Exkurse
Übersicht
Exkurs (1): Das Ineinanderfließen von buchstäblicher und
bildlicher Redeweise als Mittel der Verdunklung
Exkurs (2) Zum Begriff des Gesetzes (loy) bei N.
Exkurs (3) Zu den Menschenrechten
Exkurs (4) Zum Glauben an die Vernunft
Exkurs (5) Über >Größe< bei N.
Exkurs (6) Zum Begriff der Sekte bei N.
Exkurs (7) Zur Schreckensherrschaft im Namen der Vernunft
Exkurs (8) Der Prophet als Warner
Exkurs (9) Zur Symbolik geographischer Namen bei N.
Exkurs (10) Ironie und Sarkasmus als Deutungsproblem
Exkurs (11) Ist es möglich, dass N. die Namen der von ihm
erschauten Personen erkennen konnte?
Exkurs (12) Göttliche Gerechtigkeit als prophetisches Schema
Exkurs (13) Zum räumlichen Geltungsbereich der Centurien
Exkurs (14) Anmerkungen zur Wiederkunft Christi
Exkurs (15) Wird hier erneut eine jüdische Weltverschwörung behauptet?
Exkurs (16) Braucht Gott Blutzeugen?
Vor Eintreten der Ereignisse hätte ein unbefangener Leser Vers 8/37 (Kap.8) etwa
folgendermaßen deuten können: Der britische König ist eingesperrt, wird aber dann
dann befreit, schließlich doch zum Tod verurteilt und endlich zu Festungshaft begnadigt.
Dass die zutreffende (im Kommentar angegebene) Deutung ex ante nicht möglich
ist, leuchtet unmittelbar ein. Die Antwort auf die Frage nach dem Sinn der Vermengung
von wörtlicher und bildlicher Redeweise lautet demnach: Es handelt sich um ein Mittel
der Verdunklung, die Verse s o l l e n n i c h t vor Eintreten der Ereignisse verstanden
werden, wofür es wiederum mehrere Gründe gibt, siehe Einführung (5) „Notwendigkeit
der Verdunklung“.
Auch die moderne Gebrauchssprache kennt noch Metaphorik, wenngleich gegenüber
dem 16. Jahrhundert ein Rückgang zu verzeichnen ist, wieder aus mehreren Gründen.
Der moderne Mensch in seinem Weltbemächtigungswahn kann Mehrdeutigkeit nicht
brauchen - wenn z.B. die Funkbefehle an eine Raumstation mehrdeutig wären, könnte
das übel ausgehen. Der moderne Mensch ist Realist und nennt die Dinge beim Namen,
>redet nicht drum herum<, und Philosoph wie Wissenschaftler definieren ihre Sprache
um der Klarheit und Nachprüfbarkeit willen.
Domänen der Metaphorik sind seit jeher die Dichtung und die Sprache der Religion.
Um die Verhältnisse im Reich des Geistes in ihrer Gestalt für uns fassbar zu machen,
kleidet sich die Wahrheit in Bilder. Je mehr das Interesse an diesem Reich nachlässt,
desto größer wird das Unverständnis für und die Abneigung gegen bildliche Redeweise.
Ganz anders der Seher: Zum ausgiebigen Gebrauch der Metaphorik kommt bei ihm eine
stilistische Dichte, die er auch durch Changieren mit doppelten Bedeutungen herstellt.
Die Festung in Vers 8/37 steht für das bedrängte Königtum u n d ein reales Gefängnis
des Königs, die Brücke für ein reales Holzgerüst u n d bildlich für die Möglichkeit der
Verständigung.
Aus Freude an der Verdunklung erfindet N. in virtuoser Manier auch gern neue Symbole,
wofür Exkurs (9) über die Symbolik geographischer Namen eine Reihe von Beispielen
bietet.
„Gesetz der Sonne“ nennt N. die christliche Religion im Allgemeinen und die Gebote des
Priesterstandes im Besonderen, 5/72 (Kap.6). Wenn „Glaube und Gesetz“ (foy & loy)
als Paar erscheinen, 8/76 (Kap.8), ist das Nebeneinander richtig verstanden, wenn darin
das von Gottes Gnaden verliehene Königtum und die darauf gegründete Rechtsordnung
erkannt werden. Die in einer staatlichen Ordnung ausgeübte Herrschaft ist die sichtbare
Erscheinungsform dieser Ordnung, weshalb „Gesetz und Herrschaft“ (loy & regne)
gemeinsam auftreten können, 2/92 (Kap.30).
Fundament der staatlichen Ordnung kann der christliche Glaube sein; es kann aber
auch der Islam, das „maurische Gesetz“, 3/95 (Kap.31), diese Aufgabe übernehmen.
Wenn aus einer feudalen, religiös fundierten Ordnung mit Sultanat und Kalifat eine
säkulare Republik wird, ist das eine „Wandlung der Gesetze“, 1/40 (Kap.31). Eine
Wandlung in ähnlichem Sinne vollzieht sich, wenn eine Republik die Menschenrechte
zur Grundlage eines Staates erklärt, der zuvor ein Königreich von Gottes Gnaden war,
2/8 (Kap.15).
Unter einer loy, einem Gesetz, versteht N. also ein religiöses oder philosophisches
Prinzip als Grundlage einer Rechtsordnung.
Die Formel vom „Streben nach Glück“ (pursuit of happiness) in der Präambel der
amerikanischen Verfassung von 1787 verdeutlicht, dass in der neuen Ordnung der
Mensch und seine Wünsche an das Leben in den Mittelpunkt des Denkens rücken.
Es sind die Wünsche nach einem von Nöten wie Nötigungen möglichst freien Leben,
die als Menschenrechte zum Leitbild und Rechtsgrundsatz erhoben und in den Status
des objektiv Gültigen erhoben werden. Ablesbar ist das z.B. an dem Satz „Die Würde
des Menschen ist unantastbar“ im Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes, dessen
Indikativ verschleiert, dass es sich hier um einen Wunsch handelt: Die Menschenwürde
ist nicht und war nie unantastbar, doch man hegt den Wunsch, dass es so sein möge,
gründet den Staat auf die Proklamation eines Wunsches.
Erfüllen soll ihn der Staat selbst, eine Staatsgewalt, die in der neuen Ordnung nicht mehr
vom Monarchen, sondern von der Gesamtheit der Bürger ausgeht. Die sich für vernunft-
geleitet haltenden Menschen trauen dem Kollektiv zu, Garant ihrer Würde und Freiheit zu
sein. Dass Kollektive eigene Interessen entwickeln, sich selbst erhalten und entfalten wollen
und dazu neigen, ihren Mitgliedern die größten Zumutungen (z.B. Militärdienst) aufzuerlegen,
wird von den vernunftgläubigen Aufgeklärten damit begründet, dass Rechte und Freiheiten
auch Pflichten bedingen (Kant). Durch die Umformulierung von Naturrechten in Ansprüche
gegenüber dem Kollektiv wird dem Kollektiv Verantwortung und damit Macht über die
Menschen verliehen. Die Machtergreifung der Kollektive kommt als Gebot der Vernunft
daher.
In der Zeit der französischen Revolution werden Ideen der sich aufgeklärt nennenden
Philosophie in die Praxis umgesetzt. Man verwirft den christlichen Glauben als Grundlage
der gesellschaftlichen Ordnung. Die neue Ordnung soll allein auf die menschliche Vernunft
gegründet werden, deren höchste Stufe im Denken der Philosophen erreicht sei.
Die Philosophen der Aufklärung, Locke, Rousseau, Kant, Voltaire, Montesquieu usw. stehen
hoch im Kurs. Die Fortschritte in der Erforschung der Natur haben den Boden bereitet für die
Heiligung der Vernunft. Der Mathematiker Laplace nennt die Astronomie >das schönste
Denkmal des menschlichen Geistes<, so als ob die Wandelsterne nicht schon seit Urzeiten
ihre Bahn gezogen hätten und ihre Bewegung durch den sie betrachtenden >menschlichen
Geist< erst geadelt werde - ein schwer erträgliches Selbstlob.
Skeptiker wie David Hume, der die Vernunft verdächtigt, eine Sklavin der Leidenschaften
zu sein, werden nicht gehört. An die Stelle des Glaubens an Gott tritt nicht die Vernunft,
wie es immer heißt, weil an die Stelle eines Glaubens nur ein anderer Glaube treten kann.
(Nur scheinbar kann es auch völlige Glaubenslosigkeit geben, denn auch die Ablehnung
jeder Metaphysik ist ein Axiom, d.h. ein Glaubenssatz.) An die Stelle des Glaubens an
Gott tritt der Glaube an die Vernunft des Menschen. Der >Aufgeklärte< bewertet seinen
Intellekt höher als den Geist Gottes. Die Vernunft werde im neuen Staat zu höchster
Entfaltung gelangen und sich durch ihn verwirklichen. Auf dem Höhepunkt des revolu-
tionären Elans (und der Blutjustiz) wird im November 1793 von Robespierre ein >Kult
der Vernunft< und ein >Fest des höchsten Wesens< öffentlich zelebriert. Heute als
verstiegen empfunden, sind solche Festlichkeiten doch Ausdruck einer Geisteshaltung,
die noch keineswegs abgedankt hat. Der Glaube, durch Aufklärung, d.h. durch den
fortgesetzten kollektiven Gebrauch der Vernunft könne das Böse aus der Welt gedrängt
und letztlich ein Paradies auf Erden von Menschenhand geschaffen werden, ist mittler-
weile nicht mehr naiv, sondern durch Erfahrungen in Frage gestellt. Dennoch hält er
immer noch viele Herzen in seinem Bann.
Hitler heißt in 2/24 (Kap.39) und 2/82 (Kap.38) „der Große“, weil N. erkannte, dass
er für einige Jahre zum Herrscher über Europa werden würde, 9/90 (Kap.32).
Obwohl er in diesem Mann eine „Bestie“ erkennt, 1/12 (Kap.37), nennt N. ihn wegen
seiner Machtfülle und außerordentlichen Taten „groß“ - offensichtlich o h n e damit
eine positive Wertung zu verbinden.
„Drei Große“ sind in 1/31 (Kap.38) die auch von den Zeitgenossen so bezeichneten
„großen Drei“, nämlich Churchill, Roosevelt und Stalin, die während des zweiten
Weltkriegs zusammenkommen, um sich über die gemeinsame Kriegführung und
Grundlinien der Nachkriegsordnung zu verständigen. In Churchill erkennt N. eine
realistische Kämpfernatur, 5/4 (Kap.34), in Stalin den Herrscher des religionsfeind-
lichen >Neuen Babylon<, d.h. des kommunistischen Machtbereichs, 2/38 (Kap.40).
Somit widerspiegelt >Größe< von Herrschern bei N. in der Regel nicht sein eigenes
Werturteil, sondern das maßgebliche Werturteil der jeweiligen Zeitgenossen,
welches die Betreffenden ja auch erst zu >Großen< macht. Nur in wenigen Fällen
legt N. s e i n e n Standpunkt zugrunde, so wenn er die Polen ein „großes Volk“ nennt,
weil sie den Mut aufbringen, den Kommunismus niederzuringen, 2/28 (Kap.41).
Als Anhänger des Königtums übernimmt N. auch sprachlich nicht den Standpunkt
der Anhänger der Republik. „Verschworene“ sind nicht Gegner der Republik,
sondern Gegner des Königtums. Wer gegen das Königtum vorgeht, es schwer
erschüttert und dann beseitigt, weil er die Ungleichheit und das Gottesgnadentum
nicht mehr akzeptiert, der gründet für N. eine >Sekte<, die sich gegen den christlichen
Glauben stellt. Er wird Partei mit dem Beiklang nicht nur politischer Verschwörung,
sondern auch des christlichen Ungehorsams.
Ist dann die alte Ordnung umgestoßen, und sind die Revolutionäre an der Macht,
sind sie es, die die politische Sprache bestimmen. Der Versuch zur Befreiung der
internierten Königin, 1/7 (Kap.17) wird zur Affäre, zum Komplott, eingefädelt von
Verschwörern. N. aber lässt sich nicht beirren und bleibt bei seiner Sicht der Dinge.
Für ihn sind in Wahrheit die von der Republik bestellten Richter, die das Todesurteil
fällen, die >Verschworenen< einer >Sekte<. So nennt er abschätzig die erfolgreichen
Parteigänger der Republik, die sich gegen das Königtum gestellt und das Königspaar
physisch vernichtet haben. Ebenso abschätzig nennt er die sich für aufgeklärt
haltenden Denker des 17. und 18. Jahrhunderts eine >neue Sekte von Philosophen<,
3/67 (Kap.13), weil sie sich gegen den alten Glauben stellen, soweit er als Legitimation
der alten Ordnung des Königtums dient.
In der Vorschau wird die Anhängerschaft des >neuen Weisen<, 4/31 [III], der nach
dem Kataklysmus [II] auftritt, einmal eine Sekte genannt, VH (30), wobei N. wieder
seinen Maßstab zugrundelegt, weil er die Lehren dieses Mannes als verderblich für
die Christen erkennt. Doch meist sind es die Glaubensgemeinschaften der alten
Religionen, die in der Vorschau pauschal mit dem abwertenden Begriff der Sekte belegt
werden, z.B. in VH (25), 1/45 [VIII] und 1/96 [VIII]. Die Glaubensinhalte, die sie bis
dahin bewahrt haben, werden am Ende mit dem Bann eines globalen Regimes belegt;
wer noch an ihnen festhält, gilt als Sektierer. Ein vollständiger Fundstellennachweis
findet sich unter secte im Glossar.
Zu Zeiten des Sehers wird das Königtum noch nicht in Frage gestellt. Man glaubt,
dass jedes Volk eine Königsstelle, den Thron habe, etwa so wie jedes Kind eine
Vaterstelle hat. Der Vater des Kindes ist notwendiger Teil seines Lebens, und
seine Stelle kann unbesetzt bleiben, aber nicht aus der Welt geschafft werden.
Dementsprechend kann auch der Thron zwar unbesetzt bleiben, aber nicht abge-
schafft werden. Denn der König ist von Gott als Vermittler dessen eingesetzt, was
dem Volk von Gott her bestimmt ist. Man kann den König hinrichten, auch dessen
ganze Familie töten, aber der Thron als die transzendental, d.h. im Glauben fun-
dierte Königsstelle ist nicht aufhebbar.
Will man davon nichts wissen, dann tritt nach der Abschaffung des Königtums
(in Frankreich im August 1792, Hinrichtung im Januar 1793), mit der auch die
Regeln der Erbfolge, d.h. des friedlichen Übergangs, über Bord gehen, der Ur-
zustand in Geltung: Der neue König wird ausgekämpft, gleich unter welcher zivilen
oder ideologischen Maske. Charakteristisch für das Blutvergießen von 1793/94
ist die Ziellosigkeit der über Tod und Leben entscheidenden Instanzen. Es kann
jeden treffen. Die Schreckensherrschaft erscheint bei N. als Opferkult, 1/44
(Kap.15), durch den eine erzürnte Gottheit versöhnt werden soll, von der man
nicht recht weiß, was oder wen sie eigentlich fordert. Namen des neuen Götzen
sind Vernunft und Tugend, und es geht darum, wer in ihrem Namen die Königsstelle
einnimmt.
Für Nostradamus wird in den Jahren ab 1789 der Zugang zu jener Instanz langfristig
verbaut, die allein das Recht wirksam schützen kann - eine Instanz, die auch in nicht
mehr ferner Zukunft sich als geeignet erweisen könnte, der Gefahr zu begegnen,
dass eine vom Kollektiv ausgehende Herrschaft, gleich welcher ideologischen Prägung,
ins Totalitäre und Menschenverachtende umschlägt. Voraussetzung ist freilich, dass
der Glaube der Menschen und der daraus erwachsende Gehorsam gegenüber Gott
und in weltlichen Dingen auch gegenüber dem weltlichen Herrn wieder stark genug ist.
Er scheitert, sogar wenn er sich, anders als N., klar ausdrückt - daran, dass Politiker
und Militärs vorrangig an der Macht und weniger an der Wahrheit interessiert sind,
am deutlichsten zu beobachten in autoritären oder gar totalitären Regimen, aber
auch in Demokratien, wenn sie an Kriegen teilnehmen. Männer der Tat verachten
prophetische Warnungen, weil diese die ethische Grundlage oder den Erfolg ihres
Handelns in Frage stellen. Wahrheitssuche und Machtstreben zielen in entgegen-
gesetzte Richtungen. Je konsequenter das eine angestrebt wird, desto mehr Abstriche
müssen beim anderen gemacht werden. Wer wirklich an der Wahrheit interessiert ist
und deshalb Propheten Gehör schenkt, die eine echte Berufung erkennen lassen,
kann dort seine Skepsis bestätigt finden.
Die Vertreibung der Könige gilt dem Seher als ein Akt christlichen Ungehorsams,
als Folge der Nichtachtung von Gottes Geboten. Die Herrscher >von unten<, von
Volkes Gnaden, die nach dem Ende des Königtums auftreten, sind ihm grundsätzlich
suspekt. Spätestens nach dem Abgang der Könige von der geschichtlichen Bühne
würden die Mächtigen nicht mehr auf Berufene seines Schlages hören wollen,
dessen war er sich sicher. Die Warnungen sind demnach nur anders formulierte
Vorhersagen. Der wider besseres Wissen sich äußernde Wunsch einzugreifen
verdeutlicht, das N. ein Mensch war, den seine Gesichte nicht kalt ließen. Es grauste
ihn vor der Verworrenheit, oft auch Verworfenheit des Tuns der Mächtigen und all
dem Elend, das dadurch heraufbeschworen wird.
Der Prophet scheitert im Großen, kann aber doch denen, die ihn anhören, Hilfe zur
Orientierung geben und hat dann seine Warnungen vor weltsüchtigen Eroberungs-
plänen, charismatischen Machtmenschen und falschen Heilsbringern aller Art nicht
gänzlich in den Wind gesprochen.
Namen von Städten, Ländern und Flüssen sind meistens wörtlich gemeint, aber sie
k ö n n e n auch, anknüpfend an ihre Geschichte, einen politischen oder religiösen
Symbolgehalt haben. Zu seiner Verschleierungstechnik gehört es, dass N. nicht nur
aus dem Fundus der geläufigen Symbole schöpft, sondern öfter selbst welche erschafft.
>Rom< als Name für die Spitze der katholischen Kirche, 10/65 [XI], ist geläufig, da folgt
N. nur dem Sprachgebrauch. Gelegentlich aber steht >Rom<, weil es die Hauptstadt des
antiken Imperium Romanum ist, für das Zentrum der >Weltfriedensordnung<, das nicht
in Italien liegen wird, 5/46 [IV], 5/49 [IV].
>Neue Erde< nennt N. in 2/89 (Kap.40) den im 16. Jahrhundert noch neuen Erdteil
Amerika. Attika ist Teil Griechenlands, wo sich in der Antike die Demokratie erstmals
durchsetzen konnte. Als >attisches Land< kann daher ein Land bezeichnet werden,
das in der Neuzeit zum Hort und zur Speerspitze der Demokratie wird, 5/31 [III],
die USA nämlich.
Die Stadt Frankfurt ist seit dem 12. Jahrhundert der Ort, an dem die Kaiser gewählt
werden und kann daher allegorisch für diese Institution des Reich stehen, 3/53 (Kap.1).
Die Stadt Venedig verliert 1797 ihre Souveränität, 4/1 (Kap.20). Wenn d a n a c h
„Venedig mit großer Macht die Flügel erhebt“, VH (36), dann kann das demnach nicht
wörtlich gemeint sein. >Venedig< steht aufgrund von Ereignissen der Jahre 1606ff. für
einen Staat, der die Autorität der römischen Kirche im kirchlichen Bereich nicht mehr
anerkennt, VH (35), darüber hinaus aber auch für den säkularen Staat schlechthin, der
sich zu seiner Legitimierung nicht mehr auf den christlichen Glauben beruft. ( Wenn
ihm etwas gegen den Strich geht, ist N. nicht zu Differenzierungen aufgelegt.)
Nach dem Rhein, der Grenze zwischen Frankreich und deutschen Landen, wird 1806
ein Bündnis dieser Länder benannt, der Rheinbund, dem das alte Kaiserreich zum Opfer
fällt. Der alte Zusammenhalt des christlichen Europa wird >in den Rhein geworfen<,
6/3 (Kap.22), 6/4 (Kap.27), er geht unter im Fluss der Zeit.
Nach der Stadt Marseille ist die Nationalhymne der französischen Republik benannt.
Daher ist >Marseille< der Ort, wo der moderne Franzose das Gemüt zu den Prinzipien
erhebt, auf die seine Nation seit der Revolution von 1789 verpflichtet ist, 10/24 (Kap.25).
>Marseille< steht demnach für die Revolution und ihre Prinzipien.
In den italienischen Vereinigungskriegen stellt sich auch die Lombardei mit ihrer
Hauptstadt Mailand gegen die österreichische Herrschaft, 6/87 (Kap.30). >Mailand<
kann daher die nationalitalienische Bewegung bedeuten, die im neunzehnten
Jahrhundert die >Wiedergeburt< Italiens als Nation anstrebt.
Babylon kann die Weltgegend bedeuten, wo diese Stadt einst lag (Irak). Doch >Babylon<
ist wegen des biblischen Hintergrundes auch eine Macht, die dem >Volk Gottes< - das
sind für N. die Katholiken - feindlich gesonnen ist. >Neues Babylon< heißt in VH (19a)
(Kap.41), der kommunistische Machtbereich als Feind der europäischen Christenheit.
Der Dnjepr fließt durch Russland, Weißrussland und die Ukraine ins Schwarze Meer.
Daher kann der >Dnjepr< diese Länder bedeuten, die als erste unter die Herrschaft der
kommunistischen Ideologie geraten, 3/95 (Kap.31).
Der Unterlauf der Donau heißt lateinisch Hister. >Hister< steht bei N. für Hitler erstens
wegen der ähnlichen Lautung, zweitens weil er aus dem Donauraum stammt und
drittens u.a. dort >Lebensraum< für sein Volk erobern will, 5/29 (Kap.32).
In Genf lehrte einst Calvin, die Stadt wird im 16. Jahrhundert zu einem Zentrum des
europäischen Protestantismus. >Genfer Volk< kann N. daher jene Hugenotten nennen,
die seit 1685 in Frankreich ihren Glauben nicht mehr ausüben dürfen, 2/64 (Kap.10).
Im 20. Jahrhundert wird Genf zum Sitz des Völkerbundes und 1945 zum europäischen
Zentrum der Vereinten Nationen. Die >Genfer< können seitdem auch die Mitglieder der
Völkergemeinschaft bedeuten, 4/59 (Kap.38).
Dieser Katalog erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
In der Bezeichnung als „heiliger Barbar“ 10/38 (Kap.34) gibt sich eine doppelte,
in sich widersprüchliche Wertung kund, die nur erklärbar ist, wenn man annimmt,
dass N. eins von beiden nicht ernst, sondern ironisch gemeint hat. Barbar ist das,
was Hitler für den Seher war und für die Nachwelt ist, und >heilig< ist die von N.
wahrgenommene Wertung vieler Zeitgenossen des Diktators, die ihn wie einen
deutschen Messias verehren. Wer das Ende absieht, kann das nur in ironischem
Ton aussprechen. D a s s N. das Stilmittel der Ironie einsetzt, ist damit belegt,
ohne dass dieser Beleg den Status eines Beweises haben könnte.
N. nimmt in seinen Visionen den Irrsinn und die Verworrenheit des Geschehens,
die Anmaßung und Grausamkeit der Akteure um kurzlebigen Ruhmes willen so oft
wahr, dass die gelegentliche Flucht in die Distanz der Ironie verständlich erscheint.
Die Schärfe des Sarkasmus ist nur dann zu spüren, wenn ihm Unverzichtbares bedroht
erscheint, namentlich die Einheit der Kirche, das christliche Königtum und die Souveränität
seines Heimatlandes. Dass seine Heimat 1940 bis 1944 in die Abhängigkeit, gar
Botmäßigkeit einer fremden Macht gerät, ist für N. schwer mit anzusehen und lässt ihn
zu bösem Sarkasmus greifen, den Philippe Pétain als Herrscher von Hitlers Gnaden
abbekommt, 8/65 (Kap.36)
Ironische oder sarkastische Aussagen meinen das genaue Gegenteil dessen, was sie
zu sagen scheinen. Wird der Tod Kaiser Karls V. als „Lohn für Nürnberg“ bezeichnet,
6/15 (Kap.1), für den Nürnberger Religionsfrieden von 1532, dann ist für Nostradamus
dieser >Lohn< in Wahrheit das Scheitern als gerechte Konsequenz einer Haltung Karls
gegenüber Luther und dessen Anhängern, die er als zu nachgiebig brandmarken will.
Ironisch und sarkastisch gemeinte Aussagen erweitern also den Deutungsspielraum um
das genaue Gegenteil dessen, was sie zu sagen scheinen. Die Deutung wird dadurch
nicht einfacher, aber ihre Möglichkeiten vervielfältigen sich auch nicht ins Beliebige.
Die Frage, ob Aussagen oder Begriffe ironisch gemeint sind, kann schwer zu entscheiden
sein. Legt eine große Huldreiche >souveräne Macht< an den Tag, 2/14 (Kap.4),
oder wird ein Papst als Mann >ohnegleichen< verherrlicht, 8/53 (Kap.29), oder macht
eine >große Heldentat< von sich reden, 4/65 (Kap.35), dann sind diese Formulierungen
schon deshalb der Ironie verdächtig, weil ihr uneingeschränkt positiver Klang zu dem Bild
des geistigen Verfalls nicht passt, das N. von der Zukunft im Allgemeinen entwirft und das
für ihn mit dem Niedergang der Monarchien und seiner Kirche untrennbar verknüpft ist.
Erst wenn dem geistigen Abstieg einmal wirklich Einhalt geboten sein wird, wenn dereinst
die Geister geschieden sein werden, Offenbarung Kapitel 20 Vers 4 bid 6, könnten Elogen
der angegebenen Art auch einmal wörtlich so gemeint sein, 10/89 [XV].
Im Zweifelsfall gilt die allgemeine Regel, dass sich a l l e Teilaussagen eines Verses in das
Gesamtbild einfügen müssen, dessen Perspektive und Färbung von den Anschauungen
und Werturteilen des Sehers geprägt werden. Und öfters ist dieses Gesamtbild eben nicht
kenntlich ohne die Annahme, dass Ironie oder Sarkasmus im Spiel sind.
erschauten Personen erkennen konnte ?
Es wird für absurd gehalten, in den Buchstaben D.M. eine Abkürzung für Duce Mussolini
zu erkennen, dann könne hier auch die Deutsche Mark gemeint sein (Pfändler, Jean-
Claude, Nostradamus, Die Urtexte, Chieming 1996, S. 27). Was diese Deutungsidee
angeht, müsste gezeigt werden, dass Nostradamus des Deutschen mächtig war und sich
auch für Volkswirtschaft interessiert hat - bisher ist das noch nicht gelungen.
Am Beispiel Napoleons zeigte sich, dass N. diesen Namen mindestens seiner Lautung
nach wahrgenommen hat, denn er erinnerte ihn an den Engel des Abgrunds namens
Apollyon in der Johannes-Apokalypse, 1/76 (Kap.19). Das lässt auch Pfändler gelten
(1996 S. 107). Wer aber in einem Fall einräumt, dass N. einen Namen wahrgenommen
hat, wird das für andere Fälle nicht prinzipiell ausschließen können.
Mussolini, über zwanzig Jahre lang in Italien an der Macht, hat durch seine Politik das Ende
des Königreiches Italien bewirkt und vor allem deshalb das Interesse des der Monarchie
anhängenden N. erweckt. Die Inschrift D.M., die 1922 in der italienischen Öffentlichkeit
Furore macht, kannte N. von antiken Grabsteinen. Seine Intuition erschloss ihm den
Zusammenhang beider, die Ahnenverehrung der antiken wie der modernen Römer
der 1920er und 1930er Jahre. Die selbsternannten Erben der Cäsaren haben selbst
nicht viel zu bieten und wollen in die antike Identität schlüpfen, um an alte Pracht und
Herrlichkeit anzuknüpfen, 1/9 (Kap.37).
Das deutlichste Beispiel für des Sehers Fähigkeit, die Namen der Akteure zu erkennen,
bietet Vers 9/16 (Kap.33), der die Namen von gleich zwei spanischen Protagonisten
nicht nur andeutet, sondern wörtlich nennt. Und dann sind da noch der „abhängige Philipp“,
Nachname Pétain, 8/81 (Kap.36), sowie der polnische Papst „mit dem Beinamen des
Propheten“ namens Johannes, 2/28 (Kap.41), jenes Propheten, der das letzte Buch der
Bibel verfasst hat.
Die hier behandelte Frage zeigt wieder, dass vorgefasste Meinungen, über welche
Fähigkeiten Paragnosten verfügen müssten oder keinesfalls verfügen könnten, nicht
weiterhelfen. Ein begründetes Urteil kann sich nur auf die zusammengetragenen
Indizien und ihre Verknüpfung stützen.
„Das Niedrige wird hoch, und das Hohe wird niedrig“, verkündet Ezechiel Kapitel 21,
Vers 31 bündig, und Jesus schlägt in die gleiche Kerbe: „Wer sich selbst erhöht,
wird erniedrigt, wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht“, Matthäus Kapitel 23 Vers 12.
Als Beispiel für die göttliche Gerechtigkeit nicht geeignet, nennt doch Vers 10/18
(Kap.6) diese Sentenz wörtlich und bietet so einen Beleg für ihr Wirken bei N.
E r s t die Erhöhung des Ungerechten durch den Willen der Menschen, d a n n
dessen Erniedrigung durch den Willen Gottes, e r s t der Erfolg desVerkehrten,
d a n n dessen Scheitern - so vereinfacht N. des Öfteren die Vorgänge und will
gerade durch den Schematismus klar machen, dass er hier ein Gesetz aus dem
Willen Gottes walten sieht.
Nicht nur Personen, auch verkehrte Ideen sieht er aufsteigen und scheitern.
Ihre Träger erfahren erst durch das Scheitern die Verkehrtheit. „Bevor für lange Zeit
das ganze in Ordnung gebracht wird, „erwarten wir ein ganz verkehrtes Zeitalter“,
2/10 (Kap.15). Nach der amerikanischen und der französischen Revolution werde
niemand mehr den ihm bestimmten Platz und Rang einnehmen wollen.
Auch an den Sturz der alten Ordnung im Habsburgerreich 1918 knüpfen manche
Völker große Hoffnungen, aber „das neue Gesetz wird härter sein als Dienst“,
weil die Ideologen, die dann emporkommen, die Völker untereinander und in sich
entzweien, 2/90 (Kap.31).
Auch an Personen lässt sich das Schema verfolgen. „Beherztheit, Kraft, Ruhm“
zeichnen Frankreich unter Ludwig XIV. aus, doch nach dessen Tod geht es bergab -
Nostradamus zufolge, weil die Franzosen sich für die aufgeklärten politischen Ideen
der Briten begeistern, 3/15 (Kap.13). Später unter Ludwig XVI. kommt „eine gute Zeit,
große königliche Güte“, doch „allzu“ große Güte, 10/43 (Kap.14), die Revolution holt
den Mann aus seiner abgehobenen Welt am Hof und überfordert ihn, er kommt
ums Leben.
Der >Adler< Napoleon verjagt einige andere „Palastvögel“, aber „recht bald danach“
ist „der Fürst vereitelt“, 2/23 (Kap.26). Als Usurpator des Kaiserthrones, 10/46 (Kap.22),
muss er scheitern.
Unter König Viktor Emanuel III. von Italien steht das Land im ersten Weltkrieg auf der
Siegerseite, „doch dann wird kommen ein grausamer Übeltäter“ - die Berufung
Mussolinis zum Regierungschef ist der Anfang vom Ende des Königreiches Italien,
8/31 (Kap.37).
Hitler wird „von unten nach oben emporgehoben geschwinde“, aber „binnen kurzem
wird (man) ihn eine verkehrte Bestie nennen“ wegen seiner Verbrechen, 1/12 (Kap.37).
Wenn diese nach dem Krieg aufgedeckt werden, ist „das >goldene Zeitalter< tot,
der neue König ein großer Skandal“, sagt Vers 9/17 (Kap.39) lapidar.
Kann z.B. in einem schwierigen Fall wie Vers 5/94 (Kap.38) gezeigt werden, dass
eine Deutung das prophetische Schema der von Gott gewirkten Gerechtigkeit erfüllt,
dann ist das ein unterstützendes Argument für diese Deutung - selbstverständlich
ohne sie allein begründen zu können.
Diesen beschreibt N. selbst in VH (4) als „den größten Teil der Städte und Großstädte
ganz Europas, einschließlich jener Afrikas und eines Teils von Asien“. Er meint damit
die Ausdehnung der antiken römischen Zivilisation, zu der noch die christlichen Gebiete
Mitteleuropas hinzukommen. Die Ortsnamen in vielen Versen bestätigen als geographi-
schen Schwerpunkt der Centurien den Mittelmeerraum und damit Südeuropa, aber
auch West- und Mitteleuropa.
Am Beispiel des Verses 3/1 (Kap.38) ist aber nun ablesbar, dass dieser Schwerpunkt
nicht e x k l u s i v zu verstehen ist, sondern in Einzelfällen auch überschritten werden
kann. Wenn sich außereuropäische Ereignisse maßgeblich auf Europa auswirken,
lässt N. es sich nicht nehmen, davon zu handeln, o b w o h l sie außerhalb seines
geographischen Fokus liegen. Ohne den Kriegseintritt der USA hätte die Nachkriegs-
gestalt Europas anders ausgesehen und wäre seine Geschichte anders verlaufen.
Japan bewirkt den Kriegseintritt der USA und beeinflusst so als weiterer Kriegsgegner
der Vereinigten Staaten von Amerika mittelbar auch den Krieg in Europa. Es ist auch
kein Zufall, dass gerade ein Vers, der in den Jahren 1941 bis 1945 sich erfüllt, die
geographische Mitte der Centurien verlässt. Denn nach dem ersten und mehr noch
infolge des zweiten Weltkriegs haben andere Mächte die bis dahin dominierende
Stellung Europas in der Welt übernommen.
Es gibt andere Beispiele. Moskau und Stalingrad liegen in Europa, aber schon
außerhalb der geographischen Grenzen der antiken Zivilisation. Moskau ist im Jahr
1812 Schauplatz eines Geschehens, das den Wendepunkt im Schicksal des französi-
schen Empire bringt, 2/99 (Kap.24). Stalingrad ist im Jahr 1943 Schauplatz des
Wendepunktes im Schicksal >Großdeutschlands<, 5/81 (Kap.37). Die Ereignisse
dieser Jahre prägen jeweils die spätere Geschichte Europas. Nach dem zweiten
Weltkrieg werden „die beiden großen Meister“ - gemeint sind die Supermächte -
„vom Joch des Krieges befreit“ sein, heißt es in 2/89 (Kap.40).
Dass in der Zukunft noch mehr Beispiele für die Überschreitung des Schwerpunktes
Europa zu finden sind, ist angesichts der Globalisierung der geschichtlichen Prozesse
nicht anders zu erwarten. So handeln etwa die Verse 2/60 [IX], 3/60 [XII] und 3/03 [XII]
explizit von Vorgängen in Asien, nicht etwa nur Kleinasien.
Christus ist im Ostererlebnis zu Menschen in der ihnen bekannten Gestalt gekommen,
so dass sie aus dem eigenen Erleben glauben konnten, dass er lebe. Vor seinem
Tode hatte er ihnen aufgegeben, dass sie es n i c h t glauben sollten, wenn ihnen nur
g e s a g t würde, dass hier oder dort der Christus sei, mit der Begründung, dass
falsche Propheten und Messiasse auftreten würden, Matthäus Kapitel 24, Vers 23 bis 28.
Denn Christus kehrt nicht draußen wieder, als ein bestimmter Mensch von Fleisch und
Blut, sondern wird in allen Menschen wiedergeboren, die ihm nachfolgen, indem sie
seine Gebote halten. Alle Menschen, die den Geist Christi bei sich aufnehmen, werden
wiedergeboren im Geist. Und das ist keine Metapher, sondern geschieht wirklich. Der
Geist Christi ist wirklich anwesend bei und unter denen, die ihm das möglich machen,
Matthäus Kapitel 18 Vers 20, Kapitel 28 Vers 20.
Der >Zwillingsbruder< aber versteht die in der Bibel angekündigte Wiederkunft Christi
nicht in diesem geistigen Sinne, sondern beansprucht sie exklusiv für sich. Er tritt
denen nicht entgegen, die ihn für den wiedergekommenen Christus halten. Darin steckt,
seitens der Verehrer wie des Verehrten, die Leugnung der Gnaden, die Christus durch
seinen Kreuzestod erwirkt hat, besonders der Ausgießung des Geistes, der räumlich
und zeitlich nicht begrenzt ist und a l l e Menschen erfüllen will.
Christus hat sich nicht als heilig ausgeben lassen, obwohl er es spätestens am Kreuz
war. Doch der vermeintliche Wiedergänger wird den Heiligen >geben<, 8/41 [III],
und sich die öffentliche Verehrung der Menschen gefallen lassen, 10/71 [VIII].
An der Kennzeichnung Jesu Christi als >zu früh geboren und gestorben<, die im
lateinischen Begriff des vopiscus, 1/95 [III], steckt, lässt sich die zur Zeit des ver-
meintlichen >Zwillingsbruders< Christi verbreitete Ansicht ablesen, der angeblich
zu früh Gekommene sei nicht mehr am Leben. Das ist mit dem christlichen Glauben
an die Auferstehung Christi nicht vereinbar.
Die Menschen im irdischen Leben können wiedergeboren werden a u s d e m
G e i s t C h r i s ti. Das Wort von der Wiederkunft führt in die Irre, wenn man meint,
es müsse sich vollziehen auf die gleiche Weise wie damals, in der Gestalt eines
bestimmten einzelnen Menschen von Fleisch und Blut. Der wiedergekommene Christus
ist der gegenwärtige Christus, gegenwärtig, wo und wann immer seinen Gegenwart
erwünscht ist.. Allerdings ist die Wiedergeburt aus dem Geist Christi Sache des
Herzens und bleibt der bloßen, auf sich allein gestellten Vernunft eine unverständliche
Formel. „Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt“ (Pascal).
"Eine der furchtbarsten und folgenreichsten Verschwörungstheorien der Geschichte
ist die Behauptung, es gebe eine jüdische Geheimorganisation, die nach der Weltherr-
schaft strebt. Wann immer einflussreiche Politiker oder Geschäftsleute einen jüdischen
oder jüdisch klingenden Namen tragen, betrachten die Anhänger dieser Verschwörungs-
theorie dies als Beleg dafür, dass die sogenannten Protokolle der Weisen von Zion die
Realität wiedergeben. Das Anfang des 20. Jahrhunderts zum ersten Mal veröffentlichte
Dokument enthält Protokolle angeblicher Treffen von zwölf jüdischen Führern, die darüber
diskutieren, wie man Regierungen übernehmen und schließlich an die Weltherrschaft
kommen könnte." (Süddeutsche Zeitung vom 26.8.2011).
Diese gefälschten, aus verschiedenen trüben Quellen gespeisten >Protokolle< hatten
eine klar antijüdische Tendenz und dienten später u.a. den deutschen Nationalsozialisten
und dienen noch heute z.B. der palästinensischen Hamas dazu, die Judenfeindlichkeit
ihrer Politik zu begründen.
Die Centurien des Nostradamus werden hier so gedeutet, dass in nicht mehr ferner
Zukunft ein Mann, der dem jüdischen Volk entstammt, sich in mehreren Etappen bis
zur Weltherrschaft [Vorschau VIII] aufschwingen und von dieser Position aus u.a.
dafür sorgen werde, dass seinem Volk "Gunst gewährt" wird, 6/18 [III]. Ein flüchtiger
Leser kann daher auf die Idee kommen, dass hier anscheinend die Theorie oder
besser Paranoia von einer jüdischen Weltverschwörung unseligen Angedenkens
erneut aufgewärmt werden soll. Aber in Wahrheit trifft das nicht zu, weil N. gesehen
hat, dass die ungewöhnliche Karriere des späteren Weltherrschers in aller Öffentlich-
keit stattfindet, weshalb auch der Kommentator keinen Anlass sieht, das Geschehen
im Sinne einer weltweiten Verschwörung zu deuten.
Der spätere Weltherrscher fängt klein an, als höchst begabter Prediger und Diplomat,
der sein Volk, das jüdische Volk des Staates Israel, 7/32 [III], das in schwerste
Bedrängnis geraten ist, vor dem vollständigen Untergang bewahrt und seine Lebens-
bedingungen verbessert, 2/07 [III]. Viele religiöse Juden, deren Zahl sich in existen-
zieller Not vermehrt hat, halten den Mann daher für den ihnen in biblischer Zeit einst
versprochenen Messias, 6/18 [III], zumal er auch außerordentliche Zeichen zu wirken
imstande ist, 4/24 [III]. Schon diese räumlich noch sehr begrenzten Vorgänge im
Mittelmeerraum finden nun aber nicht heimlich statt, sondern öffentlich, bei Nostrada-
mus z.B. an Vers 6/58 [VI] ablesbar, der die Empörung zweier weit entfernter Gross-
mächte über die schreckliche Lage der israelischen Juden in der gemeinten Zeit an-
spricht. Dass diese öffentlichen Vorgänge von irgendwelchen Geheimgesellschaften,
Logen oder Sekten ins Werk gesetzt werden, ist bei N. dagegen nirgends zu erkennen.
Und dass der Mann, der in die Identität des Messias der Juden hineinschlüpft, nur
Jude sein kann, ergibt sich daraus, dass ein gottgesandter Messias nicht irgendeinem
Volk, sondern dem Volk der Juden einst von seinen Propheten versprochen wurde.
Er lässt es zu, dass die alte Verheißung auf ihn bezogen wird und zündet so die erste
Stufe einer >Trägerrakete<, die ihn schließlich bis in die Umlaufbahn des Weltherr-
schers emporträgt [Vorschau VIII].
Wie die zweite Stufe dieser raketenhaften Karriere ihren Schub entfaltet, wird in
den Kapiteln [III] und [IV] deutlich. Der Gemeinte versteht es, die Spitze der katho-
lischen Kirche davon zu überzeugen, dass sich durch die Ankunft seiner Person die
Verheißung von der Wiederkunft Christi auf Erden nunmehr erfülle. Noch mehr als
die Hilfe, die er seinem eigenen, dem jüdischen Volk leisten kann, wird seine Aner-
kennung als >wiedergekommener Heiland< in aller Öffentlichkeit gefeiert, wofür das
Kapitel [IV] mehrere Belege bietet. In Vers 10/52 [IV] findet sich die einzige Stelle,
die als Hinweis auf eine Verschwörung gedeutet werden könnte: Die Bindung der
katholischen Kirche an den vermeintlich >Wiedergekommenen< sei "von langer
Hand vorbereitet". Doch damit ist nur die 2000 Jahre alte Ankündigung der Wieder-
kunft Christi gemeint, aber keine Steuerung der Vorgänge aus dem Hintergrund mit
irgendwelchen geheimen Machtmitteln. Es sind die mangelnde Urteilsfähigkeit und
Wahrheitsliebe in Sachen Religion sowie auch Ehrgeiz, Wunschdenken und Aben-
teuerlust mancher Kleriker, die daraus entstehende leichtsinnige Gläubigkeit und
schließlich Verblendung vieler Menschen, die die Vorgänge ermöglicht. Sie mag
massenpsychologisch ansteckend sein, wird aber nicht von außen gesteuert.
Das Bild der Trägerrakete für die Antriebskräfte der Karriere des vermeintlich
>Wiedergekommenen< macht auch deutlich, dass mit dem Ausbrennen der
Stufen diese dann irgendwann nicht mehr gebraucht werden; sie verglühen im
Raum, weil der Karrierist nicht mehr auf sie angewiesen ist. Im Klartext wird dann
"verjagt, wer ihm taugte", 4/21 [VII], seine Karriere überhaupt erst zu ermöglichen.
In den Kapiteln [XI] und [XII] der Vorschau scheint es, dass es kurz vor dem Ende
der alten Erde weltweit noch einmal religiös bedingte Verfolgungen geben werde.
Wenn das so kommt, kann sich für alle, die ihrem Gott treu bleiben wollen, dann die
Frage stellen, ob es von Gott her vorgesehen oder gar erwünscht ist, wegen des reli-
giösen Bekenntnisses bis in den Tod zu gehen. In dieser heiklen und schwerwiegenden
Frage hätte man gern von Gott selbst eine Auskunft. Daher werden hier hauptsächlich
Texte aus den Evangelien sowie aus der Neuoffenbarung in den Schriften des Jakob
Lorber gebracht - Texte, die dem Kommentator als von Gott inspiriert gelten.
"Seht, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe; seid daher klug wie die
Schlangen und arglos wie die Tauben", Matthäus Kapitel 10 Vers 16 [Einheitsüber-
setzung]. Demnach soll niemand wegen seines Glaubens sein Leben riskieren
oder die Blutzeugenschaft anstreben, sich gar danach drängen.
Aber es heißt auch: "Wer sich nun vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde
auch ich mich vor dem Vater im Himmel bekennen. Wer mich aber vor den Menschen
verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen. - Denkt nicht,
ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, um
Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, um den Sohn mit
seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit
ihrer Schwiegermutter, und die Hausgenossen eines Menschen werden seine Feinde
sein. - Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer
Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig. Und wer nicht sein Kreuz
auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig. Wer das Leben gewinnen will,
wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen",
Matthäus Kapitel 10 Vers 32 bis 39 [Einheitsübersetzung]. Das Erdenleben zu erhalten,
soll demnach nicht das oberste Ziel sein, die Unversehrtheit der Seele ist wichtiger.
Um diese zu erhalten, darf man Gott und Christus nicht verleugnen, wenn das etwa
verlangt würde - auch dann nicht, wenn das Nachteile bis hin zum Verlust des Lebens
mit sich brächte. Es scheint, dass Gott das Martyrium nicht ganz ausschließt.
"Der Täter wird immer erst vollständig durch sein Opfer. Also ist das Opfer ein Teil des
Bösen." (W. Döbereiner, Der Zorn des Poseidon, München 1996, S. 272). Das Opfer,
das man wird (franz. victime, engl. victim), ist Teil des Bösen, aber nicht das Opfer, das
man bringt (franz. und engl. sacrifice). Die deutsche Sprache ist hier in seltsamer Weise
geizig, indem sie für zwei sehr verschiedene Dinge ein und dasselbe Wort bereithält.
Vielleicht hat das damit zu tun, dass beim Einbruch des Heils in die Weltgeschichte, auf
Golgatha, beides, das Opferwerden und das freiwillige Opferbringen, in Christus in eins
fällt. Wird der Erdenleib eines Menschen, der Christus nachfolgt, zum Opfer, ist er Teil
des Bösen, weil sein Opferwerden anzeigt, dass sein Träger sich eben n i c h t nach
dem Wort des Evangeliums "klug wie die Schlangen und sanft wie die Tauben" verhalten,
sondern sich auf einen Kampf mit seinen Feinden eingelassen hat. Dennoch gehört ein
freiwillig und uneigennützig erbrachtes Opfer immer zu seinen für die Ewigkeit erworbe-
nen Gütern.
"Alles das, was Ich jetzt eben zu euch rede, ist auch von dieser Art, daß es euch in
jeder Lage eures Lebens den wahren, inneren Herzensfrieden geben muß, wenn ihr
eben dieses Gesagte auch nur einigermaßen werktätig beachtet.
Die Welt möchte euch bedrängen von allen Seiten; aber sie kann es nicht, weil sie von
Mir überwunden ist. So ihr aber durch eure Liebe Mich in euch habet, so habet ihr ja
auch den ewigen Überwinder der Welt in euch. Die Welt aber hat Meine Macht erfahren;
daher darf und kann sie dem kein Haar krümmen, der wahrhaftig Meinen Frieden in
seinem Herzen birgt.
Sobald aber jemand sich aus diesem Frieden erheben will und wirft selbst der Welt den
Handschuh zum Kampf hin, der hat sich 's dann nur selbst zuzuschreiben, wenn er
gefangengenommen und mißhandelt wird. Wer aber wahrhaftig bleibet in Meinem Frieden,
der ist geborgen für die Ewigkeit, und kein weltlicher Hauch wird ihm je ein Haar krümmen.
Es wird hier freilich mancher sagen: >O Herr!, Siehe die Apostel und Deine Jünger und
so viele der ersten Christen und auch in der späteren Zeit eifrige Streiter um das reine
Evangelium sind zu Märtyrern geworden, und die Welt hat sich schändlichst grauenhaft
an diesen von Deinem Frieden Erfüllten gerächt. Warum, o Herr, hat sie Dein Friede
nicht geschützt vor den Krallen der Welt? Denn Du hast doch selbst geredet vor Deinem
Leiden, daß der Fürst der Welt gerichtet ist. Wie mochte dann der Gerichtete wohl Gewalt
haben, die Welt gegen Deine Friedensträger also grauenhaft zu entrüsten?<
Diese Frage ist eitel genug, und wer nur einigermaßen in der Geschichte bewandert ist,
der wird es klar finden, daß alle die Märtyrer von den Aposteln angefangen bis in die
späteren Zeiten abwärts nicht durch irgendeinen Zwang oder durch irgendeine Bestimmung
von Mir, sondern freiwillig nur aus einem Liebeheroismus in den Martertod darum gegangen
sind, weil Ich, ihr Meister, Selbst gekreuzigt ward.
Ich sage euch: Ein jeder Märtyrer hätte auch, ohne ein Märtyrer zu werden, Mein Evangelium
ausbreiten können. Aber die Ausbreiter kannten Mich, hatten das ewige Leben vor Augen,
und so hatten sie dann auch keine große Lust, lange in der Welt umherzugehen, sondern
konnten den Zeitpunkt kaum erwarten, in dem ihnen ihr Fleisch abgenommen würde, auf daß
sie dahin gelangen möchten, wohin ich vorangegangen bin.
Johannes aber hatte die größte Liebe zu Mir; darum scheute er die Verfolgungen der Welt
nicht und wollte sie lieber bis auf den letzten Tropfen verzehren, als daß er Mir von seiner
bestimmten irdischen Lebenszeit etwas gewisserart abgebettelt hätte. Er war somit in
Meiner Ordnung vollkommen zufrieden, während viele andere Bettler waren und sich lieber
die schmählichsten Leibesmartern wollten gefallen lassen, als noch einige Jahre länger zu
wirken für Mein Reich.
Da aber bei Mir ein jeder das haben kann, worum er ernstlich und vollgläubig bittet, so
konnte Ich ja doch auch nicht bei diesen ersten Zeugen Mein Wort zurücknehmen, das da
spricht: >Um was immer ihr Mich bitten werdet, das werde Ich euch geben!<
Aus dieser Beleuchtung geht nun klar hervor, daß Mein Wort der Blutzeugen nicht bedurfte;
denn Ich habe ja den Einen ewig gültigen Zeugen, Meinen Heiligen Geist Selbst allen denen
verheißen, die Meine Lehre annehmen und nach derselben leben werden. Und dieser Zeuge
ist der bleibende, während das Blut der ersten Märtyrer schon lange für alle späteren Zeiten
sogar geschichtlich spurlos geworden ist.
Wenn aber diese Geist ein ewiger Zeuge ist, wozu sollte Ich dann die Blutzeugenschaft
Meiner Nachfolger verlangen? Wer selbst ein Blutzeuge werden will, der soll es auch werden;
aber es glaube ja niemand, daß er Mir dadurch einen Dienst erweist, sondern ein jeder, der
das tut, der tut es zum eigenen, aber nicht zu Meinem Vorteile!"
(aus: Jakob Lorber, Schrifttexterklärungen, 35. Kapitel, Abschnitte (3) bis (12))