafrikas. Seit Juli 1570 belagern
sie das venezianisch beherrschte Zypern. Nach Hilferufen Venedigs kommt im Mai 1571 unter
Vermittlung des Papstes eine Allianz zustande mit dem Ziel, die osmanische Expansion zu brechen.
An ihr beteiligen sich u.a. Spanien, Venedig, Genua, Malta und der Kirchenstaat. (Heilig ist diese
Allianz in der zeitgenössischen Auffassung durch den Segen des Papstes.) Die vom >Frosch<
erst nur eingeladenen >Geister des Reichs< sind nun tatsächlich „hervorgerufen“ und wirksam.
Der Mythos schafft eine Wirklichkeit, was in Europa nach dem Sieg auch wahrgenommen wird.
Vz 3 [Ägäisches Meer, sie werden zurückgehalten] Das Ägäische Meer zwischen Griechenland
und der Türkei ist die Domäne der Osmanen, hier liegen ihre Heimathäfen. Allerdings nicht dort,
sondern bei den Ionischen Inseln im Westen Griechenlands kommt es im Oktober 1571 zur See-
schlacht von Lepanto, bei der die Flotten der Christenheit triumphal siegen. Moralisch richtet der
Sieg ihrer vereinten Flotten die Europäer auf, und militärisch werden die Osmanen von weiteren
Eroberungrn „zurückgehalten“.
Vz 4 [Tyrrhenisches Meer versperrend …] Das Tyrrhenische Meer liegt zwischen Italien und den
Inseln Sizilien, Sardinien und Korsika, gehört also zum westlichen Mittelmeer. Die letzte Verszeile
gibt das Ziel der christlichen Marine an, und es wird auch erreicht.
„Die Auseinandersetzung vor Lepanto führte zu einer Bereinigung der Einflusssphären im Mittelmeer. Die Osmanen beschränkten sich danach auf die Sicherung ihrer Vormachtstellung im östlichen Teil, während spanische, maltesische und italienische Flotten das westliche Mittelmeer unter sich aufteilten.“
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zitiert aus: http://de.wikipedia.org Stichwort „Heilige Liga (1571)“
Spaniens König unterwirft die vom Freitag auf Land und Meer
10/95 Dans les Espaignes viendra Roy tres puissant,/ Par mer & terre subiuguant or Midy,/ Ce mal fera rabaissant le croissant,/ Baisser les aisles à ceux du vendredy. (1568)
In Spanien wird ein sehr mächtiger König erscheinen,/ auf Land und Meer unterwirft er südliche Küsten./ Dieser Männliche erniedrigt den Zunehmenden/ und macht, dass denen vom Freitag die Flügel sinken.
2) N.m. or Gold. Aber südliches Gold zu unterwerfen, ergibt kaum Sinn. Dagegen ist das lat. n.f. ora Küste, Küstenland; Rand; Gegend; Erdgürtel ein mögliches Objekt der Unterwerfung. 4) Mit H.J. Ewald, Nostradamus und die Johannes Offenbarung, Marktoberdorf 2008, wird angenommen, dass hier statt mal eigentlich mâle stehen sollte, was männlich oder kräftig bedeutet. Für diese Korrektur spricht, dass sie zu dem "sehr mächtigen König" am Beginn des Verses passt.
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Vz 1/2 [Spaniens König unterwirft südliche Küsten auf Land und Meer] Wenn König Philipp II.
gemeint ist, wäre hier an die Eroberung Maltas im Jahr 1565, die Rückeroberung der von den
Aufständischen besetzten Gebiete in Granada in den Jahren 1569/70, 3/20 [s.o.], sowie an die
beim griechischen Lepanto gewonnene Seeschlacht im Oktober 1571, 5/95 [s.o.], zu denken.
Vz 3/4 [... und erniedrigt den Zunehmenden/ beschneidet Freiheit der Muslime] Auf allen drei
Schauplätzen sind Gegner der spanischen Streitkräfte die Anhänger des Islam, auf Malta und bei
Lepanto die Türken, in Granada die in Spanien ansässigen Muslime, die die Spanier moriscos
nennen. Sie werden besiegt und in diesem Sinne "erniedrigt". Ihnen werden >die Flügel gestutzt<,
d.h. ihre Freiheit beschnitten. Auf den Meeren bewirken die spanischen Siege eine Bereinigung
der Einflussbereiche, 5/95 [s.o.]. Zu Lande werden die besiegten aufständischen Muslime Anda-
lusiens 1570 aus ihren Wohngebieten vertrieben und zwangsweise umgesiedelt, hauptsächlich
nach Kastilien.
Vz 1/3 [Sehr mächtiger König/ Männlicher] In der Regierungszeit Philipps II. (1556 bis 1598)
erlebt die spanische Monarchie die höchste Entfaltung ihrer Macht. Seit 1580 auch König von
Portugal, beherrscht er die ganze iberische Halbinsel und durch die zahlreichen überseeischen
Besitzungen ein "Reich, in dem die Sonne nicht untergeht". Als westlicher Gegenspieler der
Türken gilt er zu seiner Zeit als Beschützer >der Religion<, des christkatholischen Glaubens.
Damit ist er sicherlich ein Mann nach dem Geschmack des Sehers, eines ausgewiesenen
Anhängers der Monarchie und des alten Glaubens. >Männlich< nennt der Sehers einen
Monarchen, der die von Gott gewollte Ordnung aufrecht hält und >die Religion< streitbar
verteidigt, gegen ihre Feinde im Innern (Land) wie auch draußen (Meer).
[Einwand] Es wird gegen diese Deutung eingewendet, Philipp II. habe im Süden keine Land-
gewinne erzielt, wovon der Vers doch handle, und sei als Verlierer im Seekrieg 1588 gegen das
aufstrebende Britannien auch gar nicht so "sehr mächtig" gewesen wie im Vers angekündigt.
Die Einwände treffen zu, verkennen aber den Standpunkt des Sehers, der nicht wie ein objek-
tivierender Historiker urteilt, sondern Partei ergreift und das Geschehen daher oft einseitig
beschreibt, wofür u.a. Kapitel 6 über König Heinrich IV. von Frankreich weitere Belege bietet.
So hebt er die unbezweifelbaren Erfolge König Philipps II. nicht nur hervor, sondern übertreibt
dabei sogar deutlich, wie um dessen Feinde einzuschüchtern. Zugleich lässt er die ebenso
unbestreitbaren Misserfolge des spanischen Monarchen unbeachtet. Diese Überlegung, dass
der Seher parteilich urteile, gab den Ausschlag dafür, den Vers als mit der Erscheinung König
Philipps II. von Spanien erfüllt einzustufen.
Der Sieger von Lepanto als Statthalter in den Niederlanden
06/75 Le grand pilot par Roy sera mandé,/ Laisser la classe pour plus haut lieu attaindre:/ Sept ans apres sera contrebandé,/ Barbare armée viendra Venise craindre. (1568)
Der große Steuermann wird durch (den) König beauftragt,/ die Flotte zu verlassen, (um) einen höheren Posten einzunehmen./ Sieben Jahre später wird er fehl am Platz sein,/ Venedig wird barbarisches Heer fürchten.
2) Im Zusammenhang mit pilot Lotse, Steuermann ist hier unter classe eindeutig eine Flotte zu verstehen (lat. n.f. classis) 3) N.f. contrebande Schmuggel; laut großem Larousse de contrebande fehl am Platz in einer Gesellschaft (déplacé dans une société) 4) Es könnte auch das barbarische Heer Venedig fürchten, aber das ergibt keinen Sinn.
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Vz 1 [Großer Steuermann] Venedig erringt im Oktober 1571 im Bündnis mit Spanien, Genua und dem
Papst bei Lepanto einen großen Seesieg über die Türken, 5/95 [s.o.]. Kommandant der christlichen
Flotte ist Don Juan d‘ Austria, Halbbruder des spanischen Königs Philipp II. Der grandiose Erfolg
macht ihn zu einem „großen Steuermann“.
Vz 2 ]vom König mit höherem Posten betraut] Don Juan wird 1576 von Philipp II. als Statthalter in die
Niederlande beordert, wo er sich auf einem gefährlichen Posten in einer aufmüpfigen Provinz bewähren
soll. Die „höhere Lage“ dieses Postens meint die große Bedeutung der politisch-militärischen Aufgabe,
die der König seinem Bruder geschildert haben wird. Sie bezieht sich aber auch darauf, dass die
Niederlande der nördlichste Teil des spanischen Reiches sind. Es ist ein „höherer“, d.h. auf der
Landkarte weiter oben lokalisierter Posten.
Vz 3 [Sieben Jahre später fehl am Platz] Don Juan operiert glücklos und wird von Philipp II. sogar
verdächtigt, mit Elisabeth von England gegen ihn zu konspirieren. Daraufhin wird ihm Alexander
Farnese zur Seite gestellt. Dieser beerbt Don Juan auf dem Statthalterposten, als der 1578 mit 31
Jahren an einer fiebrigen Erkrankung stirbt. Das geschieht „sieben Jahre“ später, sieben Jahre
nach seinem großen Erfolg.
Vz 4 [Venedig fürchtet Barbaren] Nach dem Tod seines großen Beschützers habe Venedig wieder
Grund gehabt, die >Barbaren<, d.h. die Türken zu fürchten. Das ist nicht der Fall; das dürfte N.
ironisch gemeint haben.
Alessandro Farnese in den Niederlanden 1578ff.
06/83 Celuy qu‘ aura tant d‘ honneur & caresses/ A son entrée de Gaule Belgique:/ Vn temps après fera tant de rudesses,/ Et sera contre la fleur tant bellique. (1568)
Jener, dem soviel Ehrungen und Schmeicheleien zuteil werden/ bei seinem Einzug ins belgische Gallien,/ wird nach einiger Zeit große Rohheiten begehen/ und wird gegen die Blume sehr kriegerisch sein.
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Vz 2 [Belgisches Gallien] Gallia Belgica hieß eine römische Provinz, die Teile Nordfrankreichs, des
heutigen Belgien und Südwestdeutschlands umfasste. Die dortigen habsburgischen Besitzungen
fallen nach dem Tod Kaiser Karls V. im Jahr 1558 an das Königreich Spanien unter Philipp II., der
weder politische noch religiöse Freiheit duldet.
Vz 1/3 [Erst Ehrungen, dann Rohheiten] Herzog Alba hat gleich zu Beginn seiner Statthalterschaft
eine große Zahl von niederländischen Adligen hinrichten lassen, während der Gemeinte erst „nach
einiger Zeit große Rohheiten“ begeht. Während der Statthalterschaft Alexander Farneses (1578-92)
kommt es 1579 zur Spaltung in die spanientreuen Südprovinzen und den von England unterstützten
protestantischen Norden. Im Jahr 1582 bitten die wallonischen Provinzen selbst den spanischen
König um die Entsendung von Truppen. Im Jahr 1584 wird Wilhelm von Oranien, der Führer der
Nordprovinzen ermordet, nachdem ihn die Spanier für vogelfrei erklärt und ein Kopfgeld auf ihn
ausgesetzt hatten. Im Jahr 1585 kann Farnese Flandern und Brabant für Spanien zurückerobern.
Vz 4 [gegen die Blume sehr kriegerisch] Im Jahr 1590 kämpfen Farneses Truppen auf Seiten der
katholischen Partei gegen den neuen König von Frankreich, den Hugenotten Heinrich von Navarra,
der die Lilie im Wappen führt. Für einige Zeit können sie die von Navarra belagerte Hauptstadt
Paris entsetzen.
Eine >Beischläferin< ist in den spanischen Niederlanden doppelt fruchtbar
10/54 Nee en ce monde par concubine fertiue,/ A deux hault mise par les tristes nouuelles,/ Entre ennemis sera prinse captiue,/ Et amené à Malings & Bruxelles. (1568)
Geboren in diese Welt durch fruchtbare Beischläferin,/ zu zweien hochgestellt durch die traurigen Neuigkeiten,/ wird sie unter Feinden ergriffen und gefangengenommen/ und abgeführt werden nach Mecheln und Brüssel.
1) Zur concubine s. Glossar unter dame Grecque. Die Adjektivform fertiue ist reimbedingte Abwandlung von lat. fertilis fruchtbar, befruchtend 4) Nachdem alle Verbformen des Verses weiblich enden, ist klar, dass auch hier amenée, also die weibliche Endung hätte stehen sollen.
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Vz 2 [Durch traurige Neuigkeiten …] Zuniga y Requesens, spanischer Generalstatthalter in den
Niederlanden seit 1573, stirbt im März 1576. Der Staatsrat kann die Truppen nicht besolden,
weil Spanien 1575 den Staatsbankrott erklärt hat. Die Soldateska zieht mordend und plündernd
durch Spaniens Nordprovinz. Der nachfolgende Generalstatthalter Don Juan d‘ Austria stirbt nach
weniger als zwei Jahren im Amt einunddreißigjährig im Dezember 1578. Innerhalb weniger Jahre
hat die aufständische Nordprovinz zwei Statthalter verschlissen. „Traurig“ sind diese Nachrichten
für N., weil er mit Spanien als der katholischen Vormacht in Europa sympathisiert.
Vz 1 [.. gebiert fruchtbare Beischläferin …] „Die griechische Dame“ in 9/78 (Kap.33) ist ein Sinnbild
für die Idee der Demokratie. Wenn diese Idee aufgegriffen wird und sich politisch durchsetzen kann,
ist sie fruchtbar und hat >Kinder<.
Vz 2 [… zwei, die hoch gestellt werden …] Im Januar 1579 schließen sich die südlichen Provinzen
der spanischen Niederlande in der Union von Arras zusammen. Sie unterstellen sich dem spanischen
König und wollen den Katholizismus als Staatsreligion durchsetzen, fordern aber auch mehr Rechte
für die allgemeine Ständeversammlung und wollen keine ausländischen Truppen akzeptieren.
Im selben Monat vereinigen sich die Nordprovinzen zur Union von Utrecht, die sich von Spanien
gänzlich lossagt und sich zum calvinistischen Glauben bekennt. Aus dieser Union entsteht zwei Jahre
später die Republik der Vereinigten Niederlande. Bemerkenswert, dass N. b e i d e Unionen als
ungehorsam wahrnimmt, aber nicht den deutlichen Unterschied im Ausmaß des Ungehorsams.
Vz 3/4 [… wird aber dann gefangen gehalten in Mecheln und Brüssel] Die Provinzen Flandern und
Brabant mit der Hauptstadt Brüssel tendieren zunächst zur Union von Utrecht, werden aber unter
Alessandro Farnese, dem Nachfolger Don Juan d‘ Austrias, wieder unter die spanische Herrschaft
gezwungen. Die protestantische Bevölkerung muss fliehen. Dabei steht Brüssel als Hauptstadt der
spanischen Niederlande für die weltliche und Mecheln als Bischofssitz für die kirchliche Herrschaft.
Die >Konkubine<, das ist >die demokratische Idee<, dass nämlich das Volk politisch in Stände-
versammlungen wie auch kirchlich mitreden und mitwirken solle. Die >Idee der Demokratie< wird
in den Südprovinzen >festgenommen und eingesperrt<.